L.-M. Günther u.a. (Hrsg.): Studien zum Herrscherkult

Cover
Titel
Studien zum vorhellenistischen und hellenistischen Herrscherkult.


Herausgeber
Günther, Linda-Marie; Plischke, Sonja
Reihe
Oikumene 9
Erschienen
Berlin 2011: Verlag Antike
Anzahl Seiten
197 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
André Heller, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Der zu besprechende Sammelband zum vorhellenistischen und hellenistischen Herrscherkult legt sechs Beiträge des Zweiten Workshops des Bochumer religionswissenschaftlichen Forschungskomplexes „Dynamiken der Religionsgeschichte zwischen Asien und Europa“ vom Mai 2009 vor. In der Einführung (S. 7–10) nehmen die Herausgeberinnen Linda-Marie Günther und Sonja Plischke das Thema „Herrscherkult“ ganzheitlich in den Blick.1

Robert Rollinger („Herrscherkult und Königsvergöttlichung bei Teispiden und Achaimeniden. Realität oder Fiktion“) verneint im Einklang mit der Forschung die Göttlichkeit des Perserkönigs2, der jedoch göttliche Legitimation und Inspiration („Gottesgnadentum“) besitze; daher dürfe der „Mann in der Flügelsonne“ vieler Monumente nicht als Symbol der Göttlichkeit des Königs interpretiert werden. Durch Auswertung der textlichen wie bildlichen Evidenz der altorientalischen Quellen zeigt Rollinger, dass die Proskynese als Manifestation göttlicher Verehrung ein griechisches Konstrukt darstellt. Sie war mehrteilig, wobei Kusshand ebenso wie Prostration und Küssen der Füße eine Rolle spielten, nicht aber zwingend dazugehörten. Die Proskynese sei von Reziprozität geprägt gewesen und dürfe keinesfalls als Zeichen orientalischer Despotie missverstanden werden. Opferhandlungen vor Statuen verstorbener, aber auch regierender Könige sind aus Mesopotamien belegt3, sie sind aber nicht Ausdruck der Göttlichkeit des Königs; ein Kult der königlichen Vorfahren dürfte jedoch existiert haben.

Sonja Plischke untersucht „Herrschaftslegitimation und Städtekult im Reich des Lysimachos“, der im Ringen der Diadochen erst spät eine Rolle spielte, aber durchaus geschickt agierte. Mehrere Stadt(neu)gründungen und sein Eingreifen zugunsten verschiedener Poleis brachten ihm kultische Ehrungen ein.4 Seine Münzprägung zeigte anfangs eine Bezugnahme auf Philipp II., danach eine Angleichung an Alexander; ab 297 erscheint dieser zwar weiterhin auf dem Avers, auf dem Revers wird jedoch die Athena Nikephoros dargestellt, während die für Lysimachos’ Herrschaftslegitimation zuvor wichtige Löwensymbolik verschwindet. Plischke betont zu Recht, dass die Athena Nikephoros „eine völlig eigenständige und individuelle Form der Herrschaftsbegründung“ (S. 76) darstelle.

Gregor Weber („Der ptolemäische Herrscher- und Dynastiekult – ein Experimentierfeld für Makedonen, Griechen und Ägypter“) sieht in seiner Untersuchung zum ptolemäischen Herrscherkult „ein verwirrendes Geflecht an Initiativen“ und „allenfalls Eckpfeiler eines Gesamtkonzepts“ (S. 77).5 Für die ägyptische Seite wenigstens muss dieses Urteil angesichts der über Jahrtausende tradierten religiös-politischen Kultur doch erstaunen. Ptolemaios I. rekurrierte auf Alexanders göttliche Attribute, die aber der pharaonischen Tradition entsprangen.6 Sein Sohn Ptolemaios II. richtete in Alexandreia das eponyme Amt des Alexanderpriesters ein, dessen Zuständigkeit später auf die theoi adelphoi, Ptolemaios II. und seine Schwestergemahlin Arsinoe II., ausgedehnt wurde. Die „Geschwistergötter“ seien aber nicht als Dynastiekult zu verstehen, da dies nach Webers Definition (S. 79f.) eine Ahnenreihe voraussetze; die Geschwisterehe sollte vielmehr die Einigkeit der Dynastie zeigen. Entgegen der Position Webers war die Verehrung des lebenden Herrschers den Ägyptern nicht fremd.7 Eine Innovation stellte es dar, dass Ptolemaios II. seine Gemahlin in die pharaonische Ahnenreihe aufnehmen ließ.8 Dass oft Hofmitglieder, wie der erste Alexanderpriester Kallikrates, initiativ geworden seien und Zwang zur Verehrung nicht bestanden habe, kann Webers Schlussfolgerung kaum stützen, dass es „einen gesamtptolemäischen und einheitlich konzipierten Herrscher- und Dynastiekult“ nicht gegeben habe (S. 96). Dies stimmt höchstens für den griechisch-makedonischen Teil. Ptolemaios I. und seine Nachfolger waren in die altägyptische Pharaonenideologie und den damit verbundenen religiösen Part integriert, wenngleich, was Weber zu Recht betont, durchaus Adaptionen vorgenommen wurden.9

