Titel
Accountability, Pragmatic Aims, and the American University.


Autor(en)
Martínez-Alemán, Ana M.
Erschienen
New York 2011: Routledge
Anzahl Seiten
132 S.
Preis
£ 90.00
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Philipp Gonon, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich

Dass die Rolle der Universität in der Gesellschaft und ihr Selbstverständnis immer wieder Anlass für öffentliche Debatten bietet, ist angesichts der stetig wachsenden Bedeutung dieser altehrwürdigen Bildungsinstitution kaum überraschend. Seit den 1970er-Jahren ist der Hochschulbereich weltweit massiv expandiert und so stellt sich auch in den deutschsprachigen Ländern beispielsweise die Frage, ob die hiesigen Universitäten genügend „Exzellenz“ ausweisen und ob die Umstellung auf Bachelor und Master tatsächlich die erwünschte gesteigerte Mobilität der Studentinnen und Studenten bewirkt.

Die Arbeit von Ana Martínez-Alemán, assoziierte Professorin für „Higher Education“ am Boston College, skizziert die Entwicklung der amerikanischen Hochschulen, genauer die Forschungsuniversität, ausgehend von einer kritischen Haltung, die sie gleichsam mit John Deweys’ Pragmatismus eng führt und mit liberalen Zielsetzungen und gesellschaftlichem Fortschritt in Zusammenhang bringt. Mit Bezug auf eine Textstelle aus seiner mittleren Schaffensperiode, in welcher Dewey zu den damaligen Colleges Stellung nahm, formuliert die Autorin ganz im pragmatischen Geiste ihre Kritik und Reformperspektive nicht von den Absichten der Akteure her, sondern ausgehend von den Konsequenzen ihrer Handlungen. Dewey steht nicht als historische Figur im Zentrum, sondern in erster Linie als Vertreter der Werte des amerikanischen Liberalismus. Dieser wende sich – so suggeriert die Autorin wohl nicht ganz zu Unrecht – gegen eine stärkere Ökonomisierung und Verbetrieblichung der Universität. Das seien die Gefahren, die der „accountability“, der Rechenschaftspflicht von Universitäten gegenüber einer Öffentlichkeit, Geldgebern und Sponsoren anhaften.

Die knapp 110 Seiten umfassende Publikation ist in sieben Abschnitte bzw. Kapitel gegliedert. Nach einer die Argumentation in einer Übersicht entfaltenden Einführung (Kapitel 1) skizziert Martínez-Alemán die auf Demokratie auszurichtenden Ziele der amerikanischen Universität (Kapitel 2), um sich danach der wandelnden akademischen Profession und dem Unterricht an einer Universität neuen Stils (Kapitel 3 und 4) zu widmen, ehe das Aufkommen des so benannten „Managerialismus“ (Kapitel 5) und im Folgenden auch das Erbe der „Transformative Era“ (Kapitel 6) dargelegt werden. In einem Epilog (Kapitel 7) fasst sie ihre Argumentation zusammen.

Bereits diese Gliederung weist darauf hin, dass es um ein Narrativ geht, das Ursprungslegitimationen und ihre kontrastreichen Modifikationen im Verlauf der Expansion der amerikanischen Hochschulen in den Blick nimmt, zum Zwecke der Evaluation der jüngeren und jüngsten Entwicklung. Es geht Martínez-Alemán um die Spannung zwischen akademischer Autonomie und der in der Tendenz zunehmenden Rechenschaftspflicht der Universitäten. Die Autonomie sei durch mögliche oder tatsächlich erfolgte Einschränkungen für die Institution als Gesamtes aber auch für die Individuen gefährdet. Als weitere Elemente eines liberal-demokratischen Imperativs im Sinne Deweys werden die Freiheit der Forschung und die Freiheit der Kommunikation, die sie auch mit Freiheit der Lehre umschreibt, benannt. Dieser Maßstab wiederum solle an alle amerikanischen Institutionen und sozialen Organisationen angelegt werden und ergebe sich nicht etwa lediglich aus dem historisch gewachsenen Selbstverständnis der jeweiligen Universitäten.

Im Folgenden, so im Kapitel 2, wird auf die Spannung verwiesen, die zwischen wissenschaftlicher Entwicklung und Verwissenschaftlichung der Hochschulen einerseits und den demokratischen Ansprüchen andererseits bestünde. Wissenschaftliches Denken per se wurde von Dewey – und nicht nur von den Pragmatisten – als eng verknüpft oder sogar symbiotisch mit Demokratie und demokratischem Leben gesehen. Aus den durchaus auch im progressiven Geiste entstandenen Intelligenztests und dem auf Effizienz sich ausrichtenden Taylorismus hätten nun aber Ideen und Praktiken Auftrieb erhalten und seien von Universitätsangehörigen auch so vertreten worden, die sich gegen Autonomie und Freiheit gerichtet hätten. Das ungetrübte „research-service“-Paradigma, als Wissenschaft im Dienste der Demokratie, wie es sich als Ideal präsentierte, sei hiermit bereits in der formativen Ära der Universität erschüttert worden, was auch Dewey nicht verborgen geblieben sei.

