E. Höffner: Geschichte und Wesen des Urheberrechts

Cover
Titel
Geschichte und Wesen des Urheberrechts – Band 1.


Autor(en)
Höffner, Eckhard
Erschienen
Anzahl Seiten
XIII, 436 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hannes Siegrist, Institut für Kulturwissenschaften, Universität Leipzig

Eckhard Höffner analysiert in seiner 2010 veröffentlichten Monographie Geschichte und Wesen des Urheberrechts, Formen, Funktionen, Effekte und Begründungen von „Ausschließlichkeitsrechten“ in der britischen, deutschen und französischen Medien- und Kulturwirtschaft vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert. Es handelt sich um den ersten Teil der Druckfassung der ursprünglich unter dem Titel Die Entstehung des Urheberrechtschutzes in Deutschland, Großbritannien und Frankreich, eine vergleichende historische Analyse, an der Universität München eingereichten Dissertation des Verfassers.

Höffner analysiert die Theorie-, Begriffs- und Normengeschichte des „Urheberrechts“ im Rahmen der Buch-, Medien-, Wirtschafts-, Herrschafts-, Ideen- und Rechtsgeschichte. Er untersucht die Entstehung und den Wandel von „Ausschließlichkeitsrechten“, die, je nach Ort und Zeit, als Privilegien, Copyrights, Verlagseigentum, gewerbliche Schutzrechte, Vermögensrechte oder geistige Eigentumsrechte begriffen und normiert werden. Erst im 20. Jahrhundert werden diese auf dem europäischen Kontinent zunehmend auch als Persönlichkeits- oder moralische Rechte des Urhebers begriffen. Höffner betont, dass individuelle Exklusivrechte seit dem 17./18. Jahrhundert zunehmend als „geistiges Eigentum“ begriffen werden. Letztlich handle es sich dabei aber um ein „Relikt“ aus der ständegesellschaftlichen und städtischen Wirtschaftspolitik des späten Mittelalters (S. 379). Die Verknüpfung dieser Ausschließlichkeitsrechte mit den modernen Konzepten von Freiheit, Individuum und bürgerlicher Gesellschaft sei deshalb bis heute problematisch geblieben.

Höffner historisiert und kontextualisiert die „Ausschließlichkeitsrechte“, indem er sie an historische Akteure, Interessen und Machtkonstellationen zurück bindet. Er zeigt, warum die Beziehungen in der Produktion, Vervielfältigung, Distribution, Verwertung und Nutzung von Druckerzeugnissen und Ausdrucksformen jeweils herrschafts- oder eigentumsförmig geregelt wurden. Laut Höffner wurden die Exklusivrechte in der Kultur, Wissenschaft und Medienwirtschaft primär zum Schutz der Verleger und Medienunternehmen entwickelt. Die materiellen und immateriellen Interessen der Autoren wurden lange kaum berücksichtigt. Die Wirkung der Ausschließlichkeitsrechte für die allgemeine kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung beurteilt er sehr skeptisch. Im großen Ganzen folgt seine Argumentation einer Position, die zurzeit in der Literatur an Boden gewinnt.

Warum der Begriff „Wesen“ im Titel der Studie auftaucht, bleibt jedoch ein Rätsel. Denn Höffner konzentriert sich darauf, die Beziehungen zwischen Druckern, Verlegern, Autoren sowie politischen Machthabern und gesellschaftlichen Eliten in England/Großbritannien, Frankreich und „Deutschland“ (d.h. den zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, später zum Deutschen Bund und schließlich zum Deutschen Kaiserreich gehörenden Gebieten) „historisch“ zu rekonstruieren. Seine auf älterer und neuerer Forschungsliteratur beruhenden Befunde bieten für England und Frankreich wenig Neues. Interessanter und diskussionswürdig ist seine These für Deutschland.

In England wurden die Beziehungen in der Kultur und Medienwirtschaft von der Mitte des 16. bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts über weite Strecken durch die Gilde der Londoner Verleger (Company of Stationers) kontrolliert, die vom englischen König privilegiert wurde. Auch nach der endgültigen Abschaffung des Gildemonopols (Ende des 17. Jahrhunderts), der Einführung des vom Parlament beschlossenen Copyright-Gesetzes von 1710 und der Revision der bisherigen Rechtsprechung seit den 1760er-Jahren gelang es den Verlegern, ihre Interessen durchzusetzen, indem sie sich die formalrechtlich beim Autor verankerten zeitlich befristeten Ausschließlichkeitsrechte von diesem vertraglich übertragen ließen. In Frankreich wurden die Beziehungen in der Kultur-, Verlags- und Medienindustrie vom absolutistischen Staat in der Zusammenarbeit mit der privilegierten Gilde der Pariser Verleger kontrolliert. Erst die zugleich liberale und etatistische Gewerbe-, Eigentums- und Menschenrechtspolitik der Französischen Revolution garantierte dem Autor individuelle geistige Eigentumsrechte; insbesondere Vervielfältigungs- und Verwertungsrechte an seinem „geistigen Werke“. Indem die Autoren ihre „literarischen und künstlerischen Eigentumsrechte“ vertraglich an die Verleger übertrugen, dienten diese auch dem Investitions- und Innovationsschutz der Verwerter.

Für „Deutschland“ konstatiert Höffner, dass die kulturellen und medienwirtschaftlichen Beziehungen vom 16. Jahrhundert bis um 1850 vergleichsweise stärker wettbewerbsförmig geregelt waren. Aufgrund der Konkurrenz zahlreicher Staaten bzw. Rechtsterritorien konnten sich Ausschließlichkeitsrechte weder dauerhaft noch raumübergreifend durchsetzen. Laut Höffner waren städtische Druckordnungen, reichsweite Kooperationsvereinbarungen der Verleger und Buchhändler, überregionale Buchhandelsmessen (wie in Frankfurt und später in Leipzig) und das freie Vertragswesen für die Gestaltung der Beziehungen in der Buch- und Kulturwirtschaft sehr viel wichtiger als die von der bisherigen Urheberrechtshistoriographie überbewerteten kaiserlichen, päpstlichen, landesherrlichen und städtischen „Privilegien“. Dank der Tatsache, dass in „Deutschland“ die „Exklusivrechte“ für Verleger und Drucker territorial und zeitlich begrenzt und rechtlich letztlich instabil waren, Markt- und Wettbewerbsprozesse nicht dauerhaft behindern konnten, entwickelte sich – laut Höffner – die „deutsche“ Kultur, Wissenschaft und Medienwirtschaft von der frühen Neuzeit bis weit ins 19. Jahrhundert hinein besonders dynamisch. Bedauerlicherweise wird diese an sich stimulierende These zum Zusammenhang zwischen Exklusivrechten, dem Grad der Zentralisierung politischer und wirtschaftlicher Systeme und dem Wandel von Kultur und Wissen im vorliegenden Band weder empirisch belegt noch systematisch begründet. Empirisch spricht vieles dafür, dass Markt- und Wettbewerbsprozesse aufgrund des Imports von Nachdrucken aus Nachbarstaaten auch in den beiden anderen Untersuchungsgebieten stärker verbreitet waren, als die offizielle Ordnung das vorsah. England/Großbritannien und Frankreich waren über weite Strecken nicht wesentlich stärker isoliert als zahlreiche „deutsche“ Gebiete. Weil Höffner die Einheiten seines „Länder“-Vergleichs zu statisch behandelt und die zwischen diesen bestehenden Ähnlichkeiten, Unterschiede und Verflechtungen und Transfers nicht systematisch herausarbeitet, bleibt seine These Spekulation.

Weil Höffner das Erkenntnispotential des historisch-systematischen Gesellschafts-, Kultur- und Rechtsvergleichs und der Beziehungs- und Verflechtungsgeschichte nicht wirklich nutzt, kommt seine Geschichte der Ausschließlichkeitsrechte in der Kultur und Medienwirtschaft über interessante Ansätze nicht hinaus. Die Studie über die Rolle und Funktion von Ausschließlichkeitsrechten in der Kultur und Medienwirtschaft bleibt in den Gleisen der traditionellen nationszentrierten Ideen-, Rechts- und Buchgeschichte. Der Verfasser entwirft große Linien, verliert sich dann aber immer auch wieder in urheberrechtlichen, rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Detailfragen – und in den Streitritualen der traditionellen Buch- und Verlagsgeschichte. Die auf S. 4 angekündigte „wirtschaftshistorische“ Leitfragestellung (S.4) bleibt – jedenfalls in dem mir vorliegenden und hier zu besprechenden Band 1 – diffus; man wartet gespannt auf den zweiten Band.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension