A. Dorgerloh u.a. (Hrsg.): Preußen aus Celluloid

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Titel
Preußen aus Celluloid. Friedrich II. im Film


Herausgeber
Dorgerloh, Annette; Becker, Marcus
Erschienen
Berlin 2012: Jaron Verlag
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 16,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Krumm, Institut für niederrheinische Kulturgeschichte und Regionalentwicklung, Universität Duisburg-Essen

Preußen war schon vor seiner endgültigen Auflösung 1947 ein Traumbild im deutschen kollektiven Gedächtnis. Prägender Faktor und bildstiftendes Medium waren die „Preußenfilme“, im Mittelpunkt der Schauspieler Otto Gebühr in seiner Paraderolle als Friedrich der Große. Die oft dargestellte Doppelnatur des flötenspielenden Schöngeistes und unerbittlichen Kriegstaktikers Friedrich wurde so zu einem Sinnbild der Sehnsucht nach einem starken Monarchen in der Weimarer Republik, was im Nationalsozialismus dankbar aufgenommen und mit der neuen Führerfigur Hitler verschmolzen wurde. So könnte das Phänomen „Preußen aus Celluloid“ zusammengefasst und von der historischen Forschung eigentlich zu den Akten gelegt werden.

Muss also „das Filmmuseum Potsdam wirklich bei jeder Preußen-Wiederbelebungs- und Neubetrachtungs-Aufwallung dabei sein“ (S. 7), fragt die Direktorin des Filmmuseums Bärbel Dalichow provokant in ihrem Geleitwort der vorliegenden Publikation, die den Begleitband zur Ausstellung „Der falsche Fritz. Friedrich II. im Film“ darstellt. Zwei Aspekte sprechen dafür: zum einen die Tatsache, dass der letzte Sammelband zu diesem Thema über dreißig Jahren alt ist.1 Zum anderen die anhaltende Beliebtheit der Filme unter den Zeitgenossen, die die Bezeichnung der „Neuerfindung“ (S. 7) Friedrichs im 20. Jahrhundert zutreffend erscheinen lässt. Eine Charakterisierung dieser Neuerfindung, die Gründe für ihren Erfolg und ihr Einfluss auf spätere Generationen verspricht der Band auf knapp 160 Seiten eingehender zu beleuchten.

Spielfilme sind in der historischen Forschung bislang nur selten Gegenstand spezifizierter Quellenkritik gewesen. Daran wird der vorliegende Band nicht viel ändern. Was die Autoren dagegen leisten können, ist der Zugang zu einer differenzierten Betrachtungsweise des dargestellten Friedrich und seiner Wirkung auf das Filmpublikum, die über das abschätzige Urteil reiner Propaganda hinausgeht. In dieser Hinsicht ist der Aufsatz von Andreas Kilb über Friedrich den Großen als „Heldenfigur“ in den Filmen ein guter Einstieg. Kilb stellt fest, dass die Entwicklung der Darstellung „keine gerade Linie“ (S. 28) von den 1920er-Jahren zu den 1940er-Jahren aufweist. Entsprechend klarsichtig ist die Einschätzung von Guido Altendorf in seinem Beitrag über Friedrich als Komödienfigur, dass das Urteil über den letzten und finanziell aufwendigsten Preußenfilm „Der große König“ (Veit Harlan, 1942), der als „Paradebeispiel für die politische Instrumentalisierung der Figur Friedrichs“ (S. 31) gelte, „den Blick auf alle früheren Filme“ (ebd.) verstelle. Nahezu alle Autoren liefern gute Argumente für diese Aussagen, bedauerlich ist lediglich, dass sich niemand dem Harlan-Film selbst in der gebotenen Ausführlichkeit widmet.

Dafür befassen sich Annette Dorgerloh, Marcus Becker und Hubertus Fischer eingehend mit der Bedeutung von Authentizität für die Historienfilme. Dorgerloh bemerkt nachvollziehbar, dass sich „das Bemühen um eine größtmögliche Authentizität von Orten und Räumen nahezu ausschließlich auf die Person Friedrichs II. selbst“ (S. 71) beziehe. Becker versucht beispielhaft an der Potsdamer Garnisonkirche und dem Schloss Sanssouci als „Spielräume der Authentizität“ (S. 88) zu zeigen, dass die „Macht des scheinbar Randständigen und Selbstverständlichen […] wesentliche Momente des Geschehens“ (S. 102) in der Darstellung Preußens birgt, während Fischer das Auge Friedrichs des Großen als Merkmal der Inszenierung in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt.

In dem einzigen Beitrag, der sich eingehend mit einem einzelnen Film beschäftigt, stellt Anett Werner die Geschichte von „Fridericus“ (1936) dar. Insbesondere geht sie auf dessen zwischenzeitliches Verbot ein, obwohl er „in weiten Teilen einer nationalsozialistischen Argumentation verpflichtet zu sein“ (S. 116) scheine. Einen Blick über 1945 hinaus riskiert Kathrin Nachtigall und stellt fest, dass Bildnisse Friedrichs II. in Filmen „nie als nur neutrale Ausstattungsgegenstände zu bewerten“ (S. 138) seien. Bemerkenswert, wenn auch eher als historische Quelle zu verwenden, ist die Beschreibung der Erinnerungen an den Privatmann Otto Gebühr durch seinen Sohn, den Historiker Michael Gebühr.

Insgesamt gibt es an diesem reich bebilderten und mit nützlichen Registern versehenen Begleitband zur Ausstellung wenig auszusetzen. Besonders der Umstand, dass häufig Filme, die zurzeit nur als Archivalien zur Verfügung stehen, in den Blick genommen werden, macht ihn zu einem nützlichen Werk für weiterführende Forschungen. Was allen Autoren höchstens ansatzweise gelingt, ist die Hervorhebung des Erkenntnispotenzials der Preußenfilme für künftige Historikergenerationen. Zu routiniert erscheinen Fragestellungen und methodischer Zugang, zu wenig kritisch der Umgang mit dem landläufigen Urteil über diesen Aspekt deutscher Filmgeschichte. Allein die von Hubertus Fischer fast beiläufig erwähnte „partielle Wahlverwandschaft […] zwischen preußischem Geist und NS-Ideologie“ (S. 107) lohnt weitergehende Überlegungen im Hinblick auf die Bedeutung der filmischen Inszenierung der historischen Person Friedrichs II. für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts. Glücklicherweise befinden sich unter den Autoren auch jüngere Historikerinnen, sodass zu hoffen bleibt, dass dieses Themenspektrum mit dem vorliegenden Band nicht seine endgültige Bearbeitung erfahren hat.

Anmerkung:
1 Axel Marquardt / Heinz Rathsack (Hrsg.), Preußen im Film. Eine Retrospektive der Stiftung Deutsche Kinemathek, Reinbek bei Hamburg 1981.

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