Titel
Warum Krieg?. Die Sinndeutung des Krieges in der deutschen Militärelite 1871–1945


Autor(en)
Meier, Niklaus
Erschienen
Paderborn 2012: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
354 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Seidl, Integriertes Schlüsselkompetenz- und Weiterbildungszentrum, Universität Koblenz-Landau

Nikolaus Meier untersucht in seinem Buch die Deutungen und Begründungen des Phänomens Krieg in den deutschen Militäreliten zwischen 1871 und 1945. Dabei steht nicht ein spezieller Krieg, sondern vielmehr die allgemeine Sinngebung des Krieges an sich im Mittelpunkt seiner Analyse: Wie war das Denken und Reden über Krieg strukturiert und geregelt? Welche Themen und Elemente tauchten in den Diskursen auf? Welche Rede-, Deutungs-, Legitimations- und Argumentationsformen beherrschten den Diskurs? (S. 23)

Seine Arbeit ist in der Tradition der kulturgeschichtlich orientierten Militärgeschichte zu verorten, die sich in den letzten Jahren im deutschen Sprachraum äußerst dynamisch entwickelt hat. Hierbei steht nicht die Rekonstruktion von Ereignissen oder Handlungsabläufen im Mittelpunkt, sondern die Frage, wie ebenjene Ereignisse durch die Akteure gedeutet wurden. Für Meier bedeutet das „Denkweisen, Vorstellungen, Legitimationsformen und Sinndeutungen in Bezug auf Krieg zu beschreiben und zu analysieren“ (S. 14). Dabei greift er methodisch auf die historische Diskursanalyse zurück, die sich in der kulturgeschichtlichen Forschung bewährt hat. Zwar ist die direkte Handlungsrelevanz von Diskursen nicht nachzuweisen, doch dienten die Deutungen der Militärs als Schablone und Rechtfertigung für ihr Handeln (etwa für den Vernichtungskrieg an der Ostfront). Mit dieser Methode wählt der Autor bewusst einen analytisch-deskriptiven Fokus. Er erhebt nicht den Anspruch statistisch repräsentative Ergebnisse zu präsentieren, sondern qualitative Befunde zu den Diskursen in den militärischen Eliten zu liefern. Als Quellen dienen ihm verschiedene Formen der Kommunikation über den Krieg: zeitgenössische Monografien, Zeitschriftenaufsätze, militärische Handbücher, Egodokumente, Erlasse, Befehle, Schulungs- und Unterrichtsmaterialien et cetera, aus denen Meier für die Untersuchung einen eigenen Textkorpus zusammenstellt. Kriterien beziehungsweise die genaue Zusammensetzung des Korpus werden leider nicht näher erläutert.

Zwischen eine ausführliche Einleitung und eine knappe Schlussbetrachtung bettet der Autor sechs Kapitel ein, die sich den herausgearbeiteten Diskursen (Kapitel I–V) und einer Zusammenfassung der Ergebnisse widmen (Kapitel VI). Die thematischen Kapitel sind diachron aufgebaut und nach verschiedenen Diskursaspekten gegliedert. Ein Exkurs über die Rolle des Krieges in der Weltdeutung Hitlers ergänzt den Analyseteil. Für den Untersuchungszeitraum 1871–1945 arbeitet Meier fünf prägende Deutungen in den deutschen militärischen Eliten heraus: (1.) Krieg als Instrument der Politik beziehungsweise als Aspekt des Machtstaates, (2.) Krieg als integraler Teil der Menschheitsentwicklung, (3.) Krieg als Bestandteil des sozialdarwinistischen Auslesekampfes, (4.) Krieg als Vernichtungskrieg und Rassenkampf, (5.) Krieg als existenzieller Kampf um ‚Sein oder Nichtsein‘. Diese Diskurse bildeten seiner Einschätzung nach „ein Panorama der diskursiven Sinngebung des Krieges“ (S. 49) in dieser Zeit:

(1.) Das instrumentelle Kriegsverständnis ist die Grundlage des Clausewitz-Diktums vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Aus der Geschichtsschreibung und Philosophie leitete sich die Deutung des Krieges als legitime Handlungsoption des modernen Machtstaates ab, der kein über sich stehendes Recht akzeptiert. Kriege waren aus dieser Perspektive notwendig und unvermeidbar, um die eigenen machtpolitischen Interessen durchsetzen zu können. Darüber hinaus wurde dem Krieg die Rolle eines „unabdingbaren und gerechten Schiedsrichters“ (S. 296) bei machtpolitischen Fragen zugewiesen (so beispielsweise auch eine Interpretation des deutsch-französischen Krieges von 1871).

