D. Brantz u.a. (Hrsg.): Tierische Geschichte

Titel
Tierische Geschichte. Die Beziehung von Mensch und Tier in der Kultur der Moderne


Herausgeber
Brantz, Dorothee; Christof Mauch
Erschienen
Paderborn 2009: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
401 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Pöppinghege, Historisches Institut, Universität Paderborn

Man kann nicht gerade behaupten, dass sich so etwas wie eine historische Tierforschung im deutschsprachigen Raum etabliert hätte. Diesen Befund bestätigt die Tatsache, dass in jüngerer Zeit lediglich Sammelbände publiziert wurden, die nur Einzelaspekte des Verhältnisses zwischen Mensch und Tier behandeln, wozu auch der zu besprechende Band zählt. 1 Will man ein solches Forschungsfeld konstituieren tut man gut daran, sich auf methodische Standards zu verständigen. Der hier zu besprechende Band liefert dafür wichtiges Anschauungsmaterial, indem er die vor allem im anglo-amerikanischen Raum geführten methodischen Debatten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Er beinhaltet unterschiedliche Zugänge und macht dabei vorsichtig deutlich, wo die Chancen, aber auch die Beschränkungen und Grenzen einer historischen Tierforschung liegen. Da diese jenseits des Atlantiks deutlich besser aufgestellt ist, taten die Herausgeber gut daran, auch amerikanische Autoren zu Wort kommen zu lassen. Der Band ist Ergebnis einer 2005 vom Deutschen Historischen Institut Washington D.C. organisierten Tagung. Von den insgesamt 19 Artikeln sind 14 aus dem englischen Original ins Deutsche übersetzt. Leider ist das Ergebnis in den meisten Fällen sprachlich wenig elegant, so dass man hinter fast jedem deutschen Satz das englische Original vermuten kann. Als ausgesprochenes Lesevergnügen kann ein Teil der Beiträge daher nicht betrachtet werden. Inspirierend sind sie dennoch.

Das Nachdenken über Tiere bietet dem Menschen Anlass zur Selbstreflexion, sei es durch die strikte Abgrenzung, sei es durch die Betonung von Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier. Mit der Herausbildung der Geschichtswissenschaft im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert löste sich freilich die Verbindung von Natur- und Menschheitsgeschichte auf. Seitdem kamen Tiere in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft nur am Rande vor, die Beschäftigung damit blieb Zoologen, Archäologen, Psychologen und Ethnologen vorbehalten. Ganz anders der anglo-amerikanische Raum, in dem Tiere viel eher und intensiver in den Fokus der kulturwissenschaftlichen Forschung rückten: Dabei zeichnen sich inzwischen mindestens zwei methodische Zugänge ab, die kontrovers diskutiert werden und auch im vorliegenden Band vertreten sind: Es handelt sich einerseits um empirisch fundierte Artikel und andererseits um eine Minderheit so genannter poststrukturalistischer Zugänge. Während die einen das Mensch-Tier-Verhältnis sozial- bzw. kulturhistorisch analysieren, geht es den poststrukturalistischen Beiträgen darum, den bisherigen Umgang mit Tieren in der Wissenschaft generell zu dekonstruieren. Helena M. Pycior glaubt, Biographien von Hunden schreiben zu können, indem sie „Standards und Ziele der menschlichen Biographie bis zu einem gewissen Grade auf Hunde“ anzuwenden gedenkt (S. 82). Was sie dann anhand zweier amerikanischer „Präsidentenhunde“ im Weißen Haus vorlegt, ist in weiten Teilen anekdotisch oder doch wieder auf Betrachtungen aus menschlicher Perspektive beruhend – wie könnte es anders sein? Noch deutlicher wird Julie A. Smith mit ihrem Plädoyer für die Öffnung der Geschichtsschreibung gegenüber der fiktionalen Literatur. Was einst noch Hayden White 2 den Historikern vorhielt, ist für Smith offenbar der Königsweg: nämlich Geschichtsschreibung nicht nur als Konstruktionsprozess zu identifizieren, sondern den narrativen Charakter gegenüber wissenschaftlichen Sachtexten zu stärken. Aber fiktionale Texte aus der Tierperspektive schreiben zu wollen ist nicht nur aus methodischen Gründen zum Scheitern verurteilt, da sich die Tiere bisher hartnäckig geweigert haben, die für Historiker so unumgänglichen Quellen zu hinterlassen. Es ist auch anmaßend, ohne diese Quellen über einen Gegenstand schreiben zu wollen. Niemand käme auf den Gedanken die frühe Gewerkschaftsbewegung zu analysieren, ohne deren Quellen zur Kenntnis zu nehmen. Bei Tieren soll das gehen?

