H. von Thiessen: Diplomatie und Patronage

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Titel
Diplomatie und Patronage. Die spanisch-römischen Beziehungen 1605-1621 in akteurszentrierter Perspektive


Autor(en)
von Thiessen, Hillard
Reihe
Frühneuzeit-Forschungen 16
Erschienen
Anzahl Seiten
528 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Externbrink, Cluster of Excellence "Asia and Europe in a Global Context", Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Hillard von Thiessens Berner Habilitationsschrift ist nicht nur ein weiterer Beitrag zur Geschichte des Pontifikats Pauls V. Borghese, sondern auch eine anregende Studie zur Funktionsweise frühneuzeitlicher Diplomatie. Ausgangspunkt ist das „mikropolitische Paradigma“ Wolfgang Reinhards, das als Grundlage der umfassenden Erforschung des Borghese-Pontifikats dient. Es geht Thiessen aber nicht nur um die Rekonstruktion der Mikropolitik zwischen Rom und Madrid. Ausgehend von seinen Befunden skizziert er in Umrissen „zeitgenössische Handlungs- und Denkmuster“ einer „Diplomatie vom type ancien“, die „nicht nur typisch für die römischen und spanischen Akteure sind, sondern deren Kenntnis unerlässlich für die Analyse frühneuzeitlicher Außenbeziehungen insgesamt ist“ (S. 429). Diesen nähert sich Thiessen mittels einer „akteurszentrierten Untersuchung“ an, wobei sich sein Akteurs-Begriff auf die individuellen Akteure im internationalen System der Frühen Neuzeit und nicht auf den frühneuzeitlichen Staat als Akteur bezieht. Kritischen Überlegungen über die Wirkmächtigkeit und Reichweite staatlichen Handelns folgend bezweifelt Thiessen, dass vor dem frühen 19. Jahrhundert Staaten (oder „protostaatliche Einheiten“) als Akteure „überzeitlichen Regeln […] auf der internationalen Bühne“ gefolgt seien (S. 19). Folglich sei das „Staatenweltmodell“ für die Frühe Neuzeit „nicht haltbar“ (S. 19f.). An dessen Stelle wird der mikropolitische Zugang gesetzt. Begründet wird dies mit der Beobachtung, dass „die politische Kultur der Frühen Neuzeit […] wesentlich auf personalen Bindungen und den daraus abgeleiteten Logiken und Bindungen [basierte]“ (S. 20). Von diesen Prämissen ausgehend äußert Thiessen Zweifel an der Wirkmächtigkeit, die Leitkategorien außenpolitischen Handelns wie Dynastie, Konfession, Staatsinteresse und Tradition oftmals zugeschrieben wird. Eine „eigengesetzliche Sphäre“ der Außenpolitik, mit einem eigenen, im Wesentlichen von der Idee der Staatsräson bestimmten normativen Rahmen habe es im 17. Jahrhundert noch nicht gegeben (S. 24).

Thiessen stellt die verschiedenen gesellschaftlichen Rollen der spanischen und kurialen Vertreter in das Zentrum seiner Studie. Analysiert werden die „sozialen Logiken“ der grenzüberschreitend agierenden Personen und Gruppen, die vorwiegend durch „Verwandtschafts- und Patronagebeziehungen“ gestaltet wurden und durch die erprobte Methodik der Netzwerkanalyse erforscht werden (S. 29). In drei Schritten erfolgt diese Untersuchung: Einleitend skizziert Thiessen das „Innenleben“ Spaniens und Roms (S. 49-119), ein lesenswertes Kapitel mit Handbuchcharakter. Daran schließt sich die Darstellung der „Beziehungs- und Bindungsstränge“ zwischen Madrid und Rom an (S. 120-381). Hier breitet Thiessen die Ergebnisse intensiver Archivstudien vor allem in Spanien und Rom aus. Für die Untersuchung der Patronagebeziehungen konnte Thiessen auf reichhaltige Nachlässe der spanischen Gesandten in Adelsarchiven zurückgreifen. Detailliert rekonstruiert er die Verflechtung der spanischen Adeligen mit Rom und umgekehrt die Versuche römischer Nuntien (und nicht zuletzt der Borghese), in engere, klienteläre Beziehungen zur spanischen Monarchie zu treten. Im letzten Kapitel (S. 382-428) schließlich wird untersucht, ob „Ethos und Logik der Patronage“ auch in Kontexten der Außenbeziehungen wirkten, die gewöhnlich nicht mit Patronage und Mikropolitik in Verbindung gebracht werden: das diplomatische Zeremoniell und die Rolle des Papstes als Kirchenoberhaupt (am Beispiel von kirchlicher und weltlicher Jurisdiktion, der Besteuerung der Kirche, dogmatischen Streitfragen und Heiligsprechungen). Auch hier kann Thiessen immer wieder zeigen, wie personale Verflechtungen vermeintlich „politikferne“ Angelegenheiten wie Heiligsprechungen beeinflussen konnten. Diesen Bereich betrachtete Paul V. als eigene exklusive „Patronageressource“. So machte der Papst die Frage der Heiligsprechung von Isidor Labrador, den das spanische Königspaar zu ihrem persönlichen „Schutzheiligen“ erkoren hatte, davon abhängig, dass seiner Familie die grandezza, das heißt die Aufnahme in die oberste Klasse des spanischen Adels, gewährt wurde (S. 426ff.).

