H.-G. Nesselrath (Hrsg.): Für Religionsfreiheit, Recht und Toleranz

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Titel
Für Religionsfreiheit, Recht und Toleranz. Libanios’ Rede für den Erhalt der heidnischen Tempel. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen


Herausgeber
Nesselrath, Heinz-Günther; Behrends, Okko; Freyberger, Klaus S.; Hahn, Johannes; Wallraff, Martin; Wiemer, Hans-Ulrich
Reihe
SAPERE 18
Erschienen
Tübingen 2011: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
XI, 276 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig Maximilians-Universität München

Gemessen an Relevanz und Umfang seines Werkes gehört Libanios noch immer zu den wenig erschlossenen Autoren der Antike, auch wenn zwei neue Teilübersetzungen seiner Briefe und eine deutsche Übersetzung seiner Kaiserreden bereits einen wichtigen Beitrag geliefert haben, um dem entgegenzuwirken.1 Die neue zweisprachige Ausgabe der Rede pro templis mit interpretierenden Essays bildet trotz bereits vorhandener Übersetzungen in die meisten geläufigen Fremdsprachen (S. 255) und mehreren Untersuchungen als erste deutsche Übersetzung einen weiteren wichtigen Schritt in diese Richtung.

Die einleitenden Bemerkungen zur Rede stammen von Heinz-Günther Nesselrath (S. 3–40). Er referiert darin die einzelnen Etappen des Leben des Libanios (S. 4–16) und stellt dessen Gesamtwerk (S. 16–23) und Nachleben vor (S. 23–27). Die Bemerkungen zu Rede (S. 28–40) behandeln deren Aufbau (S. 28–32), Situierung und Datierung (S. 33–38) sowie deren Nachleben (S. 38–40) und eine Liste der Abweichungen in der Textgestaltung (S. 40).2 Die Übersetzung (S. 42–75), ebenfalls von Heinz-Günther Nesselrath, ist insgesamt gut lesbar und begründet Abweichungen von älteren Übertragungen plausibel (S. 77, Anm. 10). Nur zwei Punkte fielen auf: In der Übersetzung von Kapitel 9 (S. 49) ist statt „diesem“ „dieses“ zu lesen, und die Übersetzung von Kapitel 11 (S. 49) ist sprachlich etwas holprig geraten. Die Anmerkungen (S. 76–91) sind insgesamt hilfreich; allerdings wäre es sinnvoller gewesen, die zahlreichen Anmerkungen, in denen ohne weiterführende Belege nur aufgeführt wird, welche Person(en) Libanios an der betreffenden Stelle meint3, eingeklammert in den Text der Übersetzung zu integrieren. Neben einigen Details4 ist nur an einer Stelle Widerspruch zu erheben: Bei dem Gegner Konstantins in Kapitel 6, der „den Städten die Möglichkeit neuer Blüte gewährt hatte“ (S. 45), dürfte es sich nicht um Licinius (so S. 78, Anm. 21), sondern um Maximinus Daia handeln.5

Den Anfang der den Text begleitenden Aufsätze macht der Beitrag von Okko Behrends (S. 95–126), dessen Titel eine Untersuchung der Rede „in rechtshistorischer Sicht“ ankündigt. Dies ist allerdings etwas irreführend, da es die Erwartung einer Analyse der Rede als Quelle für die kaiserliche Heidengesetzgebung ihrer Zeit weckt, was jedoch nur sehr begrenzt zutrifft. In den ersten drei Kapiteln befasst sich Behrends mit der Verdrängung der Rhetorik durch die Jurisprudenz und dem Kampf des Libanios gegen dieses Phänomen (S. 95–117). Erst im letzten Kapitel wird auf Basis des Zeugnisses des Libanios die Frage gestellt, ob Konstantin ein allgemeines Opferverbot erlassen habe, was Behrends mit erwägenswerten, aber nicht vollends überzeugenden Argumenten bejaht.6 Dem Ergebnis, dass Libanios größere Freiräume konstruierte, als tatsächlich vorhanden (S. 125), kann dagegen zweifellos zugestimmt werden.

