P. Riedlberger: Kommentar zum 8. Buch der Johannis des Goripp

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Titel
Philologischer, historischer und liturgischer Kommentar zum 8. Buch der Johannis des Goripp. Nebst kritischer Edition und Übersetzung


Autor(en)
Riedlberger, Peter
Erschienen
Groningen 2010: Forsten
Anzahl Seiten
503 S.
Preis
€ 85,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Syrbe, Historisches Institut, FernUniversität Hagen

Mitunter springen bemerkenswerte Detailergebnisse eines Buches schon durch dessen Titel ins Auge: Der in Augsburg und München tätige Philologe Peter Riedlberger kann in seinem an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation eingereichten und im Folgenden vorzustellenden Kommentar zum achten Buch der Iohannis des Flavius Cresconius Corippus überzeugend darlegen, dass das zweite Cognomen des Dichters, unter dem er in der Forschung üblicherweise geführt wird, wohl nicht „Corippus“, sondern vielmehr „Gorippus“ lauten muss und – auch wenn ich im Folgenden noch die traditionelle Schreibweise verwende – zukünftig korrigiert werden sollte. Riedlberger kann seinen Befund einerseits auf die handschriftliche Überlieferung stützen und andererseits dem bisher als singulär geltenden Cognomen nun anderweitig belegte Vergleichsfälle zur Seite stellen (S. 28–33).

Riedlbergers Arbeit hat aber selbstverständlich noch mehr aufschlussreiche Erkenntnisse zu bieten. Die Iohannis – ein Epos, das in etwa 5000 erhaltenen Hexametern die Taten des byzantinischen Feldherrn Johannes Troglita in den Kämpfen gegen maurische Gruppen (546–548) beschreibt – gilt der historischen Forschung zwar seit langem als wichtigste Quelle für das byzantinische Nordafrika der Mitte des 6. Jahrhunderts 1, fand aber trotzdem lange Zeit deutlich weniger Interesse als Corippus’ Spätwerk, der Lobpreis auf Kaiser Justin II.2 In den vergangenen zwei Jahrzehnten zeichnet sich aber eine gesteigerte Aufmerksamkeit für die Iohannis ab, die sich in einer ganzen Reihe von Detailstudien und Kommentaren zu einzelnen Büchern dieses Epos niederschlägt.3 In dieses Forschungsumfeld – das sei hier bereits vorweggenommen – reiht sich Riedlbergers Arbeit auf vorbildliche Weise ein.

Das Buch besteht aus zwei Teilen: einer Einführung zur Iohannis und ihrem historischen Kontext sowie dem eigentlichen Kommentar; Literaturverzeichnis und Register schließen den Band ab. In der Einführung beschreibt Riedlberger zunächst die handschriftliche Überlieferung der Iohannis, die vor allem aus paläographischen Gründen zahlreiche Probleme aufwirft, sammelt anschließend Testimonien heute verlorener Handschriften und stellt übersichtsartig die Editionen der Iohannis von Pietro Mazzucchelli erster Publikation aus dem Jahr 1820 bis zur derzeitigen Standardausgabe von James Diggle und Francis R. D. Goodyear von 1970 zusammen („Die handschriftliche Überlieferung der Johannis und ihre Editionen“, S. 15–27).

Anschließend rückt „Der Historische Kontext“ der Iohannis in den Fokus (S. 28–63). Nach den bereits erwähnten Überlegungen zu Corippus’ Namen setzt sich Riedlberger kritisch mit den in der Forschungsliteratur zirkulierenden Thesen zur Biographie des Dichters auseinander, wobei er sich in Anbetracht der äußerst spärlichen, nur indirekten Hinweise zu Recht betont skeptisch äußert. Einigermaßen sicher lässt sich zumindest festhalten, dass Corippus in einer Zeit aufwuchs, in der sich die religiösen Konflikte zwischen den arianischen Vandalen und der mehrheitlich nicänischen römischen Provinzialbevölkerung entspannten und in der am Hof der vandalischen Könige ein literaturfreundliches Klima herrschte. „Insgesamt war die Vandalenzeit“ daher wohl „eine gute und glückliche Zeit für Goripp“ (S. 36), der Riedlberger zufolge in dieser Phase eine umfassende Ausbildung in der lateinischen Literatur erhielt. Ob sein „Curriculum in Sachen Theologie ebenfalls umfassend war“ (S. 34), wie Riedlberger aus der in Corippus’ Gedichten ausgedrückten Frömmigkeit sowie zahlreichen Zitaten aus der Bibel und christlichen Autoren schließt, ist meines Erachtens aber Spekulation. Hinsichtlich der in der Forschung diskutierten Frage, ob der in der handschriftlichen Überlieferung als Autor dreier religiöser Gedichte und einer Sammlung von canones geführte Autor namens „Cresconius“ mit Corippus zu identifizieren sei, wägt Riedlberger sorgfältig Pro- und Contra-Argumente ab, bleibt aber letzten Endes zu Recht skeptisch (S. 41–43).

Die auf die byzantinische Rückeroberung Nordafrikas (533/34) folgenden Jahren waren vor allem durch langandauernde Kämpfe mit den Mauren – für die Riedlberger die Sammelbezeichnung „Berber“ vorzieht – geprägt. „Goripp mag die Berber nicht sonderlich“ (S. 47), was zu deren grundsätzlich negativer Zeichnung führt. In seiner Skizze der Auseinandersetzung zwischen Byzantinern und Mauren stützt sich Riedlberger in erster Linie auf die Arbeiten Yves Modérans. Grundsätzlich hätten in diesem Abschnitt aber zusätzlich neuere Forschungen zum wechselseitigen Verhältnis zwischen Nomaden und Sesshaften stärker berücksichtigt werden können.4 Auch ist die Feststellung, dass die Mauren sich „seit Jugurthas Zeiten […] im Allgemeinen ruhig“ verhielten (S. 48), zu allgemein gefasst. Lokal begrenzte Konflikte, wie sie typischerweise in einem Raum zu erwarten sind, in dem sich nomadische und sedentäre Lebensformen durchdringen, sind für Nordafrika während der gesamten römischen Kaiserzeit nachweisbar.5 Dass – wie Riedlberger meint – nach dem Aufstand des nordafrikanischen magister militum Gildo 397/98 (der aber gerade keine tribale Erhebung war) und dem Ende des 5. Jahrhunderts keine Konflikte mit den Mauren berichtet werden (S. 37 u. 48), dürfte zudem in erster Linie Folge des ohnehin nur punktuellen und nach der vandalischen Eroberung praktisch gänzlich schwindenden Interesses römischer Historiographen und Chronisten an den nordafrikanischen Provinzen sein und muss nicht unbedingt die historische Situation widerspiegeln.

In einigen Details erweist sich Riedlbergers Darstellung als nicht gänzlich sattelfest. Das während der römischen Kaiserzeit epigraphisch belegte Amt des praefectus gentis ist kein durch die Verleihung eines römischen Ranges legitimiertes Element der maurischen Stammesgliederung (so S. 48), es handelt sich vielmehr um eine Art römischen „Verbindungsoffizier“ ritterlichen Ranges.6 Daher ist der praefectus gentis auch nicht mit den ebenfalls epigraphisch belegten principes gentis zu parallelisieren (S. 48), die zwar als Anführer indigener Stämme von der römischen Seite als Verhandlungspartner anerkannt wurden, was aber wiederum nicht bedeutet, dass die betreffenden principes erst durch Rom legitimiert oder gar inthronisiert waren.7 Eine Skizze der spätantiken Militäradministration, in der Riedlberger die Anpassungsfähigkeit des Systems unterstreicht (S. 54–60), sowie kurze biographische Überblicke zum magister militum Johannes Troglita, der zentralen Figur der Iohannis, und dessen Adjutanten Ricinar (S. 60–63) schließen diesen Abschnitt.

In seinen anschließenden Untersuchungen zu Sprache und Stil, Gattung und Aufbau sowie dem „Sitz im Leben“ der Iohannis (S. 64–96) betont Riedlberger zunächst gegen die vor allem in der älteren Forschung verbreitete Ansicht eines sich in diesem Text abzeichnenden sprachlichen Niedergangs, dass Corippus vielmehr große sprachliche Eigenständigkeit zeige. Im Vokabular besitze er „den Willen zur Innovation“ und schaffe sich „einen eigenen, nie dagewesenen Wortschatz“ (S. 66). Corippus ausgiebige, vielfältig variierende Vergil-Imitation beschreibt Riedlberger als „Baukastenjunktur[en]“ (S. 71). Diese verleihen im Zusammenspiel mit vielen formalen Übernahmen (meist ebenfalls aus Vergil) der Iohannis allerdings einen phasenweise stark „repetitiven Charakter“ (S. 71). Insgesamt deutet der Text der Iohannis nach Riedlberger auf eine relativ schnelle Abfassung hin (S. 74). Diese dürfte wohl wesentlich daraus resultieren, dass die Dichtung eine „Auftragsarbeit“ gewesen sei, die „zum Anlass einer Siegesfeier in Karthago bestellt wurde“ (S. 89). In diesem Zusammenhang vertritt Riedlberger zudem die Ansicht, dass die Iohannis kein literaturgeschichtlich singuläres Werk sei, sondern Vorbilder in der seit der Kaiserzeit nachweisbaren, aber nur noch in Fragmenten bekannten Dichtung zu kaiserlichen Feldzügen habe. Als „eines der wichtigsten Vorbilder der Johannis“ vermutet Riedlberger Statius’ Gedicht über den Germanenkrieg Domitians (S. 77–80). Riedlberger formuliert zudem aus Gründen der inneren Gliederung der Iohannis die These, dass das Epos in einer ersten, wohl schon 546 entstandenen Fassung etwa mit dem fünften Buch enden sollte und die Bücher 6–8 erst später (etwa 548) hinzukamen (S. 80–82).