Klare Worte gegenüber derlei Ansinnen finden sich jedoch auch in dem vorliegenden Band: Garry Marvin beispielsweise betont völlig zu Recht die Unmöglichkeit, eine „Sozialgeschichte der Wölfe“ zu schreiben. Stattdessen plädiert er dafür, die Sozialgeschichte der Beziehungen zwischen Menschen und Tieren auszuloten (S. 367). Und genau das geschieht in diesem Band vielfach in bester sozial- und kulturgeschichtlicher Manier, wenn Clay McShane und Joel A. Tarr Pferde als Motoren der Urbanisierung vorstellen und gleichzeitig zeigen, wie erste Tierschutzbemühungen mitunter klassenspezifisch codiert waren und sich gegen Unterschichten richteten. Oder wenn Anna-Katharina Wöbse auf die mit der Gründung des Völkerbunds verbundenen Hoffnungen der Tierschützer auf einen transnationalen Verbündeten hinweist. Von kulturgeschichtlichem Interesse sind die Ausführungen von Aaron Skabelund über die Nutzung von Schäferhunden in autoritären Regimen und die wenig überraschende Korrelation von Hundezüchtung und menschlichen Rassefragen im Nationalsozialismus. Ebenso erhellend sind Tillman W. Nechtmans Studie über den Zusammenhang von britischem Imperialismus und der Zurschaustellung von Tieren aus den Kolonien zur Machtdemonstration sowie Oliver Hochadels Beitrag über die große Bedeutung von Zoologischen Gärten für die Verbreitung des Darwinismus. Wie inspirierend die Untersuchung des Mensch-Tier-Verhältnisses für Fragen der Sozialgeschichte sein kann, zeigen weitere Artikel: beispielsweise Susanne Hehenberger über die frühneuzeitliche Rechtsprechung in Sodomieverfahren und Mieke Roscher mit ihrer klar konturierten Analyse der Rolle von Frauen in der frühen Tierschutzbewegung. Hehenberger verdeutlicht die Funktionalisierung von Tieren als „Werkzeuge der Sünde“ (S. 215). So wurde das Verbrechen der Sodomie als Grenzüberschreitung betrachtet, die nicht nur vom Täter ausging, sondern die gesamte menschliche Gesellschaft und ihre Abgrenzung zur Bestialität betraf. Die „Grenzüberschreitung zum Tierischen“ kam der „Infragestellung des Menschseins“ (S. 225) gleich. Der Artikel belegt, wie stark der Einfluss von Tieren auf menschliches Verhalten und Normvorstellungen wirkte. Roschers geschlechtergeschichtlicher Ansatz beleuchtet das Engagement von Frauen für den Tierschutz in Großbritannien. Auch in ihrem Beitrag wird deutlich, wie die Wahrnehmung von Tieren menschliches Verhalten beeinflusst. Unterschiedliche weibliche Selbstdefinitionen führten dabei zu unterschiedlichen Strategien. Der Typus der empfindsam-mütterlichen Frau zählte den Tierschutz zu seinen „natürlichen“ Aufgaben, während ein anderer Typus lautstark polemisierte, die Hysterie-Vorurteile der Männerwelt bediente und allein deshalb das Anliegen des Tierschutzes zu diskreditieren drohte. Letztlich gab es noch die strategische Erwägung, sich rational-männlicher Argumentationsmuster zu bedienen, um für die Sache erfolgreich zu sein.

Der Band zeigt, welch großes Potential die geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit Tieren bietet. Er zeigt aber auch, dass trotz aller interdisziplinären Chancen eine klare Grenzziehung hinsichtlich der Themensetzung und der methodischen Standards notwendig ist, um die historische Tierforschung sozialgeschichtlich zu fundieren und nicht in die wissenschaftliche Beliebigkeit – und damit Belanglosigkeit – abgleiten zu lassen. Es wäre freilich hilfreich gewesen, wenn die Herausgeber die unterschiedlichen methodischen Ansätze und mithin die Konzeption ihres Sammelbandes in der Einleitung ausführlicher vorgestellt hätten.

Anmerkungen:
1 Weitere Beispiele hierfür sind: Paul Münch (Hrsg.), Tiere und Menschen: Geschichte und Aktualität eines prekären Verhältnisses, Paderborn 1998 sowie Rainer Pöppinghege (Hrsg.), Tiere im Krieg. Von der Antike bis zur Gegenwart, Paderborn 2009.
2 Hayden White, Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth Century Europe, Baltimore 1973.

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