M. Egger: „Für Gott, Kaiser und Vaterland zu Stehen oder zu Fallen“

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Titel
„Für Gott, Kaiser und Vaterland zu Stehen oder zu Fallen“. Die Aufzeichnungen Joseph Hundeggers aus dem Revolutionsjahr 1848


Autor(en)
Egger, Matthias
Reihe
Erfahren - Erinnern - Bewahren 1
Erschienen
Anzahl Seiten
268 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ernst Wangermann, Fachbereich Geschichte, Universität Salzburg

Vor einigen Jahren fand ich in einem Antiquariat eine Broschüre mit dem Titel „Notizen über die erste academische Feldcompagnie der k.k. Universität Innsbruck 1848“ (Innsbruck 1853). Da mir damals die Ereignisse des Revolutionsjahres in Wien viel bekannter waren als jene in Innsbruck, glaubte ich in dieser Schrift einiges über radikale und demokratische Strömungen im Land Tirol entdecken zu können. Ich wurde aber bald eines Besseren belehrt. Schon die ersten Zeilen des Vorworts brachten die Ernüchterung: „Kaum hatte sich in Innsbruck die Nachricht vom Ausbruch der Revolution in Italien verbreitet, als sich die Studierenden der Universität zusammenscharten und einstimmig aus eigenem Antriebe und Patriotismus erklärten, in eigenen Compagnien nach dem bedrängten Süden zu ziehen, um sich dort zur Vertheidigung des theuren Vaterlandes verwenden zu lassen.“

Die aktuelle Publikation Matthias Eggers präsentiert Aufzeichnungen und Briefe Joseph Hundeggers aus dem Jahre 1848. Hundegger zog als Doktorand Juris mit der ersten akademischen Feldkompagnie aus, um seinen Kaiser und sein Vaterland gegen die italienischen „Insurgenten“ sowohl im Trentino als an den Grenzen zur Lombardei und zu Venetien zu verteidigen. Seine Aufzeichnungen und Briefe enthalten also wenig über radikale und demokratische Strömungen und viel über die nationalen Gegensätze, welche die Revolutionen im Habsburgerreich sehr schnell zu Fall brachten. Sie bieten auch einen Einblick in die Mentalität des gemäßigt-liberalen Bürgertums in Tirol.

Die kaiserliche Proklamation vom 15. März, mit dem Zugeständnis von Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit löste vorerst auch in Innsbruck helle Begeisterung aus. Im Volke entstand eine gewisse Bewegung, die sich an den neuen Freiheiten orientierte. Am 4. April gab es sogar schon eine Katzenmusik für den unpopulären Landeskommandanten Freiherrn von Welden. Die Ausdehnung der Bewegung auf die italienische Bevölkerung Tirols gab der Bewegung unter den deutschen Tirolern unmittelbar eine ganz neue Richtung. Theoretisch gestand man den Italienern in- und außerhalb Tirols den Genuss der erweiterten Freiheit zu, aber die Forderung nach Abtrennung der italienischen Gebiete an einen neuen italienischen Nationalstaat löste unter den deutschen Tirolern eine Art von Empörung aus, die alle anderen Bewegungen und Perspektiven gänzlich überschattete. Die hier veröffentlichten Dokumente bestätigen den oben zitierten Passus aus den 1853 erschienen Notizen. Matthias Egger schreibt in der einleitenden biographischen Skizze Hundeggers: „Die Hochschüler konnten es offenbar gar nicht erwarten, […] an die [von den Insurgenten] bedrohte Grenze zu ziehen.“ (S. 51) Zu dieser patriotischen Begeisterung trug auch die Ernennung des nach wie vor sehr populären Erzherzogs Johann als Hofkommissar für die Landesverteidigung Tirols bei.

Aus diesen Dokumenten geht deutlich hervor, dass die Reaktion der deutschen Tiroler auf die italienischen Bestrebungen sowohl deutsch-nationale als auch Habsburg-treue Wurzeln hatte. Es galt also für einige, die südlichen Fundamente des von Tirol bis Schleswig reichenden „deutschen Domes“ zu sichern, für andere als Söhne Tirols das Haus Kaiser Ferdinands zu verteidigen. Bezeichnend ist auch, dass sich unter den akademischen Kämpfern eine Art von Kriegsbegeisterung entwickelte, in deren Rahmen der Krieg als notwendig für die Erhaltung des Volks- bzw. Nationalcharakters erachtet wurde – ähnlich wie im Deutschen Reich in den Jahren vor 1914.