Das Verständnis von Universitäten als pragmatische und liberale, einem sozialen Dienst für Gesellschaft und Öffentlichkeit verpflichtete Institutionen sollte gemäß Dewey der professionellen Autonomie der dort Lehrenden viel Spielraum belassen, so die im Kapitel 3 entwickelte Sichtweise. Ein solcher Freiraum fuße auf einer relativen Unabhängigkeit von Überprüfungen und Restriktionen von außen; eine notwendige und legitime Kontrollfunktion solle hierbei lediglich den Fakultäten selbst überlassen bleiben. Auf dieser Linie bewegen sich auch viele aktuelle professionsbezogene Stellungnahmen. Dewey hingegen sei darüber hinaus gegangen, indem er starken Wert darauf gelegt habe, der Öffentlichkeit und den Laien den Sinn und den Nutzen der Universität nahezubringen.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg habe eine stärkere Spezialisierung und Professionalisierung der Universitäten stattgefunden, welche die Expansion dieser Einrichtungen begünstigt und damit aber auch zu einem qualitativen Umschlag, zu einer Transformation, im Wesentlichen in der Zwischenkriegszeit, geführt habe. Mehr Forschung und Disziplin, bzw. Disziplinbildung, habe im Besonderen mehr Aufträge und Mittel von Seiten der Industrie generiert, wie die Autorin mit Verweisen auf Sekundärliteratur darlegt. John Dewey reagierte in seiner bereits erwähnten Stellungnahme gegenüber einer solchen „Überspezialisierung“ skeptisch und sah darin eine Beschränkung des Wissensbezuges und die Eingrenzung der intellektuellen Freiheit und Forschung. Auf der Ebene der universitären Profession, so zeigt das Kapitel 4, sei damit eine Verlagerung des Unterrichtsschwerpunktes von den „Undergraduates“, die mit grundlegenden Kenntnissen ausgestattet wurden, hin zu Studierenden eingeleitet worden, die zur Steigerung der Forschungsproduktion beitragen sollten. Auf die Begleitung und Erforschung eines neuen Typus von Studierenden sollte sich auch die weiter entwickelte empirische Psychologie der 1920er-Jahre ausrichten, die stärker die Effekte von universitärem Unterricht in den Blick nehmen sollte. Diesem Trend stand Dewey insofern positiv gegenüber, als er damit die Hoffnung verband, dass neue Fragen und Fakten mit einer praktischen Zielsetzung daraus zu gewinnen waren, und die Forschung als soziales Projekt mit Ausrichtung auf Verbesserung im Vordergrund stand. Ein solch informierter Unterricht würde ähnlich wie Kunst neue Horizonte öffnen, ja in diesem Sinne seien Erziehung und Unterricht die engste Verknüpfung von Wissenschaft und Kunst. Im Kontrast zu solcherlei Vorstellungen entwickelte sich in der gleichen Zeit eine „business ideology“, die vor allem die Administration und Universitätsleitungen heimsuchte und zum heutigen „Managerialismus“ geführt habe. Instrumentelle Rationalität und Prozessdenken hätten hierbei die traditionellen universitären Zielsetzungen verdrängt, mit der Folge, dass Effizienz zu einem professionellen Wert für sich selbst geworden sei. Der Konflikt zwischen Management und Profession prägte und präge die moderne Universität. Der Effizienzkult und Managerialismus seien aber gemäß Dewey den genuinen Zielsetzungen einer Universität abträglich. Vielmehr sei die demokratische Gesellschaft der „moral employer“, an diese Ausgangslage zu erinnern und sich dafür einzusetzen, das liberale Imperativ der Autonomie, Freiheit der Forschung und Lehre wieder in den Vordergrund zu rücken, das sei, so die Autorin, auch die Aufgabe der heutigen Dozentinnen und Dozenten.

Die hier wiedergegebene Argumentation baut auf einer engagierten Stellungnahme, die den Ausgangspunkt der Darstellung bestimmt und nur ansatzweise auf Widersprüchlichkeiten und die Überprüfung eigener Annahmen ausgerichtet ist. Insofern geht es nicht um eine historische Rekonstruktion der amerikanischen Universität und ihres sich wandelnden Selbstbildes. Auch die Auseinandersetzung mit John Deweys Haltung zur Demokratie oder zum Liberalismus mit Blick auf die Universität bleibt vage, da die Autorin nur Ausschnitte aus seinem Werk einbringt. In einer vertiefteren Auseinandersetzung, zum Beispiel auch mit James Burnhams’ „managerial revolution“ und dem Diskurs um Management und Effizienz, auf welchen Martínez-Alemán kurz hinweist, hätte man durchaus auch die Ambivalenz zwischen progressivem Anspruch und Freiheit beschränkendem Ansatz innerhalb des „Managerialismus“, der sehr plakativ dargestellt wird, ausloten können. Zur Untermauerung ihrer These bedient sich die Autorin verschiedener soziologischer und historischer Studien, die allerdings zum Teil einem anderen Kontext entstammen bzw. auf die britischen Universitäten gemünzt sind. Das wirft wiederum die Frage auf, inwiefern es sich um ein spezifisch amerikanisches Phänomen handelt, oder aber, ob die gemanagte und vermessene Universität etwas anderes ist als eine freiheitsbeschränkende und professionsfeindliche Ideologie. Mit ihrer Haltung, sich lediglich in kulturkritischer Perspektive pragmatisch auf den Status Quo zu fokussieren, macht es sich die Autorin wohl etwas zu einfach. Der Arbeit ist jedoch zu Gute zu halten, dass sie eine bisher kaum beachtete Perspektive in den Blick nimmt und hiermit auch über den amerikanischen Kontext hinaus aktuelle Bezüge herzustellen vermag.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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