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Titel
Commemorating Hell. The Public Memory of Mittelbau-Dora


Autor(en)
Schafft, Gretchen E.; Zeidler, Gerhard
Erschienen
Anzahl Seiten
XIV, 198 S.
Preis
$ 25.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cornelia Siebeck, Berlin / Ruhr-Universität Bochum

Im Zuge der Reflexion öffentlicher Gedächtniskulturen seit 1989/90 sind diverse Sammelbände und Monographien zur Nachgeschichte der NS-Konzentrationslager erschienen. Gerade Fallstudien auf breiter Quellenbasis, die auch Kontingenzen, Konflikte sowie den ‚Eigen-Sinn‘ (Alf Lüdtke) gedächtnispolitischer AkteurInnen aufzeigen, konnten dabei allzu eindimensionalen Meistererzählungen über ‚den‘ Umgang jeweiliger Gesellschaften mit den Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus überzeugend entgegenwirken.1 Die Anthropologin Gretchen Schafft und der Historiker Gerhard Zeidler (bis 1990 Archivar der Mahn- und Gedenkstätte Mittelbau-Dora) widmen sich nun dem Umgang mit dem ehemaligen Konzentrationslager Mittelbau-Dora bei Nordhausen (Thüringen). Einleitend versprechen sie ein „anthropological work“, das basierend auf „subaltern theory“ untersuche, „how people find meaning in events, how that meaning is produced, and how and by what means it changes over time“ (S. X). Sie betonen die politisch-ideologische Dimension des öffentlichen Gedächtnisses, verweisen jedoch darauf, dass deren konkrete Ausgestaltung auch als eigensinnig zu denken ist (vgl. S. XI).

Angesichts des unbefriedigenden Forschungsstands zur gedächtniskulturellen Praxis in den KZ-Gedenkstätten der DDR, die mit den bisherigen Studien zu deren politisch-ideologischer Entstehungsgeschichte und dem Schlagwort des ‚verordneten Antifaschismus‘ nur teilweise erfasst werden kann, aber auch mit Blick auf die erst punktuelle Erforschung des Transformationsprozesses der DDR-Gedenkstätten nach 1989/90 hätte das ein gewinnbringender Ansatz sein können. Leider werden Schafft und Zeidler ihrem Anspruch jedoch in keiner Weise gerecht und bleiben weit hinter dem zurück, was bezüglich der Orte ehemaliger Konzentrationslager sowie speziell der Geschichte und Rezeptionsgeschichte Mittelbau-Doras bereits erarbeitet wurde.2

Schafft und Zeidler rekonstruieren mitnichten verschiedene Perspektiven auf den Ort des ehemaligen Lagers, sondern verleihen auf eher dürftiger Quellenbasis fast ausschließlich ihrer eigenen Perspektive Ausdruck (abgesehen von empathischen Kurzporträts lokaler AkteurInnen, die an verschiedenen Stellen in den Text eingebaut sind). Entgegen ihrem eigentlichen Erkenntnisinteresse erläutern sie zunächst auf knapp 40 Seiten die Geschichte des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora. Dabei gelingt es ihnen nicht, dessen Spezifika auch nur annähernd so prägnant herauszuarbeiten, wie der Historiker Jens-Christian Wagner, seit 2001 Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, dies längst getan hat. Das gilt insbesondere für das Beziehungsgeflecht zwischen Lager und lokaler Bevölkerung3, das hier sehr viel weniger präzise benannt wird.

Letzteres ist insofern überraschend, als anschließend ein durch britische Luftangriffe verursachtes ‚Trauma‘ (vgl. S. XII, S. 46) der Nordhausener Bevölkerung ausführlich thematisiert wird (vgl. S. 43ff., S. 59ff.). In den alliierten Bombardements deutscher Städte wollen Schafft und Zeidler „genocidal bombings“ erkennen (S. 58). In Nordhausen seien 17-mal mehr Menschen ums Leben gekommen als in Coventry – darunter auch KZ-Häftlinge: „[…] although they had been left to die and would have succumbed shortly, their deaths were actually caused by the bombing.“ (S. 45)

