U. Daniel u.a. (Hrsg.): Politische Kultur und Medienwirklichkeiten

Cover
Titel
Politische Kultur und Medienwirklichkeiten in den 1920er Jahren.


Herausgeber
Daniel, Ute; Marszolek, Inge; Pyta, Wolfram; Welskopp, Thomas
Reihe
Schriftenreihe der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte 14
Erschienen
München 2010: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
340 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ute Seiderer, Institut für Kulturwissenschaft, Humboldt-Universität zu Berlin

Die politische Kulturgeschichte der 1920er-Jahre unter dem Gesichtspunkt der Wechselwirkung zwischen politischer und medialer Sphäre ist Thema des vorliegenden Sammelbandes, der aus einer Tagung der Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Stiftung in Heidelberg im Jahr 2008 hervorgegangen ist und sich schon beim ersten Ansehen als ein seriöses, informatives und faktenreiches Buch erweist. Seine Intention, die geschichtswissenschaftlichen Debatten über die Veränderungen der politischen Kultur der Zwischenkriegszeit mithilfe der Frage nach der Medialisierung von Politik voranzutreiben, gerät nur selten aus dem Blick. Dabei stehen weniger die Medienträger selbst, ihre Entstehungsgeschichte oder Rezeption zur Diskussion, sondern die Frage nach den Medienwirklichkeiten, das heißt nach der Art und Weise der symbolischen, literarischen oder massenmedialen Vermittlung von Bedeutungszuschreibungen (S. 12). Das Interesse an dem Wie der Vermittlung bleibt – so die Herausgeber – durchgängig an die politische Sphäre „rückgebunden“, wird als „genuiner Bestandteil der politischen Kultur“ (S. 12) analysiert. Im Forschungsfeld zwischen neuer Politikgeschichte, politischer Kulturgeschichte und Kulturgeschichte des Politischen sollen die Fachtermini von Politik und Geschichte mit „Signalwörtern“ wie Kommunikation, Medien, Symbol, Ritual und anderen „kulturalistisch ergänzt“ (S. 8) werden. Generell muss gesagt werden, dass Kultur in diesem Band vor allem unter dem politisch-historischen Aspekt untersucht und damit im Bereich der Historiografie verhandelt wird.

Die inhaltliche Dreiteilung des Bandes in „Politisch-mediale Wechselwirkungen“, „Repräsentation von Gemeinschaft, Führertum und Gesellschaft“ und „Repräsentation von Gewalt, Tod und Demokratie“ sowie die Einleitung, der einführende Aufsatz (Dirk van Laak) und der sorgfältig gestaltete Anhang bieten eine sinnvolle Strukturierung des Themengebiets, das in drei Beiträgen auch internationale Phänomene in den Blick nimmt (USA, Italien, Polen). Ein interdisziplinärer Ansatz ist dadurch gewährleistet, dass neben der zeithistorischen Perspektive auch aus philologischer (Ulrich Fröschle) und philosophischer (Thomas Meyer) Sicht argumentiert wird. Dies wirkt sich für die Annäherung an die Frage nach den Bedeutungen bzw. Bedeutungszuschreibungen insofern unterstützend aus, als damit ja auch die Frage nach der Interpretation von Fakten im Raum steht und nicht nur deren Auflistung oder die bloße Unterscheidung zwischen harten und weichen Faktoren der Geschichte (S. 9). Sprachlich ist der Band verständlich und angenehm zu lesen, mit nur wenigen Unschärfen und nur vereinzelt aufblitzender diskursiver Jargonsprache. Auch mit den Quellen wird meist sorgfältig und transparent umgegangen.

Genauer zu überprüfen wären jedoch zwei Fragen gewesen: erstens, ob der Medienbegriff, der dem Ganzen zugrunde liegt, kohärent und schlüssig behandelt wird und die Frage nach den Medienwirklichkeiten tatsächlich perspektivbestimmend für alle Beiträge erkennbar bleibt – denn an dieser Stelle wären einige überflüssige Textlängen redigierbar gewesen –, und zweitens: ob die von Dirk van Laak aufgeworfene Frage nach der Effektivität des Hauptanliegens, nämlich inwieweit mit der „Ausweitung auf Mediatisierungs- und Vermittlungsprozesse des Politischen tatsächlich eine neue Dimension des Verständnisses vom Schicksal und Scheitern der ersten deutschen Demokratie“ erreicht werden kann (S. 26), als Leitfrage bei den Autoren präsent geblieben ist. Daneben wird die für die Geschichtswissenschaft (bis heute) typische Privilegierung der Printmedien (Buch, Zeitung, Zeitschrift, politisches Plakat, Flugblatt) gegenüber anderen Medien deutlich; gleichwohl sind auch auditive Medien (Rundfunk) sowie typische visuelle Medien der Zeit (Schaubild, Karikatur, Fotografie, Briefmarke) als Träger politischer Bedeutungszuschreibungen und damit als aussagekräftige Quellen der Geschichte herangezogen worden.

Aus dem ersten Teil des Bandes („Politisch-mediale Wechselwirkungen“) beeindruckt vor allem Riccardo Bavajs Beitrag über die mentale Massenmobilisierung in der Zwischenkriegszeit und die Rolle, die der Münzenberg-Konzern dabei spielte. Im Wissen um die Thesen Gustave Le Bons von der Verführbarkeit der Massen („Die Massen können nur in Bildern denken und lassen sich nur durch Bilder beeinflussen.“; S. 90f.) schildert Bavaj in lebhafter Sprache den Aufstieg des Medienmoguls Willi Münzenberg (1889-1940). Dieser kann als Wegbereiter des modernen Boulevard-Journalismus gelten (S. 89) und schuf zugleich für die „Weimarer Linksintelligenz“ (Tucholsky, Thälmann, Höch, Hausmann, Heartfield und andere; vgl. S. 91f.) diverse Plattformen für „Bild-Gedichte“, Fotoreportagen und Bildmontagen, darunter die bekannte „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ (AIZ) oder die Zeitschrift „Der Arbeiter.Fotograf“. Unter massivem Einsatz von Bildern als Mittel der revolutionären Propaganda (S. 90) stand die „Tendenzfotografie“ (Tucholsky) im Fokus. Die Frage nach der Medienwirklichkeit wird in diesem Text auf besonders anschauliche Art behandelt, da das, was Walter Benjamin damals den „revolutionären Gebrauchswert“ des Fotos (S. 98) nannte, unmittelbar das Wirklichkeitsverständnis der Massen beeinflusste.

Martin H. Geyers Beitrag über den Barmat-Kutisker-Justizskandal im Jahr 1925 zeigt, wie Korruption in der Presse als politisches Medienereignis präsentiert wurde. Es wird deutlich, wie sehr die Weimarer Republik zum Opfer ihrer eigenen Agitation und „Selbstinszenierung“ (S. 71) wurde, indem sie der Formierung einer antisemitischen und antidemokratischen Bedeutungszuschreibung Raum bot, die sich zuletzt die Warnung vor Enteignungen von Staatskapital auf die eigene Fahne schreiben konnte. Thomas Welskopps Aufsatz über den Zusammenhang zwischen der Prohibition, den Wahlen und der „Verschiebung des Parteiensystems in den USA der 1920er Jahre“ führt ebenfalls vor, wie die sogenannte „öffentliche Meinung“ mithilfe medialer Einsätze (Presse, Rundfunk, Verbände, Organe, Meinungsumfragen, Probeabstimmungen et cetera) geprägt wurde; jedoch kommt er zu dem Ergebnis, dass sie nicht zu einer festen Größe avancierte, mit der man – im Wahlkampf – gegebenenfalls „rechnen konnte“, sondern ein Phantom blieb, das selbst von den Massenmedien gefürchtet war (S. 146).

Im Kampf um die symbolische Deutungsmacht erweisen sich die Schriftmedien, die im zweiten Teil des Bandes im Zentrum stehen, als langlebiger. Auf der Spur nach den „Repräsentationen von Gemeinschaft, Führertum und Gesellschaft“ wird auch die Fundierung dieser Begrifflichkeiten evident: Wolfram Pyta zeigt in seinem recht umfangreichen Text über die Symbolkraft Paul von Hindenburgs und die Erwartung der Volksgemeinschaft nach charismatischer Führerschaft, mit welchen medialen Strategien es gelang, die Legitimation von Herrschaft an die sensitive Erfassung des Krieges (S. 150) rückzubinden. Als Quelle dient ihm Weltkriegsliteratur, deren kulturellen Mehrwert er untersucht. Die Konjunktur der Kriegsromane in der Gefolgschaft von Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ (1929) – in den 1920er-Jahren sind ca. 80 Kriegsromane erschienen, oft als Fortsetzungsromane in der Tagespresse – hat, Pyta zufolge, mehr als manches Sachbuch zum Verständnis der Zeit beizutragen. Diese Literatur basiere auf eigener Anschauung und verfüge, gleichsam aus dem Schützengraben geschrieben, über eine besondere Authentizität (S. 153ff.). Fragen nach der Sozialität von Leiblichkeit ergänzen den Beitrag um eine erweiterte Dimension des Symbolischen. Pytas Exkurs über den Quellenwert der deutschen Weltkriegsromane für eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung ist bemerkenswert, weil hier einmal mehr die bloße historische Faktizität (die offiziöse Kriegsgeschichte wurde von Militärs für Militärs geschrieben) als unveränderliche Größe infrage gestellt wird. An deren Stelle treten Subjektivität, Intimität, Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung zu ebenfalls verbindlichen Parametern der Historiografie an.

Relativ unspezifisch präsentiert sich der Text von Michael Wildt über „Volksgemeinschaft und Führererwartung in der Weimarer Republik“, der zwar auf Strukturen der Erwartung und Symbole der Herrschaftslegitimation eingeht, diese jedoch nicht in medialen Kontexten vorführt. Ulrich Fröschles Aufsatz über „Dichter als Führer und Ingenieure der menschlichen Seele“ greift im Anschluss daran wieder auf das Medium Literatur zurück und zeigt sehr aufschlussreich, welch großen Anteil Literatur und Literaturwissenschaftler an der „Produktion und Distribution der Rede vom Führer“ (S. 207) genommen haben. Zu nennen wären hier nicht nur die Diskurse Ernst Jüngers, sondern auch Texte von Heinrich Mann, Max Kommerell, Stefan George oder Gottfried Benn. Heidi Hein-Kircher arbeitet den Personenmythos um Józef Piłsudski im Polen der Zwischenkriegszeit heraus und definiert dabei in vorbildlicher Weise ihre Begrifflichkeiten.

Den dritten Teil des Bandes („Repräsentation von Gewalt, Tod und Demokratie“) eröffnet Oliver Janz mit einem anregenden Text über Trauer und Gefallenenkulte in Italien und Deutschland zwischen den Kriegen, wie etwa über den Kult um den „unbekannten Soldaten“ („milite ignoto“, S. 260f.). In lebendiger Veranschaulichung dieses morbiden Themas liefert die Hintergrundfolie über das Mythenarsenal faschistischer Bewegungen erkenntnisreiche Informationen zu deren Vorstellungen von Opfertod und Märtyrertum, bei denen weniger vom Grauen des Krieges die Rede ist als vielmehr von Heldenhaftigkeit, Tapferkeit und bleibender soldatischer Virilität, gelenkt durch symbolische Umcodierungen im Sinne einer Ästhetisierung des Todes. Angesichts der Kriegerdenkmäler, Erinnerungsparks, pazifistisch-sozialistischer Gefallenenkulte sowie der offiziellen Gefallenen- und Denkmalspolitik (die Kriegstoten wurden zu Vorkämpfern des Faschismus umgedeutet) drängt sich die Frage auf, ob Heroismus auch umzudefinieren wäre als eine mutwillige Unterdrückung des Grauens? In jeden Fall wird hier deutlich, wie der Körper selbst (nebst den Grabmälern) zum Medium von Ideen und Projektionen geworden ist – eine ganz spezielle Ausformung von Medienwirklichkeit.

Dirk Schumann stellt im Anschluss daran Repräsentationen von Gewalt in der politischen Tagespresse der frühen Weimarer Republik vor und zeigt, dass vor allem Kommunisten in der bürgerlichen Presse in Verruf gerieten. Der abschließende Beitrag von Thomas Meyer über die Grenzen und Möglichkeiten des Symbol-Begriffs in der Geschichtswissenschaft nimmt die Symboltheorie Ernst Cassirers sowie Martin Heideggers Kritik daran ins Visier. Anlässlich einer Überprüfung der Symbolkraft von Verfassungsfeiern und ihrer Rezeption in der jüdischen Presse versucht Meyer, den „symbolic turn“ für die Geschichtswissenschaft fruchtbar zu machen (S. 311ff.), entfernt sich dabei jedoch sehr weit von den Medienwirklichkeiten.

Das Symbolische und das Reale, zwei hartnäckige Kontrahenten im Spiel um Deutungshoheiten und Analysen, lassen gerade beim Auftauchen von politisch-gesellschaftlicher Relevanz Mediales, das heißt Vermittelndes, zwischen sich zu. Die Weimarer Zeit, seit Langem überfrachtet durch Sinnfragen und Erkenntnisbedarf, hat sich, als ein besonderer Zeitraum zwischen den Kriegen, immer wieder dafür angeboten, auf ihren Symbolgehalt hin überprüft und verstanden zu werden, da ihr Verlauf, rein rational betrachtet, oft nur schwer begreifbar ist. – Ob dies zu neuen „Klarheiten“ führt, wie Dirk van Laak eingangs fragt? Ja, sicherlich – kategorial verstanden. Wir sind empfänglich für Symbolisches. So gesehen hätte sich dieser Sammelband noch gut um einen Beitrag aus der Nachbardisziplin der Psychologie ergänzen lassen.

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