Cover
Titel
Burned Bridge. How East and West Germans Made the Iron Curtain


Autor(en)
Sheffer, Edith
Erschienen
Anzahl Seiten
357 S.
Preis
€ 22,00 / £18.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Ploenus, Historisches Seminar, Technische Universität Braunschweig

Die Geschichte der innerdeutschen Grenze hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht eben wenig publizistische Aufmerksamkeit erfahren. Wenn Edith Sheffer zu Beginn ihres Buches anmerkt, diese Geschichte sei „under-researched“ (S. 11), dann muss das doch etwas relativiert werden. Es sind zwar nicht immer fachwissenschaftliche Untersuchungen, die sich dem Thema widmen. Die Vielzahl höchst ambitionierter und wichtiger Arbeiten von Laienhistorikern, die eine beachtliche Materialfülle über das Leben mit der Grenze zusammengetragen haben, sollte an dieser Stelle aber nicht unerwähnt bleiben.1 Mit Blick auf den Forschungsstand zur Berliner Mauer muss freilich konstatiert werden, dass das Feld der innerdeutschen Grenzgeschichte weniger intensiv bespielt wird. Das liegt sicher nicht zuletzt an den räumlichen Dimensionen und regionalen Besonderheiten des Grenzlandes, die eher zu exemplarisch vertiefenden Arbeiten einladen – vor allem dann, wenn man sich jenseits politisch-administrativer oder technisch-organisatorischer Fragen für sozial-, alltags- und mentalitätsgeschichtliche Aspekte interessiert.2

Die an der Standford University lehrende Historikerin Edith Sheffer hat mit „Burned Bridge“ eine höchst anregende „local case study“ vorgelegt – eine mit bemerkenswerter heuristischer Energie betriebene, materialsatte Lokalstudie, die am Beispiel von Sonneberg (Thüringen) und Neustadt (Bayern) die „asymmetrisch verflochtene Parallelgeschichte“ (Christoph Kleßmann) zweier benachbarter Städte erzählt. Sonneberg und Neustadt blickten auf ein Jahrhunderte währendes symbiotisches Verhältnis zurück, als die Grenzschließung die engen wirtschaftlichen und sozialen Bindungen gewaltsam kappte. Die „burned bridge“, die alte Gebrannte Brücke, ehedem eine Verbindungstraße zwischen beiden Orten, wurde zur Trennlinie zwischen Ost- und Westdeutschland – und 1990 zu einem Symbol der deutschen Einheit, denn hier unterzeichneten Wolfgang Schäuble und Peter-Michael Diestel am 1. Juli den Vertrag über die Abschaffung der Personenkontrollen an der innerdeutschen Grenze.

In drei großen Kapiteln zeichnet Sheffer die Teilungsgeschichte für die genannte bayerisch-thüringische Grenzregion in ihren politischen, sozialen und mentalen Dimensionen nach. Sie folgt dabei der gängigen Periodisierung. Der erste Teil berichtet über die Nachkriegsjahre mit der relativ leicht in beide Richtungen zu überschreitenden Demarkationslinie (1945–1952). Im Mai 1952 erfolgte die verstärkte Abriegelung samt Einrichtung eines Sperrgebietes auf ostdeutscher Seite – Maßnahmen, die Kontaktmöglichkeiten zwischen Ost und West zwar erheblich erschwerten, aber nicht gänzlich unterbinden konnten. „Living Wall“ (1952–1961) nennt Sheffer diese Phase. Und schließlich beschreibt sie die nahezu hermetische Abschottung zwischen 1961 und 1989, für Sheffer der eigentliche „Iron Curtain“, wie das Kapitel überschrieben ist. Das Buch endet mit einem essayistischen Epilog über die Schwierigkeiten des Vereinigungsprozesses und eine neue, innere Trennlinie, die als „Mauer in den Köpfen“ schon sprichwörtlich geworden ist.

Sheffers Untersuchung ist ein Musterfall gründlicher, ja geradezu exzessiver Recherche, wovon neben den intensiven Archivbesuchen und der akribischen Auswertung lokaler, regionaler und überregionaler Presse auch 52 Interviews und der Zugriff auf 24 Privatsammlungen zeugen. Der reiche materiale Fundus wird zu exzellenter wissenschaftlicher Prosa komponiert. Viele eingewebte Anekdoten und lebensgeschichtliche Episoden garantieren einen hohen Grad an Anschaulichkeit.

Es ist nun nicht so, dass die Arbeit wohl begründete und auch schwerlich hintergehbare Grenznarrative infrage stellen würde. Die unruhige Besatzungszeit, der Ausbau des Grenzregimes, Flüchtlingsproblematik und Fluchtschicksale, der reglementierte, von eigensinnigen Arrangements geprägte Alltag im Sperrgebiet, die ökonomischen und sozialen Probleme diesseits und jenseits des Zaunes, die zunehmende Entfremdung von Ost und West, der westdeutsche Grenztourismus, das Grenzgebiet als Spielwiese diverser politisch-ideologischer Inszenierungen, die Euphorie im November 1989 usw. – all diese narrativen Dominanten leiten auch die vorliegende Studie. Insofern hält sich der allgemeine, über das Regionale hinausgehende Erkenntnisgewinn eher in Grenzen. Das schmälert aber keineswegs das Verdienst des Buches. Im Gegenteil: Noch nie wurde bisher die innerdeutsche Grenzgeschichte zusammenhängend in solch einer konzentrierten Form, gleichsam als exemplarische „Grenzbiographie“, erzählt. Schon deswegen hat die Arbeit einen hohen dokumentarischen Eigenwert.

