Cover
Titel
Nostalgia. Memoria e passaggi tra le sponde dell'Adriatico, Roma – Venezia


Herausgeber
Petri, Rolf
Reihe
Venetian 7
Anzahl Seiten
276 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Thöndl, Fachhochschule des Berufsförderungsinstituts Wien

Die wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Literatur zum Adriaraum trägt in mancher keineswegs nur vordergründig politischer Hinsicht „nostalgische“ Züge. Der anzuzeigende Band reiht sich ein in die nicht sehr umfangreiche Reihe von Veröffentlichungen, die sich kritisch mit einer solchen Erinnerungskultur auseinandersetzen. Dafür standen auch bisher schon einige seiner Autoren wie Filippo Maria Paladini. Massimo Tomasutti und Rolf Wörsdörfer. Das Werk widmet sich dem Gefühl der „Nostalgie“ bzw. der politischen Funktion, die die Erinnerung in der sozialen und nationalen Mobilisierung an den Küsten der Adria angenommen hat. Es geht auf einen Internationalen Studientag zurück, der am 18. April 2008 am Deutschen Studienzentrum in Venedig unter dem Titel „Nostalgie. Gedächtnis und Übergänge zwischen den Ufern der Adria“ stattgefunden hat.

Das Buch besteht aus zwei Teilen: Der erste, kleinere ist Reflexionen zum Begriff der „Nostalgie“ gewidmet. Der zweite, eher empirische befasst sich mit Fallbeispielen im Spannungsfeld unterschiedlicher Identitäten, beginnend mit der Republik Venedig über Triest und die östliche Adria bis hin zur „Jugostalgia“, also zur Erinnerung an das untergegangene Jugoslawien. Gerade der adriatische Raum mit seinen Nationalitätenkonflikten zwischen Italienern, Deutschen und Slawen, in dem aber auch die Republik Venedig und die Habsburger eine mentalitätsstiftende Funktion ausübten, ist ein deutliches Beispiel für die Wirkungsmächtigkeit von kollektiven Erinnerungen, aus denen die jeweiligen Streitparteien ihre kulturellen Identitätsmuster formten. Aus den psychologischen Tiefendimensionen dieser Muster lassen sich Erklärungen für die Langwierigkeit der daraus resultierenden Konflikte und Divergenzen ableiten.

Auf einem solchen ideengeschichtlichen Forschungsfeld können dem Betrachter freilich auch reichlich kuriose Produkte begegnen, wie gleich der erste Beitrag von Klaus Bergdolt zeigt, der der Dissertation des renommierten Baseler Mediziners Johannes Hofer aus dem Jahr 1678 gewidmet ist, die eine Erklärung für das „Heimweh“ bot: Nach Hofers Theorie ist das „Heimweh“ eine Krankheit, in der die durch die Nervenröhren zwischen Körper und Gehirn strömende Lebensenergie nur jene Bereiche im Kopf des Betroffenen zu erreichen vermag, in denen die Idee der Nation angesiedelt ist, was zu ihrer Erschöpfung führe. Häufige Symptome seien ein leichtes Fieber und ein gewisser Erregungszustand. Man nenne diese Krankheit auch „mal de Paris“, weil die Schweizer von ihr vor allem in Frankreich befallen würden. Im zweiten Beitrag befasst sich der Herausgeber des Bandes Rolf Petri mit Emotion, Zeit und Raum in den Identitätskonstruktionen von „Nostalgia“ und „Heimat“. Anschließend widmet sich Elena Agazzi der Frage der Überwindung des Komplexes von „Nostalgie“ und reflektiert die europäische Erinnerungsliteratur. Dass man Vergangenheitskonstruktionen auch unter dem Aspekt der Utopie betrachten sollte, verdeutlichen insbesondere die Aufsätze von Antonis Liakos und Svetlana Boym.

