Titel
When Courage Prevailed. The Rescue and Survival of Jews in the Independent State of Croatia 1941–1945


Autor(en)
Gitman, Esther
Erschienen
Anzahl Seiten
299 S.
Preis
$ 21.95
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Marija Vulesica, Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin

Wenn die abendliche Hauptnachrichtensendung des kroatischen Staatsfernsehens eine neue historiografische Studie vorstellt und dazu noch die Verfasserin oder den Verfasser zum Interview ins Studio einlädt, dann lohnt es sich meistens, da genauer hinzuschauen. Und wenn die Verfasserin oder der Verfasser dazu noch ein/e ausländisch/e Historiker/in ist, dann könnte es besonders lohnend sein, zuzuschauen.

So geschehen am 29. April 2011.1 Die amerikanische Historikern Esther Gitman erhielt die Möglichkeit, ihr 2011 in den Vereinigten Staaten erschienenes Buch vorzustellen. Gitman, die einer jüdischen Familie aus Sarajevo entstammt und selbst eine Holocaust-Überlebende ist, wurde 2005 mit dem darin behandelten Thema an der City University New York promoviert.

Seit einigen Jahren stößt die Geschichte des 1941 bis 1945 existenten Unabhängigen Staates Kroatien (USK; kroatisch: Nezavisna Država Hrvatska, NDH), seiner Strukturen und vor allem der dort verübten Gewalttaten auch innerhalb der deutschen- und englischsprachigen Wissenschaft auf erhöhtes Forschungsinteresse. Gitmans Ansatz, die Geschichte der Rettung kroatischer und bosnischer Juden darzustellen, muss zunächst als eine Bereicherung der Holocaust-Forschung gewertet werden. Ihre Idee, sich verstärkt mit dem Themenkomplex „Rettung“ zu beschäftigen und auf die „dynamics of rescue“ (S. XV) zu schauen, um so auch Kenntnis über den größeren Kontext zu gewinnen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Auch erscheint ihre Frage „What constitutes ‚rescue‘“, die in einem Unterkapitel der Einleitung diskutiert wird, sehr sinnvoll, da bekanntlich die Formen von Solidarität und Hilfe und somit auch die des Widerstandes in totalitären Staaten durchaus vielfältig und variabel sein können. Etwas befremdlich mutet allerdings Gitmans Großzügigkeit gegenüber all dem, was sie als Rettung oder Hilfe mit in ihre Betrachtung aufnimmt, an. So argumentiert sie etwa, dass auch private Hilfsmaßnahmen, bei denen Geldzahlungen getätigt wurden, als Rettungsaktionen zu betrachten (S. XIV) seien.

Gitman steigt mit der Behauptung ein, dass „thousands of NDH citizens risked their lives and those of family members by choosing to assist in the rescue of Jews“ (S. XVI), und zwar trotz der Lebensgefahr, in die sich die Retter begaben – im USK galt Hilfe für Juden als Hochverrat und wurde mit dem Tode bestraft. Der provokante Einstieg, der zunächst wenig plausibel erscheint, macht gespannt auf Gitmans Beweisführung.

Nach der Einleitung folgen sechs Kapitel, in denen neben dem Versuch einer Vorgeschichte (Kapitel 1) unterschiedliche Akteure und Organisationen, die an der Rettung kroatischer und bosnischer Juden beteiligt waren, näher dargestellt werden. Spätestens hier, im ersten Kapitel, das die Geschichte des ersten Jugoslawien 1918 bis 1941 behandelt, ahnt man, warum Gitman ihr Buch in den kroatischen Abendnachrichten vorstellen durfte: Gitman folgt mit überholter und eindimensionaler Schilderung der kroatischen Geschichte vor und während des Zweiten Weltkriegs einem nationalistischen Narrativ, wie es innerhalb einiger Kreise der kroatischen Historiographie immer noch gepflegt wird: Kroatien habe sich zwar 1918 aus der österreich-ungarischen Monarchie befreien können, habe sich aber anschließend in einem erneuten Zustand der Unselbstständigkeit im serbisch dominierten Jugoslawien wiedergefunden. Ihre Verweise auf die kroatischen Bauern, die „allen“ Serben misstraut hätten (S. 16) und die gehofft hatten, eines Tages werde ein unabhängiger kroatischer Staat entstehen, der sie besser behandeln würde (S. 16), entsprechen einer undifferenzierten und bewusst einfach gehaltenen Betrachtung der kroatischen Geschichte.