In einem wichtigen Aspekt überzeugt die Argumentation den Rezensenten allerdings nicht. Edith Sheffer wartet bereits im Untertitel des Buches demonstrativ mit einer erstaunlichen These auf. Demnach wurde der Eiserne Vorhang, der sich auf einer Länge von rund 1.400 Kilometer über Deutschland senkte, zwar als Folge von Kriegsniederlage und Blockkonfrontation von außen gesetzt, aber eben auch von unten „gemacht“, oder besser: mit geschaffen. Die reale Trennung erfuhr, ließe sich zuspitzen, eine Art von „Prästabilität“ über vorausgehende mentale Grenzziehungen – und zwar infolge eines beiderseits der Demarkationslinie bestehenden Sicherheitsbedürfnisses. Angesichts chaotischer Nachkriegsverhältnisse im Grenzgebiet (Schmuggel, Schwarzmarkt, Kriminalität, Vergewaltigungen, Präsenz des Militärs, Übergriffe) verlangten die Menschen von den Besatzungsmächten Ruhe und Ordnung garantierende Maßnahmen – und begannen laut Sheffer auf diese Weise, die Teilungssituation mental zu vollziehen. Auch die Integration des Grenzregimes ins alltägliche Leben, die Gewöhnung, wird als stabilisierender Faktor ins Feld geführt. So merkt Sheffer etwa an: „Everyday adaptions not only lent the fortifications an aura of inevitability but also suggested that further accomodations were possible. […] To some extent, belief in the Iron Curtain helped solidify the Iron Curtain“ (S. 140). Ist der erste Satz vollkommen einleuchtend, so bleibt der zweite begründungsbedürftig. Und hier zeigt sich die Schwachstelle des Buches: Sheffer bleibt viel zu nah vor Ort an der Gebrannten Brücke und überschätzt in der Verhaltensbetrachtung ihrer lokalen Protagonisten latent deren reale Einflussmöglichkeiten auf Grenzziehung und -ausbau, ja überhaupt auf die Existenz des Eisernen Vorhangs.

Hier wäre es wichtig gewesen, den Mikrokosmos einmal zu verlassen und den harten machtpolitischen Kontext stärker zu berücksichtigen. Denn über den Eisernen Vorhang wurde in allen existentiellen Belangen nicht in Sonneberg oder Neustadt verhandelt und entschieden, sondern allein in Berlin und Moskau. Zudem machen das Millionenheer der Flüchtlinge und die anhaltende Ausreisewelle der 1970er-und 1980er-Jahre deutlich, dass es um die Akzeptanz der DDR, und damit auch ihrer Grenze, eben nicht zum Besten bestellt war. Nur die brutale Abriegelung vermochte den Exodus einzudämmen, wenn auch niemals aufzuhalten. Die „Autorität“ der Grenze bis 1961 etwa daraus abzuleiten, dass viele Sonneberger lieber über das sichere, weil offene Berlin flohen, als ihr Leben am Todesstreifen vor der Haustür zu riskieren, ist reichlich gewagt. Und was die fatalistische (und auf beiden Seiten durchaus nachvollziehbare) Hinnahme des Grenzregimes betrifft, so muss die berühmte These Georg Simmels mit Blick auf die deutsche Teilung in ihr genaues Gegenteil verkehrt werden; vor allem dann, wenn man eine lange gemeinsame Geschichte wie im Falle Neustadts und Sonnebergs vorausschickt: Die innerdeutsche Grenze war zuerst eine räumliche geschaffene Tatsache, die sich dann facettenreich soziologisch formte.

Die Literatur zur innerdeutschen Grenze weist bislang einen signifikanten blinden Fleck auf: Grenzgeschichte wird überwiegend als Teil der DDR-Geschichte erzählt. Die gravierenden ökonomischen und demographischen Folgen, die die Teilung für die Kommunen im westlichen Zonenrandgebiet mit sich brachte, werden meist ausgeblendet. Edith Sheffer hat in dieser Frage Neuland betreten und dem bayerischen Neustadt viel heuristische Aufmerksamkeit geschenkt, selbst wenn die Faszination für den Osten auch bei ihr überwiegt – und es überdies sehr fraglich ist, ob das Zonenrandgebiet als verhätschelte Region („West Germany’s coddled Zonal Periphal Area“, S. 140) zutreffend charakterisiert ist. Trotz dieser Einwände bleibt als Fazit: Sheffers Studie setzt Maßstäbe, an denen sich künftige Forschungsarbeiten zur Geschichte der innerdeutschen Grenze orientieren müssen.

Anmerkungen:
1 Vgl. stellvertretend Achim Walther / Joachim Bittner, Heringsbahn. Die innerdeutsche Grenze bei Hötensleben, Offleben und Schöningen 1945 bis 1952, Halle 2011; Achim Walther, Die eisige Naht. Die innerdeutsche Grenze bei Hötensleben, Offleben und Schöningen 1952–1990, Halle 2010.
2 Vgl. Daphne Berdahl, Where the World Ended. Re-Unification and Identity in the German Borderland, Berkeley / Los Angeles 1999.