M. Schrör: Metropolitangewalt und papstgeschichtliche Wende

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Titel
Metropolitangewalt und papstgeschichtliche Wende.


Autor(en)
Schrör, Matthias
Reihe
Historische Studien 494
Erschienen
Anzahl Seiten
289 S.
Preis
€ 46,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Erik Lipperts, Historisches Institut, RWTH Aachen

Die vorliegende Studie ist eine für den Druck geringfügig überarbeitete Dissertation an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf aus dem Wintersemester 2007/08. Sie befasst sich mit den Auswirkungen der papstgeschichtlichen Wende auf die Metropolitanverfassung, die in der Frühzeit eine vom Papsttum unabhängige Einrichtung gewesen ist. Mit dem Wandel seit der Mitte des 11. Jahrhunderts kam es zu einer Übergehung der Metropoliten und Ortsbischöfe aufgrund des gestiegenen päpstlichen Anspruchs. Der Verfasser möchte mit dieser Arbeit untersuchen, welche Rechte die Metropolitaninstanz durch die papstgeschichtliche Wende verlor. Dabei blendet er die historischen Zäsuren in der Vorzeit dieser großen Veränderungen nicht aus. Demnach gliedert sich die Untersuchung in zwei große Hauptteile: Im ersten Abschnitt behandelt Schrör die historischen Voraussetzungen, indem er die Entstehung des Metropolitenamtes in der Spätantike und dessen Entwicklung bis in die Ottonenzeit aufzeigt. Der zweite Hauptteil befasst sich mit den Umwandlungen durch die Reformpäpste.

Aufgrund der Vielzahl untersuchter Aspekte können hier nur einzelne Themenfelder der Studie aufgezeigt werden. Zu Beginn wendet sich Schrör der Betrachtung des Metropolitanamtes in der Spätantike (Kapitel 3) zu. Diese Zeit war in der westlichen Kirche der Höhepunkt der episkopal-synodalen Struktur, die sich durch eine große Autonomie vom päpstlichen Primatsanspruch auszeichnete. Bereits im Frankenreich wurden die Metropolitanrechte seitens des Königs ausgehöhlt (Kapitel 4). Die enge Bindung der Metropoliten an den König war der Beginn des Untergangs des eigenständigen und kollegialen Gedankens der frühen Metropolitanverfassung. Kapitel 4.4 widmet sich dem König als dem „wahren Metropoliten“. Mit Karl dem Großen kam es zu neuen Impulsen für die Kirchenreform, die nicht zu einer Reaktivierung der Metropolitanrechte führte. Der König eignete sich metropolitane Kompetenzen an. Eine Ausnahme stellt dagegen Hinkmar von Reims (Kapitel 4.5) dar. Er war der entschiedenste Vertreter der Metropolitangewalt des 9. Jahrhunderts. Hinkmar plädierte für eine Eingrenzung des päpstlichen Jurisdiktionsprimats und griff dazu auf altkirchliche Konzilsbeschlüsse zurück. Schrör sieht in ihm einen Einzelfall. Im nächsten Abschnitt wird die Metropolitangewalt in der Ottonenzeit untersucht (Kapitel 5). Schrör stellt unter anderem die veränderte Pallienvergabe dar. Während das Pallium im 4. bis 8. Jahrhundert ein vereinzeltes Ehrenzeichen blieb, brachte dessen Vergabe jedoch allmählich eine stärkere Bindung der nordalpinen Kirche an Rom. Die erzbischöflichen Bemühungen, das Pallium zu erlangen, blieben jedoch auch im 10. Jahrhundert eine Seltenheit. Dennoch zeichnet sich die Entwicklung zur Auslegung der Metropolitangewalt als „Ausfluss“ päpstlicher Vollmacht ab.

