A. Emanuely: Franz Hebenstreit (1747-1795)

Cover
Titel
Ausgang: Franz Hebenstreit (1747-1795). Schattenrisse der Wiener Demokrat*innen 1794


Autor(en)
Emanuely, Alexander
Reihe
Enzyklopädie des Wiener Wissens. Portäts 2
Erschienen
Anzahl Seiten
112 S.
Preis
€ 15,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ernst Wangermann, Institut für Geschichte, Universität Salzburg

Im Juni 2010 versuchte der Historiker und Wissenschaftsreferent der Stadt Wien, Professor Hubert Christian Ehalt, im Rahmen der „Wiener Vorlesungen“ im Wiener Rathaus eine gesetzliche Revision jenes militärgerichtlichen Prozesses von 1794 zu inszenieren, der mit der Verurteilung des österreichischen Platzoberleutnants Franz Hebenstreit zum Tod durch den Strang wegen Hochverrats und beabsichtigten revolutionären Umsturzes endete. Hebenstreit wurde am 8. Jänner 1795 vor dem Schottentor in Anwesenheit einer großen Menschenmenge hingerichtet. Was mit dem Leichnam geschah, ist nicht bekannt, auf ungeklärte Weise kam Hebenstreits Kopf irgendwann in das Wiener Kriminalmuseum, wo er bis heute ausgestellt wird.

Seitdem die Akten der österreichischen sogenannten „Jakobinerprozesse“ von 1794/1796, unter denen der Prozess Hebenstreit der sensationellste war, öffentlich zugänglich gemacht worden sind, steht als wesentliches Ergebnis der Forschung fest, dass die Prozesse auch nach den gesetzlichen Normen des späten 18. Jahrhunderts nicht einwandfrei waren: Das „Verbrechen“ der Verurteilten bestand nämlich hauptsächlich aus ihren aufklärerischen Überzeugungen. Als konsequente Aufklärer waren sie über den Sturz der absoluten Monarchie in Frankreich im Jahre 1789 begeistert und daher über den Ausbruch des Kriegs gegen Frankreich im Frühjahr 1792 entsetzt. Sie versuchten die öffentliche Meinung gegen diesen katastrophalen Krieg zu mobilisieren und so die kriegführenden Regierungen zu einem Friedensschluss mit dem konstitutionellen Frankreich zu motivieren – unter den damaligen Umständen ein lebensgefährliches Unternehmen. Nach heutigem Verständnis war Hebenstreit ein entschiedener Demokrat und sozialer Utopist, der es wirklich verdient, dass seine Verurteilung aufgehoben, und seinem Kopf eine würdigere Bleibe als das Wiener Kriminalmuseum verschafft werde.

Professor Ehalt wollte mit der Inszenierung einer gesetzlichen Revision von Hebenstreits Urteil in den Wiener Vorlesungen Schritte in diese Richtung anregen. Alexander Emanuelys „Ausgang: Franz Hebenstreit (1747-1795): Schattenrisse der Wiener Demokrat*innen 1794“ wurde in Zusammenhang mit dieser Veranstaltung in Auftrag gegeben, um denselben guten Zweck zu befördern. Kern der Arbeit ist eine populär gehaltene, meist gut lesbare Zusammenfassung der Ergebnisse der neueren österreichischen Jakobinerforschung, die ja bis jetzt noch kaum außerhalb der Kreise gelehrter Spezialisten rezipiert worden sind. Man darf also hoffen, dass das Buch dazu beitragen wird, den Vorläufern der Demokratie in Österreich künftig den ihnen gebührenden Platz im politischen Bewusstsein der Österreicher zu verschaffen.