Hans-Ulrich Wiemer untersucht die Rolle von Kaiser und Kaisertum bei Libanios (S. 127–158). Hierzu skizziert er zunächst die Rolle, die Libanios unter den Kaisern seiner Zeit spielte und wie er diese beurteilte (S. 127–144) und befasst sich dann mit der Stellung der Institution des Kaisertums bei Libanios (S. 145–158). Er demonstriert die Entwicklung von einem an Julian orientierten übersteigerten Herrscherideal zu den pragmatischen und religiös neutralen Anforderungen an Theodosius und arbeitet den Wert der theodosianischen Reden des Libanios als Quellen für die Wahrnehmung des Kaisers durch provinziale Eliten heraus. Wiemers Ausführungen zeichnen sich insbesondere durch ihre reichhaltige Materialsammlung aus, in der die einzelnen Aspekte der Beurteilung des Kaisers bei Libanios erfasst werden, und bilden somit eine lesenswerte Synthese.7

Martin Wallraff untersucht die Rolle der Mönche bei der Zerstörung heidnischer Tempel (S. 159–177) und kommt nach einer Analyse der historiographischen (S. 161–166), hagiographischen (S. 166–172) und heidnischen Berichte (S. 172–174) zu den folgenden Schlüssen: Die Position der Mönche als Hauptgegner des Libanios trotz ihrer geringen Rolle bei der Zerstörung heidnischer Tempel sei auf ihr allgemein geringes Ansehen zurückzuführen. Was Libanios als „Mönche“ charakterisiert, müsse mit der christlichen Definition keineswegs übereinstimmen. Die Polemik des Libanios sei die Folgeerscheinung des von einer kleinen Elite konstruierten Gegensatzes zwischen Christen und Heiden, der in dieser Form nie bestanden habe.8

Klaus Stefan Freyberger untersucht die Nachnutzung heidnischer Heiligtümer im spätantiken Syrien (S. 179–226). Durch den Vergleich von Nordsyrien (S. 180–186) und Südsyrien (S. 186–195) kommt er zu dem Schluss, dass die umfangreicheren architektonischen Modifikationen in Nordsyrien auf eine deutliche Absetzung vom Heidentum und eine stärkere Christianisierung hinwiesen. Auch wurden unvereinbare Elemente der Tempel nicht systematisch zerstört, sondern lediglich abgetragen (S. 197–200); systematische Tempelzerstörungen hätten nie stattgefunden. Dem Aufsatz ist neben einem Glossar (S. 202–203) umfangreiches Karten- und Abbildungsmaterial beigegeben (S. 204–226). Johannes Hahn diskutiert die einzelnen Aspekte religiöser Intoleranz in der Spätantike (S. 227–251). Er zeichnet das Bild eines insgesamt toleranten Staates (S. 227–230), dessen Rhetorik in ihren Wurzeln aus der christlichen Apologetik begründet sei (S. 230–235) und dessen Hauptziel zunächst die Häretiker gewesen seien (S. 235–237). Auch diskutiert er die Zerstörung des Serapeums in Alexandria (S. 241–244) und die ideologische Auseinandersetzung mit dem Judentum in Antiochia (S. 246–251).

Insgesamt handelt es sich bei dieser Ausgabe um ein nützliches Instrument zum Verständnis des Libanios. Die Anmerkungen zur gelungenen Übersetzung bieten die notwendigen Erklärungen, die begleitenden Aufsätze kompetente Einführungen in die Materie. Die Literaturliste liefert die wichtigsten Erzeugnisse der letzten Jahre und ist daher nur geringfügig zu ergänzen.9 Von den angeführten Details abgesehen, kann somit nur ein einziger Kritikpunkt angeführt werden: die Qualität des Einbandes, die im Vergleich zu den Darmstädter Exemplaren der Reihe „Sapere“ abgenommen hat. So verbleibt nur noch, den Wunsch zu äußern, dass die weitere Erschließung der Werke des Libanios in ähnlicher Qualität fortschreiten möge.