Im zweiten und umfangreicheren Hauptteil wendet sich Schrör der Metropolitangewalt zur Zeit der papstgeschichtlichen Wende zu. Zunächst benennt er die Veränderungen im Pontifikat Leos IX. Besonders ist hier dessen Synodaltätigkeit zu beachten (Kapitel 6.2). In den Augen des Papstes hatten viele Metropoliten die Kontrolle ihrer Kirchenprovinzen vernachlässigt. Das jährliche universalkirchliche Forum der Ostersynoden war eine Demonstration des päpstlichen Primats und ein erster Impuls der papstgeschichtlichen Wende. Zusammenfassend befindet Schrör: „Alle diese richtungsweisenden Veränderungen in der Zeit Leos IX., seine Reisetätigkeit, seine Synodalpraxis, die energische Förderung der Reform mithilfe seiner auswärtigen Mitarbeiter oder die vermehrte Produktion von Papsturkunden hatten zur Folge, daß der päpstliche Primat in vielfacher Hinsicht eine bis dahin nicht gekannte Wirkung entfaltete.“ (S. 110f.)

Die Anfänge des Legatenwesens stellen einen bedeutsamen Aspekt dar (Kapitel 6.3). Die Legaten besaßen seit dem Pontifikat Viktors II. meist ‚vizepäpstliche‘ Vollmachten. Dies hatte gewaltige Auswirkungen auf die kirchliche Hierarchie und bedeutete gerade für die Metropolitangewalt eine Unterordnung. Legaten nahmen metropolitane Funktionen wie den Vorsitz auf überdiözesanen Synoden wahr. Ebenso übten sie aktiven Einfluss auf Bistumsbesetzungen aus und überlagerten somit das iudicium metropolitani. Unter Papst Alexander II. (Kapitel 8) kam es zu einer systematischen Entsendung bevollmächtigter Legaten, die das päpstliche Reformvorhaben durchsetzen sollten. Damit wurden sie zu einem entscheidenden Bindeglied zwischen der römischen Zentrale und der kirchlichen Peripherie. Jede als causa maior eingestufte Angelegenheit konnte an den päpstlichen Hof gezogen werden. Dies war eine deutliche Umgehung der Metropolitangewalt und der altkirchlichen Instanz der Provinzialsynode. Betrachtet man die dargestellten Reformmaßnahmen der frühen Reformpäpste zusammenfassend, so lassen sich gravierende Auswirkungen für die Metropolitangewalt feststellen.

Gregor VII. brachte dagegen keine großen Neuerungen in der Administration (Kapitel 9). Er griff jedoch stärker auf die Möglichkeit der delegierten Vollmachten innerhalb permanenter „Legatenprovinzen“ zurück. Die von den Legaten getroffenen Entscheidungen bedurften seiner Zustimmung. Auch gegenüber der Regierungspraxis Leos IX. bedeutete Gregors Verständnis von päpstlicher Synodalhoheit einen quantitativen und qualitativen Sprung. Die Überlagerung der bischöflichen Rechtssphäre durch den päpstlichen Jurisdiktionsanspruch wurde von vielen Reichsbischöfen als Rechtsverletzung der alten Kirchenverfassung angesehen. Jedoch wurde erst auf der Wormser Synode 1076 die päpstliche Legatenpraxis kritisiert und der selbständige Ursprung der metropolitanen Gewalt betont. Schrör befindet, dass den Vorwürfen der deutschen Bischöfe die Glaubwürdigkeit fehlte, da sie erst spät erhoben wurden. Bereits Leo IX. hatte die Weichen in Richtung der obrigkeitlichen Herrschaft des Papsttums gestellt. Es war Gregors VII. Verdienst, das Amtsverständnis Leos IX. auf die Spitze getrieben zu haben. Aufgrund seiner pessimistischen Sichtweise auf den Zustand der Metropolitangewalt wollte Gregor geeigneten Männern in Rom die Bischofsweihe erteilen. Dies war eine deutliche Übergehung des bischöflichen Weiherechts. In der gesamten Kirche versuchte Gregor, durch Legaten seine Bischofskandidaten durchzusetzen. Auf der Fastensynode von 1080 trat das sogenannte Devolutionsrecht zu dieser Zielsetzung hinzu. Bei Fehlverhalten konnte jede Kirche ihr Wahlrecht verlieren.

