F. Steffens: „Innerlich gesund an der Schwelle einer neuen Zeit“

Cover
Titel
„Innerlich gesund an der Schwelle einer neuen Zeit“. Die Technische Hochschule Hannover 1945-1956


Autor(en)
Steffens, Frauke
Reihe
Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 37
Erschienen
Stuttgart 2011: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
422 S.
Preis
€ 74,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Glasow, Forschungsstelle Universitätsgeschichte Rostock

Die Erforschung der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte und der darauffolgenden Jahrzehnte rückte in der jüngsten Vergangenheit verstärkt in den Fokus der Universitätsgeschichtsforschung, weshalb sich die vorliegende Arbeit von Frauke Steffens, mit der sie sich 2007 in Hannover promovieren konnte, gut in diesen Trend einordnen lässt. Das Buch, mit dem Steffens die „Erforschung der technischen Intelligenz als Teil der bundesdeutschen Elite“ (S. 13) bezweckt, ist aber keine reine Institutionsgeschichte, die sich an einen beschränkten Leserkreis mit Bezug zur Technischen Hochschule (TH) Hannover richtet. Vielmehr ist die Geschichte der TH von 1945-1956, wie sie uns hier näher gebracht wird, ein gutes Beispiel, wie an einer Hochschule innerhalb der britischen Besatzungszone bzw. der Bundesrepublik mit der nationalsozialistischen Vergangenheit umgegangen wurde und wie sich diese Hochschule und ihre Angehörigen in der neuen Bundesrepublik verorteten.

Das Buch ist in sechs Abschnitte unterteilt und bedient ein breites Spektrum Hannoveraner Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte. Dem Leser ergibt sich daraus ein großes, zusammenhängendes Bild, das sich beispielsweise aus den Themen Entnazifizierung der Professoren, Situation der Studenten, Hochschulreformen und akademische Feierlichkeiten zusammensetzt. Das einleitende Kapitel beschäftigt sich mit den Problemen nach der Wiedereröffnung der TH und der Sorge um eine etwaige Schließung. Um dieser zu entgehen, wurden die kulturellen und sozialen Beziehungen zur Stadt verstärkt, neue Fachrichtungen und Lehrstühle etabliert und Sponsoren gesucht. Dass es dabei zur Einflussnahme durch Geldgeber auf die Hochschule kam und Spenderfirmen bevorzugt mit Aufträgen bedient wurden, wird von Steffens deutlich hervorgehoben und kritisch betrachtet.

Die folgenden beiden Kapitel befassen sich mit den Professoren und den Studenten. Für die Darstellung der Entnazifizierung wurden 27 Entnazifizierungsakten ausgewertet, die teilweise auch umfangreiche Rechtfertigungsschreiben beinhalten. Detailliert betrachtet Frauke Steffens ausgewählte Vertreter aus den jeweiligen Fakultäten, darunter den Antifaschisten und späteren Nobelpreisträger für Physik Johannes Jensen sowie Walther Wickop, der 1942 als „Vertrauensarchitekt“ Heinrich Himmlers für die „Neuplanungs-Hauptdorf-Bereiche im Warthegau“ (S. 112) fungierte. Mit Ausnahme von Johannes Jensen erweist sich die Entnazifizierung der Professoren an der TH als das übliche traurige Sammelsurium aus dem gegenseitigen Be- und Entlasten, aus Rechtfertigungen und Ausreden und schließlich einem späteren Einordnen als „Unbelasteter“ und der weiteren Beschäftigung als Hochschullehrer. Frauke Steffens weist nach, dass an der TH Hannover eine hohe Bereitschaft zur Integration mehr oder weniger belasteter Wissenschaftler existierte und nur in einem Fall, bei dem Architekten Gerhard Graubner, eine kollektive Ablehnung gegen die Wiedereinstellung nachgewiesen ist. Positiv hervorzuheben ist im darauffolgenden Abschnitt über die Situation der Studenten, die Betonung der ebenfalls vorhandenen NS-Belastung vieler Studenten, die unter den ersten Nachkriegssemestern zu finden waren. Neben einigen statistischen Auswertungen zu Herkunft, Wehrdienst und Einkommen, finden sich in diesem Abschnitt Ausführungen zum studentischen Alltag und gesonderte Darstellungen der Situationen von Frauen, deutscher NS-Verfolgter und von Displaced Persons (DP). Die Bereitschaft der TH, die beiden letztgenannten Personengruppen finanziell zu unterstützen, nahm bereits Ende der 1940er-Jahre ab und war an strenge Reglements gebunden. Ausführlich betrachtet werden die Auseinandersetzungen um die Korporationen, die, anfangs von den Briten verboten, unter anderen Namen als „Tarnvereinigungen“ wiederbelebt wurden. Steffens hebt dabei deutlich die tragenden Rolle der „Altherrenverbände“ hervor und sieht die Korporationen, die ab 1950 wieder unter ihren alten Namen an der TH existierten, als Orte, die den ehemaligen Soldaten und Angehörigen der Hitlerjugend das für sie notwendige Kameradschaftsgefühl vermitteln konnten. Unter den 23 im Jahr 1951 an der Hochschule existierenden studentischen Verbindungen lassen sich 14 Korporationen nachweisen, wobei deren Einfluss in den einzelnen Fachgebieten unterschiedlich ausfiel. Steffens macht für das schnelle Wiederaufleben der Korporationen mehrere Faktoren verantwortlich. So sieht sie den frühen Rückzug der Briten aus der TH, den hohen Einfluss der Altherrenverbände und das Wohlwollen der Professoren als Hauptgründe für diese Entwicklung.

