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Titel
Nazis in der DDR. Die deutschen Staatsdiener nach 1945 - woher kamen sie?


Autor(en)
Joseph, Detlef
Erschienen
Berlin 2002: edition ost
Anzahl Seiten
217 S.
Preis
€ 12,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Danyel, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Der markante Titel des Buches verspricht eine Untersuchung über den Umgang der DDR mit ehemaligen Nationalsozialisten – ein Thema, das nach wie vor zu den brisanten Fragen der Auseinandersetzung mit der Vergangenheitspolitik des ostdeutschen Staates gehört. Bereits ein kurzer Blick auf den Klappentext, auf die dem Buch als Motto vorangestellten Zitate und in das Vorwort sorgen beim Leser eher für Irritation. Der Autor, bis 1991 Professor für Staats- und Rechtstheorie an der Humboldt-Universität, macht bereits auf den ersten Zeilen deutlich, dass es ihm um etwas ganz anderes geht.

Die folgende Episode mag dies belegen: Im Anschluss an eine Vorstellung des Buches in Berlin wurde Detlef Joseph von einem der Teilnehmer nach dem Titel des Buches gefragt. 1 Der Autor hatte in der Lesung offenbar angedeutet, dass es darüber mit dem Verlag Diskussionen gegeben habe. Im Gespräch verwies Joseph darauf, dass sein ursprünglicher Titelvorschlag anders gelautet habe. „Vom Mythos Nazis in der DDR“ oder wenigstens „Nazis in der DDR?“ (mit einem Fragezeichen versehen), sollte der Band ursprünglich heißen. Der Verlag wollte einen zugkräftigeren Titel, der „ein bisschen provozieren sollte“. 2 In der Tat trifft die ursprüngliche Titelvariante das Anliegen des Buches wesentlich genauer.

Es handelt sich im Kern um eine politische Rechtfertigungsschrift: In einer Art polemischen Rundumschlag gegen die „Angriffe“ und „Attacken“ der „heute Tonangebenden“ soll die „in den Schmutz gezogene“ Ehre des DDR-Antifaschismus wiederhergestellt werden. Im Zentrum der Angriffe gegen die DDR und deren antifaschistische Legitimation, so der Autor, stünde die These von der „Kumpanei zwischen Nazis und Kommunisten in der DDR“(S. 7). Sie sei bereits als „billige Antwort“ auf die Enthüllungen der DDR über die Nachkriegskarrieren ehemaliger NS-Führungskräfte in der Bundesrepublik entwickelt worden und habe nach 1989 neuen Auftrieb erhalten. Der Widerlegung dieser These widmet sich der Autor in nicht weniger als 17 Abschnitten, in denen er sich in einer wahren Zitatenschlacht mit allem und jedem auseinandersetzt, der sich irgendwie vor und nach 1989 kritisch zum DDR-Antifaschismus und zur Integration ehemaliger Nationalsozialisten im Osten Deutschlands geäußert hat.

Nun wird jeder, der die Diskussion über den Umgang der DDR mit den ehemaligen Anhängern und Mitläufern des NS-Regimes bzw. über die NS-Belastungen prominenter politischer Funktionäre, Militärs oder Journalisten in der DDR verfolgt hat oder sich selbst eingehender mit dem Thema beschäftigt hat, Anlass zur Kritik finden. Dies gilt insbesondere für so manche sensationsgierige Enthüllung aus der heißen Phase der „Verbösung“ der DDR. Damals schien allein schon der Hinweis darauf zu genügen, dass es auch in der DDR zahlreiche ehemalige Nazis gegeben habe, die ebenfalls in Führungsfunktionen aufsteigen konnten, um der DDR „ans Eingemachte“ - sprich an ihre antifaschistische Reputation - zu gehen.

Insofern trifft natürlich die Feststellung zu, dass es natürlich auch in der DDR keine Alternative zu einer gesellschaftlichen Integration der großen Gruppe der ehemaligen Anhänger des NS-Regimes gegeben hat. Der bloße Hinweis auf diese Tatsache an sich kann keine sachliche Kritik an der ostdeutschen Vergangenheitspolitik begründen. Hier könnte man dem Autor noch zustimmen. Obwohl man dabei allerdings nicht vergessen sollte, dass im offiziellen antifaschistischen Geschichtsbild, spätestens seit den sechziger Jahren, die Integration ehemaliger Anhänger des NS-Regimes kaum noch eine Rolle spielte. Ganz zu schweigen davon, dass sie auf ihre Folgen und gesellschaftlichen Kosten hin kritisch untersucht worden wäre. Dies mag der Autor, der immer wieder auf seine antifaschistische Prägung in der Frühphase der DDR verweist (S. 13f.) und der diesen Prozess und das ihn begleitende propagandistisch aufwendige Werben der SED um die „ehemaligen Pg´s“ noch als Zeitgenosse verfolgen konnte, durchaus anders sehen.

