S. Fauth u.a. (Hrsg.): Repräsentationen des Krieges

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Titel
Repräsentationen des Krieges. Emotionalisierungsstrategien in der Literatur und den audiovisuellen Medien vom 18. bis zum 21. Jahrhundert


Herausgeber
Fauth, Søren; Green Krejberg, Kasper; Süselbeck, Jan
Erschienen
Göttingen 2012: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
375 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Koebner, München

Studien zur Darstellbarkeit und Darstellung des Krieges in der Literatur, in der Fotografie, im Film häufen sich in letzter Zeit. Auf einige davon – wie die Bücher von Gerhard Paul (2004), Judith Butler (2009) oder Burkhard Röwekamp (2011) – wird auch von den Autoren des Sammelbandes „Repräsentationen des Krieges“ verschiedentlich Bezug genommen.1 Diese Publikation geht auf eine Tagung im dänischen Aarhus im Jahr 2010 zurück und rückt vor allem die „Frage nach der Genese der Gefühle“ (S. 29), die von verschiedenen Repräsentationen des Krieges ausgelöst werden, in den Mittelpunkt. Daher beginnt der Untertitel mit dem Begriff „Emotionalisierungsstrategien“ – dass der etwas wichtigtuerische Ausdruck „Strategie“ militärisch konnotiert ist, stört offenbar nicht.

Unter „Emotionalisierung“ wird meist nichts anderes verstanden als die ausdrückliche, manchmal trickreich verborgene Steuerung der Anteilnahme, der Parteilichkeit, der Zustimmung und Abwehr, sogar ambivalenter Einstellungen – vorzugsweise geschieht dies mit der überlieferten Rhetorik und vertrauten Mitteln. Häufig reicht Alltagserfahrung mit ‚inneren Abläufen‘ aus, um diese – im weitesten Sinne – dramaturgischen Mechanismen zu erkennen, manchmal sind die verstörenden Beobachtungen der Tiefenpsychologie nützlich, etwa Anna Freuds „Identifikation mit dem Aggressor“ (Phänomene, die jedoch von den Autoren nicht berücksichtigt werden). Dafür beweisen die meisten Beiträge dieses Buches einen scharfen Blick für die sozialen Konflikte und historischen Hintergründe, die sich in den inspizierten Filmen, Fotos, Gedichten und Prosastücken spiegeln.

Von der „Ambivalenz der Affekte“ im Kriegs- und Antikriegsfilm ist im ersten, dem umfangreichsten Abschnitt die Rede: Hermann Kappelhoff stellt fest, dass die meisten der Kriegsfilme Hollywoods einen patriotischen ‚sense of community‘ fördern, wobei die Angst vor dem inneren Feind zunehmend eine Rolle spielt (eigentlich schon im Spionagefilm seit Beginn dieses Genres). Kappelhoff befasst sich eingehend und scharfsichtig mit den Filmen „Saving Private Ryan“ und „Windtalkers“ und betont (nicht als Erster), dass der offene Kampf, zum Beispiel die Landung der US-amerikanischen Truppen an der Küste der Normandie, vornehmlich als Wahrnehmung einer chaotischen Situation wiedergegeben wird. Die Formulierung, dass das Schlachtgetümmel zum Horrorfilm werde (S. 46), erscheint mir aber allzu abgehoben.

Manuel Köppen untersucht die Gewaltinszenierungen in „Saving Private Ryan“, „Black Hawk Down“ (er konstatiert hier die Nähe zur Computerästhetik der Ego-Shooter-Spiele) und „Inglourious Basterds“. Eines der nicht unerwarteten Resultate: Die „Sensation des Kampfes“ überfordere die Soldaten (S. 71). Und: Das heroisch-stilvolle Sterben (wo zum Beispiel wird dies vorgeführt?) weiche im neueren Kriegsfilm „körperlicher Unmittelbarkeit und Direktheit“ (S. 72) – was auch immer mit dieser vagen Auskunft gemeint sein mag.

