B. Maier über zwei viktorianische Orientalisten

: William Robertson Smith. His Life, his Work and his Times. Tübingen 2009 : Mohr Siebeck, ISBN 978-3-16-149995-1 VIII, 341 S. € 89,00

: Semitic Studies in Victorian Britain. A portrait of William Wright and his world through his letters. Würzburg 2011 : Ergon Verlag, ISBN 978-3-89913-855-9 378 S. € 42,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Henning Trüper, École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) Paris

Anzuzeigen sind zwei biographische Darstellungen britischer Orientalisten des 19. Jahrhunderts, die der Tübinger Religionswissenschaftler Bernhard Maier vorgelegt hat. Die erste dieser Arbeiten ist eine Biographie des schottischen Theologen, Enzyklopädisten, Semitisten und Ethnologen William Robertson Smith (1846–1894). Die zweite bietet eine Auswahl aus dem Briefwechsel des Semitisten William Wright (1831–1889), der auf etwa siebzig Seiten Einleitung biographisch vorgestellt wird.

Nach der Auslegeordnung einer kanonfixierten Ideengeschichte ist der brillante, weitläufig wirksame, in zahlreichen intellektuellen Feldern beheimatete, als Stichwortgeber Frazers, Durkheims und Freuds vielgewürdigte und vielerforschte Smith offensichtlich interessant; der Stubengelehrte Wright dagegen, dessen bedeutendste Leistung eine lange Zeit als einschlägiges Referenzwerk genutzte arabische Grammatik war, ist es nicht. Dieser Auslegeordnung ist es wohl geschuldet, wenn Maier Smith eine vollentwickelte Biographie widmet, Wright jedoch nur eine weit weniger eingehende Darstellung. Allerdings ist festzuhalten, dass zu Letzterem nun erstmals eine längere wissenschaftliche Publikation vorliegt, die über die üblichen Nachrufe und Enzyklopädie-Einträge hinausgeht. Auch die Arbeit über Smith, die erste umfassende Biographie seit der Darstellung von Black und Chrystal 19121, ist als solche verdienstvoll, insbesondere weil Maier erstmals zahlreiche in deutschen und niederländischen Archiven lagernde Korrespondenzen Smiths berücksichtigt. Beide Arbeiten beruhen auf umfangreichen Archivrecherchen in Orientalistennachlässen.

Wright, als Sohn eines schottischen Kolonialoffiziers in Nepal geboren, kam bereits in jungen Jahren als Student in St Andrews (1844–49) zu Grundkenntnissen in verschiedenen semitischen Sprachen, die er 1849–51 in Halle bei Emil Rödiger ausbaute. 1852 verbrachte er den größeren Teil des Jahres in Leiden, wo er bei Reinhart Dozy studierte und erstmals als Editor arabischer Manuskripte hervortrat. Die folgenden Jahre trieb er in Oxford Handschriftenstudien, ab 1855 lehrte er zunächst in London, dann ab 1856 am Trinity College Dublin. 1861 nahm er eine besser bezahlte Bibliothekarsstelle am British Museum an, wo er vor allem altsyrische Manuskripte katalogisierte. 1870 wechselte er auf die fachhistorisch bedeutende „Sir Thomas Adams“-Professur für Arabisch nach Cambridge, einen Posten mit knapperem Salär, das Wright durch fortgesetzte Arbeiten für das Museum aufbesserte. In Cambridge war er der hauptsächliche Lehrer einer jüngeren Generation britischer Arabisten. Seine Forschungen galten neben der arabischen Grammatik vor allem der frühen arabischen Lyrik. Er lebte zurückgezogen, ohne größere Reisen zu unternehmen, war aber zahlreichen Kollegen auf dem Kontinent durch ausführliche Briefwechsel verbunden. Sein früher Tod wurde allgemein bedauert; Nachfolger wurde der noch weniger langlebige Smith, mit dem Wright seit dessen Ankunft in Cambridge in den 1880er-Jahren zunehmend in freundschaftliche Beziehungen getreten war.

