K. Malettke: Internationale Beziehungen 1648/1659–1713/1714

Cover
Titel
Hegemonie – multipolares System – Gleichgewicht. 1648/1659–1713/14


Autor(en)
Malettke, Klaus
Reihe
Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 3
Erschienen
Paderborn 2012: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
XIX, 583 S.
Preis
€ 128,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hillard von Thiessen, Historisches Institut, Universität Rostock

Mit dem Erscheinen des dritten Bandes ist das Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen für die Frühe Neuzeit, 15 Jahre nachdem der Band von Heinz Duchhardt zum Zeitraum von 1700 bis 1785 die Reihe im Jahr 1997 eingeleitet hat, komplett. Der lange Zeitraum vom Erscheinen des ersten bis zur Publikation des letzten frühneuzeitlichen Bandes erscheint angesichts des Umfangs des Gesamtvorhabens wie jeden einzelnen Bandes verständlich. Vor allem ist es sehr erfreulich, dass ein derart ambitioniertes Großvorhaben tatsächlich – wenn auch vorerst nur für die genannte Epoche – seinen Abschluss findet. Es sei deshalb erlaubt, etwas weiter auszuholen und den zu besprechenden Band in den Kontext des frühneuzeitlichen Teils der Reihe zu stellen.

Als ‚Nachzügler‘ stand Klaus Malettke mit seinem die Zeit vom Westfälischen Frieden bis zum Spanischen Erbfolgekrieg umfassenden Band vor besonderen Herausforderungen. Zum einen haben Autoren der bereits erschienenen Bände seiner Arbeit schon vorgegriffen. So holt Heinz Schilling im zweiten Band (2007), der eigentlich bis zum Dreißigjährigen Krieg reicht, in seinem Schlusskapitel weit aus und charakterisiert ausführlich und sehr konzise auch Grundtendenzen der Außenbeziehungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts – man fragte sich seinerzeit, was dem außer Details im noch zu erwartenden Band hinzuzufügen sei. Der Band von Heinz Duchhardt wiederum weist einige Überlappungen mit Malettkes Behandlungszeitraum im frühen 18. Jahrhundert auf.

Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung gerade für den hier zu besprechenden Band stellt dar, dass sich die Forschung zu den Außenbeziehungen in der Frühen Neuzeit seit 1997 rasant weiterentwickelt hat, und zwar vor allem in methodischer Hinsicht. Duchhardts Band kann im Hinblick auf die deutschsprachige Forschung als ein Meilenstein dieser Entwicklung angesehen werden, und Schillings magistrales Buch fasst sehr nachdrücklich (und etwas parteiisch) seinen Beitrag zu einer neuen Geschichte der Außenbeziehungen zusammen. Interessant ist in diesem Zusammenhang das in allen Bänden unverändert abgedruckte Vorwort der Herausgeber Heinz Duchhardt und Franz Knipping. Hierin wird betont, dass es der Reihe darum gehe, einerseits Grundwissen für einen breiten Leserkreis zusammenzufassen, andererseits eine neue Form von Diplomatiegeschichte zu bieten, die „in multiperspektivischem Zugriff wirtschaftliche, kulturelle, konfessionelle, mentale, geopolitische, strategische usw. Gegebenheiten und Interessen in die Interpretation der Internationalen Beziehungen einbezieht“. Dieses Vorwort ist in Zeiten geschrieben worden, in denen die Kulturgeschichte des Politischen, die mittlerweile auch die Erforschung der Außenbeziehungen methodisch erweitert hat, im deutschsprachigen Raum noch in den Kinderschuhen steckte; es deutet aber die sich durch den cultural turn öffnenden Forschungsfelder bereits an. Den Herausgebern der Reihe ging es darum, eine neue Form von Geschichtsschreibung zu den Außenbeziehungen zu etablieren. Unklar bleibt nur, was damit gemeint ist, dass die Autoren Fachleute „einer mittleren Historikergeneration“ seien – heißt das: zwischen (Neo-)Rankeanismus und Kulturgeschichte?