Es ist anzunehmen, dass das Erleiden der Luftangriffe in der zeitgenössischen Wahrnehmung die Mitverantwortung sowohl für den Krieg als auch für die ‚dichte KZ-Landschaft‘ (Jens-Christian Wagner) in unmittelbarer Umgebung relativierte.4 Anstatt jedoch diesen Diskurs zu analysieren, reproduzieren Schafft und Zeidler ihn unhinterfragt – mitsamt narrativer Topoi, die als apologetisch gelten müssen.5 Auch die Klage über ein bis heute fehlendes öffentliches Gedächtnis an die Bombardierung, das hinter dem Gedenken an das Konzentrationslager zurückbleibe (vgl. S. 84ff., S. 160, S. 166), ist offensichtlich unangebracht.6

Während frühe Bemühungen der Nordhausener Bürgermeister hervorgehoben werden, ehemaligen Häftlingen bei ihren Besuchen mit Empathie zu begegnen (S. 89), ist von deren Beschwerden angesichts des vernachlässigten Lagergeländes7 nichts zu lesen. Auch das mit Blick auf die offiziöse DDR-Gedächtnispolitik durchaus kritische Kapitel zur 1964 gegründeten ‚Mahn- und Gedenkstätte Mittelbau-Dora‘ hebt eher das Engagement des langjährigen Direktors und die harmonische Arbeitsatmosphäre hervor, als dass den LeserInnen ein adäquater Eindruck von der damaligen Repräsentation der Lagergeschichte etwa als „unterirdische[m] Frontabschnitt für den Frieden“8 vermittelt würde.

Bezüglich der Transformation der Gedenkstätte seit 1989/90 bemühen sich Schafft und Zeidler erkennbar um eine differenzierte Bewertung. Da sie jedoch die unterschiedlichen Ebenen und Akteurskonstellationen innerhalb des gedächtnispolitischen Diskurses der Bundesrepublik kaum zur Kenntnis nehmen, können sie den Paradigmenwechsel weder analytisch fassen noch überzeugend kontextualisieren. Auf eine eingehende Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Gründen, die der Neugestaltung vor Ort aus Sicht der gegenwärtigen AkteurInnen zugrunde liegen9, wird verzichtet; und manches wird verzerrt oder falsch dargestellt: So wird die Neubewertung der zu DDR-Zeiten betonten Widerstandsaktivitäten um den kommunistischen Antifaschisten Albert Kuntz zwar nachvollzogen, gleichzeitig jedoch suggestiv mit den angeblich „undisputed heroes“ des 20. Juli 1944 kontrastiert, denen – wie es fälschlicherweise heißt – im vereinten Deutschland ein „national holiday“ gewidmet sei (S. 143f.). Auch die überraschende These, Mittelbau-Dora vermittle heute eine positive Botschaft im Sinne eines „certain pride in German accomplishment in technology“ (S. 145), bleibt ohne Beleg.

Am Beispiel der von ihnen zweifellos überbewerteten Aktivitäten der Bundeszentrale für politische Bildung in der Gedenkstättenarbeit versuchen Schafft und Zeidler nachzuweisen, dass an die Stelle der ‚negativen Zensur‘ in der DDR eine ‚positive Zensur‘ getreten sei, indem spezifische Publikationen auf Gedenkstättenseminaren kostenfrei abgegeben würden (vgl. S. 133ff., S. 155). Zwar kann das Wirken der Bundeszentrale durchaus kritisch betrachtet werden; derart reduktionistische ‚Vergleiche‘ jedoch müssen als Ressentiment gelten. „The political ideas overtly or indirectly produced and disseminated within the Gedenkstätte culture were mainstream in the communist-era Gedenkstätte. Today, political ideas disseminated within the memorial sites are still mainstream“, lautet das fatalistische Resümee: „There are simply two mainstreams.“ (S. 155f.) So einfach darf man es sich nicht machen, wenn man beansprucht, sich in einem theoretisch fundierten sozialwissenschaftlichen Diskurs zu äußern.

