J. Dülffer u.a. (Hrsg.): Dimensionen internationaler Geschichte

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Titel
Dimensionen internationaler Geschichte.


Herausgeber
Dülffer, Jost; Loth, Wilfried
Reihe
Studien zur Internationalen Geschichte 30
Erschienen
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
€ 59,80
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Peter Hoeres, Johannes Gutenberg-Universität Mainz / Justus-Liebig-Universität Gießen

1996 begründeten Wilfried Loth, Anselm Doering-Manteuffel, Jost Dülffer und Jürgen Osterhammel die „Studien zur Internationalen Geschichte“. Vor zwölf Jahren brachten in dieser Reihe Loth und Osterhammel den programmatischen Band „Internationale Geschichte“ heraus.1 Ziel dieser Unternehmungen war es, einem in Deutschland vernachlässigten Gebiet wieder Geltung zu verschaffen und in Erweiterung und Neubelebung der Geschichte der internationalen Beziehungen Anschluss an die internationale Geschichtswissenschaft zu finden. Dies ist gelungen, wie die nun vorliegende, thematisch gruppierte „Zwischenbilanz“ (S. 8) zeigt.

Am Beginn des Bandes steht die Beschäftigung mit den zwei klassischen Instrumentarien der Außenpolitik und damit auch Themen der Geschichtsschreibung: Krieg und Diplomatie. Eher enttäuschend ist dabei der Beitrag von Jörn Echternkamp über den Krieg. Er erwähnt zwar die Auflösung der einst klaren Unterscheidungen von Krieg und Frieden, Kombattant und Nichtkombattant. Die den Krieg enthegenden Konsequenzen dieser politischen und völkerrechtlichen Auflösung können von Echternkamp aber nicht präzise eingefangen werden.

Johannes Paulmann zeigt, dass der Begriff der Diplomatie erst Ende des 18. Jahrhunderts in französischer und sogar erst nach dem Wiener Kongress in deutscher Sprache aufkam. Die gemeinte Sache war natürlich schon viel älter, jetzt aber verstand man die Kunst der gesandtschaftlichen Verhandlung als neu, da sie zunehmend der Nation und der öffentlichen Meinung und nicht mehr ausschließlich dem Monarchen rechenschaftspflichtig war. Zudem bewegte sie sich nun in einem enger gefassten völkerrechtlichen Rahmen. Auch Wilson und Lenin wollten die Diplomatie dann wieder neu, nämlich als öffentliche Verhandlung, erfinden; ein Ansinnen, das bekanntlich scheiterte und auch theoretisch mit großer Skepsis von den Diplomaten aufgenommen wurde. Seit den 1960er Jahren wird die Diplomatie wiederum „neu“ konzipiert: Die Aufgaben haben sich einerseits verbreitert und differenziert, andere sind durch die beschleunigte Kommunikation obsolet geworden. Vor allem mischen nun auch andere, nichtstaatliche Akteure in der diplomatischen Arena verstärkt mit. Dass Journalisten als Diplomaten fungieren, ist freilich kein Novum der Zeit nach 1945, als etwa die (west)deutsche Politik auf sie mangels Auswärtigem Dienst zurückgreifen musste.2

Friedrich Kießling untersucht die (Welt-)Öffentlichkeit, wobei die Weltöffentlichkeit von ihm zu Recht als imaginierte Appellationsinstanz der Schwachen präsentiert wird. Die in der Moderne zunächst national, fall- und phasenweise auch transnational strukturierten Öffentlichkeiten sind jedoch höchst real und dementsprechend von Relevanz für die Außenpolitik. Kießlings Beitrag demonstriert, dass die Internationale Geschichte erst jüngst den Anschluss an eine elaborierte Mediengeschichte geschafft hat, vornehmlich mit Studien zur „langen“ Jahrhundertwende 1900.3 Kießlings Plädoyer für eine systematische Einbeziehung der Kategorien von Öffentlichkeit und Medien im Kontext der Außenpolitik überzeugt, auch wenn seine Ausführungen zu Medienlogiken oder den vielfach erforschten internationalen (oder besser: transnationalen) Medienereignissen sehr kursorisch bleiben.

Weitere kompendienartige Aufsätze zum Völkerrecht (Jörg Fisch, Jost Dülffer, Eckart Conze), zu internationalen Institutionen (Matthias Schulz), Netzwerken (Madeleine Herren) und zur europäischen Integration (Klaus Kiran Patel) werden gut ergänzt von einem Plädoyer für eine Ideengeschichte von Weltordnungskonzepten (Jürgen Osterhammel) und einer Relektüre der Konzepte von Hegemonie und Gleichgewicht für die europäische Staatengeschichte (Wolfram Pyta). Auch die Behandlung von „Angst und Vertrauensbildung“ (Wilfried Loth) ist trotz aller Probleme der methodischen und quellenmäßigen Erschließung von Gefühlen in der internationalen Geschichte sinnvoll in diesem Band verortet.4 (Es fehlt allerdings leider ein Beitrag zur Spionage und Spionagefurcht 5).

