K. Holtmann: Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe vor dem Volksgerichtshof

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Titel
Die Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe vor dem Volksgerichtshof. Die Hochverratsverfahren gegen die Frauen und Männer der Berliner Widerstandsorganisation 1944-1945


Autor(en)
Holtmann, Karen
Erschienen
Paderborn 2010: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
305 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Seiffert, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Die Widerstandsgruppe um Anton Saefkow, Franz Jacob und Bernhard Bästlein war Ende der 1930er- und zu Beginn der 1940er-Jahre eine der aktivsten kommunistischen Widerstandsgruppen im nationalsozialistischen Deutschland.1 Die an der Universität Bielefeld lehrende Autorin Karen Holtmann beleuchtet die Gruppe mit Blick auf ihre Entstehung, Zusammensetzung und Aktionen. Dabei geht es der Autorin vor allem um das Geschlechterverhältnis in der Gruppe sowie dessen Wahrnehmung durch den Verfolgungsapparat. Hauptfragen sind, inwieweit Frauen aktiv in die Widerstandsorganisation eingebunden waren, wie sie sich selber sahen bzw. wie sie von Genossen, Gestapo, Richtern und Staatsanwaltschaft wahrgenommen wurden und ob es in Bezug auf Verhörmethoden, Strafmaß und Urteil Unterschiede zu der Behandlung ihrer männlichen Genossen gab.

Gegliedert ist das Buch in drei Teile. Im ersten Teil geht es um die Biografien der Gruppenmitglieder. Die Autorin erläutert, dass es bisher nur eine geringe Anzahl von Untersuchungen des Widerstandes aus einer Gender-Perspektive gibt. Entsprechend blieb, so führt Holtmann aus, trotz zahlreicher biografischer Arbeiten „[...] eine analytische Einordnung des oppositionellen Handelns von Frauen gegen das NS-Regime bisher weitestgehend aus“ (S. 10). Sie wurden bisher „[...] nur am Rande als ‚stille Helferinnen‘ ihrer Ehemänner, Freunde oder Brüder gesehen“ (S. 10). Daher unternimmt die Autorin den Versuch, über einen biografischen Zugang und die Rekonstruktion des Sozialprofils der Gruppenmitglieder die Einbindung von Frauen in die Widerstandstätigkeit zu analysieren.

Im zweiten Teil skizziert die Autorin das Justizsystem des NS-Regimes, gesetzliche Grundlagen und angewandte Strafrechtspolitik am Volksgerichtshof. Dieses mitunter sehr allgemein gehaltene Kapitel beschreibt Veränderungen in Gesetzen, Paragraphen, Ermittlungsverfahren, Verhörprozeduren und Anklageverfahren und schafft damit die Grundlagen für die Untersuchung der spezifischen Hochverratsverfahren gegen die Widerstandsgruppe. Diese Herangehensweise erscheint sinnvoll, da Kenntnisse über die Anpassung der Rechtsauslegung im NS-Regime unumgänglich sind; die Autorin schweift dadurch jedoch weit vom Geschlechterrollenthema ab.

Im dritten Teil findet ein Rückbezug auf den biografischen Ansatz statt. Der von der Autorin genutzte mikrohistorische Forschungsansatz, der durch eine diskursanalytische Ebene erweitert wird, analysiert Wahrnehmungen, Zuschreibungen und (Selbst-)Deutungen von Frauen und Männern als Handelnde. Abgerundet wird die Arbeit mit einem Kapitel über die Selbstbilder der Akteure in der Widerstandsgruppe – auch nach 1945. Es schließen sich ein Verzeichnis von Kurzbiografien sowie ein allgemeines Personen- und Sachregister an.