Gegen Ende des Buches wird zunehmend deutlich, welcher Bedeutungshorizont hier als ‚subaltern‘ konstruiert wird: die tatsächliche oder vermeintliche Perspektive ehemaliger gedächtnispolitischer AkteurInnen in den Gedenkstätten der DDR. Wiederholt beklagen Schafft und Zeidler, dass frühere ExpertInnen im Zuge der Neugestaltung der Gedenkstätte weder um Rat gefragt noch in ihrem einstigen Engagement anerkannt worden seien (vgl. S. 125, S. 136, S. 142, S. 149, S. 160). Individuelles Handeln in der DDR werde ausschließlich vor dem Hintergrund seines sozio-ideologischen Kontexts bewertet: „This demoralizing attitude extended to those for whom the Gedenkstätte had been a large part of their lives.“ (S. 136) Inwiefern die hier geforderte Unterscheidung zwischen politischem System und handelndem Subjekt im Bereich der DDR-Gedenkstätten sinnvoll ist, wäre sicher zu diskutieren. Dass diese Diskussion bisher nicht offensiv geführt wurde, mag eine Ursache für die extrem verkürzte Wahrnehmung (nicht nur) des gedächtnispolitischen Umbruchs auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sein, die in diesem Buch zum Ausdruck kommt.

Anmerkungen:
1 Hervorzuheben ist hier die Dissertation von Jörg Skriebeleit, Erinnerungsort Flossenbürg. Akteure, Zäsuren, Geschichtsbilder, Göttingen 2009 (siehe dazu meine Rezension, 5.3.2010: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-1-169>(8.11.2011)).
2 Vgl. v.a. die Publikationen von Jens-Christian Wagner, darunter: Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau Dora, Göttingen 2001; Das Verschwinden der Lager. Mittelbau-Dora und seine Außenlager im deutsch-deutschen Grenzbereich nach 1945, in: Habbo Knoch (Hrsg.), Das Erbe der Provinz. Heimatkultur und Geschichtspolitik nach 1945, Göttingen 2001, S. 171-190.
3 Jens-Christian Wagner, Konzentrationslager und Region. Die Lager und ihr gesellschaftliches Umfeld am Beispiel des KZ Mittelbau-Dora, in: Jan Erik Schulte (Hrsg.), Die SS, Himmler und die Wewelsburg, Paderborn 2009, S. 317-336.
4 In der DDR konnte im skandalisierenden Gedenken an die Opfer des ‚angloamerikanischen‘ Luftkriegs eine „mentale Brücke“ geschlagen werden „zwischen staatlicher [antifaschistischer] Geschichtspolitik und privaten Kriegserfahrungen“. Vgl. Malte Thießen, Gemeinsame Erinnerungen im geteilten Deutschland. Der Luftkrieg im „kommunalen Gedächtnis“ der Bundesrepublik und DDR, in: Deutschland Archiv 41 (2008), S. 226-232, Zitat S. 232.
5 Zur diskursiven Verarbeitung der Luftangriffe vgl. Wagner, Produktion des Todes, S. 280ff., S. 566f. Als „nicht belegbare“ Rechtfertigungslegende bezeichnet Wagner auch die von Schafft und Zeidler kolportierte Erzählung (S. 57), die amerikanischen Besatzer hätten befreiten Häftlingen und ZwangsarbeiterInnen erlaubt, die Stadt zu plündern; vgl. Wagner, Konzentrationslager und Region, S. 329ff., Zitat S. 331.
6 Vgl. Martin Clemens Winter, Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945–2005, Heidelberg 2010. Schafft und Zeidler beschreiben auch selbst frühe Veranstaltungen des Gedenkens an den Luftkrieg.
7 Vgl. Wagner, Verschwinden der Lager, S. 179.
8 Vgl. exemplarisch: Antifaschistische Mahn- und Gedenkstätte Mittelbau Dora, hrsg. im Auftrag der Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung der Kreisleitung der SED Nordhausen, Nordhausen 1977, Zitat S. 21.
9 Vgl. u.a. Jens-Christian Wagner, Lern- und Dokumentationszentrum Mittelbau-Dora. Die Neukonzeption der Gedenkstätte Mittelbau-Dora, Weimar-Buchenwald 2003.

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