L. Klinkhammer u.a. (Hrsg.): Achse im Krieg

Titel
Die „Achse“ im Krieg. Politik, Ideologie und Kriegführung 1939–1945


Herausgeber
Klinkhammer, Lutz; Guerrazzi, Amedeo Osti; Schlemmer, Thomas
Reihe
Krieg in der Geschichte 64
Erschienen
Paderborn 2010: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
539 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Hedinger, Freie Universität Berlin

Fülle und Vielfalt zeichnen den Sammelband „Die ‚Achse‘ im Krieg“ aus. Und das ist gut so: Denn lange hat die Forschung die Achse Berlin–Rom klein geschrieben. Viel häufiger noch hat sie das Bündnis schlicht übersehen oder gar bewusst verschwiegen. Vor diesem Hintergrund zeigt die thematische Vielfalt der rund zwei Dutzend Beiträge, wie viel es zur Geschichte der Achse noch zu sagen gibt. Der Band fokussiert zwar auf die Kriegsallianz, schenkt jedoch Politik und Ideologie mindestens ebensoviel Aufmerksamkeit wie der eigentlichen Kriegsführung.

Nahezu alle Beiträge berühren drei Themenkomplexe, die sich wie ein roter Faden durch den Sammelband ziehen: Gemeinsamkeiten, Transfer und Kooperation. Durch die Diskussion geteilter Weltanschauungen, wechselseitigen Austauschs und koordinierten Handelns lässt sich die schwer fassbare Qualität des Bündnisses konzeptionell greifbar machen. Daher werden die Beiträge des Bandes im Folgenden anhand dieser drei Themenkomplexe besprochen.

Zunächst zu den (ideologischen) Gemeinsamkeiten zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und dem faschistischen Italien: Diese thematisiert etwa Hans Wollers Beitrag, welcher der langen Vorgeschichte des Bündnisses den gebührenden Platz einräumt. Überzeugend zeigt er auf, wie in Folge des Abessinienkrieges und des Spanischen Bürgerkrieges sich ab Mitte 1936 das Achsenbündnis „mit Leben erfüllte“ und sich oft auch ein „ideologisches Verwandtschaftsgefühl“ herausbildete (S. 43). Malte König etwa stützt diese These, wenn er betont, dass ab diesem Zeitpunkt das Bündnis immer stärker ideologisch überhöht worden sei (S. 177). Ideologische Gemeinsamkeiten wirkten sich in der Folge ebenso auf die Politik wie die Kriegsführung aus. Etwa im Zusammenhang mit dem italienischen Antisemitismus, der, wie Michele Sarfatti zeigt, sich nicht aufgrund deutschen Drucks entwickelte, sondern durchaus selbständig reifte (S. 234). Und was die Kriegsführung betrifft, so kommt Gustavo Corni anhand eines Vergleichs der Feldpost von der Ostfront zu folgendem Schluss: „Einen klaren Unterschied, wie man ihn zwischen deutschen und italienischen Soldaten hätte erwarten können, scheint es zumindest mit Blick auf die ideologische Komponente nicht gegeben zu haben.“ (S. 412) Auch Thomas Schlemmer spricht in seinem Beitrag „Gefühlsmäßige Verwandtschaft?“ davon, dass Antibolschewismus, Rassismus und Antisemitismus das Bild nicht weniger italienischer Soldaten an der Ostfront bestimmt habe und trotz aller Unterschiede angesichts der Größenordnung der Kriegsverbrechen der italienische Krieg gegen die Sowjetunion anschlussfähig an den deutschen sei (S. 397). In anderen Worten: Die ideologischen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Streitkräften sind offensichtlich größer gewesen, als man bisher angenommen hat.

Die Frage nach Gemeinsamkeiten hat ein stark vergleichendes Element. Über die Feststellung geteilter Ideologie hinaus weist zweitens die in einigen Beiträgen thematisierte Problematik des Transfers zwischen den beiden Regimes. Gerade über solch gegenseitige Austausch- und Lernprozesse wissen wir bisher zu wenig. Besonders brisant erscheinen sie, wenn sie den „ungewohnten“ Weg von Italien nach Deutschland nahmen. Diesen untersucht etwa Patrick Bernhards Beitrag zur „Kolonialachse“. Er beschreibt, wie Heinrich Himmler, der sich für italienische Siedlungspolitik interessierte, 1937 Libyen besuchte und „tief beeindruckt“ nach Deutschland zurückkehrte (S. 158). Bernhard deutet an, dass dies Auswirkungen auf den „Generalplan Ost“ gehabt haben könnte.