Der Leser dieser Schrift kann sich über Anklagen und Urteile gegen Hebenstreit und einige seiner Mitstreiter, sowie über deren Aussagen vor den Anklägern informieren. Im Mittelpunkt steht die faszinierende Gestalt Hebenstreits selbst, Emanuely beleuchtet aber auch sein soziales Umfeld mittels locker aneinander gereihten „Schattenrisse“ seiner Bekannten und Freunde. Mit gutem Spürsinn geht er interessanten Einzelheiten nach, die in der bisher erschienenen Fachliteratur vernachlässigt worden sind. Er geht zum Beispiel der Aussage eines Angeklagten nach, wonach Andreas Riedel, neben Hebenstreit der bedeutendste der Wiener Demokraten, zuerst durch seine Bekanntschaft mit dem britischen Offizier Sir Robert Merry in Florenz mit demokratischen Ideen in Berührung gekommen war. Emanuely widmet Merry, der sich später so wie Hebenstreit und Riedel für die Französische Revolution begeisterte, ein eigenes Kapitel. Er zeichnet ein lebendiges Bild von allen Bekanntschaften Riedels, der als wohlhabender Privatier eine Art von demokratischem Salon führte. Zeitzeugen wie Adolf Bäuerle und Caroline Pichler kommen durch ihre Memoiren zu Wort: Bäuerle war als kaum zehnjähriger Knabe zugegen, als die Verurteilten 1795 auf dem Hohen Markt auf der „Schandbühne“ vom Volk verhöhnt wurden. Mit der Anführung derartiger relevanter Einzelheiten gelingt es dem Verfasser, dem heutigen Leser diese fast vergessene Episode aus der österreichischen Vergangenheit näherzubringen. Wir erfahren hier auch etwas über die Zeichen der späten und zaghaften Anerkennung, die das Rote Wien nach 1918 den demokratischen Pionieren zollte, Zeichen, die allerdings nach 1934 schnell wieder verschwanden.

Als leichte und interessante Lektüre über dieses wichtige und bis jetzt zu wenig bekannte Thema aus der österreichischen Geschichte erfüllt Emanuelys Buch seinen Zweck, als Einführung in die historische Literatur weist es jedoch einige Mängel auf. Die Anmerkungen verweisen nur ungenügend und ziemlich willkürlich auf die Quellen, aus denen der Verfasser schöpfte. Das Kapitel über die Freimaurer als „Motor der Aufklärung“ ist zum Beispiel mit einer einzigen Ausnahme von Anmerkungen entblößt. Besonders akut ist dieses Manko in dem Kapitel über den Krainer Siegfried Taufferer, jener österreichische „Jakobiner“, der tatsächlich zusammen mit dem französischen Jakobiner Augustin Robespierre (Maximiliens Bruder) einen Revolutionsplan für einige Regionen der Habsburger Monarchie ausarbeitete. Auf das grundlegende Werk von Dana Zwitter-Tehovnik über die Wirkungen der Französischen Revolution in Krain, in dem Taufferers Leben erschöpfend dargestellt wird, findet sich in diesem Kapitel kein Hinweis. In einer neuen Auflage wäre vor allem die auf S. 29 angeführte Liste der WissenschafterInnen, die die Prozessakten aufgearbeitet haben, und die dazugehörige Anmerkung 16 unbedingt zu ergänzen. Es wäre doch zu wünschen, dass einige Leser das Thema weiter verfolgen werden.

Zu Recht wird heute immer wieder auf die bisher unterbelichtete Rolle der Frauen in der Geschichte verwiesen. Dass aber in diesem Buch buchstäblich bei jeder Erwähnung von Monarchisten, Demokraten, Jakobinern usw. mittels Sternchen an die entsprechenden „Monarchist*innen“ usw. verwiesen wird, stört meines Erachtens erheblich die Lesbarkeit dieses sonst gut lesbaren Buches. Den Herausgebern der Serie, dessen zweiter Band Emanuelys Buch ist, sei daher nahegelegt, sich eine andere Lösung für das Problem der geschlechtlichen Gleichstellung in der historischen Literatur zu überlegen.

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