Mit ihren Verweisen auf den Antisemitismus verfolgt die Autorin ein weiteres zweifelhaftes Ziel: Indem Antisemitismus ausschließlich als ein von den deutschen Nationalsozialisten nach Jugoslawien exportiertes Gedankengut dargestellt wird (S. 12f., 17), unterstellt sie, dass Judenfeindschaft in Kroatien bis dahin unbekannt war. So behauptet sie, die antisemitischen Gesetze der jugoslawischen Regierung von September 1940 seien auf deutschen Druck hin verabschiedet worden (S. 14). Sie waren aber das Produkt einiger durchaus freiwillig antisemitisch eingestellter jugoslawischer Politiker.2 Nach Gitman waren lediglich die Volksdeutschen und muslimische Geistliche in Bosnien für den Antisemitismus empfänglich (S. 13). Diese Behauptung bleibt freilich ohne Beleg.

In den Kapiteln zwei bis sechs stellt Gitman Wege und Möglichkeiten der Rettung kroatischer und bosnischer Juden dar. Sie beschreibt, wie „ordinary citizens“ den Juden halfen oder sich mithilfe sogenannter Petitionsbriefe für Juden einsetzten (S. 33f, 35–40). Auch zeigt sie, dass es sogar Ustaša-Funktionären, wie dem Leiter des Judenreferats Vilko Kühnel (und nicht Kuhnel wie Gitman schreibt), möglich war, an der Rettung der Juden zu partizipieren. So stellte dieser beispielsweise mehr als zweitausend Visa aus, mit denen Juden in die italienisch besetzte Zone ausreisen konnten (S. 44–47).

Während die Kapitel 5 (über die italienische Politik gegenüber den Juden) und Kapitel 6 (über die Leistung der Partisanen) informativ und weitgehend wertneutral gehalten werden, verfällt Gitman in Kapitel 4 einer nahezu apologetischen Ansicht über den mittlerweile selig gesprochenen Zagreber Erzbischof jener Zeit und späteren Kardinal Alojzije Stepinac (S. 93–126).

Über Stepinac und sein Verhältnis zur Ustaša-Führung, zu den begangenen Verbrechen und zu den verfolgten Juden und Serben im USK wird seit Jahrzehnten diskutiert. Auch wenn zahlreiche Hinweise dafür sprechen, dass Stepinac Juden geholfen hat, so bleibt auch evident, dass er die Möglichkeiten, die ihm sein Amt und seine Autorität boten, nicht in dem Maße zur Rettung von Juden (und Serben) nutzte, wie er es gekonnt hätte. Gitman scheint Alojzije Stepinac im Kapitel verklären und vor jeglicher berechtigter Kritik schützen zu wollen. Sie gesellt sich damit zu jenen kroatischen Historikern, die die Kroaten im Allgemeinen und Stepinac im Besonderen als eine Art Opfer der Geschichte darstellen, die selbst nie als handelnde und verantwortliche Akteure aufgetreten waren.