Im ersten Teil zeigt die Autorin, dass der Widerstandsbegriff eng mit dem Bereich des – traditionell mit Männlichkeit gleichgesetzten – Politischen verbunden war und ist und man(n) häufig die Aufgabe von Frauen im Widerstand eher in der Unterstützung der Männer sah. Jedoch waren Frauen für das Funktionieren von Widerstandsorganisationen elementar. Indem traditionell als unpolitisch geltende Frauen konspirative Zusammenkünfte in ihren Wohnungen deckten, Verfolgte aufnahmen, Essensmarken sammelten, Flugblätter tippten oder an regimekritischen Diskussionen teilnahmen, setzten sie sich mit ideologischen und politischen Zielen des Nationalsozialismus auseinander. Vor dem Hintergrund der Politisierung aller gesellschaftlichen und privaten Lebensbereiche im „Dritten Reich“ sei, so Holtmann, die Trennung zwischen politisch-männlichen und unpolitisch-weiblichen Tätigkeiten im Widerstand demnach in Frage zu stellen. Die Regimegegnerinnen nutzten frauenspezifische Verhaltensweisen, die das männlichkeitsfixierte Kommunistenbild des Polizei- und Justizapparates unterliefen. Gleichzeitig versuchten sie sich durch ihre Tätigkeit für die Widerstandsgruppe innerhalb dieser zu emanzipieren.

Die Untersuchung der Autorin ergibt, dass bestimmte Tätigkeiten vornehmlich von Männern ausgeführt wurden. So war „die Kontaktaufnahme und Mitarbeit in einer illegalen Betriebszelle“ vornehmlich „Männersache“ (S. 59). Durch Flugschriften mit Titeln wie „Arbeiter und Arbeiterinnen der Berliner Betriebe“ wird deutlich, dass auch Frauen gezielt angesprochen werden sollten. Es wurde aber vermittelt, dass, wenn der Krieg vorbei sei, die Frauen „nicht mehr in den Betrieben schuften müssen“. Hier wurde also an die traditionellen Geschlechterbilder von der Hausfrau und dem „richtigen“ Mann angeknüpft (S. 77).

Jedoch mussten im Widerstand genau diese Frauen die Lücken füllen, die untergetauchte oder verhaftete Männer hinterließen. Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, dass die Aktivitäten von Frauen in Widerstandsorganisationen nicht lediglich auf einen „Liebesdienst“ für den Partner zu reduzieren sind. Durchaus deutlich wird, dass Erfahrungen der illegalen Tätigkeit mit Haft und Kriegserlebnissen das weibliche Rollen- und Selbstverständnis spürbar veränderten. Spezielles Gewicht misst Karen Holtmann der Kategorie Gender in den Verhörprotokollen der Gestapo zu. Schienen in den ersten Jahren der NS-Herrschaft Akteurinnen in Widerstandsgruppen – geschützt durch das Geschlechterstereotyp von der ‚unpolitischen Frau‘ – häufiger Gewaltanwendung bei Verhören zu entgehen, so wurde mit der Aufdeckung der ‚staatsfeindlichen‘ Widerstandsorganisation um Saefkow-Jacob-Bästlein – unabhängig vom Geschlecht – das Mittel der Gewalt gegen vermeintliche ‚Reichsfeinde‘ nicht mehr in Frage gestellt. Inwieweit „sexualisierte Gewalt“ gängige Gestapo-Methode gegen Frauen war, ließ sich nicht ermitteln – zumal diese Form der Misshandlung in Erinnerungsberichten aus Scham nicht thematisiert wurde.

Jedoch wurden Männer durch die Gestapo brutaler und massiver misshandelt als Frauen. Diese wurden nicht mit „allen Mitteln“ zum Reden gebracht, während Männer letztlich immer zu Schuldeingeständnissen gezwungen wurden. Frauen schienen qua Geschlecht ungeeigneter zu sein für den Widerstandskampf. „Ihre Bereitschaft zur Mitarbeit beruhte aus Sicht der Beamten mehr auf Abenteuerlust oder auf einem sexuellen Verhältnis mit einem männlichen Mitglied des Verbundes als auf politischer Überzeugung“ (S. 140). Ein Handeln aus „politischer Überzeugung“ erkannte die Gestapo nur vier der 29 verhörten Frauen zu und verurteilte drei von ihnen zum Tode. Den anderen wurde Naivität und Unkenntnis über „kommunistische Umtriebe“ attestiert.

