T. Brakmann: Die Vita der heiligen Katharina von Siena

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Titel
Ein Geistlicher Rosengarten. Die Vita der heiligen Katharina von Siena zwischen Ordensreform und Laienfrömmigkeit im 15. Jahrhundert. Untersuchungen und Edition


Autor(en)
Brakmann, Thomas
Erschienen
Frankfurt am Main 2011: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
618 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ramona Sickert, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden

Die Forschungen zur volkssprachlichen deutschen Hagiographie des Mittelalters haben in den letzten Jahren erheblichen Aufschwung genommen und zeigten mit der Edition von großen Legendensammlungen wie „Der Heiligen Leben“ oder der „Elsässischen Legenda aurea“ beeindruckende Ergebnisse.1 Demgegenüber fanden kleinere Einzellegenden nur geringes Interesse und wurden selten ediert. In diese Forschungslücke stößt Thomas Brakmann, der in seiner im Jahr 2006 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eingereichten Dissertation die Überlieferungsgeschichte der anonym überlieferten, im Umfeld des Nürnberger Dominikanerklosters entstandenen Katharinenlegende „Ein Geistlicher Rosengarten“ untersucht. Die in der Forschung bislang wenig beachtete Vita stellt eine volkssprachliche Übersetzung der zwischen 1385 und 1395 entstandenen lateinischen Legende der dominikanischen Ordensheiligen Katharina von Siena (Legenda Maior) aus der Hand des Raimund von Capua dar, der Katharina als Beichtvater und Vertrauter begleitete und seit 1380 als Generalmagister der Dominikaner der römischen Obödienz amtierte.

Brakmanns Arbeit ist in zwei Teile gegliedert, deren erster, neun Kapitel umfassender Teil der Überlieferungsgeschichte der volkssprachlichen Legende nachgeht, während im zweiten Teil die Edition der volkssprachlichen Vita „Ein Geistlicher Rosengarten“ folgt. Im einführenden ersten Kapitel legt Brakmann mit dem von der „Würzburger Forschergruppe für Prosa des deutschen Mittelalters“ um Kurt Ruh entwickelten überlieferungsgeschichtlichen Ansatz 2 seinen methodischen Zugang dar und erläutert das Ziel seiner Studie, die Katharinenlegende im Kontext der Reformbewegungen, insbesondere der Dominikaner, zu analysieren und im Zusammenhang des literaturhistorischen Wandels im Spätmittelalter zu verorten.

Im zweiten Kapitel untersucht Brakmann die handschriftliche Gesamtüberlieferung der Vita, indem er für die insgesamt 17 überlieferten Codices jeweils detaillierte kodikologische Beschreibungen vornimmt. Mit Akribie führt Brakmann für die einzelnen Überlieferungsträger Informationen zu Bibliothekseinträgen, Beschreibstoff, Schriftraum, Schrift und Texteinfügungen sowie zu Ausstattung, Einband und zur Geschichte des jeweiligen Codex auf. Weiterhin folgen Literaturhinweise und Angaben zum Inhalt, wobei diese für Sammelhandschriften jeweils getrennt nach den einzelnen Traktaten erfolgen. Dem überlieferungsgeschichtlichen Ansatz seiner Arbeit folgend, legt Brakmann auch für die bekannten Exemplare des einzigen Druckes der Katharinenlegende aus Augsburg von 1515 sowie für die zehn gesichert nachweisbaren verschollenen Überlieferungsträger der Vita eine eingehende Untersuchung der Geschichte der einzelnen Exemplare vor. In zwei tabellarischen Übersichten wird im dritten Kapitel ein Überblick über die Kapitelanordnung der Handschriften und ihr Verhältnis zu den Paragraphen der lateinischen Vita gegeben. Die Kapitelsynopse führt ebenfalls die Gliederung der Augsburger Druckausgabe an.

