M. Epkenhans u.a. (Hrsg.): Friedrich Alfred Krupp

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Titel
Friedrich Alfred Krupp. Ein Unternehmer im Kaiserreich


Herausgeber
Epkenhans, Michael; Stremmel, Ralf
Erschienen
München 2010: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
364 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Lesczenski, Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Mit seiner Beobachtung, dass die Biographie eine fast schon "phänomenale Wiedergeburt" erfahren habe, umschrieb Jacques LeGoff kurz vor der Jahrtausendwende einen signifikanten Trend in der historischen Forschung, der nichts an Aktualität verloren und längst auch die Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte erreicht hat.1 Zu den namhaften deutschen Industriellenfamilien, die von der Wissenschaft immer wieder gerne zum Untersuchungsobjekt erklärt werden und die Phantasien von Öffentlichkeit und Medien beflügeln, gehören ohne Zweifel "die Krupps". Umso erstaunlicher ist es, dass bislang eine moderne Biographie Friedrich Alfred Krupps (1854-1902) fehlt, der gewiss zu den einflussreichsten Industriellen um 1900 zählte und die Entwicklung des Konzerns als Alleininhaber in Zeiten eines beschleunigten gesellschaftlichen Wandels entscheidend mitbestimmte.

Auch der von Michael Epkenhans und Ralf Stremmel herausgegebene Sammelband verfolgt nicht die Absicht, seinen Lebensweg in toto zu rekonstruieren, sondern versteht sich als Vorarbeit zu einer Gesamtbiographie. Die Autoren wollen "mehrere Facetten der Persönlichkeit Friedrich Alfred Krupps ausleuchten" (S. 19) und sein "ungewöhnlich breites Spektrum der Interessen und Aktionsfelder" (S. 24) im "Spannungsfeld von Beharrung und Aufbruch" (S. 7) nachzeichnen. Die insgesamt sieben Beiträge folgen keinem einheitlichen methodischen Zugriff, was sich durchaus als angemessen erweist, da es in der modernen Biographieforschung keinen Königsweg für die lebensgeschichtliche Analyse gibt. Den Aufsätzen schließt sich ein reichhaltiges Materialpaket an, das auch eine gelungene Auswahl von 53 bisher nicht publizierten Quellen (in der großen Mehrheit Briefe Friedrich Alfred Krupps) enthält.

Zunächst nimmt Ralf Stremmel Friedrich Alfred Krupp, der seit 1882 der "Procura" (dem späteren "Direktorium") des Unternehmens angehörte und 1887 die Nachfolge des verstorbenen Vaters antrat, als ökonomischen Akteur in den Blick. Dass sich das Unternehmen unter seiner Führung als Branchenführer behauptete, führt Stremmel mit guten Gründen auch auf die unmittelbaren Interessen Krupps zurück, der bei seiner Arbeit im Direktorium auf Harmonie bedacht war. Die Entscheidung, an einer breiten Produktpalette festzuhalten, trage genauso seine Handschrift wie der Entschluss, besonders die metallurgische Forschung zu intensivieren. In der betrieblichen Sozialpolitik setzte er neue Akzente, die darauf hinausliefen, "ein umfassendes Angebot zur Persönlichkeitsentfaltung und Lebensplanung" (S. 73) zu institutionalisieren, letztlich allerdings dazu beitragen sollten, das obrigkeitsstaatliche System zu konsolidieren. Seine Arbeit als Unternehmer sei alles in allem von einer "dreifachen Sinnstiftung" (S. 69) bestimmt gewesen, die allerdings nicht - wie von Stremmel unterstellt - als ein Alleinstellungsmerkmal Krupps zu deuten ist, sondern für die Mehrheit der Eigentümer- Unternehmer im wilhelminischen Zeitalter Gültigkeit beanspruchen darf: Er wollte die Firma auf Dauer als selbständiges Familienunternehmen erhalten, die eigene Unabhängigkeit (gegenüber staatlichen Eingriffen, Ansprüchen der Arbeiterschaft etc.) behaupten und verstand überdies "das Unternehmer-Sein als patriotische und gesellschaftspolitische Tat" (S. 68).