(2.) Der bellizistische Kriegsdiskurs war durch die Vorstellung geprägt, dass Krieg zum Fortschreiten der geschichtlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklung beitrage: „ohne den Krieg würde es keine zivilisatorische Fortentwicklung geben, die Staaten/Völker würden auf einer niedrigen Kulturstufe verharren.“ (S. 297) So manifestiere sich im Sieg die Führungsrolle einzelner Staaten im Gang der Weltgeschichte. In der Tradition kulturpessimistischer und zivilisationskritischer Überlegungen wurde dem Krieg zudem eine reinigende (Katharsis) Funktion zugeschrieben, da im Gegensatz zur modernen Massengesellschaft im Krieg wieder Tugenden wie Mut, Tapferkeit und Pflichtgefühl an Bedeutung gewönnen.

(3.) Der sozialdarwinistische Kriegsdiskurs war stark auf das Recht des Stärkeren und einen Auslesekampf zwischen den Völkern/Rassen fixiert. Im Diskurs wurde immer wieder auf Metaphern aus der Natur (z. B. ‚Naturgesetz‘) zurückgegriffen. Leitgedanke war die Überzeugung, dass Kampf grundlegendes Prinzip der Natur sei. Der Krieg wurde damit zur biologischen und naturgesetzlichen Notwendigkeit verklärt. Mit diesem Diskurs wurde der politisch-philosophischen Deutung eine biologistische, scheinbar naturwissenschaftlich begründete, Interpretation an die Seite gestellt.

(4.) Das Verständnis des Krieges als Rassenkampf und Vernichtungskrieg baute auf dem sozialdarwinistischen Kriegsdiskurs auf. Besonders traten hier jedoch rassistische und antisemitische Vorstellungen hervor, aus denen die Notwendigkeit zur Vernichtung des Gegners abgeleitet wurde. Während zunächst noch die Vernichtung der feindlichen Streitmacht im Mittelpunkt stand, erfuhr das Konzept des Vernichtungskriegs in der Folge eine immer weiter fortschreitende Entgrenzung (etwa in den Kolonialkriegen gegen die Herero und Nama), die in genozidalen Gedanken ihren Höhepunkt fand. Damit war die Umdeutung des Gegners von einem politisch-nationalen Konkurrenten hin zu einem biologisch-existenziellen Feind abgeschlossen.

(5.) Im existienziell-apokalyptischen Kriegsdiskurs wurde der Krieg als existenzieller Kampf ums Dasein gedeutet. Damit rückte die Frage der (Weiter-)Existenz des gesamten staatlich-nationalen Kollektivs in den Mittelpunkt der Deutung. Ihre Zuspitzung erfuhr diese Interpretation im Konzept des ‚totalen Krieges‘. Zudem war die Idealisierung des heroischen Untergangs Teil dieses Diskurses: „Der heroische Kampf bis zum Letzten und die Bereitschaft zur Selbstaufopferung sollten die Schmach der unabwendbaren Niederlage in einen moralischen Sieg und Triumph verwandeln“ (S. 300).

Meier stellt fest, dass die von ihm ausgewerteten Quellen zumeist von mehreren unterschiedlichen Diskursen durchdrungen waren. Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg konstatiert er eine erstaunliche Kontinuität und Persistenz der Diskurse, auch wenn Verschiebungen und Überlagerungen zu beobachten seien. Religiöse Sinnzuschreibungen und Deutungen spielten dagegen in den ausgewerteten Quellen keine prägende Rolle (S. 308). Neben den kriegsbejahenden Diskursen geht der Autor – leider nur sehr kurz – in seiner Zusammenfassung auch auf die Gegenposition, die kriegskritischen Diskurse, im Textkorpus ein. Eine umfassendere Analyse dieser weniger prominenten und öffentlichen Seite des Kriegsdiskurses hätte die Arbeit abgerundet. Interessant wird die Arbeit durch den gewählten Untersuchungszeitraum über gut 70 Jahre und drei unterschiedliche politische Systeme hinweg. Damit können Kontinuitäten und Diskontinuitäten aufgezeigt werden, die auch zum Verständnis des Handelns der deutschen Militäreliten in verschiedensten bewaffneten Konflikten beitragen. Meiers Forschungsergebnisse geben interessante und zum Teile neue Einblicke und regen zum Weiterdenken/-forschen an. Handelt es sich bei den vom ihm herausgearbeiteten Diskursen um typisch deutsche Denk- und Argumentationsmuster oder gibt es gemeinsame beziehungsweise gegensätzliche Diskurse in militärischen Eliten anderer Länder in dieser Zeit? Welchen Einfluss hat das Ende der nationalsozialistischen Diktatur auf die Kontinuitäten und Diskontinuitäten dieser Diskurse hinein in die Eliten der Bundeswehr? Positiv fallen an der Arbeit die ansprechende sprachliche Gestaltung sowie die Breite des Ansatzes auf. So werden neben den europäischen Kriegen etwa auch die Kolonialkriege einbezogen. Einzig die sehr detaillierte und etwas unübersichtliche Gliederung sowie die unklare Zusammenstellung des Quellenkorpus trüben den ansonsten guten Leseeindruck.

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