J. Connelly u.a. (Hgg.): Zwischen Autonomie und Anpassung

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Titel
Zwischen Autonomie und Anpassung. Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts


Herausgeber
Connelly, John; Grüttner, Michael
Erschienen
Paderborn 2003: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
285 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Pöppinghege, Fakultät für Kulturwissenschaften, Universität Paderborn

Bei dem vorliegenden Sammelband handelt sich um die Ergebnisse einer internationalen Konferenz an der University of California in Berkeley, der insgesamt neun Fallstudien über Universitäten in verschiedenen Diktaturen während des 20. Jahrhunderts umfasst. Behandelt werden die faschistischen Regime in Deutschland, Italien und Spanien sowie aus dem kommunistischen Einflussbereich die Sowjetunion (leider nur bis Ende der dreißiger Jahre), Ungarn, die tschechische Volksrepublik, Polen, China und die DDR. Das große Manko anderer Tagungsbände, nämlich die mangelnde Kohärenz der Beiträge, haben die Herausgeber durch die Vorgabe von Leitfragen über die Position und die Verhaltensmuster der Universitäten bzw. deren Angehörigen weitgehend vermeiden können. Dadurch ist es möglich, eine vergleichende Analyse der Universitäten in unterschiedlichen Diktaturen und Epochen vorzunehmen. Gleichwohl dokumentieren die Aufsätze die Schwierigkeit, generalisierende Aussagen über das Verhalten von Hochschulangehörigen in verschiedenen Diktaturen zu machen, da immer die Frage nach der Repräsentativität im Raume steht und die spezifischen nationalen Bedingungen und Ausgangssituationen in den einzelnen Ländern für konkrete Entwicklungen verantwortlich zu machen sind. So beleuchtet Ruth Ben-Ghiat in ihrem äußerst erhellenden Aufsatz die italienischen Verhältnisse, indem sie die geistesgeschichtliche Tradition der italienischen Universität mit deren rechtlichem Status und den Zielvorstellungen der Faschisten verbindet – und dies mit verschiedenen methodischen Zugriffen und einer breiten Quellenbasis.

Der Prüfstein für das Verhältnis von Universität und Diktatur ist die Freiheit der Wissenschaft. Keines der angesprochenen Regime war bereit, den staatlichen Zugriff zugunsten eines liberalen Wissenschaftsideals aufzugeben. In unterschiedlichem Ausmaß tasteten alle Diktaturen die Freiheit der Wissenschaft an bzw. versuchten unter deren Deckmantel, eigene Zielvorstellungen zu realisieren. Die Universitäten behielten – trotz aller Reibungen in personellen und fachlichen Fragen – die wichtige Systemfunktion der Elitenbildung für die neuen Machthaber, die ideologisch gefestigte Akademiker für ihre ideologischen Ziele benötigten. Die vormals bildungsbürgerlich beherrschten Universitäten standen dabei in der Regel im Weg, obwohl sie in den meisten Fällen das Arrangement mit der Diktatur nicht rundweg ablehnten und ein gehöriges Maß an Anpassungsbereitschaft zeigten.

Ein weiteres verbindendes Merkmal ist die Ineffizienz, die beim Umgang mit den Universitäten augenfällig wird. Reibungsverluste sorgten dafür, dass das von den Machthabern erstrebte Resultat in kaum einem Fall erreicht wurde, ja der Kern für resistentes Verhalten im Umgang mit den Universitätsangehörigen bereits gelegt war. Grundsätzliche Probleme entstanden jedoch selten aufgrund einer durchgängigen politischen Widerstandshaltung der Dozenten und Studierenden, sondern als Folge einer äußerst heterogenen Interessenlage. In kaum einem Bereich finden sich derart divergierende berufliche, standespolitische, ökonomische, soziale und politische Interessen wie an den Hochschulen. Schnell vergisst man darüber hinaus, dass diesen heterogenen Gebilden eine ebenso heterogene Machtsphäre gegenüberstand. Beispielsweise verfolgten staatliche Organe und NS-Parteistellen bei der Gleichschaltung der deutschen Universitäten keineswegs gleichgerichtete Ziele, was die effiziente Nutzung des Potenzials Universität nicht eben erleichterte. Wenn sich die Universitäten dann noch auf die Freiheit von Forschung und Lehre im Sinne Humboldts beriefen, dann mussten moderate Versuche, sie zu instrumentalisieren, scheitern. Wendete man brutale Gewalt an, dann war die Mehrheit der Dozenten und Studierenden für die ideologischen Ziele verloren. In vielen Fällen ist das Prinzip von „Zuckerbrot und Peitsche“ zu beobachten – je nach Land und Zeitraum in unterschiedlicher Intensität. Einen Sonderfall in dem Bemühen, die Hochschulen eng an die Partei zu binden, stellte die DDR dar, in der dies der SED – wie Ralph Jessen zeigt – „besser als vielen anderen kommunistischen Regimes gelang“. In den meisten anderen Fällen, in denen die Ideologie in die Personalpolitik Einzug hielt, hatte dies einen deutlichen Qualitätsverlust zur Folge. Damit einher ging häufig eine Tendenz zur Verschulung und Technikorientierung, oft eine vollständige Trennung von Forschung und Lehre, mindestens aber ein erheblicher Bedeutungsverlust der zweckfreien Forschung.

Der Tagungsband belegt, wie fruchtbar international vergleichende Studien über die Diktaturen des 20. Jahrhunderts sein können, ohne dass dabei die große Totalitarismus-Keule geschwungen werden muss. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen in anderen Ländern ermöglichen die Fallstudien die bessere Einordnung von Funktionsmechanismen des jeweiligen Herrschaftsapparats. Explizit wird dies im von Michael Grüttner verfassten Schlusskapitel, das anhand der Leitfragen erörtert, wo die Gemeinsamkeiten aber auch die Unterschiede in den Versuchen liegen, die Universitäten „auf Kurs“ zu bringen bzw. zu halten.

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