Auf das klassische Feld der Unternehmerbiographie zielen die Ausführungen von Michael Epkenhans, der das Verhalten Friedrich Alfred Krupps "im Spannungsfeld von Firmeninteresse und Politik" beleuchtet. Zu seinen politischen Grundüberzeugungen gehörten die "Treue zu Gott, Kaiser und Vaterland" (S. 87), die Verehrung Bismarcks, machtstaatliches Denken und die hohe Wertschätzung von Autorität, die sich nicht nur in seinem Selbstverständnis als "Herr im Hause" widerspiegelte. Das Verhältnis der Firma zum Staat begriff er wie sein Vater als ein "feudales Lehensverhältnis": "So wie er bereit war, diesem treu zu dienen [...], erwartete er von jenem umgekehrt die Gewährung einer Sonderstellung" (S. 81). Anders als eine Generation zuvor stand die Beziehung zwischen Krupp und dem Kaiser nun wiederholt im Kreuzfeuer journalistischer Kritik, die etwa die Geschäfte im Flottenbau zum Anlass nahm, Friedrich Alfred als skrupellosen Kapitalisten und Kriegstreiber anzufeinden. Auch wenn er sich durch die Teilhabe am Rüstungsgeschäft hohe Gewinne erhoffte, führt es nach Meinung von Epkenhans zu weit, Friedrich Alfred als "merchant of death" zu charakterisieren. Grundsätzliche rüstungspolitische Weichenstellungen habe er nicht beeinflusst und im Übergang von der Flotten- zur Weltpolitik sei er "keinesfalls der Antreiber, sondern eher der bald zunehmend Getriebene" (S. 107) gewesen.

Der Beitrag "Nicht aus einem Guss" von Stephen Pielhoff greift ein noch wenig beachtetes Handlungsfeld Friedrich Alfred Krupps auf: seine Rolle als Stifter und Mäzen. Dabei zieht Pielhoff mit Gewinn "gabensoziologische und anerkennungstheoretische Ansätze" (S. 110) heran, die in der Biographieforschung bisher wenig beachtet worden sind. Über zahlreiche Spenden stand der Konzern vor allem zur Stadt Essen, die das rege Engagement Krupps wiederholt mit öffentlichen Würdigungen des Stifters beantwortete, in Gabentauschbeziehungen. Bei der Förderung einzelner Künstler, wie etwa von Wilhelm Immenkamp und Bruno Piglhein, macht Pielhoff vielfältige "Phänomene zwischenmenschlicher Reziprozität" aus, die "von direkten und indirekten Warentauschbeziehungen über (...) Formen asymetrischen Gabentauschs bis hin zur gleichberechtigten Wechselseitigkeit aufgrund verwandtschaftlicher Nähe" (S. 120) reichten. Unter dem Strich habe sich das Mäzenatentum Krupps durch Pragmatismus ausgezeichnet. Er "handelte relativ selten von sich aus, sondern meistens situationsbedingt auf bestimmte Anlässe und reagierte auf konkrete Anfragen oder diffuse Erwartungen anderer" (S. 110).

Zum Mäzenatentum im weitesten Sinne gehörte auch die Förderung der Naturwissenschaften, die von Heinz-Dieter Franke thematisiert wird. Das außergewöhnliche naturwissenschaftliche Interesse führt Franke insbesondere auf das schwierige Verhältnis zwischen Vater und Sohn zurück. Auf dem Gebiet der Wissenschaft und Forschung sei es Friedrich Alfred möglich gewesen, "bewusst oder unbewusst aus dem übermächtigen Schatten des Vaters" (S. 132) herauszutreten. Seine besondere Beziehung zum Meer hätten überdies eine wichtige Ventilfunktion übernommen und die "lebensnotwendige Möglichkeit geboten, sich temporär den vielfältigen Zwängen zu entziehen, denen er in seiner Rolle als Konzernchef in Essen ausgesetzt war" (S. 141). Auf dem Gebiet der Meeresbiologie gewannen seine Initiativen mit Unterstützung der Zoologischen Station zu Neapel auch wissenschaftliche Bedeutung, die unter anderem zur Identifizierung von 13 neuen Tierarten führten.

Sein Interesse an der maritimen Forschung und die Suche nach einem gesundheitsfördernden Klima führten Krupp mehrmals auf die Insel Capri, die für ihn einer Fluchtburg, ja einer "Traumwelt" (S. 166) gleichkam. Im Lichte neuer Dokumente zeichnet Dieter Richter sein "capresisches Leben" (S. 157) nach, zu dem die Unterstützung der Inselbevölkerung ebenso gehörte wie die Gründung der "Congrega di Fra Felice" (eine "Mischung aus sozialer Bruderschaft und Spaßgesellschaft"), sowie "das höchst ungewöhnliche persönliche Interesse" an einem Bauerjungen namens Giovanni Sangiorgio - eine Beziehung, die "wohl eine homoerotische Basis gehabt haben dürfte" (S. 164f.). Im Kontext lokalpolitischer Konflikte nahm die Tageszeitung "Propaganda" zunehmend auch die Lebensführung Krupps in verleumderischer Absicht ins Visier. Als der "Vorwärts" im November 1902 die Kampagne aufnahm, hatte der "Krupp-Skandal", der nach Meinung Richters eher als "Presseskandal" zu bewerten ist, auch die deutsche Öffentlichkeit erreicht. Italienische Behörden kamen wenige Tage nach dem Tod Krupps zu dem Ergebnis, dass den Berichten der "Propaganda" jede Grundlage fehle.

Die beachtliche Rolle seiner Ehefrau Margarethe als "bedeutende Integrationsfigur“ der Familie und des Unternehmens (S. 180) stellt schließlich Angelika Schaser heraus, die unter anderem die Autobiographie Margarethes auswertet und die Komposition der Biographie überzeugend herausarbeitet. Obgleich die Ehe, die von Schaser nicht als Liebesheirat, sondern als "klassische win-win-Situation" (S. 179) für beide gedeutet wird, nicht glücklich verlief und eine wachsende Entfremdung zwischen den Ehepartnern schon vor 1900 unübersehbar war, inszenierte sich Margarethe als pflichtbewusste Ehegattin, die sich auch über den Tod Friedrich Alfreds hinaus rastlos in den Dienst der Familie und des Konzerns gestellt habe. Sie setzte die Wünsche Friedrich Alfreds, der in seinem Testament die Umwandlung der Firma in eine Aktiengesellschaft festschreiben ließ, loyal um, leistete unter anderem mit der Kontaktpflege zu Wilhelm II. ihren Beitrag zur Unternehmenspolitik, veranlasste 1905 die Gründung des Familienarchivs und trat regelmäßig als Mäzenatin hervor, die mit zahlreichen Stiftungen die Corporate Identity der "Kruppianer" und das Image des Unternehmens in der Öffentlichkeit stärkte.

Den Autoren gelingt es durchgehend, den Forschungsstand in vielerlei Hinsicht zu ergänzen und den Ort Friedrich Alfred Krupps in der wilhelminischen Epoche als "Mann der Moderne und zugleich ein Vertreter der Tradition" (S. 15) zu bestimmen. Eine stärker vergleichende Perspektive, die hin und wieder anklingt, hätte indes geholfen, die biographischen Eigenarten Krupps noch genauer zu bestimmen. Zu kurz kommt seine Sozialisation zum Unternehmer, die angesichts des spannungsreichen Verhältnisses zwischen Vater und Sohn einen eigenen Beitrag verdient gehabt hätte. Eine genauere Betrachtung wäre auch der biographische Selbstentwurf Friedrich Alfred Krupps, gewissermaßen die bewusst oder unbewusst konstruierte "Innensicht [...] auf den Verlauf des eigenen Lebens"2 wert gewesen, wie sie von Angelika Schaser am Beispiel Margarethes geleistet wird. Das alles lässt sich in einem Sammelband freilich kaum leisten und darf getrost einer Gesamtbiographie überlassen werden. Ein tragfähiges Fundament liegt zweifelsohne vor.

Anmerkungen:
1 Jacques Le Goff, Wie schreibt man eine Biographie?, in: Fernand Braudel (Hrsg.), Wie Geschichte geschrieben wird, Berlin 1998.
2 Andreas Gestrich, Vergesellschaftungen des Menschen. Einführung in die Historische Sozialisationsforschung, Tübingen 1999, S. 52.

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