Die Gesetze für Hoch- und Landesverrat waren geschlechtsneutral verfasst, jedoch wirkten sie sich auf die von Männern dominierte Rechtslehre und Urteilspraxis dahingehend aus, dass die strafrechtliche Charakterisierung der Frauen nicht als Täter, sondern als Gehilfen erfolgte, was mit traditionellen Weiblichkeitsvorstellungen korrespondierte und zu geringeren Strafen führte. Die weiblichen Angeklagten erklärten ihre Aktivitäten im Widerstand damit, dass sie aus Liebe zu ihrem Partner aktiv wurden, von diesem oder einem kommunistischen Funktionär beeinflusst worden waren, sich aus persönlich-mitmenschlichen Motiven betätigten oder aufgrund ihrer eingeschränkten geistigen Fähigkeiten den politischen Hintergrund der Organisation nicht erkannt hätten (S. 213 f.). Die Selbstdarstellung als gute Ehefrau, fürsorgliche Hausfrau und Mutter, die aus privat-freundschaftlichen Gründen in den Widerstand „hineingezogen“ worden war, stellte demnach eine gängige Verteidigungsstrategie dar.

Während die Erklärungsversuche der weiblichen Angeklagten bereits in die Vernehmungsprotokolle und Urteilsschriften Eingang fanden, ließen sich Einwendungen der Männer oft erst in Gnadengesuchen an die Oberreichsanwaltschaft finden. Dies belegt, dass Frauen mit den Rollenerwartungen der nationalsozialistischen Justiz strategisch erfolgreich umgingen. Den männlichen Angeklagten „bot sich eine Verteidigung unter Rekurs auf das zeitgenössische Männerbild nicht an, da die Übernahme von Verantwortung für ihr Handeln im Widerstand und die Selbstbehauptung als willentlich agierendes politisches Subjekt jegliche Chance auf eine mildere Bestrafung vernichtet“ hätte (S. 223). Aus den Erinnerungsberichten geht hervor, dass die Akteurinnen ihre Arbeit innerhalb der Widerstandsorganisation als „aktive“ und „politische“ Tätigkeit anerkannt wissen wollten, die für das Funktionieren der Gruppe ebenso wichtig war wie die der Männer (S. 241).

Holtmann legt nachvollziehbar dar, dass Männer und Frauen unterschiedlich aktiv im Widerstand waren, wobei sie einräumt, dass „die Gründe dafür unterschiedlich [waren] und […] sich teilweise einem analytischen Zugriff“ entzogen (S. 243). Sie legt schlüssig dar, dass traditionelle geschlechterspezifische Arbeitsteilung in kommunistischen Widerstandsorganisationen nicht gänzlich aufgehoben war, die Tätigkeit der Frauen aber teilweise über „frauenspezifische“ Handlungen hinausging. Die Intensität der Mitarbeit, Übernahme von Funktionen und der Informationsgrad über Aktivitäten wird durch die Autorin gut dargestellt, die Rolle, die Nähe zur (männlichen) Leitung der Gruppe spielte, und die Wichtigkeit, sowohl der politischen (Vor-)Erfahrung als auch der privaten und beruflichen Stellung der Frauen wird jedoch nicht erschöpfend behandelt.

Anmerkung:
1 Zur Gruppe: Annette Neumann / Susanne Reveles / Bärbel Schindler-Saefkow, Berliner Arbeiterwiderstand 1942–1945. „Weg mit Hitler – Schluß mit dem Krieg!“ Die Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation, Berlin 2009.

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