Gitmans Studie trägt unverkennbar apologetische Züge. Ihre Absicht, die Nazis und Adolf Hitler als treibende Kraft hinter dem Holocaust im USK (S. 27, 31) auszumachen und die Rolle und Bedeutung der Ustaša dabei nicht ausreichend hervorzuheben, ist offensichtlich. Vor allem für das bosnische Territorium betont sie wiederholt, dass die Kontrolle und die Macht bei den Deutschen und ihren Verbündeten, den Volksdeutschen und den Muslimen, gelegen habe (S. 77–79). Sie transportiert die Botschaft, die meisten Kroaten seien gegen die Ustaša gewesen (S. 97) und „Tausende“ von ihnen hätten den Juden geholfen. An zwei Stellen im Buch behauptet Gitman, Deutschland und Italien hätten den Unabhängigen Staat Kroatien (USK) im April 1941 proklamiert (S. 22, 27), womit sie wiederum jegliche Verantwortung für die Verbrechen des USK an die höher gelegenen Stellen, nämlich an die italienischen und deutschen Besatzer, delegiert. Dagegen wurde der Staat am 10. April 1941 durch den Stellvertreter Pavelićs, Slavko Kvaternik, proklamiert.

Mehr als achtzig Prozent der kroatischen und bosnischen Juden wurden zwischen 1941 und 1945 ermordet.3 Dass Gitman für ihre Studie den Titel „When Courage Prevailed“ wählt, ist daher grob fahrlässig. Wie kann Mut überwogen oder sich durchgesetzt, wenn gleichzeitig mehr als 30.000 kroatische und bosnische Juden in den kroatischen und deutschen Vernichtungslagern ermordet wurden?

Folgerichtig weist Gitmans Buch methodologische Unzulänglichkeiten auf. Dazu gesellen sich auch sachliche Fehler, wie etwa die Behauptung, der jugoslawische König Aleksandar sei 1935 (richtig: 1934) ermordet worden (S. XVII). Oder, dass die jugoslawischen Juden erstmals 1919 rechtlich gleichgestellt worden seien (richtig: Dalmatien 1867, Kroatien-Slawonien 1873, Serbien 1888, S. 3). Oder Ernst von Weizsäcker, deutscher Botschafter beim Heiligen Stuhl von 1943 bis 1945, sei später deutscher Bundespräsident gewesen (S. 125). Im Appendix finden sich einige Kopien von Dokumenten, die den erklärenden Überschriften nicht entsprechen, fehlerhaft und unklar sind (S. 201–205). Darüber hinaus enthält das Buch zahlreiche orthographische Fehler, die durch ein sorgsames Lektorat hätten vermieden werden können.

Gitmans Studie ist höchst problematisch. Die Autorin hätte ihren Lesern (und der Forschungslandschaft) einen größeren Dienst erwiesen, hätte sie die gebotene Distanz zu ihrem Forschungsgegenstand gewahrt. Der Unabhängige Staat Kroatien war ein Unrechtsstaat, in dem komplexe Strukturen vorherrschten. Widerstand und Verweigerung, auch innerhalb des Staatsapparats, waren möglich. Davon zeugen nicht zuletzt auch die 147 als „Gerechte unter den Völkern“ anerkannten Kroaten und Bosniaken. Viele der Helfer und von Gitman als Retter bezeichnete Personen waren in Widersprüche verwickelt. Dies aufzuzeigen wäre in jedem Fall weiterführender gewesen als der Versuch, einzelne Akteure wie Stepinac zu verteidigen.

Auf die Frage der kroatischen Fernsehmoderation, ob sich Gitman im Klaren darüber sei, dass ihr Buch viele Kontroversen auslösen werde, antwortete sie: „Ich bin keine junge Historikerin, die Angst hat, keine Arbeit zu finden.“ Ein wahrlich interessanter Beitrag der Abendnachrichten. Mehr leider nicht.

Anmerkungen:
1 <http://www.youtube.com/watch?v=s-95yn4qcvE> (20.08.2012).
2 Narcisa Lengel-Krizman, Numerus clausus-jesen 1940, in: Časopis za suvremenu povijest, 38 (2006) 3, S. 1007–1012.
3 Ivo Goldstein, Holokaust u Zagrebu, Zagreb 2001.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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