Drittens richtet eine Reihe von Beiträgen ihr Augenmerk auf die Kooperationen zwischen den Bündnispartnern. In Bezug auf die militärische Zusammenarbeit und die gemeinsame Kriegsführung fällt das Verdikt gespalten aus. Jürgen Förster geht davon aus, dass die Kooperation schlecht funktioniert habe, wie der Titel seines Beitrags „Die Wehrmacht und die Probleme der Koalitionskriegführung“ schon andeutet. Alessandro Massignani urteilt dagegen, das Bündnis habe trotz aller Defizite, Differenzen und Diskrepanzen sich zumindest auf der taktischen Ebene als überraschend effizient erwiesen (S. 143). In anderen Bereichen gelang die Zusammenarbeit offensichtlich häufig weit besser: Dies gilt vor allem für die letzten Jahren der Achse, also die Zeit der Republik von Salò (1943–1945). Lutz Klinkhammer schaut sich die deutsch-italienische Zusammenarbeit im Sektor der Gegnerbekämpfung während der Repubblica Sociale Italiana an und betont dabei aber die lange Vorgeschichte polizeilicher Kooperation (S. 479). Mehrere Beiträge – etwa „Diktat oder Konsens?“ von Dianella Gagliani – unterstreichen die These, dass die brutale deutsche Besatzungsherrschaft ohne italienische Kooperationsbereitschaft nicht über längere Zeit aufrechtzuerhalten gewesen wäre. Dabei setzte sich die Zusammenarbeit nicht nur fort; vielmehr lebte die Achse zu ihrem Ende hin nochmals auf und radikalisierte sich.

Die gezielte Suche nach Gemeinsamkeiten, Transfers und Kooperationen führt dabei insgesamt zweierlei zutage, das oberflächlich betrachtet paradox erscheinen mag. Einerseits tritt Italiens Eigenständigkeit und somit auch seine Verantwortung deutlicher hervor. Andererseits bringt dies, und das ist auch ein Verdienst des Bandes, keineswegs eine Nivellierung oder gar Verharmlosung deutscher Taten mit sich. Die Unterschiede zwischen den Bündnispartnern angesichts der Größenordnungen ihrer Verbrechen treten vielmehr häufig umso deutlicher hervor. Dies gilt auch für die Entschlossenheit der Kriegsführung. Denn selbst wenn die These einer gemeinsam getragenen Radikalisierung während der Republik von Salò durchaus plausibel erscheint, sieht man sich doch gleichsam mit der Tatsache konfrontiert, dass sich das italienische Königreich offiziell bereits Mitte 1943 aus dem Krieg verabschiedete, als man, wie MacGregor Knox in seinem vergleichenden Beitrag zur Totalität der Kriegsführung treffend anmerkt, rund 230.000 Gefallene zu beklagen hatte (S. 80). Als Deutschland kapitulierte, beliefen sich die militärischen und zivilen Verluste hingegen auf über sieben Millionen, wobei ein Großteil Opfer der letzten beiden Kriegsjahre wurden.

Drei Stoßrichtungen erscheinen für die zukünftige Forschung lohnend. Erstens im Bezug auf die Vorgeschichte des Bündnisses: Der Schwerpunkt des Bandes liegt auf den Jahren 1939 bis 1945. Es wäre sicher fruchtbar, die 1930er-Jahre systematisch mit einzubeziehen, auch weil in der Formierungsphase der Achse und vor dem Ausbruch des Weltkrieges die Eigenständigkeit Italiens etwa während des Abessinienkriegs noch wesentlich deutlicher hervortreten dürfte. Zweitens wäre es lohnenswert, von Zeit zu Zeit auch die Sichtweisen der Gegner der Achse zu berücksichtigen. Gerade aus britischer Perspektive würde wohl die deutsch-italienische Kooperation in vielfacher Hinsicht als noch stärker und gefährlicher erscheinen, etwa im Bezug auf Italiens Mittelmeerpolitik und die globalstrategischen Herausforderungen, die diese für das britische Empire mit sich brachte. Unmittelbar daran anschließend fällt drittens auf, dass der Sammelband sich auf Deutschland und Italien beschränkt. Andere europäische Verbündete werden ausführlicher nur im Beitrag von Dieter Pohl, der die Rolle der autoritären Regimes in Rumänien, Ungarn und Bulgarien als Bündnispartner thematisiert, berücksichtigt. Die außereuropäischen Achsenpartner – in erster Linie natürlich Japan, das wie Deutschland bis zum bitteren Ende weiterkämpfte – kommen gar nicht vor. Hier ließe sich für die Zukunft eine Globalgeschichte der Achse denken.

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