N. Möllers u.a. (Hrsg.): Past and Present Energy Societies

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Titel
Past and Present Energy Societies. How Energy Connects Politics, Technologies and Cultures


Herausgeber
Möllers, Nina; Zachmann, Karin
Reihe
Science Studies
Anzahl Seiten
338 S., zahlr. Abb.
Preis
€ 37,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger Graf, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Ruhr-Universität Bochum

Die Sicherheit der Energieversorgung und das Nachdenken über Energie verhalten sich antizyklisch zueinander: Immer wenn Energie knapp oder problematisch wird, steigt die Reflexion über sie sprunghaft an. Das war in den 1970er-Jahren so und ist gegenwärtig wieder der Fall, seit spätestens durch den Atomausstieg die so genannte Energiewende in aller Munde ist. Auch die Energiegeschichtsschreibung expandiert seit einigen Jahren. In diesem Feld haben jetzt Nina Möllers und Karin Zachmann einen instruktiven Sammelband über „Past and Present Energy Societies“ vorgelegt, der auf eine Tagung des von Helmuth Trischler und Karin Zachmann geleiteten, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekts „Objekte des Energiekonsums“ in München im Januar 2011 zurückgeht.1 Grundsätzlich kann man sich der Energieproblematik entweder von der Produktions- oder von der Verbrauchsseite nähern; der Schwerpunkt des Bandes liegt auf letzterer: Nach der Einleitung von Karin Zachmann versammelt er in drei Teilen zehn jeweils auf neuen Forschungsarbeiten basierende Beiträge zu (1.) kulturellen Repräsentationen von Energie, (2.) Energiekonsumpraktiken und (3.) gesellschaftlichen Wahrnehmungen von Energieressourcen.

Im ersten Teil untersucht zunächst Nina Möllers die (Re-)Präsentationen von Energie auf verschiedenen Weltausstellungen – von Chicago im Jahr 1893 bis zur internationalen Energieausstellung in Knoxville 1982. Dabei lehnt sie sich systematisch an David Nyes Unterscheidung verschiedener Energienarrative an und zeigt überzeugend, wenn auch nicht überraschend, dass die Ausstellungen von einem „narrative of abundance“ beherrscht gewesen seien, neben das in den 1970er-Jahren ein „narrative of scarcity“ getreten sei, das aber 1982 wieder eingehegt und verdrängt worden sei. Sophie Gerber untersucht die Marketingstrategien deutscher Elektrizitätsunternehmen im 20. Jahrhundert vor allem am Beispiel der Bewag und argumentiert, dass bis in die 1960er-Jahre der Fokus der Werbung auf Elektrogeräten und ihrem Nutzen im Haushalt gelegen habe. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei zunehmend versucht worden, Elektrizität mit Modernität, Freiheit, Freizeit und Fortschritt zu verbinden, was unter dem Eindruck der Ölkrisen in den 1970er-Jahren um die Komponente des vernünftigen und sparsamen Energieverbrauchs ergänzt worden sei. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Ives Bouvier bei der Untersuchung der Werbefilme von Électricité de France (EDF) aus den Jahren 1946 bis 2004: Bis 1973 zeigten die Filme vor allem die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten der Elektrizität, während der Schwerpunkt später darauf lag, Vorschläge für den sparsameren Umgang mit ihr zu machen. In den 1990er-Jahren sei dann erneut der Komfort durch elektrische Geräte betont worden.

In der Sektion zu den Praktiken des Energiekonsums verbindet Nina Lorkowski die Geschichte eines Elektrogeräts gekonnt mit der Untersuchung unternehmerischer Strategien sowie privater Hygienevorstellungen und Körperpraktiken. Um die Kraftwerkskapazitäten außerhalb der hauptsächlichen Strombedarfszeiten besser zu nutzen, bewarben und vermieteten Elektrizitätsunternehmen seit den 1920er-Jahren Warmwasserspeicheröfen, die das Wasser nachts wärmen sollten, um dann tagsüber ein Bad zu ermöglichen. Lorkowski zeigt, wie diese Boiler in einem komplizierten und wechselhaften Aneignungsprozess durch die Konsumenten letztlich zu einer Steigerung des Elektrizitätsbedarfs tagsüber führten. Mathias Mutz beschreibt die Einführung der Sommerzeit in der Bundesrepublik und der DDR im Jahr 1980 als Maßnahme des „social engineering“, die weniger auf den konkreten Energiespareffekt abgezielt, sondern eher symbolische Funktion gehabt habe und durch Argumente für eine höhere Lebensqualität motiviert worden sei. Dies ist überzeugend dargelegt, aber Mutz hätte genauer erklären müssen, warum er die Infragestellung und Veränderung des Zeitregimes trotzdem als „tiefe Verunsicherung“ der Gesellschaft interpretiert (S. 183). In einem stärker politik- bzw. sozialwissenschaftlichen Beitrag untersuchen dann Karl-Michael Brunner, Anja Christanell und Markus Spitzer auf der Basis von 50 qualitativen Interviews das gegenwärtige Energiekonsumverhalten von Haushalten mit niedrigen Einkommen in der Stadt Wien. Auch wenn man das politische Anliegen der Autoren teilen mag und ihre These zutrifft, dass Energiekonsum sozial differenziert ist, enttäuscht der Beitrag doch durch eine Reihe unreflektierter Annahmen und Wunschdenken.