Tatsächlich jedoch bewirkt jeder auch noch so berechtigte Krieg schnell eine Verrohung und Brutalisierung unter den Kämpfern. Hundegger wurde während der Kampfhandlungen nahe der venezianischen Grenze selbst Zeuge dieser Brutalisierung. Am 9. Juni erblickte er vor sich ein abgebranntes italienisches Dorf, durch das er nachher auch marschieren musste. Diese Erfahrung löste in ihm neue Gedanken und Empfindungen aus. Nach quälenden Überlegungen über die mögliche militärische Sinnhaftigkeit der Brandschatzung, versuchte er sich mit dem Gedanken an den „Willen der Vorsehung“ zu trösten. Aber es gelang ihm nicht. In einem Brief an die mütterliche Freundin Angelica von Riccabona-Reichenfels, in dem er seinen wechselnden Gefühlen eingehenden Ausdruck gab, schrieb er: „ […] Kaiser, milder Kaiser, sehest [recte: sähest] du, wie diese Steine deiner Krone blitzen und grausig funkeln, du würfest sie weg, die schwere thräumebeladene Krone – dieser Gedanke und die Scene, die ihn hervorrief, hatte mich im tiefsten Grunde erschüttert […]“ (S. 179) Matthias Egger zitiert ausführlich aus diesem Brief in seiner biographischen Skizze Hundeggers, und folgert meines Erachtens vollkommen zurecht, dass der Anblick des verbrannten Dorfes, der Plünderungen, der haarlosen Katzen usw. seinen Glauben an die Gerechtigkeit des Krieges gegen die Italiener ins Wanken brachte und ihm den Gedanken nahe brachte, dass Kaiser Ferdinand auf die italienischen Grenzprovinzen verzichten würde, wüsste er, dass sie nur um den Preis derartiger Brutalitäten gehalten werden können.

Andere hier veröffentlichte bemerkenswerte Dokumente werfen ein Licht auf die öffentliche Meinung in Innsbruck über die Radikalisierung der Revolution in Wien im Mai 1848 und über die Studenten, die an der Spitze der radikalen Bewegung standen. In einem Brief aus Innsbruck vom 30. Mai las Hundegger, dass das Gesindel der Studenten in Wien nur brennen und rauben wolle. Im selben Brief wurde auch ein Flugblatt „An die Wiener“ erwähnt – im Anhang S. 218f. abgedruckt – das, ähnlich der Erklärung des Herzogs von Braunschweig an das revolutionäre Paris im Jahre 1792, das revolutionäre Wien nach der Flucht des Kaisers im Mai 1848 mit der totalen Zerstörung bedroht: „Ihr habt uns den Kaiser geschickt, zwar nicht auf die höflichste Weise, dessen ungeachtet danken wir euch dafür […] Läßt ab von diesem Treiben, damit nicht bald der Wanderer dem Wanderer erzähle, hier hat einst Wien […] gestanden.“ Der Autor dieser schönen Schrift war ein Dr. Alphons von Pulciani.

Die hier präsentierten Dokumente beschränken sich auf die unmittelbare Revolutionsepoche 1848/49. Aus Matthias Eggers biographischer Skizze Hundeggers erfahren wir noch, dass der gemäßigt-liberale Advokat Hundegger, im Gegensatz zu Ferdinand Kürnberger, der im revolutionären Wien als sehr radikaler Journalist tätig war, nach dem Sieg Preußens 1866 kein glühender Verehrer Bismarcks wurde. Trotz des meines Erachtens etwas zu umfangreich ausgefallenen wissenschaftlichen Apparats und einiger Wiederholungen, ist die hier besprochene Publikation als Beitrag zu einem besseren Verständnis des Revolutionsjahres 1848 in Tirol sehr zu begrüßen.

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