Im Kommentarteil wählt Riedlberger ein für einen historisch-philologischen Kommentar ungewöhnliches, aber wegweisendes Layout. Er gliedert das achte Buch der Iohannis in 28 Abschnitte, deren Inhalt jeweils in einer kurzen Einleitung erläutert wird. Im oberen Abschnitt der rechten Seiten sind grau hinterlegte Blöcke platziert, die Textabschnitte zwischen 2 und 15 Versen Länge mit textkritischem Apparat und Übersetzung bieten. Diese Blöcke sind über den als Fließtext gestalteten Kommentar verteilt. Dieser Aufbau erweist sich in der Handhabung als äußerst praktisch und erleichtert die Orientierung ungemein. Im Kommentar diskutiert Riedlberger vor allem philologische Probleme des Iohannistextes, was angesichts der problematischen handschriftlichen Überlieferung nicht überrascht. An Stellen, an denen Riedlbergers Lesungen, die auf einer erneuten Handschriftenprüfung basieren, von den bisherigen Editionen abweichen, sind kleine Fotos gesetzt, die die entsprechende Passage des Handschriftentextes zeigen und überprüfbar machen sollen. Riedlbergers Kommentar bietet aber auch zu verschiedenen historischen Fragen zahlreiche wichtige Beobachtungen. Diese gründliche Detailarbeit bringt die Forschung zur Iohannis zweifelsohne ein gutes Stück voran. Riedlbergers Kommentar zum achten Buch der Iohannis wird somit ein unentbehrliches Hilfsmittel für weitere Arbeiten zum byzantinischen Nordafrika sein. Da man sich bei der Lektüre eines Buches nicht nur an dessen Inhalt erfreuen kann, soll schlussendlich auch die sehr schöne und hochwertige Aufmachung des Bandes nicht unerwähnt bleiben.

Anmerkungen:
1 Averil Cameron, Corippus’ Iohannis. Epic of Byzantine Africa, in: Papers of the Liverpool Latin Seminar 4 (1983 [1984]), S. 167–180, hier 169 bezeichnet die Iohannis als „prime text for the understanding of Byzantine Africa“. Schon Partsch und besonders Riedmüller – um nur zwei Beispiele aus der älteren Forschung zu nennen – messen der Iohannis einen einzigartigen Quellenwert bei: Joseph Partsch, Beiträge zur Erklärung und Kritik der Johannis des Corippus, in: Hermes 9 (1875), S. 292–304; Martin Riedmüller, Die Johannis des Corippus als Quelle libyscher Ethnologie, Diss. Universität Erlangen 1918, Augsburg 1919.
2 Zu Coripps Lobpreis auf Justin II. liegt die kommentierte Ausgabe von Cameron vor: Flavius Cresconius Corippus, In laudem Iustini Augusti minoris libri IV. Edited with translation and commentary by Averil Cameron, London 1976, sowie der im selben Jahr erschienene Kommentar von Ulrich Justus Stache, Flavius Cresconius Corippus, In Laudem Iustini Augusti minoris. Ein Kommentar, Berlin 1976.
3 Studien zur Iohannis: Thomas Gärtner, Untersuchungen zur Gestaltung und zum historischen Stoff der Johannis Coripps, Berlin 2008. Wichtig ist zudem auch die Arbeit von Claudia Schindler, Per carmina laudes. Untersuchungen zur spätantiken Verspanegyrik von Claudian bis Coripp, Berlin 2009, zu Corippus bes. S. 227–309, wo Corippus’ Iohannis in den Kontext der spätantiken lateinischen panegyrischen Dichtung einordnet wird. Kommentare zur Iohannis: Zu Buch III Tommasi Moreschini / Chiara Ombretta (Hrsg.), Flavii Cresconii Corippi Iohannidos liber III, Firenze 2001. Zu Buch II: Vincent Zarini, Berbères ou barbares? Recherches sur le livre second de la Johannide de Corippe, Nancy 1997. Zu Buch I erschien bereits 1983 Maria Assunta Vinchesi (Hrsg.), Flavii Cresconii Corippi Iohannidos liber primus. Introduzione, testo critico, traduzione e commento, Napoli 1983. Zudem ist vom de-Gruyter-Verlag eine von Thomas Gärtner bearbeitete kommentierte und übersetzte Neuausgabe der Iohannis angekündigt.
4 Zu den hier interessierenden militärischen Konflikten zwischen Nomaden und Sesshaften: Irene Schneider (Hrsg.), Militär und Staatlichkeit, Halle (Saale) 2003.
5 Zusammengestellt von Andreas Gutsfeld, Römische Herrschaft und einheimischer Widerstand in Nordafrika, Stuttgart 1989.
6 Alexander Weiß, Das Amt des praefectus gentis in den nordafrikanischen Provinzen, in: Antiquités Africaines 42 (2006 [2008]), S. 101–116.
7 Alexander Weiß, Die Grenzen der Integration. Rom und die Baquaten, in: Bonner Jahrbücher 202/203 (2002/2003 [2005]), S. 337–346.

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