S. Glansdorff: Comites in regno Hludouici regis constituti

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Titel
Comites in regno Hludouici regis constituti. Prosopographie des détenteurs d’offices séculiers en Francie orientale, de Louis le Germanique à Charles le Gros 826–887


Autor(en)
Glansdorff, Sophie
Reihe
Instrumenta 20
Erschienen
Ostfildern 2011: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
327 S.
Preis
€ 46,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roman Deutinger, Bayerische Akademie der Wissenschaften, München

Prosopographien sind ein undankbares Geschäft. Sie erfordern einerseits von ihrem Bearbeiter eine Reihe von Tugenden wie Fleiß, Belesenheit, Genauigkeit und Urteilsvermögen, bieten aber andererseits wenig Raum, eigene Gedanken und Thesen zu entwickeln. Hinzu kommen gerade für das Frühmittelalter methodische Probleme, etwa die oft schwierige, manchmal unmögliche Identifizierung oder Unterscheidung gleichnamiger Personen. Kein Wunder, dass sich nur selten ein junges Talent an eine solche Aufgabe heranwagt, bei der man leicht Kritik an allen möglichen Details, aber kaum Anerkennung für die wissenschaftliche Leistung einheimsen kann. Um so nachdrücklicher soll deshalb das Verdienst der vorliegenden Brüsseler Dissertation hervorgehoben werden, die – anders als der lateinische Haupttitel vermuten lässt – nicht nur die Grafen, sondern auch andere höhere Amtsträger wie Markgrafen, Pfalzgrafen und Inhaber von Hofämtern aus den Herrschaftsbereichen König Ludwigs des Deutschen und seiner drei Söhne prosopographisch erfasst. Da manche dieser Amtsträger zum Zeitpunkt von Ludwigs Herrschaftsantritt 826 schon länger amtierten und andere den Sturz Karls III. 887 viele Jahre überlebten, reicht die Darstellung faktisch sogar über den anvisierten Zeitraum hinaus vom Anfang des 9. bis zum Anfang des 10. Jahrhundert.

Der Gewinn einer solchen systematischen Erfassung besteht nun darin, dass nicht nur die Vertreter der ohnehin allseits bekannten prominenten Familien wie Welfen, Liudolfinger und Konradiner verzeichnet sind, sondern auch jene Grafen, die nur regionale Bedeutung erlangt haben und von denen manchmal nicht mehr als ein vereinzelter urkundlicher Nachweis zu ermitteln ist. Erst auf dieser umfassenden Grundlage werden dann auch weitergehende Aussagen zu den Amtsträgern im Ostfränkischen Reich möglich. In der Einleitung (S. 9–51) werden die Ergebnisse dieser Bestandsaufnahme nüchtern – für manchen Leser vielleicht sogar: ernüchternd – zusammengefasst. Hervorhebenswert scheint dabei die Beobachtung, dass in keinem einzigen Fall die Nachfolge eines Sohnes in das Grafenamt des Vaters ausdrücklich bezeugt ist, wenngleich sie sich mitunter erschließen lässt. Wie die relativ häufigen Absetzungen von Grafen lässt dies erkennen, dass die Könige des 9. Jahrhunderts noch beträchtlichen Einfluss auf die Besetzung dieser wichtigen Ämter nehmen konnten, die „Allodisierung” der Grafschaften, wie sie im Hochmittelalter deutlich hervortritt, also noch kaum vorangeschritten war. In der Konsequenz bedeutet dies dann auch, dass jedenfalls im Verhältnis zwischen Herrscher und Amtsträgern von einem oft angenommenen, grundsätzlichen Machtverfall des spätkarolingischen Königtums keine Rede sein kann.

Dass derlei Aussagen künftig eine tragfähige Grundlage haben, ist der Tatsache zu verdanken, dass die Bearbeiterin dieser Prosopographie über die eingangs genannten Tugenden in hohem Maß verfügt. Alle 205 Personenartikel sind mit derselben Präzision und Sorgfalt erstellt. Die Einreihung der Amtsträgernamen ins Alphabet kann gelegentlich überraschen, etwa wenn ein Stephanus gut französisch als Étienne (Nr. 71), ein Ruodger als Hrodger (Nr. 105) oder ein Deotricus als Theoderic (Nr. 172) verzeichnet ist. Hier hilft leider auch das ansonsten sehr nützliche Register der Orts- und Personennamen nicht weiter. Angenehm zurückhaltend ist Sophie Glansdorff bei der genealogischen Einordnung der betreffenden Männer (Frauen kommen in diesem Bereich ja naturgemäß nicht vor); die entsprechenden Thesen, nicht selten allzu luftige Spekulationen, werden meist kommentarlos referiert. Die einschlägige Literatur bis zum Abschluss der Dissertation 2006 ist sehr umfassend eingearbeitet, die seither erschienene nicht mehr in derselben Dichte.

Natürlich hätte man an manchen Stellen tiefer bohren können. So werden etwa bei Liudolf (Nr. 120) und seinen Söhnen Brun (Nr. 41) und Otto (Nr. 144) ihre Titulierungen als dux und marchio getreulich verzeichnet, nach der inhaltlichen Bedeutung dieser Titel wird jedoch nicht gefragt. Beim Pfalzgrafen Bertold (Nr. 38) hätte man zum Charakter seines Königsdienstes etwas mehr sagen können, beim Markgrafen Banzleib (Nr. 29) wäre ein genaueres Eingehen auf die problematische Lokalisierung seines Amtsbereichs wünschenswert gewesen, denn wenn dieser nicht im rechtsrheinischen Sachsen, sondern in der westfränkischen Otlinga Saxonia zu suchen ist, dann ist Banzleib in der Konsequenz aus der Schar der ostfränkischen Amtsträger auszuscheiden. Die Identifizierung Eramberts (Nr. 65) mit einem gleichnamigen italienischen Grafen ist inzwischen widerlegt1, und schließlich wäre es vielleicht auch der Mitteilung wert gewesen, dass der bayerische Markgraf Arbo (Nr. 24) späterer, aber durchaus glaubwürdiger Überlieferung zufolge auf der Wisentjagd ums Leben kam. Letzteres öffnet nebenbei den Blick dafür, dass karolingische Amtsträger nicht nur und wohl gar nicht in erster Linie Staats- und Königsdiener waren, sondern Adlige mit einem entsprechenden Lebensstil, ein Aspekt, der hier zwangsläufig ausgeblendet bleibt.

Aber das sind lediglich Einzelheiten, die zudem über das eigentliche Anliegen der Prosopographie letztlich hinausgehen. Man kann Sophie Glansdorff nur wünschen, dass ihre gründliche Arbeit die Rezeption erhält, die sie verdient, auch wenn die Abfassung auf Französisch beim überwiegend deutschsprachigen Zielpublikum eine gewisse Hemmschwelle darstellen dürfte.

Anmerkung:
1 Andrea Castagnetti, Un conte Eremberto fra Baviera e Italia nella seconda metà del secolo IX: l’infondatezza di una tesi, in: Studi medievali 50 (2009), S. 231–298.