Mit den aus der Komposition des Legendencorpus gewonnenen Indizien für die Bestimmung der textgenetischen Beziehungen sowie auf Grundlage der Vollkollation der drei ältesten Textzeugen und einzelner Kapitel aller Handschriften und mit den ermittelten Textvarianten aller Überlieferungsträger erstellt Brakmann im vierten Kapitel die stemmatische Überlieferungsgliederung der volkssprachlichen Vita. Hierbei gelingt es ihm überzeugend zu zeigen, dass es sich bei dem wirkmächtigeren *Y-Zweig des Stemmas um eine Neuübersetzung der lateinischen Vorlage handelt, die sich auf den älteren *X-Zweig bezieht, dem nur zwei der Codices angehören. Nach den plausiblen Erläuterungen zur Wahl der Leithandschrift und der Begleithandschriften zeigt Brakmann Tendenzen der Mitüberlieferung der Vita in den Sammelhandschriften auf. Obwohl kein fester Kanon in den Kompilationen überliefert wurde, kann Brakmann viele der mitüberlieferten Texte als „katechetisch-erbauliche“ (S. 183) und „praktisch-mystisch geprägte“ (S. 182) Traktate identifizieren, zudem ist die Mehrzahl der Texte dominikanischer Provenienz.

Die Überlieferungswege der einzelnen Handschriften und die Frage nach den Rezipientenkreisen stehen im Zentrum des folgenden fünften Kapitels. Mit dem bairisch-österreichischen und dem alemannischen Sprachraum macht Brakmann hier zunächst zwei Schwerpunkte der ausschließlich im oberdeutschen Sprachraum verbreiteten Vita aus, bevor er mit den Dominikanerinnen in Nürnberg und den Laienbrüdern der Melker Reform in Augsburg und Tegernsee zwei der wichtigsten Rezipientenkreise des „Geistlichen Rosengartens“ bestimmt. Offensichtlich spielten insbesondere die Reformbewegungen und observanten Orden für die Verbreitung der Handschriften eine zentrale Rolle, ebenso laikale, geistliche Gemeinschaften im Umfeld der Klöster.

Dem Publikum und den Gebrauchssituationen des „Geistlichen Rosengartens“ widmet sich das sechste Kapitel der Untersuchung, in dem der Blick auf textinterne Informationen gerichtet wird. Brakmann differenziert hier zwischen klausurierten Dominikanerinnen als ursprünglich vom Verfasser der Vita intendierten Rezipienten und einem breiteren Publikum, zu dem auch geistlich lebende Laien außerhalb der Klöster gehörten, welches durch die späteren Handschriften und die Druckausgabe angesprochen werden sollte. Weiterhin werden die Lektüre zur privaten Andacht und die Lesung im Refektorium als zwei spezifische Gebrauchssituationen der Legende dargestellt.

Die Verbreitung der Katharinenlegende wird im siebten Kapitel vor dem Hintergrund der Ordensreform und im Kontext der laikalen Buchkultur untersucht. Am Beispiel der im 15. Jahrhundert als Zentrum der dominikanischen Ordensreform im süddeutschen Raum fungierenden Stadt Nürnberg positioniert Brakmann die dortige Bibliothek des Dominikanerinnenkonventes, die geistliche Bücher sowohl für Ordensleute als auch für Laien verbreitete, im urbanen Literaturbetrieb. Obwohl die Literaturdistribution der Ausbreitung der Ordensreform in durch die Observanz verbundenen, ordensübergreifenden Netzwerken folgte, weist Brakmann darauf hin, dass Reformliteratur sowohl in regulierten als auch in nichtregulierten Klöstern zirkulierte.

