E. Feuchtwanger: Englands deutsches Königshaus

Titel
Englands deutsches Königshaus. Von Coburg nach Windsor


Autor(en)
Feuchtwanger, Edgar
Erschienen
Anzahl Seiten
276 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Walton, Universität Duisburg-Essen / London

Die allgemeine Faszination für Queen Viktoria scheint nie abzunehmen. In den letzten Jahren sind zwei erfolgreiche Spielfilme – „Mrs Brown“ (1997) und „The Young Victoria“ (2009) – sowie eine Reihe von Büchern zu ihrer Person erschienen. Auch das Interesse unter Historikern lässt nicht nach, wobei hier der Schwerpunkt der jüngeren Forschung sich durch neue Perspektiven auf den Wandel politischer Konstellationen, die Repräsentation des Monarchen und auf Fragen der Weiblichkeit der Königin auszeichnet, Themen, die sich nicht unbedingt für ein breites Publikum eignen.1 Wie ist diese Diskrepanz zu überbrücken?

Edgar Feuchtwanger, renommierter und nun emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Universität Southampton, hat viel über das viktorianische England sowie das moderne Europa geschrieben. Das zu rezensierende Werk ist sein zweites Buch, das Königin Viktoria und ihren Gemahl Albert zum Thema hat. Feuchtwanger stellt sich die Aufgabe, die Geschichte der letzten Blüten der Monarchie im Zeitalter des aufkommenden Nationalismus einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Obwohl nie explizit im Buch diskutiert, spürt man auch zwei weitere grundlegende Zielsetzungen, die dieses Buch von anderen Darstellungen unterscheiden: Erstens ist es, obwohl es sich um ein biographisches Buch handelt, keine Biographie – weder von Viktoria noch von Albert noch von deren Nachfolgern Edward VII. oder Georg V. Der Schwerpunkt liegt nur insofern auf Viktoria, als dass sich ihre Lebenszeit mit der behandelten Zeit deckt. Der deutsche Titel verdeutlicht besser als der ursprüngliche englische, dass es hier um eine Geschichte eines ganzen Herrscherhauses geht. Die Biographien der einzelnen Mitglieder sind miteinander und mit einer größeren Geschichte verknüpft. Albert und Viktoria haben eine Rolle der Monarchen geschaffen, die Viktoria nach dem Ableben ihres Mannes weiter pflegte und die ihre Nachfolger in den schwierigen Jahren des frühen 20. Jahrhunderts weiterhin wahrnehmen konnten, auch wenn ihr Einfluss allmählich eingeschränkt wurde.

Feuchtwangers zweites Leitmotiv besteht darin, dass er die britische Monarchie nicht nur im üblichen Rahmen der innerstaatlichen Verhältnisse darstellen möchte, sondern sie in den transnationalen Zusammenhang des dynastischen Netzwerks stellt. Dieses Netzwerk begann Augusta, Alberts Großmutter, zu knüpfen. Ihre Kinder setzten es fort, indem sie eheliche Verbindungen mit allen damaligen Großmächten eingingen. Die nächste Generation – vor allem Viktoria und Albert mit ihren neun Kindern – haben das Netz noch ausweiten können. Bei Feuchtwangers Buch handelt es sich also um eine britische Geschichte der neueren Zeit, die Großbritannien als Bestandteil Europas darstellt. In diesem Sinne ist es auch der neueren Strömung der politischen Geschichtsschreibung zuzurechnen, die die Rolle der großen Persönlichkeiten „wiederentdeckt“.

Feuchtwangers Ansatz ist hauptsächlich chronologisch, wobei er anfangs die Geschichten Viktorias und Alberts vor ihrer Hochzeit sowie den Hintergrund der vorangegangenen Coburger Heiratspolitik in parallelen Kapiteln erzählt. Dann werden die Ehe und die politische Wirkung des britischen Königspaars behandelt, woran sich die weitere Ausdehnung der britisch-coburgischen Dynastie auf ganz Europa durch die Eheschließungen von Viktorias und Alberts Kindern sowie die Thronbesteigungen ihrer Enkel und weiterer Generationen anschließen. Natürlich ist dabei die Verbindung zu Preußen zentral, aber Beziehungen sowohl mit den kleineren deutschen Staaten als auch mit den russischen oder österreichischen kaiserlichen Familien werden nicht vernachlässigt. Das letzte Kapitel betrachtet die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf den Status der europäischen Monarchien und deren Beziehungen und reicht bis in die Nachkriegszeit, die durch den Verfall der Coburger Verbindung charakterisiert ist.

Der Stil ist durchaus erzählend und didaktisch der Leserschaft angepasst. Leserlich, lebhaft und einnehmend stützt sich das Buch auf eine breite Kenntnis der verschiedenen Geschichten der einzelnen Familienmitglieder und ein durch eine jahrzehntelange Tätigkeit als Dozent gewonnenes Verständnis der europäischen Geschichte. Das sind für die Zielgruppe des Buches sehr begrüßenswerte Vorteile. Allerdings führt die schöne Übersichtlichkeit in anderen Hinsichten zu einem vorlesungsähnlichen Charakter des Buches. Der Leser erfährt wenig von den Quellen, neue Recherchen werden eigentlich nicht präsentiert und die Zitate stammen aus edierten Quellensammlungen oder aus der Sekundärliteratur. Zudem gewinnt man keinen Einblick in Feuchtwangers Interpretation der Quellen. Auch findet man nur wenige Analysen, der Duktus ist eher erzählend. Das hat wichtige Auswirkungen, zum Beispiel hinsichtlich der zentralen Frage, inwiefern die dynastischen Verbindungen europäische Friedensschlüsse bestimmten. Hier wird selten eine klare Position vertreten, der Verfall der entscheidenden persönlichen Beziehungen ist nur durch die allgemeine Handlung des Buches erkennbar.

Durch die geringe Anzahl von Fußnoten ist die Entwicklung der Gedanken des Autors nur schwer nachvollziehbar. Man muss darauf vertrauen, dass er die neueren Forschungsergebnisse gelesen und in seine Darstellung hat einfließen lassen. Dieses Vertrauen kann allerdings nicht auf einer vollständigen Bibliographie aufbauen, da das Kapitel, in dem die Literatur vorgestellt wird, nur eine Übersicht bietet und sich fast ausschließlich auf Bücher beschränkt. Hier werden zwar die wichtigen Werke diskutiert, und diese Besprechung wird für manche Leser sehr hilfreich sein, aber ihr wissenschaftlicher Wert wird dadurch gemindert, dass nur ein einzelner Aufsatz und ein weiterer Sammelband genannt werden. Es ist also nicht eindeutig erkennbar, inwiefern Feuchtwanger mehr als nur die von ihm erwähnten Standardwerke berücksichtigt hat.

Das Buch ist keine wissenschaftliche Monographie im engen Sinne, sollte das allerdings auch nicht sein. Es vermittelt Feuchtwangers großes Verständnis der Materie und eine klare Geschichtserzählung einer breiten Leserschaft. Die Übersetzung hat die lesbare Schreibweise des englischen Originals beibehalten. Für Studenten stellt es eine gute Übersicht dar, die die britische Monarchie nicht nur in den Kontext der britischen Politik, sondern auch den der europäischen diplomatischen und dynastischen Netzwerke stellt. Für wissenschaftlicher orientierte Leser könnte das Buch allerdings wegen des Mangels an Fußnoten und der erzählenden Form der Geschichtsschreibung etwas frustrierend sein, da so die dahinter liegenden wissenschaftlichen Überlegungen verborgen bleiben. Für den breiten Markt stellt dies aber durchaus kein Problem dar, sondern kann als großer Vorteil betrachtet werden. Das es nun ins Deutsche übersetzt worden ist, erscheint aufgrund der vielen Verbindungen der britischen Monarchie zu Deutschland sehr passend.

Anmerkung:
1 Beispielsweise Richard Williams, The Contentious Crown: Public Discussion of the British Monarchy in the Reign of Queen Victoria, Aldershot 1997; Margaret Homans, Royal Representations: Queen Victoria and British Culture, 1837-1876, Chicago 1998; Clarissa Campbell Orr, The feminization of the monarchy 1780-1910: royal masculinity and female empowerment, in: Andrzej Olechnowicz (Hrsg.), The Monarchy and the British Nation, 1780 to the Present, Cambridge 2007, S.108-36.

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