A. Flores: Säkularismus und Islam in Ägypten

Titel
Säkularismus und Islam in Ägypten. Die Debatte der 1980er Jahre


Autor(en)
Flores, Alexander
Reihe
Studien zur Zeitgeschichte des Nahen Ostens und Nordafrikas Bd. 17
Erschienen
Münster 2012: LIT Verlag
Anzahl Seiten
201 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Sing, Orient-Institut Beirut

Alexander Flores ist mehrfach mit Studien zum Säkularismus hervorgetreten und darf als Fachmann auf diesem Gebiet gelten. Bei dem vorliegenden Band über die Säkularismus-Debatte der 1980er-Jahre in Ägypten handelt es sich um seine Habilitationsschrift, die er großenteils 1991 abgeschlossen, aber erst jetzt publiziert hat. Für die Veröffentlichung wurde das Manuskript überarbeitet und mit einem zweiseitigen Nachwort aus dem Jahre 2010 versehen, aber nicht auf einen „neuen Stand“ gebracht (S. 7). Dennoch ist die Darstellung, auch für das Verständnis der heutigen politischen Landschaft in Ägypten, von großem Wert, da es dem Autor gelingt, grundsätzliche Fragestellungen auf den Punkt zu bringen.

Der Autor hat zwölf Kontroversen (S. 165f.) zwischen Islamisten und Säkularisten identifiziert und ausgewertet. Dadurch belegt er, dass die Debatte in den staatlich kontrollierten Medien sowohl offen als auch heftig geführt wurde. Er gibt zu verstehen, dass dies ganz im Interesse der Regierung lag: sie konnte sich dadurch anti-islamistisch geben, ohne sich offen auf die Seite der Säkularisten stellen zu müssen, wollte aber auch ihre islamische Legitimität herausstreichen, ohne direkt auf eine islamistisch-politische Agenda einzugehen. Als Säkularisten bezeichnet der Autor diejenigen Debattenteilnehmer, die sich gegen eine (weitere) Islamisierung von Recht, Politik und Gesellschaft wandten (S. 164), den Begriff „säkularistisch“ aber oft nicht zur Eigenbezeichnung benutzten, da dieser von Islamisten als Schimpfwort gebraucht wurde (S. 41). Die Debatte und die offene Äußerung säkularistischer Positionen wurden „von dem Erstarken der islamistischen Kräfte hervorgerufen“ (S. 109), wie der Autor betont. Trotzdem fanden sich die Säkularisten in der Rolle der Angeklagten wieder, weil sie von ihren Opponenten mit dem Westen und den ägyptischen Zuständen identifiziert wurden – obwohl der Staat kein klares Bekenntnis zu einer säkularen Ordnung ablegte (S. 120, 178).

Gründe für die politische Brisanz der Debatte waren (a) die Wahlbündnisse der Muslimbrüder von 1984 und 1987; (b) die von ihnen erhobene Forderung nach Einführung der Scharia, der die Regierung nicht offen widersprach, sondern entgegenzukommen vorgab; (c) und die Regierungspolitik, die zwischen Eindämmung und Kooption der Muslimbrüder oszillierte. Die Debatte ebbte mit Beginn der 1990er-Jahre ab, nicht nur, weil die Argumente dann mehrfach ausgetauscht waren, sondern auch, weil die Regierung auf verschärfte Konfrontation gegenüber gewaltbereiten Islamisten setzte und nun den Säkularisten das Feld in den Medien überließ. Vor diesem Hintergrund ist das Urteil des Autors über Farag Foda – eigentlich „in mancher Hinsicht der ‚Held‘ des Buches“ (S. 7) – zu sehen, dass Foda „ganz bewusst“ die Rolle „als Propagandist der Regierung in ihrem Kampf gegen Islamisten“ (S. 178) angenommen habe, eine Rolle, die er letztlich 1992 mit der Ermordung durch Islamisten bezahlte; dies, obwohl sich Foda doch stets der inkonsequenten Haltung der Regierung bewusst gewesen sei, welche nur bedingt der Sache des Säkularismus diene (S. 178).

Die Studie gliedert sich in drei große Teile. In der Einleitung (S. 8–39) findet sich eine nützliche Zusammenfassung über das Verhältnis von Politik und Religion in der Geschichte des Islams sowie über die Säkularisierungsvorgänge im modernen Ägypten. Im Hauptteil (S. 40–163) werden die teilweise recht vertrackten Argumentationsgänge analysiert. Zunächst kommt am Beispiel Fuad Zakariyas das Für und Wider eines expliziten Säkularismus als einer grundsätzlichen intellektuellen Haltung in den Fokus. Anschließend werden die stärker politisch geprägten Entgegnungen auf den Islamismus analysiert, oftmals am Beispiel Farag Fodas. Der Diskussion um die Einführung der Scharia ist ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Dabei kommt der Autor zu dem Schluss, dass eigentlich nicht über konkrete Veränderungen, sondern nur über das „Prinzip“ der Einführung gestritten wurde, die Scharia weniger als Recht, denn als „Symbol“ (S. 108) behandelt wurde. Was das Parteienspektrum betrifft, so beschränkt sich der Autor weitgehend auf den Wafd und den linken Tajammu`. Das liegt darin begründet, dass der Wafd 1984 ein umstrittenes Wahlbündnis mit den Muslimbrüdern einging, was Anlass für Fodas Parteiaustritt war, und dass der Tajammu` als Partei keine einheitliche Haltung gegenüber den Islamisten entwickelte, weil er sich im Kampf gegen Regierung und Muslimbrüder nicht für eine Priorität entscheiden konnte.