Smith, gleichfalls Schotte, entstammte einem finanziell deutlich prekärer situierten Free-Church-Landpfarrhaushalt in Aberdeenshire. Früh durch schulische Erfolge begünstigt, vollzog sich sein Werdegang zunächst innerhalb der Bildungseinrichtungen seiner Kirche, die sich 1843 wegen eines Konflikts über die Pfarrerwahl von der Church of Scotland gelöst hatte. 1866 übersiedelte Smith von Aberdeen nach Edinburgh, wo er seine Studien fortsetzte und sich vor allem auf Theologie, Mathematik und Physik konzentrierte. In den folgenden Jahren verbrachte er verschiedentlich längere Perioden an deutschen Universitäten, vor allem Göttingen, wo er bei Paul de Lagarde Arabisch studierte, von Lotze recht wenig philosophische und von Ritschl sehr weitreichende theologische Einflüsse absorbierte. Ab 1870 als Professor am Free Church College in Aberdeen, trat er als führender Vermittler der philologischen Kritik des Alten Testaments hervor, wie sie sich unter deutschen und niederländischen Theologen entwickelt hatte. Als supranaturalistischer Theologe vertrat er die Zugehörigkeit der Theologie zum einheitlichen System der Wissenschaften und die Vereinbarkeit göttlicher Offenbarung mit wissenschaftlicher Erkenntnis. Die Bibel sah er als historisches Relikt an, das jedoch zugleich Evidenz einer einstmals historisch erfolgten Offenbarung sein sollte. Befreundet mit dem Ethnologen J. F. McLennan, der den Begriff des „Totemismus“ prägte, interessierte sich Smith für die frühen Formen religiöser Praktiken im semitischen Heidentum, um zu belegen, dass der kulturelle Übersprung in eine monotheistische Religion mit persönlichem Gott einerseits nicht ohne Offenbarung, andererseits nicht ohne Rückgriff auf den Evolutionsprozess der religiösen Kultur im Nahen Osten erklärt werden könne. Wegen seines Artikels „Bible“ in der Encyclopaedia Britannica (1875) wurde er 1877 Angeklagter eines Häresieverfahrens, das 1881 mit seiner Amtsenthebung endete. Schon während des Prozesses suspendiert, unternahm er mehrere ausgedehnte Reisen nach Ägypten und Palästina sowie in den Hijaz. 1881–88 fungierte er als Herausgeber der Encyclopaedia Britannica, ab 1883 war er zudem in verschiedenen Funktionen in Cambridge tätig. Unter Rückenmarktuberkulose leidend, waren seine letzten Jahre von fieberhafter Publikationstätigkeit geprägt, aus der vor allem seine Arbeiten zur vorislamischen arabischen Religion und seine Synthese „Lectures on the Religion of the Semites“ große Bekanntheit erlangten.

Maiers Biographie von Smith ist chronologisch aufgebaut. Seine Darstellung Wrights präsentiert zunächst einen Lebenslauf, dann entwickelt sie verschiedene Kontextualisierungen, die Maier als „lifework“ der Philologie und „environment“ institutioneller und kultureller Faktoren aufgliedert. In der Darstellung Smiths dagegen sind kontextualisierende Exkurse in die einzelnen Kapitel eingebettet. Beide Arbeiten sind fast vollständig aus den Quellen entwickelt und enthalten zahlreiche, manchmal in Länge und Dichte der Aufeinanderfolge exzessive Zitate, die vor allem den Briefwechseln entnommen sind. Eine Fragestellung im engeren Sinn entwickeln beide Arbeiten nicht. Maier vertraut auf die Wirksamkeit vornehmlich narrativer Darstellung.

Gerade in der Arbeit über Smith zeigen sich Probleme dieses Verfahrens. Wiederholt kommt es zu kleineren Redundanzen, wenn Einzelnes infolge thematisch bedingter Abweichungen von der Chronologie doppelt erzählt wird. Je nach Quellenlage entstehen auch Ungleichgewichte; etwa gerät die Darstellung von Smiths Kindheit recht ausführlich, während manchen seiner wissenschaftlichen Arbeiten viel weniger Raum zugestanden wird. In der Wahl der Kontexte unterlaufen mitunter zweifelhafte Entscheidungen. So kann man sich fragen, ob etwa eine Darstellung des Kontexts ethnologischer Forschungstendenzen in Edinburgh in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer Erläuterung der Werke Thukydides’ und Herodots einsetzen muss (Smith, S. 76). Manche von Smiths zahlreichen Freunden werden ausführlich porträtiert, ohne dass ihrer Darstellung dann noch eine weitere Funktion eignete.