Um die Ergebnisse der Kulturgeschichte des Politischen voll mit einzubeziehen, ist die Reihe zu früh publiziert worden, was nicht gegen sie und ihren Wert spricht. Denn wann wäre der richtige Zeitpunkt, ein derartiges Vorhaben anzugehen? Gerade im Hinblick auf die Außenbeziehungen in der zweiten Hälfte des 17. und im frühen 18. Jahrhundert erschienen erst in jüngster Zeit kulturgeschichtliche Untersuchungen in größerer Zahl.1 Ihre Berücksichtigung war im hier zu besprechenden Band nicht in großem Umfang zu erwarten – aber man hätte doch deutlich mehr erhofft, als der Autor auf diesem Feld bietet. Zunächst jedoch zu seinen Stärken. Klaus Malettke vermag sein breites Wissen über die Diplomatie und die Außenbeziehungen dieser Zeit vor dem Leser zu entfalten, insbesondere, seinen Forschungsinteressen entsprechend, die französische Außenpolitik und die hinter ihr stehenden Konzepte sowie die Verhältnisse im Alten Reich. Sehr ausführlich dargestellt wird Richelieus Projekt eines Universalfriedens mitsamt der Frage, inwieweit diese Konzeption nachfolgend die französische Außenpolitik beeinflusste. Konsequenter als die anderen Autoren der Reihe berücksichtigt Malettke außereuropäische Akteure, und zwar sowohl in ihren Verflechtungen mit europäischen Mächten als auch als Akteure in regionalen Subsystemen. Dabei entsteht dennoch ein insgesamt eurozentrischer Entwurf, da der Schwerpunkt klar auf den staatlichen Außenbeziehungen europäischer Mächte liegt. Die Menge an Fakten, die Malettke zusammenträgt und deutet, nötigt dem Leser – trotz eines mitunter etwas schwerfälligen Stils – Respekt ab.

Seine methodische Perspektive allerdings enttäuscht, und zwar sogar noch im Vergleich zum ersten Band von 1997. Der Autor ist noch stark der klassischen Staatenweltperspektive verpflichtet, die primär Staaten und ihre Regierungsapparate als Akteure betrachtet. Für den Verfasser ist die Geschichte der Internationalen Beziehungen vor allem die Genese des europäischen Staaten- bzw. Mächtesystems. Das seit der Etablierung des Modells der transnationalen Beziehungen in der Forschung zu findende Interesse an einer Vielfalt grenzüberschreitender Akteure ist im Band ebenso marginal vertreten wie Aspekte interkultureller Beziehungen oder symbolischer Kommunikation. Staat und Staatsbildung sind die Ellen, an denen die Geschichte der Außenbeziehungen gemessen wird, auch wenn diese Perspektive passagenweise relativiert wird, etwa bei der Behandlung der außenpolitischen Aktivitäten der klevischen Landstände. Methodische Konsequenzen zieht der Verfasser aus derlei Befunden aber nicht. Mitunter werden nichtstaatliche Akteure im Text geradezu abgekanzelt, so etwa polnische Magnaten, die sich „anmaßten“, ihre „Partikularinteressen“ mittels „Privatdiplomatie“ zu betreiben (S. 212). Zeremonialkonflikte nimmt Malettke als genuin politische Auseinandersetzungen nicht ernst, sondern charakterisiert sie als Störungen, so etwa in seinen Ausführungen zur Frankfurter Konferenz von 1681 (S. 391).

Alles in allem hätte man vom letzten frühneuzeitlichen Band einer Reihe, die ihren Beitrag zur methodischen Erweiterung der Geschichte der Internationalen Beziehungen geleistet hat, mehr Offenheit gegenüber der seit einiger Zeit sehr dynamischen Forschungslandschaft erwarten dürfen. Doch auch kulturwissenschaftlich arbeitende Historiker/innen werden dankbar zur Kenntnis nehmen, dass nun endlich eine zuverlässige und faktenreiche Darstellung der Mächtebeziehungen für die Zeit vom Westfälischen Frieden bis zum Spanischen Erbfolgekrieg vorliegt. Eine Geschichte dieses Zeitraums, die grenzüberschreitende Beziehungen in ihrer ganzen Vielfalt erfasst, ist gleichwohl noch zu schreiben.

Anmerkung:
1 Vgl. etwa Matthias Köhler, Strategie und Symbolik. Verhandeln auf dem Kongress von Nimwegen, Köln 2011; Tilmann Haug, Vertrauen und Patronage in den diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und den geistlichen Kurfürsten nach dem Westfälischen Frieden (1648–1679), in: Zeitschrift für Historische Forschung 39 (2012), S. 215–254; Corina Bastian, Verhandeln in Briefen. Frauen in der höfischen Diplomatie des frühen 18. Jahrhunderts, Köln 2013.

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