Gerhard Jens Lüdeker stellt auf überzeugende Weise Combat- und Homefront-Movies einander gegenüber und erörtert nachdenklich und nuanciert die Filme „Battle for Haditha“, „The Hurt Locker“ und „The Valley of Elah“. Er plädiert schließlich mit guten Gründen dafür, dass Homefront-Movies durchaus als Antikriegsfilme einzuschätzen seien – gewissermaßen als Erzählungen von den Kriegsfolgen. Der meiner Ansicht nach akademischen (also ein wenig wirklichkeitsfremden) Neigung, die Grenzen zwischen Kriegs- und Antikriegsfilmen gründlich zu verwischen, wird Einhalt geboten durch die klare Argumentation Lüdekers und dessen Blick auf die jeweilige „Zuschauermobilisierung“ (S. 87 passim – wieder so eine kernige militärische Formel).

Thomas F. Schneider betrachtet kenntnisreich und subtil Bilder des Todes, Fotos und Filmaufzeichnungen in der Kriegsberichterstattung, bisweilen angelehnt an Susan Sontags Essays. Mikkel Bruun Zangenberg erinnert an Milbloggers, die den alten Brief nach Hause durch weniger zensierte Nachrichten im Internet ersetzen und zugleich als „experts-on-the-ground“ (S. 158) Zeugnis ablegen.

Eine Mehrheit von Studien widmet sich älterer und zeitgenössischer Kriegsliteratur: Jürgen Brokoff geht mit Peter Handkes fragwürdiger Gewichtung von Kriegsopfern im Bosnienkrieg ins Gericht und verweist auf alternative Berichte von Autoren wie Suljagic und Drakulic, die sich schon dadurch auszeichnen, dass sie vor der paradoxen Realität nicht die Augen verschließen und zum Beispiel die höchst beunruhigende (aber nicht ungewöhnliche) Verwandlung von Opfern in Täter bezeugen. Kasper Green Krejberg führt W. G. Sebalds „Luftkrieg und Literatur“ sowie Michael Hanekes Film „Das weiße Band“ als zeitgenössische Kriegsgeschichten an, die sich einer Ästhetik des Indirekten bedienen: Bei Sebald mag dies überzeugen, bei Hanekes „dark allegory“ (S. 197) weniger. Es reicht nicht, raunend zu behaupten, dass bei einer Aufnahme verwinkelter Innenräume zwei Weltkriege „[are] looming around the corner“ (S. 196). Jan Süselbeck reagiert (verständlicherweise) gereizt auf die „Überwältigungsästhetik“ (S. 236 passim) in Christian Krachts Roman „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ und deckt Parallelen zu Ernst Jüngers empathiefreiem Snobismus in dessen „Kriegserlebnissen“ auf, also zum „Hochgefühl des kühlen Betrachters“ (S. 239). Weitere Verweise Süselbecks auf Science-Fiction-Autoren wie Frank Herbert oder H.P. Lovecraft, auch auf den Film „The Matrix“, regen zum Weiterdenken an.

Bernd Blaschke liest noch einmal feinfühlig Elfriede Jelineks Satire „Bambiland“: „Ihr Sarkasmus provoziert neben Lachen ein polymorphes, kaum fixierbares Gefühlsgewitter.“ (S. 274) Christoph Jürgensen wendet sich zurück zu Ernst Moritz Arndt und Theodor Körner und erschließt den historischen Sinn ihrer ‚nationalistischen‘ Lyrik im Dienst der sogenannten Befreiungskriege gegen Napoleon. Mareen van Marwyck äußert sich zu anmutigen Heroinnen der Goethezeit, etwa zu Friedrich Schillers Jungfrau von Orleans, und betont den Bruch mit der aus dem Barock herüberreichenden Vorbildfigur: „Die uneingeschränkte Gewaltbereitschaft wie auch die emotionale Ausdruckslosigkeit des neustoischen Helden ließen sich nicht mit dem Konzept einer ästhetischen Erziehung vereinbaren.“ (S. 317)