In manchen der übrigen Aufsätze zeigt sich dagegen die Gefahr, die Trennschärfe der Internationalen Geschichte zu verlieren. Beiträge zur Migration, Globalisierung, zu Umwelt oder transnationalen Familien könnten genauso gut oder besser unter dem Label „Transnationale Geschichte“ oder „Globalgeschichte“ erscheinen. Die Frage, was genau die Internationale Geschichte bestimmt, wird im vorliegenden Band eher umgangen. Die Herausgeber sehen die Internationale Geschichte nicht in globalgeschichtlichen oder transnationalen Ansätzen aufgehen; vielmehr verstehen sie die transnationale Geschichte und die Globalgeschichte „als Teile der internationalen Geschichte“ (S. 5) Damit wäre die Internationale Geschichte eine Art Regenschirm, den man über diverse Teildisziplinen spannte. Die Herausgeber wollen andererseits richtigerweise nicht in Beliebigkeit verfallen und halten daher „Forschungsansätze für ungenügend, die von einer oftmals polemischen Gegenüberstellung von ‚alter‘ und ‚neuer‘ internationaler Geschichte ausgehend Fragen nach Regierungshandeln, Krieg und Friedenssicherung, Machtgefällen und Politik mehr oder weniger systematisch ausblenden.“ (S. 6) Hier ist nach Meinung des Rezensenten des Pudels Kern der Bestimmung von Internationaler Geschichte zu finden.

Wie auch der Blick auf die Reihe zur Internationalen Geschichte zeigt, scheint bei Prozessen, Strukturen, Organisationen und Ideen der Internationalen Geschichte der Staat als Akteur oder maßgeblicher Orientierungspunkt in seinen äußeren Beziehungsverhältnissen zumindest beteiligt zu sein, mithin auch die Außenpolitik. Der Staat wird dabei aber nicht mehr allein in seiner Beziehung zu anderen Staaten oder Staatenverbünden gesehen, sondern auch in seinem Verhältnis zu nichtstaatlichen Akteuren. Entscheidend bleiben dabei aber die Machtverhältnisse. Jessica Gienow-Hecht spricht dies in ihrem Beitrag zum Nation Branding – der Historisierung eines Werbekonzepts zur nichtstaatlichen und (vor allem im Kalten Krieg) staatliche Nationswerbung im Ausland – schnörkellos aus: „Das zentrale Thema der internationalen Geschichte ist die Genese und Beschaffenheit von Beziehungen, Begegnungen und Bewegungen zwischen Menschen und Staaten vor dem Hintergrund der Sehnsucht nach Dominanz.“ (S. 65). Ob man dieses Machtstreben dabei klassisch oder eher wie Gienow-Hecht mit Blick auf die auswärtige Kulturpolitik und die Inszenierung von Soft Power analysiert, sollte keine Fundamentalentscheidung mehr darstellen, zumal beide Perspektiven ertragreich verknüpft werden können.

Staaten und Machtbeziehungen können also aus der Internationalen Geschichte nicht eskamotiert werden und auch die zwischenstaatlichen Beziehungen selbst bilden weiterhin einen wichtigen und lohnenswerten Gegenstand der Forschung, der auch mit dem Werkzeugkasten der Visual History, der Mediengeschichte oder der Emotionsgeschichte erschlossen werden kann. Auch die klassischen diplomatie- und politikgeschichtlichen Instrumente sollten in diesem Werkzeugkasten, will man seriöse Ergebnisse vorlegen, aber verfügbar sein. Wird die Vielfalt der Internationalen Geschichte gepflegt, ohne dass sie sich in Entgrenzungen oder Einseitigkeiten verliert, so darf man auf die nächste „Zwischenbilanz“ der „Internationalen Geschichte“ schon jetzt gespannt sein.

Anmerkungen:
1 Wilfried Loth / Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten, München 2000.
2 Antje Robrecht, Diplomaten in Hemdsärmeln? Auslandskorrespondenten als Akteure in den deutsch-britischen Beziehungen 1945–1962, Augsburg 2011.
3 Vgl. etwa die instruktiven Studien: Dominik Geppert, Pressekriege. Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen (1896-1912), München 2007; Andreas Rose, Zwischen Empire und Kontinent. Zur Transformation britischer Außen- und Sicherheitspolitik im Vorfeld des Ersten Weltkrieges, München 2011.
4 Patrick Bormann / Thomas Freiberger / Judith Michel (Hrsg.), Angst in den Internationalen Beziehungen, Göttingen 2010.
5 Vgl. dazu jüngst den gut recherchierten Roman über die Spionagehysterie in Großbritannien vor dem Ersten Weltkrieg von Gerhard Seyfried, Verdammte Deutsche, München 2012.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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