Titel
Catholicism and the Great War. Religion and Everyday Life in Germany and Austria-Hungary, 1914–1922


Autor(en)
Houlihan, Patrick J.
Reihe
Studies in the Social and Cultural History of Modern Warfare
Erschienen
Anzahl Seiten
287 S.
Preis
$ 99.00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Benjamin Schulte, Historisches Institut, Universität zu Köln

Im Zuge der hundertjährigen Wiederkehr des Kriegsausbruchs boomen derzeit kulturhistorische Studien zum Ersten Weltkrieg, die verschiedene Gruppierungen von Kriegsteilnehmern in den Fokus der Forschung rücken.1 In diesen Kontext ist auch Patrick J. Houlihans Arbeit zum Katholizismus während des Ersten Weltkrieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit in Deutschland und Österreich-Ungarn einzuordnen. Houlihan argumentiert, dass die Betrachtung des gelebten Katholizismus in den Verlierernationen eine alternative Sicht auf die Zeit des Weltkrieges eröffne, da insbesondere katholische Glaubenspraktiken einen effektiveren Umgang mit den Umwälzungen des Krieges ermöglichten: „Catholicism portrayed war as necessary suffering, diminished belief in devine-right nationalism, and created a nostalgic vision of idyllic domesticy.“ (S. 2) Religion sei während des Krieges keine Randerscheinung gewesen, vielmehr habe den Katholiken in den untersuchten Ländern ein breites Repertoire an religiösen Erfahrungen zur Verfügung gestanden, um den Kriegsalltag zu interpretierten. Gerade hier habe laut Houlihan die Forschung zur Religiosität während des Weltkrieges den bisherigen Analyserahmen zu eng gezogen (lediglich national oder auf eine Konfession fokussiert), bestimmte Personengruppen ausgeklammert (beispielsweise Frauen) oder sich allein auf die kirchliche Kriegsrhetorik und -theologie konzentriert. Die vorliegende Studie hingegen zeigt, dass die Nation für Katholiken zwischen 1914 und 1922 nur einen kleinen Bestandteil ihres Erfahrungshorizontes ausmachte und dass diese Konfession ganz eigene Mechanismen und Praktiken entwickelte, um sich und ihre Gläubigen auf die Herausforderungen der industriellen Kriegsführung einzustellen. Die katholische Glaubensgemeinschaft im Deutschen Reich und der Habsburgmonarchie reagierte – so eine der Haupthypothesen der Studie – auf den Ersten Weltkrieg und seine Folgen mit Anpassung, anstatt mit einer fundamentalen Erschütterung der eigenen Tradition und einer daraus folgenden Neuorientierung. Auf diese Weise sei es den Katholiken nicht nur gelungen, die direkten und indirekten Effekte des Ersten Weltkrieges an Front und Heimatfront besser zu verarbeiten, sondern habe ihnen auch einen relativ reibungslosen Übergang in die Nachkriegszeit ermöglicht und den Anschluss an den Vorkriegsalltag erleichtert. Um diesen Thesen nachzugehen, wertet Houlihan vorwiegend Quellen aus katholisch dominierten Regionen des Deutschen Reiches sowie Österreich-Ungarn aus – hauptsächlich München, Köln und Wien. Das vorliegende Material unterteilt der Autor in sieben thematische Kapitel.

In einem ersten Schritt legt Houlihan die sozialhistorische Grundlage für seine folgende Untersuchung, indem er die Strukturen katholischen Lebens vor 1914 beschreibt. Die zu untersuchenden Katholiken stammten meist aus ländlichen Regionen, deren Gemeinschaften traditionell geprägt waren; nur in bestimmten Gebieten, wie etwa dem Rheinland, kamen sie in Berührung mit der industrialisierten Moderne. Staatliche Versuche, den Katholizismus mit Kaisertreue zu vereinen, blieben meist erfolglos und bis 1914 war die Weltsicht vieler Katholiken eher durch lokale Anbindungen und transnationale Praktiken der Diaspora beeinflusst, als durch die Loyalität zur Nation. So ist es nicht verwunderlich, dass in dieser „agrarian world of rural Catholicism“ (S. 48) der Ausbruch des Krieges relativ pessimistisch aufgenommen wurde – unter anderem wegen der bevorstehenden Ernte. Diese pessimistische Sichtweise der einfachen Landbevölkerung wurde auch von der offiziellen katholischen Kriegstheologie geteilt, die den Ersten Weltkrieg stark im Kontext historischer Kontinuität und somit einer langen Kette von Ereignissen verortete, die vom Verfall der menschlichen Natur zeugten.

Zur geistlichen Betreuung der Gläubigen und der Verbreitung der amtlichen Kriegstheologie im Felde standen dem deutschen Heer nach Kriegsausbruch Feldkapläne zur Verfügung. Diese waren jedoch keinesfalls sogenannte „milieu-manager“ (S. 115) aus der Mitte der Gemeinde, sondern staatsfinanzierte Autoritäten und Offiziere innerhalb der militärischen Hierarchie. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass es den Feldgeistlichen ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr gelang, zu den Soldaten durchzudringen, da auch sie unmittelbare Kriegsteilnehmer waren und zudem im Ruf standen, als heimliche Frontbeobachter zu agieren. Da die Kapläne also schlicht nicht in der Lage waren, adäquaten geistlichen Trost und Beistand zu spenden, bildeten sich stattdessen vielfach individuelle und einfachere Praktiken des Glaubens aus. Formen privat gelebter Frömmigkeit, aber auch viele Variationen von Aberglauben florierten im Alltag des Schützengrabens. Konfrontiert mit den desillusionierenden Fronterlebnissen und religiösen Halt suchend zogen sich die Soldaten daher insbesondere auf Glaubensformen wie etwa den Marienkult zurück. Auf diese Weise gelang es den religiösen Soldaten, in ihrem erodierenden Weltbild eine zentrale Komponente der heimatlichen Lebenswirklichkeit zu erhalten.

Auch an der Heimatfront versuchten die zurückgelassenen Familienmitglieder, ihre bisher gekannten Alltagsstrukturen weitestgehend aufrecht zu erhalten und sahen in der eigenen Religiosität eine Art Bewältigungshilfe in Zeiten des Krieges. Darüber hinaus eröffnete der Erste Weltkrieg katholischen Frauen zahlreiche neue Betätigungsfelder, vornehmlich in kriegswichtigen Bereichen, wenngleich sich diese zumeist nicht außerhalb der lokalen Gemeinschaften befanden und immer mit der traditionellen, konservativen Weltsicht korrespondieren mussten. Dennoch blieb das Verhältnis des Katholizismus gegenüber Frauen(figuren) trotz Marienkult und Frauenerwerbstätigkeit auch nach 1918 von Ambivalenzen geprägt und die katholische Frau galt gemeinhin als konservativer Gegenentwurf zur Neuen Frau der 1920er-Jahre. Als ambivalent ist auch die Rolle des Papsttums während des Krieges zu beurteilen. Der Kriegspapst Benedikt XV. gilt hinlänglich als Traditionalist und vorsichtiger Reformer, der einerseits den Heiligen Stuhl als großen finanziellen Unterstützer von Familien, Waisen, Verkrüppelten und Kriegsgefangenen etablierte, was die Kassen in Rom nahezu ruinierte. Andererseits konnten der Heilige Stuhl und sein Netzwerk aus geistlichen Vertretern in diplomatischer Hinsicht jedoch kaum Erfolge verbuchen: So konnte keine ernsthafte und erfolgversprechende Vermittlung zwischen den Kriegsmächten erreicht werden, es fand kein Austausch von Kriegsgefangenen statt und abgesehen von der Friedensnote vom 1. August 1917 verhallten die Appelle des Papstes fast ungehört. Schließlich widmet sich Houlihan dem weiteren Fortbestehen des Katholizismus nach 1918. Auch nach Kriegsende stellte nicht die Nation, sondern die Religion für die deutschen und österreichischen Katholiken den zentralen Referenzpunkt für die eigene Trauer und Bewältigungsarbeit dar. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg und der damit einhergehende Untergang der beiden Monarchien führte für die Katholiken Zentraleuropas nicht zu religiöser Desillusionierung, vielmehr kehrten sie nach 1918 wieder zu ihren lokalen und traditionellen Glaubensstrukturen mit der örtlichen Heiligenverehrung zurück, um Krieg, Tod und Leiden durch „familial-focused grieving“ (S. 253) einen Sinn zu verleihen.

Houlihans Studie zeigt, dass sich der Katholizismus während des Ersten Weltkrieges als flexibel genug erwies, um auf die Herausforderungen des Krieges sowie die Bedürfnisse der Gläubigen zu reagieren, wenngleich die Bemühungen offizieller Kirchenvertreter und des Heiligen Stuhls, zu intervenieren und den Krieg früher zu beenden, weitestgehend scheiterten. Insbesondere nach 1918 stellte der katholische Glauben einen Stabilitätsfaktor in einer Zeit sozialer Unruhen dar, da Kriegsniederlage und Untergang der beiden Kaiserreiche Katholiken in ihrem Alltagsglauben und in ihren lokalen Alltagsstrukturen nur peripher tangierte. Stattdessen versuchten die lokalen Gemeinschaften, wieder an alte Vorkriegstraditionen anzuschließen und die heimkehrenden Soldaten wieder ins soziale Leben einzugliedern. Im Gegensatz zum Protestantismus, mit seiner Interpretation der 1920er-Jahre als Bruch und Zeitenwende, erwies sich der Katholizismus daher in der Zwischenkriegszeit als außerordentlich vital. Houlihans Befund ist daher nur zuzustimmen, dass „one of the greatest ironies of the Great War was that Catholicism, the stereotypically archaic and even anti-modern religion, adapted to the circumstances of modern war quite well“ (S. 264).

Die vorliegende Arbeit ist zweifelsohne ein wichtiger Beitrag zur Bedeutung des Katholizismus während der Weltkriegsjahre und seiner Entwicklung in der unmittelbaren Nachkriegszeit, wenngleich die Studie ein paar Fragen offen lässt und an manchen Stellen etwas detaillierter hätte ausfallen können. Wenn der Autor die Rolle des Vatikans als offizieller katholischer Institution thematisiert, muss gefragt werden, warum er nicht ebenso die Haltung des Gesamtverbands der Christlichen Gewerkschaften behandelt; so steht dieses Kapitel vielmehr isoliert für sich. Dieser Eindruck eines etwas disparaten Zuschnitts der Studie hätte auch dadurch vermieden werden können, wenn Houlihan das für den deutschen Fall bekannte Stadt-Land-Gefälle in die Untersuchung einbezogen und hier Gegensätze oder Übereinstimmungen beispielsweise bei der Alltagsbewältigung der katholischen Bevölkerung stärker akzentuiert hätte. Auf diese Weise hätte der positive Gesamteindruck des Buches abgerundet werden können.

Anmerkung:
1 Beispielsweise die Differenzierung nach politischer Couleur bei Benjamin Ziemann, Veteranen der Republik. Kriegserinnerung und demokratische Politik 1918–1933, Bonn 2014; oder die Differenzierung nach sozialem Status bei Nils Löffelbein, Ehrenbürger der Nation. Die Kriegsbeschädigten des Ersten Weltkriegs in Politik und Propaganda des Nationalsozialismus, Essen 2013.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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