Die weiteren Beiträge beziehen sich dann auf Fallbeispiele: Zunächst arbeitet Anastasia Stouraiti mit „Trauer und Mimesis“ zwei Aspekte der imperialen „Nostalgie“ in der Republik Venedig heraus. Larry Wolff beschreibt die von der Aufklärung inspirierte „Anthropologischen Nostalgie“, die in Venedig insbesondere durch die romantisierende Wahrnehmung des „wilden“ dalmatinischen Bergvolks der „Morlacken“ zum Ausdruck kam. Anschließend untersucht Massimo Tomasutti die leidenschaftlichen Rituale des Abschieds von der Republik Venedig, die 1797 nach dem Untergang der „Serenissima“ in den dalmatinisch-montenegrinischen Städten Zara und Perasto stattfanden. Dies erlaubte es den lokalen Eliten, die Emotionen des politischen Wandels zu kontrollieren und zu lenken. Daran erinnert auch das ansprechende Umschlagbild des Sammelbands, das eine Postkarte aus Zara vom November 1799 darstellt, auf der der Markuslöwe dem Betrachter einen Gruß aus dem „Stato da mar“, also aus den überseeischen Gebieten der in der politischen Wirklichkeit gar nicht mehr vorhandenen „Serenissima“ überbringt. Konstantina Zanou untersucht die „Nostalgie“ eines griechischen Patrioten, des Gelehrten Andrea Mustoxidi, der 1785 im damals venezianischen Korfu geboren wurde und viele Jahre seines Lebens in Venedig und anderen italienischen Städten verbrachte. Anschließend analysiert Filippo Maria Paladini die langwierigen revanchistischen Gefühle, mit denen man in Venedig zwischen den Verträgen von Campoformido (1797) und Osimo (1975) auf die verlorenen Gebiete an der östlichen Adria blickte. Dabei ist bemerkenswert, dass es in Italien nicht nur einen italienischen, sondern auch einen venezianischen Nationalismus gegeben hat, wobei dieser zu einer der wichtigsten symbolischen Ressourcen von jenem geworden ist. Die „Habsburger-Nostalgie“, die seit dem Ende des Ersten Weltkriegs in Triest von Zeit zu Zeit konstatiert werden kann, behandelt Marion Wullschleger. Während der nationalsozialistischen Okkupation von Triest 1943 – 1945 versuchten selbst die Nationalsozialisten, sich dieses Gefühl zunutze zu machen. Dies war freilich kein politischer Kurswechsel in Richtung eines österreichischen Separatismus, sondern ein aus der Not geborenes Mittel zur Herrschaftsstabilisierung. Rolf Wörsdörfer untersucht die nostalgischen Erinnerungen der Italiener, Slowenen und Kroaten an beiden Ufern der oberen Adria, die in besonderer Weise durch die Erfahrungen von Grenzstreitigkeiten, Gemetzel, Vertreibung und Exil geprägt wurden. Den Schlusspunkt setzt Stefano Petrungaro mit seinen Überlegungen zur Nachwirkung der Idee Jugoslawiens in bestimmten politischen, kulturellen und generationsspezifischen Bereichen der verschiedenen Nachfolgestaaten. Der Begriff „Jugostalgie“ soll dabei die Besonderheiten des ex-jugoslawischen Falles vor dem Hintergrund des allgemeinen Phänomens der „Ostalgie“ zum Ausdruck bringen.

Gemeinsam ist allen Beiträgen, dass sie sich auf ein nur sehr schwer analysierbares Terrain begeben, auf dem es viel leichter fällt, Vorurteile und Kritik zu formulieren als gesicherte wissenschaftliche Ergebnisse zu erzielen. Denn die Wirksamkeit politischer Ideen ist nicht einfach messbar. Um zu vertretbaren Resultaten zu gelangen, müssen ausgewogene Interpretationshypothesen auf einer möglichst breiten Datengrundlage formuliert werden. Das ist in diesem Sammelband hervorragend gelungen. Deshalb ist sein Wert besonders hoch einzuschätzen. Man liest ihn durchweg mit Gewinn, er ist instruktiv und regt zu weiteren Forschungen an.

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