M. Portmann: Die kommunistische Revolution in der Vojvodina

Titel
Die kommunistische Revolution in der Vojvodina 1944-1952. Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur


Autor(en)
Portmann, Michael
Reihe
Zentraleuropa-Studien
Anzahl Seiten
554 S.
Preis
€ 35,20
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carl Bethke, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Die Provinz Vojvodina umfasst jene Gebiete in Serbien, die bis 1918 zu Österreich-Ungarn gehörten. Die Gemeinden an der Nordgrenze sind bis heute ungarisch geprägt, 1931 waren 330.000 (22 Prozent) Einwohner deutscher Muttersprache. Michael Portmann untersuchte in seiner Dissertation die Durchsetzung leninistischer Parteiherrschaft in dieser Region nach 1945. Dazu wertete er Akten von Ministerien der Bundes- und Republiksebene, des ZK, sowie der Regional- und Lokalverwaltungen aus. Einige Bestände, zum Beispiel der Innenministerien oder des Verteidigungsministeriums waren nicht erhalten oder blieben ihm unzugänglich.

Portmann schildert als Hintergrund zunächst den Krieg 1941-1945, in dem 1,1 Millionen Menschen umgekommen waren, und der eine traumatisierte, gewalterfahrene Gesellschaft zurückgelassen hatte. Nach Ende der Kämpfe mit den Deutschen und ihren Verbündeten überschnitt sich das Verlangen nach „Abrechnung“ und „Rache“ mit systemischen Mustern der Herrschaftssicherung in einer Hochphase des Stalinismus. Die Geheimpolizei (OZNA) unter Aleksandar Ranković und Spezialeinheiten der Armee (KNOJ) hatten dabei die Aufgabe „feindlich eingestellte Ortschaften“ unter Kontrolle zu bringen (S. 120) und Kriegsverbrecher sowie „Volksfeinde“ zu liquidieren. Letztere konnten laut Dekret „alle jene“ sein „die sich von der Volksregierung abwenden und gegen sie arbeiten“ (S. 122). Als „auf jeden Fall positiv“ wertet Portmann dagegen „die Absichten“ der Kriegsverbrecherkommission, welche Zeugenaussagen und Dokumente sammelte, als Schritt weg von „Vergeltung“ zur „Bestrafung“. Für die Vojvodina rechnete die Kommission mit 2.156 deutschen und 2.884 ungarischen Kriegsverbrechern (S. 197-206).

Die Partisanenbewegung, oft erstarkt im „Bündnis mit den Bauern“ (S. 20), hatte nördlich der Donau „bestenfalls die Rolle einer Statistin“(S. 134) gespielt. Diese Region eroberte die sowjetische Rote Armee im Herbst 1944, und überließ sie dann einer so nur hier installierten jugoslawischen Militärverwaltung (bis Februar 1945). Portmann schildert detailliert den Neuaufbau als Autonome Provinz mitsamt Partei- und Volksfront-Organisationen. Serben blieben unter den KP-Mitgliedern weit überrepräsentiert (S. 143). Gegen die Mittelschicht-Bauern war Tito misstrauisch: „In der Vojvodina haben wir noch immer mit Widerstand zu kämpfen. Der Kulake in der Vojvodina hat die Partei fest im Griff“ herrschte er Provinz- Funktionäre an (S. 232). Wichtig als Kader bzw. „Soldatenbauern im Stadtanzug“ (S. 213) waren darum die aus deutschem Besitz versorgten 230.000 Veteranen-Kolonisten, doch: „Anders als die Alteingesessenen waren die Kolonisten ethnische und sprachliche Vielfalt nicht gewohnt und reagierten oft ganz 'uninternationalistisch' und chauvinistisch“, wie Parteiberichte (S. 137f., S. 384) belegen.

„Die Vertreibung“ analysiert die Studie aus dem Kontext des kommunistischen Regimes, statt, wie oft, aus der zum Teil selbstreferentiellen donauschwäbischen „Erlebnisperspektive“. Im Herbst 1944 war etwa die Hälfte der Deutschen geflohen. Die Verbliebenen und Zurückgekehrten wurden in Lagern interniert, der Besitz jener, welche nicht die Kommunisten unterstützt hatten, als „Feindvermögen“ konfisziert und verteilt. Portmann geht gegen „Missverständnisse und Irrtümer“ an, wonach entsprechende „AVNOJ-Beschlüsse“ bereits 1943 gefasst wurden. Das Vorgehen 1944 habe sich „eher an einem konkreten, wenn auch überspannten Sicherheitsbedürfnis der Armee als an im Voraus definierten politisch- ideologischen Zielsetzungen“ orientiert (S. 243). Die Potsdamer Konferenz 1945 beschloss jedoch einen „Transfer“ von Deutschen aus Jugoslawien nicht, spätere Vorstöße wiesen die Alliierten ab. So blieben laut Innenministerium 1946 117. 485 Schwaben in Lagern interniertet, bis 1948 starben zehntausende an Hunger und Seuchen (S. 256f.). Die Kriegsverbrecherkommission stellte unter den in Internierungs- und! Kriegsgefangenlagern Festgehaltenen gerade 214 Kriegsverbrecher fest, eine Kontrollkommission konstatierte: „Der große Teil der Internierten sind alte Leute. Frauen und Kinder, während alle anderen die arbeitsfähig waren, entweder in die deutsche Armee geschickt wurden, sich mit den Deutschen zurückzogen oder von Seiten der Russen abgeführt wurden“. Im Lager Sekić zum Beispiel gehörten von 3.342 Deutschen nur 60 zur gegebenenfalls Täter-relevanten Gruppe der 16-60 Jährigen Männer (S. 247). Die Erschießungen von Ungarn, erfolgten laut Portmann aus „Rachegefühlen“ und meist ohne Gerichtsverfahren, mit 2000 Getöteten bleibt er unter anderen Autoren (S. 267f.). „Immer wieder“ kam die Aussiedlung von Ungarn auf die Agenda (S. 270-274), der Bundesminister für Kolonisation, Vukosavljević wollte gar Gebiete abtreten, wenn dafür 200.000 Ungarn abgeschoben würden. Tito hatte bei der Friedenskonferenz 1946 „einen gewissen begrenzten Bevölkerungsaustausch“ vorgeschlagen, doch Molotov lehnte ab. Vereinbart wurde nur ein Austausch von 40.00 Personen, was der Zahl der ohnehin Geflohenen entsprach. Portmann fragt nach Kontinuitäten und Brüchen zum Vorkriegsnationalismus. So stammten Vukosavljević und der Landwirtschaftsminister Serbiens, Cubrilović, aus bürgerlichen Parteien, diese hätten serbische Mehrheiten fabrizieren wollen (S. 261, 270, 358, 363). Obwohl die „Wiederbesiedlung“ Bundeskompetenz war, waren zum Beispiel die 12.507 aus Bosnien in der Vojvodina Angesiedelten fast alles Serben (S. 377), während sich Muslime und Kroaten laut Parteiberichten „dagegen sträubten“ (S. 369).

Nach Sicherung der Herrschaft leitete Titos Zivilverwaltung eine pragmatische Nationalitätenpolitik ein. Vertreter Nichtdeutscher Minderheiten wurden symbolisch beteiligt, ein ideologisch normierter, aber muttersprachlicher Bildungs-, Kultur- und Mediensektor implementiert. Kleinere slawische Minderheiten (Slowaken, Ukrainer, Tschechen) wurden zu „gleichberechtigten Nationalitäten“ aufgewertet, eine multinationale Region sollte den serbisch- ungarischen Gegensatz ablösen. Doch der „Internationalismus“ setzte die Konservierung des Nationalen voraus: „Gerade die von oben geforderte Integration von Vertretern aller Nationen und Nationalitäten in Partei und Verwaltungsapparat und die gut gemeinte Aufforderung zur national- kulturellen Emanzipation“ trug, so Portmann, zur „Verfestigung ethnisch- nationaler Denkschemata“ bei (S. 300). Jenseits der Folklore notierten interne Parteiberichte der 1950er-Jahre Distanz und „unglaubliches Misstrauen“ zwischen „Ungarn“ und „Serben“, was im Alltag beim Sport/Fußball, in Restaurants oder bei Tanzveranstaltungen (S. 297) sichtbar war.

Ein eigener Teil der Arbeit ist der Revolutionierung der Landwirtschaft gewidmet, deren Fernziel zunächst die Kollektivierung „nach sowjetischem Vorbild“ war (S. 304). Bei der Agrarreform im August 1945 ging ein Drittel des Bodens an Einheimische, ein ebenso großer Teil wurde an die Kolonisten verteilt, ein weiteres Drittel aber wurde verstaatlicht oder in neugegründete Genossenschaften eingebracht (S. 320). Zur Versorgung der rasant wachsenden urbanen Bevölkerung beim Aufbau der Schwerindustrie kaufte der Staat Nahrungsmittel zu zwangsverordneten Niedrigstpreisen auf, was die Bauern in Existenznot brachte, und sie veranlassen sollte, sich „Arbeitsgenossenschaften“ anzuschließen. Portmann beschreibt wie in der Vojvodina die Ankaufpolitik als „Klassenkampfmassnahme zur Bekämpfung der kapitalistischen Elemente“ diente (S. 326f.): Infolge massiver Repressionen und erheblichem „Widerstand von unten“ waren bis Mai 1947 9000 Bauern inhaftiert worden, 1945-1952 wurden 2.295 Personen mit teilweiser oder vollständiger Enteignung bestraft. Die Vojvodina lag mit diesen Zahlen weit über dem Landesdurchschnitt (S. 336ff.). Der Konflikt mit Moskau erwies sich sogar als „Katalysator der Kollektivierung“ (S. 339) da Belgrad anfangs erst Recht ideologische Orthodoxie demonstrieren wollte! Nicht zuletzt weil in der Vojvodina die Kolonisten ihr Land leicht in zadruge vergesellschafteten, waren 1950 nur mehr 51 Prozent des Landes privat, in Serbien jedoch 92,9 Prozent (S. 305).Die Produktion sank bei dem Experiment drastisch, wegen der Versorgungseinbrüche wurde 1954 das Ziel totaler Kollektivierung aufgegeben (S. 341-352). Dagegen war, so Portmann, der mit westlichen Geldern gestützte wirtschaftliche und infrastrukturelle Neuaufbau außerhalb des in der Region dominanten Agrarsektors einer der kohäsivsten Faktoren Jugoslawiens, nach 1948 trugen „massive Warenlieferungen und Finanzspritzen aus den USA“ (S. 406) bei, einen „Europäisierungsschub“ freizusetzen (S. 436f.).

Die Darstellung der frühen kommunistischen Ära galt in Serbien in den letzten Jahren zum Teil als kontrovers. Michael Portmanns Verdienst ist es, ein sachliches und emotionsfreies, und doch ungeschminktes Bild einer Zeit präsentiert zu haben, als sich die KPJ, vor dem Hintergrund einer kriegstraumatisierten Gesellschaft, gerade in der Vojvodina an quasi- stalinistischen Herrschaftsmodellen orientierte. Dies mag Bedeutung der allmählichen (limitierten) Neuausrichtung nach 1948 unterstreichen, die Entlassung des damaligen Geheimdienstchefs Ranković 1966 (Brioni) ermöglichte dann bis in die frühen 1970er-Jahre weitere gesellschaftliche Öffnungsprozesse. Rankovićs Beerdigung 1983 allerdings, bei der dieser wie ein Held gefeiert wurde, werteten Beobachter bereits als frühe Manifestation im Umfeld der Milošević-Bewegung.

Dem Band sind im Anhang mehrere Schlüsseldokumente und zahlreiche Tabellen beigefügt.

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