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Titel
Hitlers Fünfte Kolonne. Die Auslands-Organisation der NSDAP


Autor(en)
Koop, Volker
Erschienen
Berlin 2009: be.bra Verlag
Anzahl Seiten
300 S., 20 Abb.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kerstin Thieler, Historisches Seminar, Leibniz Universität Hannover

Nicht weniger als die NS-Partei im Deutschen Reich selbst versuchte die Auslandsorganisation der NSDAP, sich durch die Übernahme von immer neuen Aufgaben auf dem Feld der Außenpolitik zu profilieren. Die Grenzen, an die die ausländischen NSDAP-Parteiapparate gegenüber staatlichen Stellen und innerhalb der Bevölkerung stießen, weisen teilweise Ähnlichkeiten auf zur inländischen Praxis der stetigen Kompetenzerweiterung. Das Agieren von NSDAP-Funktionären im Ausland – ohne den gesamten Terrorapparat des „Dritten Reiches“ im Rücken zu haben – lässt eine grundlegende Untersuchung der Parteiorganisationen im Ausland als lohnenswert erscheinen. Es ist schon erstaunlich, wie sich die Landes- und Ortsgruppen der NSDAP über den Globus verteilten: von der Ortsgruppe New York bis zu organisierten Nationalsozialisten in Afrika, Palästina oder Argentinien, deren Aktionen vor Ort die Reichsregierung in Berlin in so manche Bredouille brachten. Im Dezember 1938 existierten nicht weniger als 580 Ortsgruppen in 82 Ländern.

Die Auslands-Organisation der NSDAP wurde 1931 von Gregor Strasser ins Leben gerufen, aus dieser Zeit datieren auch die ersten Landesgruppen, beispielsweise in Argentinien. Ihre Bestimmung sollte nach Volker Koop in der Bildung der „Volksgemeinschaft“ im Ausland liegen, eine Aussage, die er jedoch nur durch ein Zitat aus den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen belegen kann. Zudem sollten die emigrierten NS-Gegner überwacht werden sowie die Zweigstellen deutscher Firmen, deren Existenz für den Devisenhandel des Deutschen Reiches von besonderem Interesse war. Der Journalist und Historiker Koop widmet sich in den ersten Kapiteln den führenden Personen der Auslands-Organisation und den Konkurrenzverhältnissen im Bereich der Außenpolitik. In diesem Zusammenhang bezeichnet er die Struktur der Auslands-Organisation als „angelehnt am straffen Muster der NSDAP im Reich“ (S. 20). Dass die NSDAP im Reich jedoch auch nicht reibungslos funktionierte und mit etlichen Struktur-, Kompetenz- und Motivationsproblemen kämpfte, hätte eher Koops Vergleichsfolie für die Auslands-Organisation der NSDAP bilden müssen als die unspezifische Annahme, dass die NSDAP ein perfekt organisierter Verfolgungsapparat war.

Zwischen der NSDAP-Reichsleitung, dem Reichspropagandaministerium, dem Auswärtigen Amt und der Auslands-Organisation bestanden diverse Differenzen, die nicht zuletzt auch in den Verschränkungen parteiamtlicher und staatlicher Hierarchien begründet lagen. Der langjährige Chef der Ausland-Organisation, Ernst Wilhelm Bohle, war zeitweise auch Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Zudem waren die Dienststellen der NSDAP häufig in den deutschen Botschaften untergebracht, und auch die Botschafter bekleideten oftmals NSDAP-Posten. Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Kriegsbeginn zum Deutschen Reich reduzierte auch die offenen Aktivitäten der Auslandsorganisation auf ein Minimum. Spionagetätigkeiten Einzelner bildeten fortan den Schwerpunkt.

Die Propaganda-Praxis und die Eigenmächtigkeiten einzelner Auslands-Organisationen sabotierten manche außenpolitische Strategie der NS-Regierung. Während des Spanischen Bürgerkriegs gelang es der Auslands-Organisation aber auch erfolgreich, auf außenpolitische Entwicklungen Einfluss zu nehmen: Die Bitte Francisco Francos um Flugzeuge wurde an Hitler übermittelt und die militärische Unterstützung tatsächlich gewährt – doch bleibt Koop einen Beleg hierfür leider schuldig.

Die Praxis der Landesgruppen war primär von den politischen Bedingungen im jeweiligen Gastland abhängig. Eine der Hauptaktivitäten bestand ohne Zweifel darin, die im Reich eskalierende Judenverfolgung im Ausland zu verharmlosen, obwohl die NSDAP-Gruppen in den einzelnen Ländern mit ihren rassistischen Postulaten in eigens herausgegebenen Zeitungen nicht selten auch die Heimatbevölkerung provozierten und beleidigten. Die Verdrängung von jüdischen Mitarbeitern in Firmen, die in deutschem Besitz waren, betrachtete die Auslands-Organisation der NSDAP ebenso als ihr Aufgabenfeld wie die Unterbindung jeglicher Kontakte zwischen „Auslandsdeutschen“ und Juden. Schon die doppelte Staatsbürgerschaft stand dem nationalsozialistischen Herrschaftskonzept entgegen. Über die Interaktionen der NSDAP-Gruppen mit den Deutschen im Ausland berichtet Koop leider nur recht oberflächlich. Als Quellenbestände konnten die laufenden Berichte der einzelnen Auslands-Organisationen sowie Korrespondenzen herangezogen werden, die aufgrund diplomatischer Verstimmungen in den Gastländern entstanden sind.

Dass die Auslands-Organisationen – wie die NSDAP im Deutschen Reich auch – keinen vollständigen Überblick über das Verhalten der Reichs- und Auslandsdeutschen besaß und durch ständige Finanzknappheit in ihren Aktionen ausgebremst wurden, ist eine ebenso offensichtliche Parallele zu den Verhältnissen im Reich wie die ständigen Appelle an die Spendenbereitschaft der „Volksgenossen“. Wie wirksam die Spionagetätigkeiten der Auslands-Organisationen wirklich waren, kann Koop leider auch nicht belegen, dennoch dürften die Berichte über die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Verhältnisse die ausländischen Regierungen – im Falle Argentiniens bewirkte ein solcher Bericht sogar einen großen Eklat – zu intensiveren Gegenmaßnahmen bewogen haben. Berichte wurden aber auch über die eigenen Funktionäre verfasst. Überhaupt nahm das Beurteilungswesen im Ausland einen breiten Raum ein. Die Bespitzelung von Deutschen im Ausland konnte Konsequenzen für die Verwandten im Reich haben, gleiches galt für das Verhalten von Juden im Ausland. Die Beurteilungen über Repräsentanten deutscher Firmen zogen gelegentliche Entlassungen nach sich.

Inwiefern und womit die Auslands-Organisationen ihre Mitglieder an sich binden konnten, dafür bleibt Koop in den Abschnitten über die jeweiligen NSDAP-Landesgruppen eine Antwort freilich schuldig. Dass Tanzveranstaltungen beliebter waren als Propagandaveranstaltungen und man sich diesen leichter als im Reich entziehen konnte, lässt nur vage Schlüsse auf den Erfolg der „Missionsarbeit“ der NSDAP zu. Bei seinem Streifzug durch die einzelnen Landesgruppen kann Koop zeigen, wie diese über kurz oder lang in Konflikt mit den dortigen Regierungen gerieten, wie sie sich nach ihrem Verbot – wie in den USA – zeitweise hinter Tarnorganisationen zu verstecken versuchten und nur selten das Ansehen des Deutschen Reiches oder der NSDAP im Ausland zu fördern vermochten. Die Tätigkeit der NSDAP-AO endete entweder mit Kriegsbeginn oder mit der Besatzung durch die Wehrmacht. Die Frage, zu welchem Zweck die NSDAP diese Zweigstellen überhaupt unterhielt, bleibt nach Lektüre des Buches freilich weitgehend offen, da Koop hierzu selber keine Thesen entwickelt. Klar wird jedoch, dass die Auslands-Organisationen oft improvisierten, bisweilen über ihren – selbst definierten – Auftrag hinaus schossen und sich auch um praktische Dinge wie die Versorgung von deutschen Schiffsbesatzungen in ausländischen Häfen kümmerten.

Vielleicht hätte es dem Buch gut getan, sich auf wenige Beispiele zu konzentrieren, diese dann aber ohne zeitliche und thematische Sprünge nach zu verfolgen, um den Eindruck zu vermeiden, dass es sich der Vollständigkeit halber um eine bloße Aneinanderreihung handelt. Dass auch die Deutsche Arbeitsfront ab 1935 Auslandsabteilungen ausbildete und ebenso die NS-Frauenschaft, ist ein weiterer Hinweis auf das Ausmaß dieses illusionären „Missionsprojektes“ der NSDAP – leider bietet Koop zu diesen Organisationen wenig mehr als etwa die Wiederholung des dort genährten, stereotypen NS-Frauenbildes.

Volker Koops Werk vermag die bestehende Forschungslücke über die NSDAP-AO leider nicht zu schließen. Vergeblich suchen die Leserin und der Leser nach einem stringenten Interpretationsfaden, nach einer sich erschließenden Gliederung und oftmals auch nach Belegen und einer konsequenten Quellenkritik. So ist das Buch eher für ein populärwissenschaftliches Publikum verfasst worden. Die Auslands-Organisationen der NSDAP bleiben dennoch ein spannendes Thema und tiefergehende Arbeiten wären daher sehr wünschenswert, nicht zuletzt in Hinblick auf eine weitere Aufklärung der Rückzugsorte führender Nationalsozialisten nach 1945.

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