Thomas Anz macht sich systematische und sorgfältig differenzierende Gedanken zum Freund-Feind-Schema, zur Verteilung von Sympathie und Antipathie, zitiert die blindwütigen Hassgesänge so unterschiedlicher deutscher Autoren wie Ernst Lissauer oder Will Vesper zu Beginn des Ersten Weltkriegs, die Wiederentdeckung des Mitmenschen im sterbenden oder toten feindlichen Soldaten bei Erich Maria Remarque oder Ernst Toller – sobald das Gegnerschaft und Angst aufzwingende „Bedrohungsszenarium“ an der Front zeitweise außer Kraft gesetzt ist (S. 353). Anz lässt sich nicht auf ein einfältiges Entweder-oder ein. Kann es nicht sein, so fragt er zum Schluss seines Aufsatzes, „dass es Feindbilder gibt, die unter Umständen ihre Berechtigung haben“? Das mache „die Reflexion über sie nicht eben einfach“ (S. 354). Svend Erik Larsen schließt den Band mit Reflexionen über den Komplex der Vergebung und Versöhnung nach dem Krieg ab und skizziert unterschiedliche Varianten der „forgiveness“ oder des „refusal of forgiveness“ (S. 360) (Jean Améry, Jacob Dlamini, Imre Kertész, Yi Mun-Yol).

Einige wenige Beiträge habe ich in dieser Auflistung übersprungen – um bei der Besprechung nicht auszuufern. Etliche der Untersuchungen und Befunde dieses Omnibus-Buchs vertiefen zweifellos das Problembewusstsein, die Aufmerksamkeit für die ideologischen Konzepte der Kriegsdarstellung. Sie erweitern jedoch das Repertoire einschlägiger Texte und Filme nur von Fall zu Fall. Die Literaturwissenschaftler in dieser Auswahl ‚gehen‘ wenigstens bis ins 18. Jahrhundert zurück (wofür man ihnen dankbar ist). Die Filmwissenschaft konzentriert sich hingegen auf die US-amerikanischen Blockbuster-Filme der letzten zehn, fünfzehn Jahre. Ob von den Autoren zuvor verabredet oder nicht, ich halte diese Einengung des Blickwinkels auf populäre Programme und die oft stereotypisierte Rezeption von Zeitgenossen für unnötig – als hätte es in der Filmgeschichte nicht zahlreiche andere, ebenso bedenkenswerte Exempel gegeben, von David W. Griffiths „Intolerance“ bis zu Jean Renoirs „La grande illusion“.

Anmerkung:
1 Gerhard Paul, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn 2004; vgl. die Rezension von Heidi Merkhens, in: H-Soz-u-Kult, 18.02.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-1-128> (02.05.2013); Judith Butler, Krieg und Affekt. Krieg, Medien und Affekte, Zürich 2009; Burkhard Röwekamp, Antikriegsfilm. Zur Ästhetik, Geschichte und Theorie einer filmhistorischen Praxis, München 2011; vgl. die Rezension von Lars Jockheck, in: H-Soz-u-Kult, 29.04.2013, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2013-2-075> (02.05.2013). Nicht berücksichtigt wurden, obwohl sich ihre Publikationen vielfältig und detailliert mit Kriegsfilmen beschäftigen, soweit ich sehe: Thomas Klein / Marcus Stiglegger / Bodo Traber (Hrsg.), Kriegsfilm, Stuttgart 2006 und Heinz B. Heller / Burkhard Röwekamp / Matthias Steinle (Hrsg.), All Quiet on the Genre Front? Zur Praxis und Theorie des Kriegsfilms. Marburg 2006; vgl. die Rezension von Jakob Sobe, in: H-Soz-u-Kult, 11.01.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-1-025> (02.05.2013).

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