Im achten Kapitel geht Brakmann der These nach, dass die Popularität der Vita in ihrer narrativen Umsetzung zentraler Inhalte der Ordensreform begründet sei (S. 283). Im Vergleich zur lateinischen Vorlage wird Katharina von Siena in der volkssprachlichen Vita als Reformheilige und Vorbild für klausurierte Ordensfrauen stilisiert, deren wundertätiges und visionäres Auftreten betont wird, während ihr soziales und politisches Handeln in den Hintergrund rückt. Vor dem Horizont der dominikanischen Reformanliegen erscheint der „Geistliche Rosengarten“ so als „biographisch modellierte Übersetzung der Ordensregel und eine Darstellung des Ideals christlichen Lebens als Ordensschwester oder als geistlich lebender Laie“ (S. 287).

Nach der Zusammenfassung der Ergebnisse des ersten Teils im neunten Kapitel werden im zweiten Teil des Buches zunächst die zugrunde gelegten Editionsprinzipien erläutert. Mit der Wahl der Leithandschrift P (*Y3; Bibliothèque Nationale Paris, Ms. allemand 34) wird eine Fassung aus dem für die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Vita im Vergleich zum *X-Zweig des Stemmas bedeutenderen *Y-Zweig gewählt. Mit den Textfassungen N (*Y1; Stadtbibliothek Nürnberg, Cod. Cent. IV, 14) und NY (*Y2; Pierpont Morgan Library New York, Ms. B.8) wird diese von zwei für die Entwicklungsgeschichte relevanten Handschriften als Begleithandschriften flankiert, wobei der Text vorrangig nach der Begleithandschrift NY (*Y2) korrigiert wird, die wie die Leithandschrift in der alemannischen Schreibsprache verfasst wurde. Die Seiten 367–555 bieten sodann die Edition der Vita „Ein Geistlicher Rosengarten“ und des Sondergutes (drei Wundererzählungen aus dem Mirakelteil der Legenda Maior, die nur der *X-Zweig übersetzt) einschließlich eines Kapitelregisters der Vita. Die Edition schließt mit einem Endnotenverzeichnis, in dem die Abhängigkeiten der einzelnen Kapitel der volkssprachlichen Legende vom lateinischen Text der Legenda Maior dokumentiert sind sowie einzelne Personen und liturgische Festtage näher erläutert werden. Schließlich versammelt der Anhang detaillierte Register der Abbildungen und Abkürzungen, Verzeichnisse der Handschriften und der gedruckten Quellen sowie ein nach Handschriftenkatalogen und Findbüchern, Hilfsmitteln zur Handschriftenbeschreibung sowie Forschungsliteratur untergliedertes umfangreiches Verzeichnis der Literatur.

Es ist das Verdienst Thomas Brakmanns, der Forschung einen volkssprachlichen Legendentext zugänglich gemacht zu haben, der zu den erfolgreichsten dominikanischen Viten des Spätmittelalters in der Ordensprovinz Teutonia zählt. Mit der überlieferungsgeschichtlichen Methode gelingt es Brakmann überzeugend, die Handschriften mit kulturwissenschaftlich orientierten Fragen nach Entwicklung, Verbreitung und Funktionen der Texte zu analysieren und die Überlieferungsvarianten des „Geistlichen Rosengartens“ als Adaptionen an gewandelte Funktionen und verändertes Publikum sichtbar werden zu lassen. Die Heilige Katharina von Siena, die in ihrem Leben die vita contemplativa mit dem politischen Engagement einer vita activa vereinte, erscheint so in ihrer als Medium der Reform fungierenden volkssprachlichen Vita als Exempel der vita contemplativa und der strengeren Befolgung der Ordensregel sowie als spirituelles Vorbild vor allem für den observanten Zweig der Dominikaner, für weibliche Religiose und darüber hinaus auch für Laien.

Anmerkungen:
1 Genannt sei hier nur Werner Williams-Krapp, Die deutschen und niederländischen Legendare des Mittelalters. Studien zu ihrer Überlieferungs-, Text- und Wirkungsgeschichte, Tübingen 1986.
2 Vgl. hierzu Werner Williams-Krapp, Die überlieferungsgeschichtliche Methode. Rückblick und Ausblick, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Literatur 25,2 (2000), S. 1–21.