Für die nachfolgenden Generationen wurde dieser Zusammenhang in Bildung und Erziehung, im öffentlichen Bewusstsein als auch in der „antifaschistischen Traditionspflege“ zunehmend ausgeblendet. Wie sonst ließe sich jene fast zornige Feststellung Stephan Hermlins in einem 1988 in der „Jungen Welt“ veröffentlichten Interview erklären, in dem der Schriftsteller klarstellte, dass entgegen dem bei der DDR-Jugend durch die antifaschistische Sozialisation vermittelten Bewusstsein nur eine verschwindend kleine Minderheit ihrer Eltern und Großeltern Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet habe, während die Mehrheit damals „versagt“ habe. 3

Betrachtet man die Argumentationsmuster etwas näher, die der Autor in den einzelnen Abschnitten des Buches entwickelt, wird man unwillkürlich an die Aufrechnungsmentalität und die Verschwörungstheorien der deutsch-deutschen Auseinandersetzungen um die nationalsozialistische Vergangenheit in der Zeit des Kalten Krieges erinnert. Bereits das Vorwort schwingt als letztes Mittel zur Verteidigung des in die Kritik geratenen Antifaschismus erneut die berühmte „Globke-Keule“. Unter der Überschrift „Warum der kommunistische Widerstand ausgeblendet wird?“ konstruiert der Autor dann eine zielgerichtete Demontage der kommunistischen Widerstandstradition, die dazu diene, die fundamentalen Unterschiede zwischen „Faschismus (als einer Herrschaftsform des Kapitals) und Kommunismus (als antikapitalistischer Bewegung)“(S. 29 f.) zu verwischen.

Um die Bedeutung des kommunistischen Widerstands zu unterstreichen, zitiert der Autor interessanterweise westliche Stimmen wie Hermann Weber, Richard Löwenthal und Ralph Giordano, also jene, die dazu beigetragen haben, dass sich in der Bundesrepublik ein differenzierter Umgang mit der linken Opposition gegen Hitler durchsetzen konnte. Im folgenden Abschnitt wird postuliert, dass die Kritik an der antifaschistischen Legitimation der DDR aus dem schlechten Gewissen derjenigen resultiere, „deren eigener Staat nie auf einer konsequent antifaschistischen Grundlage gestanden hat“ (S. 35).

Breiten Raum widmet das Buch dem Nachweis, dass die Nazis nach 1945 im Westen ihre wahre „Heimstatt“ gefunden hätten, während die ehemaligen Nationalsozialisten, die in der DDR etwa zu SED-Mitgliedern wurden, wenn sie nicht einen Gesinnungswandel durchgemacht, so doch zumindest in „gesellschaftlichen Verhältnissen“ gelebt hätten, die per se das „Fortwirken nazistischen Gedankengutes“ verhinderten. Insofern liefern für den Autor die Untersuchungen über die Integration ehemaliger NSDAP-Mitglieder keinerlei Beweise für den „Nazismus der DDR“(S. 45). Auf fast vierzig Seiten fügt Joseph diesem Befund einen kurzen Abriss des Braunbuchs über die Nazis in der Bundesrepublik hinzu, mit den bekannten Namen und Biografien der Filbinger, Globke, Lübke & Co, so als ob, von den wenigen Unverbesserlichen einmal abgesehen, inzwischen noch jemand ernsthaft den fragwürdigen Umgang der frühen Bundesrepublik mit den ehemaligen Funktionsträgern des NS-Regimes leugnen würde.

Allerdings taugt die gebetsmühlenartige Wiederholung dieser Tatsache eben nicht dazu, den ostdeutschen Antifaschismus vor Kritik zu schützen. Dies kann auch die von Norbert Podewin herausgegebene Reprint-Ausgabe eben jenes „Braunbuches Kriegs und Nazi Verbrecher“ aus dem Jahre 1965, die parallel zu dem hier vorgestellten Buch im gleichen Verlag erschienen ist, nicht ändern. Gleiches gilt für den Aufwand, den Joseph betreibt, um die Belastungen der in der DDR in führende Positionen aufgestiegenen ehemaligen NS-Funktionsträger bzw. NSDAP-Mitglieder herunterzuspielen. Auch hier hat man den Eindruck, als ob sich der Autor noch mitten im Getümmel der Propagandaschlachten um die als Reaktion auf die DDR-Braunbücher im Westen erschienenen Dokumentationen über ehemalige Nationalsozialisten in „Pankows Diensten“ befindet.