Die Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur gerät recht einseitig. Vor allem die biographische, regionalhistorische und theologiegeschichtliche Literatur integriert Maier in seine Darstellung. Aber eine Verortung im Feld der Literatur zur Geschichte der orientalischen Studien oder der Philologie findet in beiden Bänden nur rudimentär statt. Wissenschaftshistorisch hätte dabei der Kontrast von Wright und Smith Anlass zu interessanten Fragestellungen geboten. Smiths Monographien waren zumeist umgearbeitete Zyklen öffentlicher Vorlesungen, die er mit großem Publikumserfolg zu halten verstand. Seine Arbeitsweise war damit eine völlig andere als die kleinteilig philologische Wrights. Während bei Smith die anthropologisch-historische Spekulation nach Anleitung philologischer Befunde im Vordergrund stand und der Anschluss an die Debatten in der Theologie stets eng blieb, war bei Wright die penible Beobachtung von Grammatik und Text Selbstzweck und die Theologie gemiedenes Terrain. Arbeitsweise und Gegenstände dieses trockenen, selbstbeschränkenden Unternehmens erfasst Maier letztlich mit viel geringerer Genauigkeit als die großen Ideen Smiths.

Das Problem des „Orientalismus“ wird nicht erwähnt, obwohl gerade Smith auch zu den Zielscheiben Edward Saids gehört hatte.2 Auch eine Analyse der verschwisterten Ressentiments gegenüber dem „semitischen“ Orient und den europäischen Juden – zentral für die Fachgeschichte im 19. Jahrhundert3 – unternimmt Maier nicht. Doch hätten sich gerade hier vielleicht auch zentrale Unterschiede zwischen den Tendenzen der deutschen und der britischen Orientalistik herausarbeiten lassen. Sowohl Wright als auch Smith waren eng mit Lagarde verbunden. Dessen antisemitische Schriften begrüßten sie nicht mit Beifall; aber eine eingehendere, auch kontextualisierende Diskussion unterlässt Maier, weil in den Briefwechseln kein ernsthafter Konflikt entsteht – womit jedoch eher auf die Grenzen von Briefen als Quellengattung hingewiesen ist als auf die Unerforschbarkeit der Haltungen Wrights und Smiths zu Lagardes Polemiken. Und wenn etwa Theodor Nöldeke der spekulativen Darstellung nahöstlicher Ritualreligionen bei Smith nicht viel abgewinnen mag, um im gleichen Atemzug auf den (seit den Arbeiten des allseits unbeliebten Renan) topisch gewordenen Gegensätzen zwischen Indogermanen und Semiten zu beharren, dann beschweigt Maier die implizite Ausrichtung von Smiths Arbeiten gegen gerade diese Gegensätze (zum Beispiel Smith, S. 238).

Die Frage nach der politischen Rolle einer „liberalen“ und philologisch-kritischen Theologie des Alten Testament wird ebenfalls nicht diskutiert, obwohl sie sich zu einer genaueren Bestimmung der unterschiedlichen Einfügungen deutscher und britischer (oder schottischer) theologischer Diskurse in den weiteren kulturellen Kontext geeignet hätte. Den Wechselbeziehungen der kontinentalen und der britischen Gelehrsamkeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geht Maier eher punktuell als systematisch nach, obwohl hier mit Wright und Smith höchst interessante Fälle vorliegen. Dass kollegiale Netzwerke auch über den Ärmelkanal hinweg bestanden, ist ja als bloße Tatsache nicht neu. Die unterschwelligen Spannungen jedoch, die Maier durchaus an einigen Stellen herausarbeiten kann, so etwa in der Beziehung zwischen Smith und Julius Wellhausen, hätte man auch in anderer als allein biographischer Sicht untersuchen können, zum Beispiel mit Blick auf die Frage, wie viel methodologischer Nationalismus in den kleinen Eitelkeiten und versteckten Prioritätsansprüchen steckte, die gerade Wellhausen (vor Dritten) Smith betreffend geltend machte. Die zentrale Rolle, die der deutschen Wissenschaft des 19. Jahrhunderts immer wieder zugeschrieben wird, hat vermutlich auch mit einer aggressiven Markierung eigener Leistungen schon im 19. Jahrhundert zu tun. Von den „kosmopolitischen“ Gelehrtenfreundschaften der Epoche zeichnet Maier letztlich das allzu harmonische Bild eines „spirit of international cooperation in a period as yet largely untroubled by nationalist rivalries“ (Wright, S. 13). Das moralische Einverständnis mit dem stark idealisierten philologischen Tugendkatalog und der stillen Gelehrtenexistenz, die als normative Ordnung die Geisteswissenschaften des 19. Jahrhunderts prägten, bildet insbesondere in der Darstellung Wrights das affektive Fundament von Maiers Darstellung. Wissenschaftshistorische Debatten haben jedoch in den letzten Jahren gerade diese Aspekte des gelehrten Habitus stark problematisiert.4