Ein weiteres Mittel zur Einbindung der Metropolitangewalt stellte der Gehorsamseid dar. Der Papst wünschte sich Metropoliten, die eine absolute Unterordnung gegenüber dem römischen Primatsanspruch zeigten. Aus diesem Grund bestand Gregor auf die persönliche Abholung des Palliums in Rom. Erst mit der Erlangung des Palliums erhielt ein Metropolit sein volles Weiherecht und seine gesamte rechtliche Handlungsfähigkeit. Fasst man Gregors VII. Pontifikat zusammen, so fallen die weitreichenden Veränderungen zulasten der althergebrachten Metropolitanverfassung auf. Jegliche Metropolitangewalt sollte ihre Grundlage in der zugestandenen Teilhabe am universalkirchlichen päpstlichen Primat besitzen.

Nachfolgend wendet sich Schrör dem Pontifikat des Gegenpapstes Clemens III. zu (Kapitel 9.6). Hier fällt die gewandelte Rolle der päpstlichen Legaten auf, die nun im Verbund mit den deutschen Bischöfen agierten. Auch von einer persönlichen Einholung des Palliums ist in diesem Pontifikat nichts überliefert. Schrör unterstreicht, dass die maßvollere Nutzung der päpstlichen Machtinstrumente dem Episkopat eine relative Eigenständigkeit und die Wahrung althergebrachter Rechte ermöglichte. Dagegen erneuerte Urban II. die von den Reformpäpsten erhobenen Rechtsansprüche in Bezug auf die Metropolitangewalt (Kapitel 10.1). Vertiefend wendet sich Schrör dem Kardinalskollegium zu, das um 1100 zur die päpstliche Herrschaft mitbestimmenden Gruppe herangewachsen war (Kapitel 10.2). Mit den Kardinälen hatte sich eine hierarchische Zwischeninstanz ausgebildet, die durch ihre Verbundenheit mit dem Papsttum den Metropoliten übergeordnet erschien. Die Kardinäle profitierten vom intensivierten Gesandtschaftswesen. Nun waren ausschließlich Kardinäle als Legaten tätig, die in überdiözesanen Angelegenheiten in Konkurrenz mit den Metropoliten traten.

Bei Schrörs Studie fällt insgesamt der große zeitliche Rahmen auf, der mehr als 1000 Jahre Kirchengeschichte und somit vieldiskutierte Forschungsfelder umfasst. Der Autor stellt sich dieser Problematik, indem er einen gewissenhaften und ausführlichen Anmerkungsapparat darbietet. Neben der bemerkenswerten Quellenarbeit, die dem Leser immer wieder zentrale Quellenzitate zur Verfügung stellt, liefert der Autor weiterführende Literaturhinweise. Die große Themenfülle strukturiert er durch gut platzierte Zwischenfazite (vgl. die Thematik der Palliumvergabe in Kapitel 8.2). Zum besseren Verständnis der Beziehungen zwischen Metropolitangewalt und Papsttum liefert Schrör immer wieder veranschaulichende Beispiele. Auffallend ist die innere Gewichtung der Studie. Vor allem Gregors VII. Verhältnis zur Metropolitangewalt und besonders seine Reformversuche im Reich nehmen breiten Raum ein. Die Entstehung des Konfliktes zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. wird hierbei auf die Mailänder Problematik reduziert. Heinrichs Probleme mit den Sachsen, deren Niederwerfung 1075 bei Homburg an der Unstrut einen Wechsel der königlichen Politik gegenüber Gregor VII. hervorrief, und seine zahlreichen Reformversprechen werden dagegen nicht thematisiert. Bei einer so umfangreichen Studie bleiben kleinere Fehler nicht aus. So fehlen auf den Seiten 192 und 197 leider die Anmerkung 550 bzw. 588. Eine kleine Ungenauigkeit liegt in der Bemerkung, dass nach dem an der päpstlichen Kurie üblichen Annuntiationsstil das Jahr mit dem 25. März endete. Dies ist jedoch bereits der erste Tag des neuen Jahres (vgl. S. 202). Abschließend gilt aber festzuhalten, dass Schrör eine umfassende und überzeugende Studie zur Metropolitangewalt vorgelegt hat. Sie zeichnet sich sowohl durch die großen Entwicklungslinien als auch den nötigen Einzeluntersuchungen aus. Damit verschafft sie dem Leser einen guten Überblick über das Verhältnis der Metropolitangewalt zum Papsttum, liefert darüber hinaus aber auch zahlreiche Vertiefungsmöglichkeiten. Ein rundum gelungenes und empfehlenswertes Werk.

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