Die im dritten Teil des Bandes unter dem Titel „Societal Perceptions of Energy Resources“ zusammengefassten Beiträge sind heterogener als die Aufsätze der vorangegangenen Teile und weiten die Perspektive zudem in geographischer Hinsicht aus. Helena Ekerholm behandelt die fehlgeschlagene Einführung von Holzgas als Autotreibstoff in Schweden von 1930 bis 1945. Im Wesentlichen zur Stützung der heimischen Holzwirtschaft eingeführt, sei der störanfällige Holzvergaser nur unter den Bedingungen des Zwangs im Zweiten Weltkrieg intensiver genutzt worden – und danach wieder verschwunden. Valentina Roxo untersucht die weitgehende Abwesenheit ökologischer Erwägungen beim Ausbau der westsibirischen Ölförderung, die seit den 1970er-Jahren erfolgt sei, um die angeschlagene sowjetische Wirtschaft in Zeiten steigender Ölpreise mit Devisen zu versorgen. Roxo, deren Darstellung der Parallelentwicklung im Westen oft oberflächlich bleibt, argumentiert, dass auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion der nun zunehmende Umweltdiskurs keinen Einfluss auf die Politik gehabt habe. In einem vor allem theoretisch interessanten Beitrag zeigt Tomas Moe Skjølsvold, dass in Schweden und Norwegen weniger die Öffentlichkeit Einfluss auf den Ausbau der Bioenergie nahm als vielmehr die von Unternehmern und Politikern imaginierte Öffentlichkeit. Deren unterschiedliche Wahrnehmung macht der Autor für den verschieden starken Ausbau der Bioenergie in den beiden Ländern verantwortlich. Abschließend untersucht Silvana Bartoletto in einem Beitrag, der als wirtschaftshistorische Längsschnittstudie etwas aus dem Konzept des Bandes herausfällt, das Verhältnis von Energie und Wirtschaftswachstum in Europa von 1800 bis zur Gegenwart.

Insgesamt ist „Past and Present Energy Societies“ ein kohärenter Band, dessen Beiträge um das Verhältnis von Energie, Technologie und Gesellschaftsentwicklung kreisen und allesamt originäre Forschungsleistungen präsentieren. Viele der Beiträge zeigen den Nutzen einer Untersuchung des Energiekonsums sowohl in wirtschafts- als auch in gesellschafts- und politikgeschichtlicher Perspektive. Sie belegen an zahlreichen Beispielen zudem den Einschnitt, den die 1970er-Jahre zumindest im Nachdenken über Energie bedeuteten, reflektieren allerdings nicht, dass und inwiefern sie mit der Formulierung des engen Zusammenhangs von Energie- und Gesellschaftsentwicklung selbst in der Wirkungsgeschichte dieser Transformation stehen. In ihrer Einleitung geht Karin Zachmann von der Prämisse aus „that energy might fundamentally drive history“ (S. 9) und fasst dann souverän die sozialwissenschaftliche Theoriebildung zu Energie und Gesellschaft seit Karl Marx zusammen. Diese sei lange Zeit von der deterministischen Vorstellung beherrscht gewesen, dass ein höherer Energieverbrauch zugleich auch eine höhere Gesellschaftsentwicklung bedeute. Erst durch die Energiekrisen der 1970er-Jahre sei diese „energy-civilization-equation“ ins Wanken geraten und habe kritischeren Einschätzungen des Verhältnisses von Energie und Gesellschaft Platz gemacht.

Dies ist eine völlig richtige ideen- und wissenschaftsgeschichtliche Diagnose, aber man kann noch über sie hinausgehen. Denn erst als Energieversorgung in den 1970er-Jahren kritisch zu werden schien, wurde es populär, Gesellschaften im Medium ihres Energiekonsums zu beschreiben. Während sozialwissenschaftliche Energietheorien zuvor eher obskur geblieben waren, explodierte im Zeichen der Ölkrisen mit dem politischen auch das wirtschafts- und gesellschaftswissenschaftliche Interesse an Energie, das sich unter anderem in der Gründung von Zeitschriften wie „Energy Policy“, „Resources Policy“ (beide 1974) oder „Annual Review of Energy“ (1976) niederschlug. Wie immer bei der Neuformierung wissenschaftlicher Disziplinen betonten die Protagonisten den politischen und gesellschaftlichen Nutzen ihres Tuns und beschrieben „Energie“ als alles bestimmende, gesellschaftskonstituierende Kraft. Damit übernahmen sie letztlich ein Argument, das schon lange vorher die Energieunternehmen in ihren PR-Strategien genutzt hatten. Diese gedankliche Figur kehrt jetzt in der Energiegeschichtsschreibung unter veränderten Vorzeichen wieder; so auch im vorliegenden Band, der den Begriff der „energy societies“ schon im Titel trägt. Die Autorinnen und Autoren sprechen von einer „high-energy society“ (S. 79, S. 141), einer „high-tech society“ (S. 195) oder eben davon, dass Energie die Geschichte antreibe. Diese Begriffe sind nicht nur angesichts ihres Reduktionismus fragwürdig, sie konfligieren auch mit der ebenfalls an vielen Stellen formulierten These, dass Energie ein soziales Konstrukt sei (zum Beispiel S. 109). Genauso bleibt unklar, was die wiederholt auftauchende „high-energy (consumption) mentality“ (zum Beispiel S. 69, S. 92) jenseits der Praxis des hohen Energiekonsums sein soll und welche explanatorische Funktion der Begriff erfüllt. Trotz dieser Einwände handelt es sich bei „Past and Present Energy Societies“ um einen überaus anregenden Band, dessen Lektüre jedem empfohlen sei, der sich mit Energie in historischer Perspektive beschäftigt.

Anmerkung:
1 Siehe den Bericht von Simone Stirner und Katalin Tóth: Tagungsbericht Deified – Damned – Depleted. Energy as Resource, Symbol and Consumer Good. 20.01.2011-22.01.2011, München, in: H-Soz-u-Kult, 07.04.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3603> (31.08.2012), sowie die Website des Verbundprojekts: <http://www.energiekonsum.mwn.de> (31.08.2012).