Was die Arbeit über Wright angeht, bleibt noch generell ein Zweifel anzumelden, der den Nutzen von Briefauswahlbänden insgesamt betrifft. Das Format scheint jedenfalls bei Verlagen nicht unbeliebt, und selbstverständlich bieten solche Ausgaben direkten Zugriff auf Quellenmaterial, ohne dass die geneigte Leserschaft sich umständlichen Archivrecherchen widmen müsste. Zugleich wird jedoch gerade die Forschung in Form von Qualifikationsarbeiten durch derartige Ausgaben eher entmutigt, sich die meistens keineswegs ausgeschöpften Archive noch vorzunehmen. Denn der Verdacht, dass gerade die aussagekräftigsten Stücke aus den Sammlungen bereits herausfiletiert worden sind und nur noch zweitrangiges Material verbleibt, ist nur durch aufwendige Nachrecherche zu überprüfen. Zudem fällt bei Maier die Kommentierung der Briefwechsel sehr sparsam aus; er bietet knappe bio- und bibliographische Angaben für die in den Briefen erwähnten Personen und Schriften, verzichtet jedoch auf Transkription und Übersetzung der arabischen und hebräischen Passagen. Angesichts der mutmaßlichen Anforderungen des Verlags ist das Verfahren natürlich verständlich; aber enttäuschend bleibt es doch.

Dennoch soll durch diese kritischen Anmerkungen keineswegs bestritten sein, dass die beiden Arbeiten Maiers auch einen wertvollen Beitrag zur Forschung leisten. Gerade in der Biographie Smiths ist durchwegs die Klarheit und Prägnanz der Darstellung der intellektuellen Positionen zu loben, insbesondere dort, wo es um die theologischen Debatten der Periode geht, aber zum Beispiel auch mit Blick auf Smiths frühe mathematische und physikalische Interessen. Im Nachvollzug der Smithschen Theologie unternimmt Maier außerdem eine wichtige Abgrenzung gegenüber selektiven Tendenzen in einem Teil der bisherigen Forschungsliteratur, wo die theologische Dienstbarkeit von weiten Teilen des nicht direkt theologischen Œuvres nicht selten übersehen wurde. Das Ineinandergreifen von Ideen und Leben erfasst Maier mit ungewöhnlicher Genauigkeit, wenn auch beinahe nebenbei, indem er den Korrespondenzen des Junggesellen Smith mit Eltern und Geschwistern viel Raum lässt und die zahlreichen Todesfälle der tuberkulosegeplagten Familie genau nachzeichnet. Wright freilich gewinnt angesichts der Kürze der Darstellung, aber auch im Licht des verhalteneren Quellenmaterials, weniger Kontur. Jedoch sind auch hier Genauigkeit und Verlässlichkeit der Darstellung hervorzuheben. Am Ende lässt sich so trotz kritischer Einwände mehr als nur hoffen, dass Maiers Arbeiten auch für weitere Forschungen zur Geschichte der orientalischen Studien im 19. Jahrhundert von Nutzen sein werden.

Anmerkungen:
1 John Sutherland Black / George W. Chrystal, The Life of William Robertson Smith, London 1912.
2 Edward Said, Orientalism [1978], New York 1994, S. 234–236.
3 Besonders deutlich herausgearbeitet zuletzt von Suzanne Marchand, German Orientalism in the Age of Empire. Race, Religion, Scholarship, Cambridge 2009.
4 Vgl. besonders Lorraine Daston / Peter Galison, Objectivity, New York 2007; William Clark, Academic Charisma and the Origins of the Research University, Chicago 2006.

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