Abgerundet wird die Studie durch eine Typologie der Argumentationsweisen (S. 164–180). Der Autor unterscheidet in jedem Lager zwei divergierende Positionen. Auf islamistischer Seite finden sich neben intransigenten Stimmen, die „strikt die Durchsetzung religiöser Dominanz in allen Sphären“ fordern, kompromissbereite Vertreter (Fahmi Huwaidi, Tarek Bishri), die „pragmatisch gestützte Argumente gegen die Säkularisten“ vorbringen (S. 164f.). Auf der Gegenseite äußert sich nur eine Minderheit explizit säkularistisch; die Mehrheit begnügt sich damit, nicht direkt gegen den Hegemonialanspruch des Islams anzugehen, sondern lediglich die Nützlichkeit islamistischer Forderungen in Recht und Politik in Zweifel zu ziehen. Vertreter dieser Position schlagen flexible Interpretationen für religiöse Normen vor, führen Beispiele ins Feld, die sie aus den Offenbarungstexten schöpfen, und argumentieren oftmals wie ihre Gegner historisch selektiv. Sinn dieser Argumente ist es, den Umgang mit der Scharia als eine politische Frage auszuweisen, bei der es verschiedene Optionen, aber keine zwangsläufig richtige gebe. Foda zum Beispiel akzeptierte durchaus die religiös grundierten Personenstandsgesetze (S. 119). Es liegt auf der Hand, dass die beiden mittleren Positionen – pragmatische Islamisten und religiös argumentierende Säkularisten – sehr nahe beieinander liegen können (S. 172–175); dies hielt deren Verfechter jedoch – wie der Autor zeigt: je nach politischer Konstellation – nicht von heftigen Polemiken ab; so gab Huwaidi seine konziliante Haltung im Jahre 1986 auf und wetterte gegen säkularistische „Extremisten“, die zum Teil nahezu identische Positionen vorgetragen hatten (S. 132–142).

In seiner Analyse der Polemiken gelingt dem Autor das Kunststück, die Schwachstellen in allen Argumentationsgängen offen zu legen und dennoch sowohl Islamisten als auch Säkularisten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, da er ihre (polemischen) Äußerungen jeweils im politischen Kontext deutet. Das Werk stellt eine gelungene Gesamtschau von Argumentationsweisen für und wider Säkularismus und Islamismus dar und ist daher eine empfehlenswerte Lektüre auch für jene, die sich nicht nur für die Auseinandersetzungen im Ägypten der 1980er-Jahren interessieren.

Ein Fragezeichen lässt sich lediglich hinter die Schlussbewertung des Autors setzen, da er darin eine Präferenz für die explizit säkularistische Haltung Zakaryias durchscheinen lässt, während er andere säkularistische Argumentationen „merkwürdig inkonsequent“ (S. 170) findet. Diese „Inkonsequenz des neuen ägyptischen Säkularismus“ (S. 171) führt er darauf zurück, dass Säkularisierungsprozesse die ägyptische Gesellschaft „nicht gleichmäßig umgeformt“ haben, unter kolonialen Vorzeichen begannen und meistens „von oben“ ausgingen, was es leicht mache, sie als „fremd, aufgezwungen und schädlich zu denunzieren“ (S. 172). Bereits in der Einleitung argumentiert er, dass Modernisierungs- und Säkularisierungsprozesse in der arabischen Welt „weniger gründlich“ (S. 35) wirkten, die „vom Staat betriebene Modernisierung“ (S. 36) in eine Krise geraten sei und Islamisten wie Säkularisten „in der säkularisierten, aber eben deformiert und inkonsequent säkularisierten Realität“ stünden und „nur in diesem Rahmen zu verstehen“ seien (S. 39). Auf diese Weise wird Säkularisierung als Deformation für die arabische Welt, aber auch als Gegenbewegung zu religiöser Vorherrschaft konzipiert. Säkularisierung ließe sich freilich auch ohne Modernisierungskrise als paradoxer Prozess sehen, der im Versuch, eine Grenze zu ziehen, sowohl Säkulares als auch Religiöses historisch kontingent definiert. Die neuere Säkularismus-Diskussion (Talal Asad, Charles Taylor, José Casanova) hebt diese Paradoxie hervor und fragt, wie viel Säkularität in der Religion und wie viel Religiöses im Säkularismus steckt. In diesem Sinne ließe sich fragen, ob die „inkonsequenten“ Argumentationen ägyptischer Islamismus-Kritiker nicht gerade dieser grundsätzlichen Paradoxie geschuldet sind und viel eher als eindeutiger Säkularismus dazu geeignet sind, passende Antworten auf islamistische Symbolpolitik ebenso wie auf janusköpfiges Regierungshandeln zu geben.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch