K. Rohwedder: Kalter Krieg und Hochschulreform

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Titel
Kalter Krieg und Hochschulreform. Der Verband Deutscher Studentenschaften in der frühen Bundesrepublik (1949-1969)


Autor(en)
Rohwedder, Uwe
Erschienen
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Anne Rohstock, Fakultät für Sprachwissenschaften und Literatur, Geisteswissenschaften, Kunst und Erziehungswissenschaften, Universität Luxemburg Email:

Die westdeutsche Hochschulreform nach 1945 erfreut sich seit kurzem wachsender Beliebtheit in der Geschichtswissenschaft und der historischen Bildungsforschung. So sind in den letzten Jahren zahlreiche Arbeiten erschienen, die sich auf breiter empirischer Grundlage mit politischen und gesellschaftlichen Neuordnungsbemühungen im Universitätsbereich, dem studentischen Engagement und dem Einfluss ausländischer Modelle auf die bundesrepublikanische Hochschullandschaft beschäftigen.1 Uwe Rohwedders Dissertation zu einem der wichtigsten studentischen Verbände der Nachkriegszeit ergänzt diese Studien auf solider Basis, setzt dabei aber nur wenige eigene Akzente.

Seine Arbeit widmet sich in fünf knappen chronologischen Kapiteln der Geschichte des Verbandes Deutscher Studentenschaften (VDS), dem Dachverband der Allgemeinen Studentenausschüsse (ASTAs), in der Zeit zwischen seiner Gründung im Jahr 1949 und dem Jahr seines Abstiegs in die Bedeutungslosigkeit 1969. Schade ist dabei nur, dass der Autor die Jahre ab 1968, zweifelsohne eine bewegte Zeit des Verbandes, kaum in die Darstellung mit einbezieht. Bestandslücken im Bundesarchiv nennt Rohwedder als Grund, die allerdings mit relativ wenig Aufwand über Parallelüberlieferungen, so etwa über die im Universitätsarchiv in Frankfurt lagernden Dokumente, hätten geschlossen werden können. Einer kurzen Einleitung folgt die Gründungsgeschichte des Verbandes; in einem zweiten Kapitel ordnet Rohwedder die Aktivitäten des VDS in den Kontext des Kalten Krieges ein. Kapitel drei, vier und fünf behandeln zentrale Betätigungsfelder des Verbandes, so vor allem sein Engagement für die Studentenförderung, die Hochschulreform sowie sein im Zuge der allmählichen Politisierung der Studentenschaft gegen Ende der 1960er-Jahre zunehmendes Interesse für allgemeine innen- und außenpolitische Belange (Stichwort „politisches Mandat“). Den Schluss bildet ein Dokumentenanhang, der dem Interessierten einen schnellen Zugriff auf die wichtigsten Quellentexte des Verbandes ermöglicht.

Anders als der Haupttitel suggeriert ist Rohwedders Studie über weite Strecken eine konventionelle Verbandsgeschichte – mit all ihren Vor- und Nachteilen. Auf der Habenseite kann verbucht werden, dass der Leser viele Details aus dem Innenleben des Verbandes erfährt und eine minutiöse Rekonstruktion seiner Arbeit geliefert bekommt. Rohwedder ist dafür tief in die Archive getaucht, hat die Bestände des Bundesarchivs in Koblenz und zahlreiche Zeitschriften ausgewertet sowie zehn Interviews mit Zeitzeugen geführt. Auch wenn der Neuigkeitswert der Ergebnisse zuweilen anzuzweifeln ist, vermag Rohwedder auf dieser Grundlage etwa detailliert zu zeigen, dass der VDS bereits zu Beginn der 1960er-Jahre in der Hochschulreform engagiert war, schon 1962 die Orientierung der westdeutschen Reformen an anglo-amerikanischen Modellen und die Einrichtung von Departments und Abteilungen forderte sowie den „Abschied vom Elfenbeinturm“ und damit das stärkere Hineinwirken der Universität in die Gesellschaft einklagte (S. 139). Zuweilen ging der VDS dabei sogar weiter als der eigentlich viel radikalere Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), etwa indem er die Entkoppelung von Forschung und Lehre befürwortete und damit an einer der heiligsten Traditionen der deutschen Universitätsidee rüttelte (S. 145). Dass die Radikalisierung des VDS seit Mitte der 1960er-Jahre vor allem auf Kontakte mit ausländischen Studentenverbänden zurückzuführen ist, verdient zumindest Erwähnung (S. 163). Rohwedder gelingen darüber hinaus erhellende Einblicke in die Geschichte der finanziellen Studentenförderung in Westdeutschland, in der der VDS als Initiator eine tragende Rolle einnahm (S. 110–129). So kann er zeigen, dass das sogenannte Honnefer Modell, der Vorreiter des heutigen Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAFÖG), auf Finanzierungsansätzen beruhte, die ursprünglich als Hilfe für studentische Flüchtlinge aus der Deutschen Demokratischen Republik konzipiert worden waren (S. 121).

Selten allerdings passt Rohwedder seine Befunde explizit in einen umfassenderen historischen Rahmen ein, obwohl gerade in genanntem Punkt der im Titel angedeutete Kontext des Kalten Krieges mit Händen zu greifen ist. Die Passagen, in denen es ihm gelingt, den Blick zu weiten, zählen dann zweifelsohne auch zu den stärksten des ganzen Buches. Eines der großen Glanzlichter der Studie stellt etwa das zweite Kapitel dar (S. 83–100). Hier bereitet Rohwedder die Verstrickung des VDS in die Fronten des Kalten Kriegs spannend auf und bricht so auch in wohltuender Weise mit dem wenig glamourösen Stil einer klassischen Verbandsgeschichte. Rohwedder weist etwa nach, dass der VDS in den 1950er-Jahren zur Abwehr „kommunistischer Infiltration“ nicht nur eng mit den Organen des westdeutschen Verfassungsschutzes zusammenarbeitete und im Auftrag westdeutscher Hochschulen sogar Gutachten über Studenten und Professoren aus der DDR anfertigte (S. 83). Unter Einbeziehung jüngst erschienener amerikanischer Forschungsarbeiten legt er auch dar, dass der Verband klandestine Kontakte zur US-amerikanischen Central Intelligence Agency (CIA) unterhielt, von der er für seine vermeintlich systemstabilisierende Arbeit in der sich verschärfenden Blockkonfrontation offenbar über längere Zeiträume hinweg auch finanzielle Unterstützung kassierte (S. 85ff).

Und hier ist dann auch schon Kritik anzumelden. Gerade diese „in den nachrichtendienstlichen Graubereich“ führenden Praktiken, wie sie der Autor selbst treffend bezeichnet (S. 83), werfen nämlich einen Schatten auf die von Rohwedder als „demokratischer Neubeginn“ (S. 29) apostrophierte Gründung des Verbandes nach 1945. In diesem Zusammenhang muss auch die Frage erlaubt sein, wie „demokratisch“ ein „Neubeginn“ gewesen sein kann, in dessen Zuge sich der VDS zunächst in die Tradition der Deutschen Studentenschaft zu stellen versuchte, die vom Alliierten Kontrollrat als NS-Organisation bereits im Jahr des Kriegsendes verboten worden war (S .44). Jedenfalls hätte es sich angeboten, keiner auf Brüche konzentrierten Erfolgsgeschichte den Vorzug zu geben, sondern etwas kritischer die Kontinuitäten der studentischen Selbstverwaltung in den Blick zu nehmen.

Das gilt auch und vor allem hinsichtlich des Demokratieverständnisses, das der VDS nach 1945 zur Grundlage seiner Arbeit machte. In diesem Punkt hätte Rohwedder sowohl bis in die erste deutsche Demokratie zurückreichende Traditionslinien als auch einen möglichen Wandel des Demokratieverständnisses in den Nachkriegsjahrzehnten aufzeigen müssen. Wie wichtig eine solche Differenzierung gewesen wäre, zeigt sich symptomatisch bereits in der Einleitung. Dort heißt es mit Blick auf die Re-education-Politik der Amerikaner lapidar, dass diese mit ihrem Ziel, die deutschen Studenten über Selbsttätigkeit zur Demokratie zu erziehen – ein traditionsreiches und eminent amerikanisches Erziehungsideal des öffentlichen Bildungswesens –, „bewusst oder unbewusst“ an deutsche demokratische Traditionen angeknüpft hätten (S. 10). Ganz Ähnliches habe nämlich bereits der preußische Kultusminister Carl-Heinrich Becker im Jahr 1920 gefordert, so Rohwedder, der damit nicht nur unzulässig demokratische Standards anglo-amerikanischer Prägung auf die Weimarer Zeit projiziert, sondern auch eine gründliche Quellenkritik vernachlässigt. Im Gegensatz zu der Re-education-Politik der Amerikaner nach 1945, die die Rolle der Studenten als künftige Führungspersönlichkeiten in der demokratischen Gesellschaft betonte (S. 10, 32ff.), spricht Becker in dem von Rohwedder angeführten Zitat aus dem Jahr 1920 trotz seiner offensichtlichen demokratischen Gesinnung eben nicht von der Verantwortung der angehenden Akademiker für die Demokratie oder die Republik, sondern ganz klar von ihrer Aufgabe im Rahmen der „akademischen und damit der nationalen Gemeinschaft“, die den Studenten, wie er wohlwollend bemerkt, von seiner „naturgemäß individualistischen Einstellung“ wegführe (S. 27). Dass es Becker mithin nicht um die Erziehung eines democratic citizen im amerikanischen Sinne zu tun war, formulierte er selbst sogar unmissverständlich: „Die Organe der Studentenschaft sind für studentische Zwecke gebildet, sie vertreten die Studenten nicht als Staatsbürger“ (S. 27). Bewusst oder unbewusst konstruiert Rohwedder also eine von Weimar nach Bonn reichende Traditionslinie eines deutschen Bildungsideals, das im Kern auf die Erziehung des demokratischen Bürgers und sein Wirken in der Gesellschaft gezielt habe. Dass diese Parallelisierung zwischen der deutschen Bildungsidee und der amerikanischen Tradition der citizenship education unangebracht ist, zeigt sich schon allein daran, dass selbst das deutsche Bildungsideal humanistischer Prägung nicht auf die Gesellschaft, sondern auf die Innerlichkeit, die ganzheitliche Persönlichkeitsbildung, des Menschen gerichtet war. In seiner nationalistischen Ausführung orientierte sich das Ideal vor allem an einer zunehmend anti-individualistischen, kollektivierenden und deswegen teils auch antipluralistischen „nationalen Gemeinschaft“, die später von der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ abgelöst wurde. Bildungsverständnis und Demokratiebegriff Carl Heinrich Beckers sind also mit dem Demokratiebegriff und Erziehungsideal amerikanischer Provenienz nicht vorschnell gleichzusetzen.

Über den sich verändernden Demokratiebegriff oder Analysekriterien wie Kontinuität und Wandel wäre leicht ein roter Faden zu spinnen gewesen, der dem Buch sicher nicht zum Negativen gereicht hätte. Das trifft umso mehr zu als der Autor keine Aussagen über die verwendete Methode oder die Wahl des Untersuchungszeitraums macht und auch keine Fragestellung oder These formuliert. Da die Ergebnisse darüber hinaus nicht gebündelt zusammengefasst werden, muss der Leser sich die Frage nach Ziel und Zweck der Arbeit selbst stellen. Dass sie eine sinnvolle Ergänzung bisher vorliegender Forschungsarbeiten darstellt, ist die Antwort der Rezensentin.

Anmerkung:
1 Exemplarisch seien hier nur genannt: Christian George, Studieren in Ruinen. Die Studenten der Universität Bonn in der Nachkriegszeit (1945–1955), Bonn 2010; Stefan Paulus, Vorbild USA? Amerikanisierung von Universität und Wissenschaft in Westdeutschland 1945–1976, München 2010; Anne Rohstock, Von der „Ordinarienuniversität“ zur „Revolutionszentrale“? Hochschulreform und Hochschulrevolte in Bayern und Hessen 1957–1976, München 2010; Boris Spix, Abschied vom Elfenbeinturm? Politisches Verhalten Studierender 1957–1967. Berlin und Nordrhein-Westfalen im Vergleich, Essen 2008.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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