Nach einem größeren, etwas allgemein gehaltenen Abschnitt über den Technikdiskurs, dessen Kontinuität und Wandel an der TH Hannover widmet sich das Buch den Auseinandersetzungen um Hochschulreformen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht nur Gegenstand in der sowjetischen Besatzungszone, sondern auch in den westlichen Zonen ein viel diskutiertes Thema waren. An der TH Hannover gaben anfangs die Briten die entsprechenden Impulse, was sich in erster Linie in Säuberungs- und Demokratisierungszielen ausdrückte. Nach einem anschließenden allgemeinen Überblick über die westdeutschen Hochschulreformdiskussionen zeigt Steffens an ihrem Fallbeispiel, dass von Seiten der Hochschule besonders intensiv um die Punkte Verfassungsfrage, die Stellung der Nichtordinarien und den Zugang zum Studium ohne Abitur gestritten wurde, diese Ziele am Ende aber kaum eine Chance auf Umsetzung hatten. Damit lag Hannover im westdeutschen Trend und so kommt Steffens zum Schluss: „Aufgabe der Hochschule, auch der TH Hannover, war nach Auffassung der meisten Akteure die Ausbildung einer verhältnismäßig kleinen ‚Elite‘, nicht die Klassifizierung der ‚Massen‘.“ (S. 338)

Den Abschluss der Untersuchung bildet die Betrachtung der Festkultur an der TH in der Nachkriegszeit. Die „öffentliche Inszenierung von Bescheidenheit und die Bekräftigung ihrer Nähe zur restlichen Bevölkerung“ (S. 345) steht unmittelbar nach Kriegsende im Vordergrund. Akademische Feiern finden ab 1947 mit der feierlichen Immatrikulation und den Rektoratswechseln wieder regelmäßig statt, wobei die Professoren bis 1956 auf das Tragen der Talare verzichten. Die große Jubiläumsfeier 1956 und den dortigen Umgang mit der NS-Vergangenheit zeigt Steffens abschließend als ein typisches Beispiel für die 1950er-Jahre. Sie hebt hervor, dass die Zeit des Nationalsozialismus während der Feierlichkeiten weitestgehend unerwähnt blieb und sich nur in den direkten Folgen des Krieges äußerte, so beispielsweise in der Zerstörung der Hochschulinfrastruktur. Die NS-Protagonisten und ihre Opfer blieben unerwähnt, zu den Leidtragenden wurden das deutsche Volk und insbesondere der deutsche Wissenschaftler erhoben. Die Vermittlung von Werten der Demokratie und des Grundgesetzes fehlte meist völlig.

Mit ihrer großen und vielfältigen Darstellung eines Teils Hannoveraner Hochschulgeschichte hat Frauke Steffens eine beachtliche Leistung hervorgebracht, die, wie eingangs erwähnt, auch für Leser ohne Bezug zur TH bzw. Universität Hannover sehr ertragreich ist.

Sie stellt abschließend fest, dass sich die Merkmale der TH in der Nachkriegszeit in einer modernen und einer konservativen Traditionsorientierung äußern. So hebt sie positiv hervor, dass die Errichtung einer akademischen Selbstverwaltung, die Wiederbelebung internationaler Verflechtungen und die Orientierung am internationalen Wettbewerb hinsichtlich der Forschung Beispiele für den gelungenen Wiederaufbau der TH Hannover waren. Dem gegenüber stand eine unzureichende Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit. Fanden nach 1945 durch den akademischen Senat zwar die Rehabilitierung von fünf aus „rassischen“ Gründen entlassenen Hochschulangehörigen statt und wurden die Verleihungen von Ehrendoktorwürden in der Zeit von 1933-1945 kritisch überprüft, war eine „inhaltliche Auseinandersetzung mit politischer Verantwortung der Hochschule als Institution, mit der Ausgrenzung und Vertreibung Hochschulangehöriger oder auch mit der Etablierung des Führerprinzips“ (S. 71) in den Nachkriegsjahren nicht gegeben. Einen Ausblick auf das Umdenken und die Kontroversen nach 1956 hinsichtlich der eigenen NS-Geschichte gibt Steffens dann abschließend und kommt zum Schluss, dass der Nationalsozialismus „schließlich doch noch als Teil der Universitätsgeschichte anerkannt werden konnte“ (S. 385).