Linda-Marie Günther („Herrscher als Götter – Götter als Herrscher? Zur Ambivalenz hellenistischer Münzbilder“) bietet höchst interessante Überlegungen zu Münzen, die auf dem Avers einen bärtigen Mann zeigen, der meist als Demetrios II. nach Rückkehr aus parthischer Gefangenschaft gedeutet wird. Durch Heranziehung von Parallelen aus der griechischen Welt weist sie nach, dass bei Münzbildern nicht exakt zwischen Abbild eines Gottes oder Herrschers differenziert werden könne. Als erster Seleukide ließ Antiochos IV. den thronenden Zeus Nikephoros auf den Revers prägen; Günther sieht nun im bärtigen Kopf der Vorderseite der Münzen eine Referenz des Demetrios auf dieses Zeus-Porträt; der Rückgriff auf Zeus statt des üblichen Herrscherbildes habe ihn „gleichsam als Vaterfigur und Siegesbringer“ (S. 108) apostrophiert. Die „interpretatorische Unschärfe“ habe dem antiken Betrachter überlassen, „ob er auf den Münzen einen Gott als Herrscher oder einen Herrscher als Gott erkennen mochte“ (S. 110). Zudem sei höchst zweifelhaft, warum Demetrios durch den Partherbart seine Abhängigkeit vom Arsakidenreich hätte herausstellen sollen, was letztlich Günthers Argumentation zusätzlich stützt.

Christoph Michels behandelt „Dionysos Kathegemon und der attalidische Herrscherkult. Überlegungen zur Herrschaftsrepräsentation der Könige von Pergamon“. Die Attaliden wurden in Pergamon als Stadtgründer kultisch verehrt; erst nach den Territorialgewinnen von 188 v.Chr. wurde der verstorbene Reichsgründer Attalos I. als theos bezeichnet, wenngleich schon zu Lebzeiten Altäre existiert hatten. Ob die Attaliden Dionysos als Stammvater propagierten, müsse unsicher bleiben; sein pergamenischer Beiname Kathegemon verweise ausschließlich auf dessen Rolle im Thiasos und sei nicht von Apollon Archegetes beeinflusst. Aus der Bezeichnung Attalos’ III. als synnaos des Asklepios möchte Michels keinesfalls schließen, dass er „zu Lebzeiten vergottet wurde“ (S. 123), da er nicht als theos bezeichnet werde. Insgesamt sei für die Attaliden „die Gleichsetzung mit dem Göttlichen […], trotz einer betont bürgerlichen Selbstdarstellung, kein Tabu“ gewesen (S. 139); ihre öffentlich propagierte Bürgernähe sei kein Sonderweg, die auf Pergamon beschränkte kultische Verehrung eher der geringen Dimension ihres Herrschaftsbereichs geschuldet.

Franz Peter Mittag („Zur Entwicklung des Herrscher- und Dynastiekultes in Kommagene“) bietet einen Abriss zur Geschichte des Königreichs Kommagene, bevor er sich Interpretation und chronologischer Abfolge der Denkmäler zuwendet, die Antiochos I. an 15 verschiedenen Orten errichten ließ. Aus der Datierung des „Löwenhoroskops“ (7. Juli 62 v.Chr.) möchte Mittag nicht direkt auf die Entstehungszeit von Nemrud Dagh schließen. Antiochos I. stellte sich durch Verehrung seiner Vorfahren in die göttliche Sphäre, bildlich veranschaulicht durch die Dexiosis.10 Der Kult kombinierte griechische und nichtgriechische Elemente, die Feierlichkeiten waren griechischer Natur; trotz iranischen Ursprungs der Götter fehlen eindeutig persische Elemente. Wenngleich die Inschriften auf Griechisch verfasst sind, was wohl die wenigsten Kommagener verstanden, habe die bildliche Darstellung die Intention klar vorgeführt. Zentral ist das Relief von Nemrud Dagh, wo Antiochos mit 36 Stelen seine Ahnen präsentierte, die bis zu Alexander dem Großen und Dareios I. und über diesen auch zu Ahuramazda zurückreichen. Dadurch suche „der König selbst eine immer größere Nähe zu den Göttern“, werde aber nie zum Gott. Beides stehe in der Tradition hellenistischer Herrscher- und Dynastiekulte (S. 160).