Anmerkungen:
1 Libanios, Kaiserreden. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Georgios Fatouros, Tilman Krischer u. Werner Portmann, Stuttgart 2002; Selected letters of Libanius, translated with an introduction and notes by Scott Bradbury, Liverpool 2004; Libanios, Lettres aux hommes de son temps, choisis, traduites et commentées par Bernadette Cabouret, Paris 2004. Letztgenannte Ausgabe wird im Literaturverzeichnis nicht erfasst.
2 Einige kleinere Ergänzungen sind anzuführen: S. 11, Anm. 32 lies „Gott“ statt „Got“; S. 19, Anm. 78 fehlen für die Datierung des Epitaphios auf Julian die relevanten Forschungen neueren Datums, zumal ein Verweis auf S. 136, Anm. 41 genügt hätte; S. 24, Anm. 93 hätte noch Cassiodors Historia tripartita (10,3,9) als Eingangstor für die Nachricht über Johannes Chrysostomos als Schüler des Libanios in die westliche Überlieferung ergänzt werden können; S. 24, Anm. 94 ist für die Angabe des Symeon Magister entweder die neue Ausgabe von Staffan Wahlgren zu verwenden oder aber die Autorenangabe in „Leo Grammaticus“ umzuändern, unter dessen Namen Bekker die Chronik in seiner Bonner Ausgabe publiziert hatte; S. 25, Anm. 99 lässt sich die These, dass das Heidentum des Libanios in Byzanz gegenüber seiner Rhetorik an Interesse verlor, durch die Charakteristik des Eunapios und Zosimos bei Photios (Cod. 77 und 98) als stilistisch gut, aber ideologisch schlecht stützen.
3 S. 77, Anm. 9; S. 79, Anm. 28; S. 80, Anm. 32; S. 82, Anm. 64; S. 82, Anm. 66–68; S. 84, Anm. 78; S. 84, Anm. 81–82; S. 84, Anm. 84; S. 84, Anm. 86; S. 85, Anm. 101; S. 86, Anm. 108–109; S. 90, Anm. 146.
4 S. 77, Anm. 14 wird Malalas noch nach der veralteten Ausgabe von Dindorf statt der aktuellen von Thurn zitiert; S. 78, Anm. 18 lies „Ziemssen“ statt „Ziemsen“; S. 79, Anm. 23 wäre auf den neuen Aufsatz von Giorgio Bonamente, Einziehung und Nutzung von Tempelgut durch Stadt und Staat in der Spätantike, in: Johannes Hahn (Hrsg.), Spätantiker Staat und religiöser Konflikt, Berlin 2011, S. 55–92 zu verweisen; S. 89, Anm. 131 lies „Kelly“ statt „Baudy“; S. 89, Anm. 134 wird der neueste Kommentar zur Identifikation des Heiligtums von Hans-Ulrich Wiemer, Die Gewalt gegen heidnische Heiligtümer aus der Sicht der städtischen Eliten des spätrömischen Ostens, in: Johannes Hahn (Hrsg.), Spätantiker Staat und religiöser Konflikt, Berlin 2011, S. 159–185 (S. 178f.) übergangen; S. 89, Anm. 139 hätte noch die angebliche Zerstörung des Antiochener Traianstempels durch Jovian auf Wunsch seiner Frau und/oder seiner Konkubinen (Ioh. Ant. fr. 206 Mariev; Eunap. hist. fr. 29,1 Blockley) als prominente Parallele zur Topik zu Cynegius und Achantia angeführt werden können.
5 Diesem Lob des Libanios steht auch die insgesamt zurückhaltende bis negative Beurteilung des Maximinus durch die antike Literatur nicht entgegen, wie die allgemeinen Bemerkungen der Rezension von Alexander Demandt, in: Gnomon 43 (1971), S. 692–697, hier S. 692, der sich allerdings zu dieser konkreten Frage nicht äußert, zeigen. Communis opinio ist allerdings Licinius, vgl. Helmut Castritius, Studien zu Maximinus Daia, Kallmünz 1969, S. 61, Anm. 92.
6 Für eine gemäßigte Heidenpolitik Konstantins zuletzt Martin Wallraff, Die antipaganen Maßnahmen Konstantins in der Darstellung des Euseb von Kaisarea, in: Johannes Hahn (Hrsg.), Spätantiker Staat und religiöser Konflikt, Berlin 2011, S. 7–18. Als aufschlussreich zum Verständnis der Argumentation von Behrends mag auch gelten, dass er den als überholt geltenden Begriff des „Zwangsstaates“ (S. 125) verwendet.
7 S. 129, Anm. 7 könnte als neue Arbeit zu Constantius II. noch die Studie zur Religionspolitik und zur Wertung des Kaisers bei Lucifer von Calaris von Sonia Laconi, Costanzo II, Rom 2004 hinzugefügt werden; S. 129, Anm. 9 lies „Kaster 1988“ statt „Kaster 1986“; S. 130, Anm. 10 lies „Mango 1999“ statt „Mango 1990“.
8 In diesem Sinne jetzt auch Alan Cameron, The last pagans of Rome, Oxford 2011.
9 Neben der in Anmerkung 1 genannten Ausgabe von Cabouret fehlen nur folgende drei Titel: Juan A. Jiménez Sánchez, Teodosio I, Libanio y la prohibición de los sacrificios, in: Latomus 69 (2010), S. 1088–1104; Antonio López Eire, Reflexiones sobre los discursos de Libanio al emperador Teodosio, in: Fortunatae 1 (1991), S. 27–66 und Elizabeth G. Burr, „Pluralism“ and „Universalism“ in the world of Libanios, Diss. Harvard 1996, insbesondere S. 97–110. Allgemein sei auch auf Elena Muñiz Grijalvo, El ideal imperial en la obra de Libanio; in: Habis 31 (2000); S. 355-363; Andrea Pellizzari, I generali di Teodosio nelle lettere di Libanio, in: Historia 60 (2011), S. 191–218 und Isabella Sandwell, Pagan conceptions of monotheism in the fourth century. The example of Libanius and Themistius, in: Stephen Mitchell / Peter van Nuffelen (Hrsg.), Monotheism between pagans and Christians in late antiquity, Louvain 2010, S. 101–126 hingewiesen.

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