Grundsätzlich ist der von Thiessen geäußerten Kritik zuzustimmen, die Entwicklung der Diplomatie nicht teleologisch als „Motor“ frühneuzeitlicher Staatsbildung und Rationalität zu betrachten. Doch andererseits ist eine Tendenz zur Überbetonung der „Logik der Patronage“ als festen Bestandteils einer idealtypisch verstandenen „Diplomatie vom type ancien“ nicht zu übersehen. Drei Ebenen sind hier meines Erachtens zu differenzieren.

Erstens: Unzweifelhaft entwickelte sich die Diplomatie, wie schon das Militär, zu einer Domäne des Adels. Doch in der frühneuzeitlichen Diplomatie Europas begegnet man mehr Angehörigen des Dritten Standes, des niederen Adels und Amtsadeligen als Adeligen vom Schlage Villenas und Albuquerques, beides Granden und damit Mitglieder eines exklusiven Kreises des spanischen Adels (S. 132). Dies hängt mit der sich sehr schnell ausbildenden und im 17. Jahrhundert sich fixierenden Hierarchie der Gesandtschaftsränge zusammen. Der Botschafterrang blieb in der Tat Hochadligen vorbehalten, ihr Auftrag war, wie man bei Wicquefort nachlesen kann, vor allem die Repräsentation. Gesandten unterhalb des Rangs eines „Ambassadeur“ wurde die „eigentliche“ Aufgabe des „Diplomaten“ zugewiesen: das Verhandeln und die Berichterstattung. Dies war das Feld der bislang eher in Einzelstudien näher erforschten „gelehrten Diplomaten“, die zumeist über eine juristisch-humanistische Ausbildung verfügten und sehr gut in der Gelehrtenrepublik vernetzt waren.1

Zweitens: Unbestritten ist das Gewicht von Patronage- und Klientelbeziehungen in der Formierungsphase moderner Staatlichkeit nicht nur im Inneren, sondern auch für die Außenbeziehungen. Doch muss man unterscheiden zwischen den von Thiessen überzeugend herausgearbeiteten Logiken der Patronage im römisch-spanischen Kontext und jenen in Kontexten ohne römische Beteiligung. Die Einzigartigkeit Roms lag – neben der geistlichen Bedeutung – in der Tatsache begründet, dass eben mit jedem Herrschaftswechsel eine neue „Dynastie“ ans Ruder kam, die von vornherein um die begrenzte Dauer ihrer Herrschaft wusste. Entsprechend nutzten die Borghese, Aldobrandini, Barberini usw. die Patronageressourcen, die ihnen das Amt verschaffte, zur Absicherung des Status ihrer Familie. Diese Konstellation findet sich jedoch nicht in anderen Fällen, auch nicht in den Beziehungen zum Beispiel Frankreichs zu den Reichsständen: Zwar bildeten sich auch hier Klientelverhältnisse heraus, doch sind diese viel stärker von Hierarchien geprägt und weit weniger stabil.

Drittens darf das Gewicht normativer Faktoren und das Politische in einem engeren Sinne als dem von Thiessen gewählten „weiten“ Politikverständnis nicht so sehr ausgeblendet werden. Hinter den Verflechtungen und dem Ringen um „faveurs“ kann man politische Sachverhalte erkennen, die mit dem Begriff der „Staatsräson“ erfasst werden können. Spanien musste seine hegemoniale Position in Italien verteidigen, die am meisten von Frankreich bedroht wurde. Die Patronageressourcen des spanischen Königs sollten so eingesetzt werden, dass die spanische „Partei“ auf der Apenninenhalbinsel davon profitierte und letztlich die spanische Position gefestigt bliebe. Der Papst wiederum war einerseits auf gute Beziehungen zu Madrid angewiesen, wenn es galt, kirchliche Belange generell oder Interessen des Kirchenstaates gegenüber den anderen italienischen Fürsten durchzusetzen; andererseits jedoch musste er auch daran interessiert sein, Spanien auf der Halbinsel nicht zu mächtig werden zu lassen, aus Furcht, Spanien könne den Kirchenstaat schlucken. Darauf wies schon Henri de Rohan in den 1630er-Jahren hin.2 Die latent antispanische Haltung des Borghese-Nachfolgers Urban VIII. Barberini (1623-1644) und seiner Nepoten erklärt sich aus dieser Haltung (S. 345ff.).

Trotz dieser Einwände muss festgehalten werden, dass Thiessens Studie durch ihr solides empirisches Fundament und durch die aus den Quellen gearbeiteten Ergebnisse überzeugt, die eindrucksvoll das Gewicht von Patronagebeziehungen in den spanisch-römischen und generell in den Außenbeziehungen im 17. Jahrhundert belegen. Thiessens Entwurf eines Idealtypus der „Diplomatie vom type ancien“ gilt es jedoch weiter zu differenzieren.

Anmerkungen:
1 Vgl. Abraham de Wicquefort, L’Ambassadeur et ses fonctions, 2 Bde. Amsterdam 1730, Bd. 1, S. 52f., Bd. 2, S. 4-13. Beispiele für „gelehrte Diplomaten“: Sven Externbrink, Diplomatie und République des Lettres. Ezechiel Spanheim (1629–1710), in: Francia 34/2 (2007), S. 25–59; Ruth Kohlndorfer-Fries, Diplomatie und Gelehrtenrepublik. Die Kontakte des französischen Gesandten Jacques Bongars (1554-1612), Tübingen 2009.
2 Henri Duc de Rohan, De l’Intérêt des princes et des Etats de la chrétienté, hrsg. v. Christian Lazzeri, Paris 1995, S. 176.

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