Alle Beiträge bieten hoch interessante, spannende Einblicke in die jeweiligen Thematiken. Es zeigt sich, dass gewisse Elemente gemeinsame Komponenten des Herrscherkults darstellen, so kann die Verehrung der Vorfahren eine Nähe zu den Göttern symbolisieren. Eine abschließende Zusammenfassung durch die Herausgeberinnen hätte diese Zusammenhänge zwischen den Themen noch einmal herausstellen können.

Anmerkungen:
1 Das ungebrochene Interesse an diesem Thema zeigt ein weiterer neuer Sammelband: Panagiotis P. Iossif u.a. (Hrsg.), More than Men, Less than Gods. Studies on Royal Cult. Proceedings of the International Colloquium Organized by the Belgian School at Athens (November, 1–2, 2007), Leuven u.a. 2011.
2 Vgl. auch Mark Garrison, By the Favor of Auramazdā: Kingship and the Divine in the Early Achaemenid Period, in: Iossif, More than Men, S. 15–105.
3 Rollinger verweist (S. 45f., Anm. 142) auf einen Keilschrifttext aus Sippar (BM 72747, Jahr Xerxes 1), der ein Opfer vor der Statue des Dareios nennt; da die Einrichtung des Kults zu Lebzeiten unsicher bleiben müsse, könne dies kein Beleg für eine Verehrung des Königs sein. Allerdings bezeugt BM 79712 (Jahr Dareios 30) – ebenfalls aus Sippar – ein Opfer „vor dem Bild des Königs“, womit sicherlich Dareios gemeint ist. Dazu Kristin Kleber, Tempel und Palast. Die Beziehungen zwischen dem König und dem Eanna-Tempel im spätbabylonischen Uruk, Münster 2008, S. 275, die S. 269–275 die Belege zusammengestellt hat.
4 HGIÜ II 306 bezieht sich nicht, wie S. 70 mit Anm. 56 angegeben, auf den Streit Priene-Samos (= HGIÜ II 309, s. S. 72, Anm. 66), sondern auf die Kämpfe Priene-Magnesia.
5 Vgl. auch Gregor Weber (Hrsg.), Alexandreia und das ptolemäische Ägypten. Kulturbegegnungen in hellenistischer Zeit, Berlin 2010, worin Weber neben der Einführung auch den Komplementärbeitrag „Ungleichheiten, Integration oder Adaption? Der ptolemäische Herrscher- und Dynastiekult in griechisch-makedonischer Perspektive“ (S. 55–83) beigesteuert hat.
6 Dass die Aegis Alexanders des Großen ägyptisch zu interpretieren ist und den Herrscher mit Horus identifiziert, zeigt Catherine C. Lorber, Theos Aigiochos: the Aegis in Ptolemaic Portraits of Divine Rulers, in: Iossif, More than Men, S. 293–356, hier 293–315.
7 Weber merkt S. 93, Anm. 96 an, dass die Trennung zwischen göttlichem Amt und Person wohl ein ägyptologisches Konstrukt sei, ohne dies aber zu berücksichtigen.
8 Die Vergöttlichung der verstorbenen Arsinoe I. verstieß, wie die Mendesstele festhält, nicht gegen das Herkommen. Allerdings hätten die Priester kaum Kritik äußern können.
9 Vgl. Günther Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches, Darmstadt 1994, S. 69–107. Zum Tierkult, der in der Ptolemäerzeit seinen Höhepunkt erlebte, und der Rolle des Pharao Dieter Kessler, Die heiligen Tiere und der König, Bd. 1: Beiträge zu Organisation, Kult und Theologie der spätzeitlichen Tierfriedhöfe, Wiesbaden 1989.
10 Höchst missverständlich ist S. 153, Anm. 54 die Angabe zur Dexiosis zwischen Salmanassar III. und Marduk-zakir-sumi, der König von Babylon und kein Gott war (worunter er allerdings im Register zu finden ist).

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