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Titel
Unruhe im Fernsehen. Protestbewegung und öffentlich-rechtliche Berichterstattung in den 1960er Jahren


Autor(en)
Vogel, Meike
Erschienen
Göttingen 2010: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
349 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Antje Eichler, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Landesverband Bayern e.V., München

Lange Zeit war die historische Auseinandersetzung mit der Studentenbewegung Ende der 1960er-Jahre weitgehend den Protagonisten der damaligen Revolte vorbehalten. Zwar ist in den vergangenen Jahren – nicht zuletzt anlässlich des 40-jährigen „Jubiläums“ im Jahr 2008 Bewegung in die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Studentenprotesten gekommen.1 Die Rolle der Medien und die damalige Medienberichterstattung ist dabei jedoch unterbelichtet geblieben. Meike Vogel hat nun erstmals die Berichterstattung des Fernsehens über die Proteste Ende der 1960er-Jahre genauer untersucht. Die Geschichts- und Mathematikwissenschaftlerin koordiniert den Sonderforschungsbereich „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“ an der Universität Bielefeld, in dessen Rahmen die Arbeit entstand. Ausgehend von der Einordnung der 1968er-Proteste als Kommunikationsereignis (S. 8), also der Annahme, dass die Phase nicht nur die Proteste selbst, sondern auch die Kommunikation darüber sowie die Auseinandersetzung über diese Kommunikation umfasst, eröffnet die Autorin mit dem Titel ihrer Untersuchung „Unruhe im Fernsehen“ drei zentrale Perspektiven (S. 17): die Darstellung der Proteste im Fernsehen, die Diskussion über die Berichterstattung innerhalb und außerhalb der Fernsehanstalten sowie drittens den öffentlichen Diskurs über „Unruhe“ als Begriff.

Als theoretischen Zugang wählt die Autorin den so genannten Framing-Ansatz, der davon ausgeht, dass das Fernsehen zentrale Rahmen und Deutungsmuster liefert, die unsere Vorstellung von der Welt prägen. Für die 1968er-Proteste kristallisiert Meike Vogel die Rahmen „Ruhe/Unruhe“ und „politisch/unpolitisch“ aus den von ihr studierten Quellen heraus. Bei der Wahl des Untersuchungszeitraumes orientiert sie sich an den in der bisher erschienenen Literatur aufgezeigten Daten: Die Hochphase lag demnach zwischen dem 2. Juni 1967, dem Tod des Studenten Benno Ohnesorg während des Schahbesuchs in Berlin, und den Osterunruhen im April 1968. Um das „Kommunikationsereignis 1968“ möglichst komplett zu erfassen, bezieht die Autorin außerdem die angrenzenden Jahre 1966 und 1969 mit ein.

Innerhalb dieses Zeitraumes findet sie nach aufwändigen Recherchen in den Archiven von acht Fernsehanstalten insgesamt fast 400 Beiträge (S. 26), vom einminütigen Einspieler in der Tagesschau bis zu eineinhalbstündigen Dokumentationen. Allein für die Hebung, Sichtung und sogar teilweise Transkription dieses Schatzes gebührt Meike Vogel große Anerkennung und Respekt. Die größte Herausforderung für die Beschaffung von audiovisuellem Material besteht darin, dass es in Deutschland kein zentrales Fernseharchiv gibt. Trotz wiederholter Forderungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besteht bis heute keine Aussicht auf eine solche Einrichtung. Sicherlich trägt auch diese Tatsache sowie der restriktive Umgang der Rundfunkanstalten bei der Herausgabe des Materials dazu bei, dass historische Untersuchungen über das Fernsehen in Deutschland, die über einzelne Sender hinausgehen, kaum vorhanden beziehungsweise oft sehr oberflächlich sind.

Bevor Meike Vogel eine Auswahl des gefundenen Materials einer qualitativen Analyse unterzieht, liefert sie im ersten Kapitel für die spätere Auswertung grundlegende Informationen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den 1960er-Jahren. Dabei betont sie die wachsende Bedeutung des Fernsehens für die Gesellschaft (S. 43ff.), ohne jedoch Reichweitendaten zu nennen, die sich ohne großen Aufwand hätten ermitteln lassen 2 und die weiter hinten zumindest angedeutet werden (S. 168). Interessant wären hier insbesondere die Zuschauerzahlen bei der Tagesschau sowie bei den politischen Magazinen gewesen, welche die Autorin schwerpunktmäßig ausgewertet hat. Letztere waren erst im Laufe der 1960er-Jahre, auch aufgrund des gewachsenen Selbst- und Sendungsbewusstseins der Fernsehschaffenden entstanden. Ihre Macher entstammten allesamt der ersten Nachkriegsgeneration, und sie waren unter anderem durch ihre Ausbildung bei Briten und Amerikanern geprägt. Zur gleichen Zeit stärkte das sogenannte Adenauer-Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Unabhängigkeit und Pluralität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als zentrales Element der demokratischen Gesellschaft (S. 47ff.).

Das zweite Kapitel ist dem Verständnis und dem Umgang der 68er Protestakteure mit den Medien gewidmet. Da die Autorin die Fernsehberichterstattung später jedoch nicht dahingehend untersucht, inwieweit die Aktivisten mit ihren PR-Strategien Erfolg hatten und damit Eingang in die Medien fanden, hätte auf die Ausführungen in diesem Kapitel verzichtet werden können. Immerhin finden sich einzelne interessante Hinweise, wie etwa der, dass Dutschke & Co. für ihre Fernsehauftritte Honorare gezahlt bekamen (S. 121). Insgesamt sind die theoretischen Betrachtungen im Vergleich zum empirischen Teil, insbesondere durch den in weiten Teilen fehlenden Bezug zur nachfolgenden Auswertung, viel zu ausführlich. Demgegenüber kommen die Beschreibung der Methodik und Angaben zur Auswahl des Materials zu kurz – Ausführungen hierzu sind auf die Einleitung beschränkt –, so das empirische Verfahren nur unzureichend transparent wird.

Von den beiden Kapiteln, die sich mit der Auswertung der Fernsehberichterstattung beschäftigen, ist eines ausschließlich dem Schahbesuch vorbehalten. Meike Vogel begründet dies mit der Bedeutung des 2. Juni und der anschließenden Ereignisse für die Entwicklung der Protestbewegung. Dabei schildert sie detailliert und anschaulich die im Fernsehen gezeigten Bilder, unterstützt durch zahlreiche Abbildungen. Dazu notiert die Autorin O-Töne und Sprechertexte. Gegenüberstellungen von staatstragenden, langatmigen Szenen zum Schahbesuch und turbulenten, teilweise gewaltsamen Sequenzen zu den Protesten haben nach Ansicht der Autorin zur Polarisierung der Gesellschaft hinsichtlich der Protestbewegung beigetragen.

Ergänzt und damit zusätzlich erhellt und eingeordnet werden die Beschreibungen der Beiträge durch Zitate aus der Zuschauerpost – die Dokumentation „Der Polizeistaatsbesuch“ von Roman Brodmann beispielsweise zog 200 Leserbriefe nach sich – und aus Gremienprotokollen oder anderen Schreiben innerhalb der Fernsehanstalten. So kann Meike Vogel zum Beispiel die Tatsache, dass Berichte über Demonstrationen fast ausschließlich aus der Polizeiperspektive gedreht wurden, anhand von Aussagen aus senderinternen Niederschriften belegen (S. 180): Das Filmen hinter den Polizeiabsperrungen galt demnach als sicherer und war mit den damals noch wenig flexiblen Kameras am besten zu bewerkstelligen; nach den Osterunruhen erteilten die ARD-Intendanten unter anderem die Anweisung, nur noch aus den Polizeiwägen heraus zu filmen.

Neben Bildern von Demonstrationen waren diejenigen besonders beliebt, die sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben und unser heutiges Bild der Ereignisse bestimmen: Ho-Chi-Minh-Ketten oder Studierende, die in überfüllten Hörsälen Reden lauschen (S. 199f.). Diesen Bildern der Unruhe standen Einstellungen gegenüber, die Ruhe forderten, wie zum Beispiel teils abwertende Aussagen von unbeteiligten Passanten oder zum Teil scharfe O-Töne von Politikern. Ebenso wie bei der Rahmung „Ruhe/Unruhe“ stellte das Fernsehen auch bei der Rahmung „politisch/unpolitisch“ die jeweiligen Aussagen und Bilder weitgehend unkommentiert gegenüber (S. 200ff.). Mal wurde der Protest als politisch, mal als Ulk hingestellt. Die Zuschauer sollten selbst entscheiden, wie sie das Gesehene einordnen wollten (S. 218f.). Die Journalisten verhielten sich meist neutral, auch wenn sie immer wieder Politik und Öffentlichkeit aufforderten, mit den Protestakteuren zu sprechen und sie ernst zu nehmen (S. 217/220).

Trotz des differenzierten Bildes, das die Berichterstattung des Fernsehens über die Protestbewegung zeichnete, stand das Fernsehen von Anfang an in der öffentlichen Kritik, wie Meike Vogel in Kapitel fünf abschließend aufzeigt. Politik und andere Medien, insbesondere die Springer-Presse warfen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor, den Protestakteuren und ihren angeblich antiparlamentarischen und undemokratischen Anliegen ein breites Forum zu bieten und sie damit salonfähig zu machen (S. 272ff.). Die Diskussion um die Rolle des Fernsehens war dabei sogar mehrmals Thema im Bundestag (S. 273ff.). Die öffentliche Debatte führte dazu, dass sich die Aufsichtsgremien und Redaktionen der Fernsehanstalten selbst mit ihrer Berichterstattung auseinandersetzten. Ob als Reaktion auf die Kritik oder aus Unsicherheit hinsichtlich der damals noch nicht abzuschätzenden Wirkung des Fernsehens ergingen von Seiten der Intendanten und Programmleiter verschiedene Anweisungen, wie künftig über die Protestaktionen zu berichten sei (siehe oben). Gleichzeitig betonten die Sender aber die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und unterstrichen ihren Auftrag, im Sinne der Pluralität alle Meinungen zu Wort kommen zu lassen (S. 281ff.).

Nach Ansicht von Meike Vogel war das Fernsehen demnach nicht nur Verstärker der Protestbewegung, indem es umfassend und ausgewogen darüber berichtet hat, sondern gleichzeitig auch Nutznießer, da es sich gegen Einflüsse in Zusammenhang mit der Berichterstattung, insbesondere von Seiten der Politik erfolgreich zur Wehr setzte (S. 303). Allerdings war dieser Nutzen nur von kurzer Dauer und die Hochzeit der politischen Magazine und deren Unabhängigkeit zu Beginn der 1970er-Jahre vorüber.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. Norbert Frei, 1968. Jugendrevolte und globaler Protest, München 2008; Ingrid Gilcher-Holthey, Die 68er Bewegung. Deutschland – Westeuropa – USA, 4. Aufl., München 2008 (1. Aufl. 2001); Christina von Hodenberg / Detlef Siegfried (Hrsg.), Wo „1968“ liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der Bundesrepublik, Göttingen 2006; vgl. die Rezension von Philipp Gassert, in: H-Soz-u-Kult, 25.06.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-2-183> (13.08.2010).
2 Siehe hierzu u.a. Michael Buß / Wolfgang Darschin, Auf der Suche nach dem Fernsehpublikum. Ein Rückblick auf 40 Jahre kontinuierliche Zuschauerforschung, in: media perspektiven 1 (2004), S. 15-27.

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