Eine differenzierte Analyse der beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften kommt in der Tat um eine Untersuchung der genannten Integrationsprozesse in Ost und West nicht herum. Sie wiesen Gemeinsamkeiten und gravierende Unterschiede auf und sind in ihrem Verlauf und hinsichtlich ihrer politischen Legitimationsmuster nicht ohne die komplexe Beziehungsgeschichte zwischen den beiden deutschen Staaten auf dem Feld der Vergangenheitspolitik zu verstehen. Dabei hat sich die Forschung zum Thema „Ehemalige Nazis in der DDR“ schon seit geraumer Zeit von den simplen Botschaften nach dem Muster „rot gleich braun“ entfernt, die der Autor in seinem Buch immer wieder so vehement zu widerlegen sucht.

Das Problem der Kontinuität bzw. Diskontinuität zwischen dem Nationalsozialismus und den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften stellt sich hierbei auf ganz andere Weise, als es die politisch motivierten Zuspitzungen einer grobschlächtigen Totalitarismustheorie unmittelbar nach dem Ende der DDR suggerierten. Für die DDR ergeben sich in diesem Zusammenhang eine Reihe von Fragen, etwa nach generationsspezifischen Strategien der Aufarbeitung bzw. Verdrängung der NS-Vergangenheit in der frühen DDR oder nach dem Zusammenhang zwischen der Integration ehemaliger NS-Anhänger und der Etablierung stalinistischer Strukturen. Sicher ließ die Mehrheit der ehemaligen NS-Anhänger die NS-Ideologie hinter sich, und letztere hatten keinen Platz im öffentlichen Leben der DDR. Aber brachten die ehemaligen NS-Anhänger nicht eine obrigkeitsstaatliche Prägung und Gemeinschaftsideale als mentales Gepäck mit, die durchaus kompatibel zum autoritären Gestus des Stalinismus in den Farben der DDR und seinen politischen Ritualen waren?

Warum verlagerte sich im Zuge der Integration die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit vom Innern der Gesellschaft auf das Feindbild einer „braun“ gebliebenen Bundesrepublik? Warum verwandte die SED mehr Energie auf die Säuberung ihrer Reihen von Sozialdemokraten, angeblichen „Trotzkisten“, „Zionisten“, „Revisionisten“, „Versöhnlern“, „Kosmopoliten“ und wie die konstruierten Feindbilder noch alle hießen? Und warum akzeptierte sie bei den neugewonnenen „ehemaligen Pg´s“ das Bekenntnis zu Sozialismus und Frieden als alleinigen Gradmesser einer biografischen Wandlung.

Andere Fragen lassen sich denken, etwa nach Unterschieden im Ausmaß des Elitenaustauschs in einzelnen Bereichen der DDR-Gesellschaft. Zu diesem Kapitel gehört dann nicht nur die vom Autor beschworene konsequente Entnazifizierung der Lehrer und der Richter, sondern auch der zuweilen sehr pragmatische Umgang der sowjetischen Besatzungsmacht mit belasteten Funktionsträgern oder das unschöne Kapitel jener Euthanasie-Ärzte, die in der DDR unentdeckt Karriere machen konnten.

Zu reden wäre auch über die Schwierigkeiten, die die Verfolgten des NS-Regimes mit der Integrationspolitik der SED hatten oder über den „operativen“ Umgang der Staatssicherheit mit NS-Belastungen. Auf all diese Fragen gibt das Buch im Eifer des Gefechts kaum oder gar keine Antworten, und es nimmt auch nicht zur Kenntnis, dass es dazu bereits eine ganze Reihe von qualifizierten Antworten gibt. Am ehesten noch hätte diese polemische Schrift ihren Platz in der Zeit der hitzigen Debatten kurz nach der deutschen Vereinigung gehabt. Ihre eigentlichen Gegner sind die voreiligen Denkmalsabräumer jener Tage, die realen oder vermeintlichen Kolonisatoren und die großen Vereinfacher.

Der Eifer und der selbstgerechte Unterton des Buches wirken angesichts der inzwischen zunehmend sachlichen und differenzierten Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit eher befremdlich. Vielleicht sollte man das Buch auch eher als ein Dokument lesen, das die Schwierigkeiten der Aufbaugeneration der DDR belegt, die kritische Auseinandersetzung mit dem DDR-Antifaschismus als einen Weg zu begreifen, mit dem man die eigenen biografischen Prägungen im besten Sinne des Wortes „aufheben“ könnte.

Anmerkungen:
1 Vgl. Mythos Nazis in der DDR, in: antifa, 2002, H. 5, S. 6.
2 Ebenda.
3 Vgl. Junge Welt v. 16.11. 1988, siehe auch Vergangenheitsbewältigung. Stephan Hermlin im Gespräch mit der FDJ-Zeitung „Junge Welt“, in: DeutschlandArchiv 21, 1988, H. 12, S. 1350-1356.

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