Cover
Titel
Reineckerland. Der Schriftsteller Herbert Reinecker


Autor(en)
Aurich, Rolf; Beckenbach, Niels; Jacobsen, Wolfgang
Anzahl Seiten
330 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dennis Gräf, Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft, Universität Passau

Die Kriminalreihen „Der Kommissar“ und vor allem „Derrick“ sind in hohem Maße im kulturellen Wissen der Bundesrepublik verankert und haben ihr ein ‚Gesicht‘ im Ausland gegeben: „Derrick“ ist in vielen Ländern Gegenstand intellektueller Auseinandersetzungen, die sich mit der Reihe im Sinne eines deutschen Autostereotyps beschäftigen.1 Umso mehr ist der Gegenstand der vorliegenden Biografie von Interesse. Der Drehbuchautor dieser populären Kriminalreihen, Herbert Reinecker, wurde im Jahr 1914 geboren. – Die Relevanz eines exakten Blicks auf seine Sozialisation zur Zeit des Dritten Reiches ist daher naheliegend. Und in der Tat können Rolf Aurich, Niels Beckenbach und Wolfgang Jacobsen profunde Erkenntnisse vorstellen, die über die Person Reineckers hinausgehen und als typisch für den Umgang der Deutschen mit personalen Kontinuitäten aus dem Dritten Reich in der Nachkriegszeit gelesen werden können.

Die Autoren haben ihrem 2010 in der Edition Text+Kritik erschienenen einen signifikanten Einband gegeben, der sogleich auf die Stoßrichtung der Biografie hinweist: Zu sehen ist ein Fotoporträt Reineckers, über das der Scherenschnitt Deutschlands in den Grenzen von 1937 gelegt ist. Dass dies ein titelgebendes „Reineckerland“, also ein Land nach den ideologischen Vorstellungen Reineckers auch lange nach dem „Dritten Reich“ gewesen sein muss, wird im Buch selbst eindrücklich aufgezeigt.

Das Leben und schriftstellerische Wirken Herbert Reineckers wird sowohl anhand seiner literarischen Texte als auch mittels zahlreicher Quellen detailliert rekapituliert. Dabei ist besonders die Verwurzelung Reineckers in der nationalsozialistischen Ideologie ein Leitthema. Alle Texte, die in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden sind, konstruieren in anthropologischer Hinsicht eine nationalsozialistische Grundhaltung: Dazu gehört die Opferbereitschaft des für eine übergeordnete und sinnstiftende Idee in den Krieg ziehenden Soldaten. Des Weiteren schließt es die Akzeptanz des Tötens im Krieg sowie eine grundsätzliche Kriegsverherrlichung und – vor allem – einen als absolut notwendig erachteten Antisemitismus mit ein. Die Autoren stellen dabei anhand von Aussagen Reineckers deutlich heraus, dass dieser sich selbst nicht als SS-Mann und Soldat betrachtete, sondern als intellektueller Berichterstatter und nationalsozialistischer (NS-)Propaganda-Schriftsteller in seiner Reinform. Neben seiner Tätigkeit als Redakteur von Propagandaschriften der Hitlerjugend galt Reinecker als Hoffnungsträger der NS-Dramatik.

Nicht weniger elaboriert gerät jener Teil der Biografie, der den Übergang Reineckers vom Propagandaautor des Dritten Reiches hin zum Schriftsteller der neuen Bundesrepublik behandelt. Dabei drängt sich der Eindruck auf, dass Herbert Reinecker lediglich einen exemplarischen Fall darstellt, wenn es darum geht, innerhalb der Kunstproduktion der Nachkriegszeit personale Kontinuitäten und die damit verbundene Persistenz von Ideologien herauszuarbeiten. Leider muss der Leser der Biografie diesen Schritt selbst leisten, da hier Verweise auf andere, ähnlich gelagerte Biografien der Nachkriegszeit fehlen. Nicht nur Reinecker sondern auch Veit Harlan und Wolfgang Liebeneiner konnten in den 1950er–Jahren Filme mit äußerst bedenklichen ideologischen Semantiken produzieren.2

Was dem Buch fehlt, ist eine Vernetzung der eigenen Erkenntnisse mit anderen Disziplinen wie beispielsweise den Medienwissenschaften. Denn die Biografie wirft selbst das Problem einer kontinuierlichen Anthropologie Reineckers auf, die sich im „Dritten Reich“ als nationalsozialistische Ideologie und im Fernsehen der 1970er- und 1980er-Jahre als extrem konservative, patriarchale Moral manifestiert. Hier wäre eine Verortung der Reineckerschen Moralvorstellungen und nicht zuletzt die prominente Platzierung im Massenmedium Fernsehen etwas mehr herauszuarbeiten. So ist doch die Einbettung jener konservativen, jegliche Zeitströmung ignorierender Semantiken zur Primetime eine für das deutsche Fernsehen signifikante Strategie, den konservativen ideologischen Kern der Adenauer-Ära – vor allem in Hinblick auf die Konstruktion der Geschlechterrollen – aufrecht zu erhalten.

Ein solcher Kritikpunkt soll aber keineswegs darüber hinweg täuschen, dass mit „Reineckerland“ eine Biografie vorliegt, die jenseits eines traditionellen Biografismus auf das grundsätzliche Problem der Nachkriegskarrieren in den Medien aufmerksam macht und mit jener Herbert Reineckers eine solche vorbildlich rekonstruiert. Für eine bislang noch fehlende mediensemiotische Analyse des „Derrick“-Kosmos liefert das vorliegende Buch eine hervorragende Grundlage. Gerade die Reihe „Derrick“ besticht durch massiv konservative Weltmodelle, in denen keine Abweichung geduldet und stattdessen stets ein ‚ideologischer‘ Mittelweg angestrebt wird. Abweichung und Unordnung scheinen denn insgesamt etwas zu sein, mit dem der sich nie wirklich von seiner NS-Vergangenheit distanzierende Reinecker nicht gut umzugehen wusste. – So unterhielt er auch in der Nachkriegszeit „sein Publikum mit der sentimental-romantischen Idee vom moralisch guten Dasein als Ziel und Zweck des Lebens“ (S. 298).

Anmerkungen:
1 z.B. Umberto Eco, Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß, München 2000.
2 Zu Veit Harlan siehe Hans Krah, Nachkriegskarrieren I: Der Fall Harlan, in: Harro Segeberg(Hrsg.), Mediale Mobilmachung III. Das Kino der Bundesrepublik Deutschland als Kulturindustrie (1950-1962) (Mediengeschichte des Films 6), München 2009, S. 63-90; vgl. die Rezension von Philipp Stiasny, in: H-Soz-u-Kult, 02.06.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-2-166> (09.02.2012).

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