C. Defrance u.a. (Hrsg.): La construction d’un espace

Cover
Titel
La construction d’un espace scientifique commun?. La France, la RFA et l’Europe après le « choc du Spoutnik »


Herausgeber
Defrance, Corine; Pfeil, Ulrich
Reihe
L’Allemagne dans les relations internationales / Deutschland in den internationalen Beziehungen 3
Erschienen
Anzahl Seiten
321 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ines Soldwisch, Historisches Institut Lehrstuhl für Neuere Geschichte, RWTH Aachen

Die neueste Publikation von Corine Defrance und Ulrich Pfeil stellt sich der Herausforderung, einen Beitrag zur Geschichte der wissenschaftlichen und technologischen französisch-deutschen Beziehungen in Europa zu leisten, und – das sei vorab gesagt – sie meistert diese Herausforderung trefflich. Hervorgegangen ist die Publikation aus einem internationalen Symposium. Der Band versammelt 16 Beiträge zu Motivation, Genese und Beispielen französisch-deutscher Forschungskooperation.

Betrachtet wird der Zeitraum nach dem Sputnik-Schock 1957 – der die Vorstellung der technologischen Überlegenheit der westlichen Welt relativieren sollte – bis zum ersten europäischen Rahmenprogramm am Beginn der 1980er-Jahre.

Die Beiträge arbeiten dezidiert auf Basis archivalischer Dokumente und neuester Forschungsliteratur den Beitrag der wissenschaftlichen Beziehungen zur Schaffung eines europäischen Raumes heraus. Sie hinterfragen Übereinstimmung und Differenzen im französischen und deutschen Wissenschaftssystem, analysieren Fragen der zwischenstaatlichen Kooperation und Konkurrenz. Wie wichtig, so fragen Defrance und Pfeil, war die französisch-deutsche Zusammenarbeit für die Fortentwicklung eines gesamteuropäischen Wissenschaftsraumes (S. 17f.)?

Die interdisziplinären Beiträge – sie berühren unter anderem Bereiche der Technikgeschichte, der Wissenschaftsgeschichte, der Geschichte der europäischen Integration, der Institutionengeschichte und die Geschichte der Internationalen Beziehungen – sind in drei Abschnitte zusammengefasst. Im ersten: „Relations scientifiques franco-allemandes et projet de coopération européenne“ befassen sich Hans-Manfred Bock mit der Wiederaufnahme der Wissenschaftskontakte in den 1950er-Jahren, Pierre Papon mit dem europäischen Forschungsraum 1960 bis 1985 im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik, Veera Nisonen mit der gemeinsamen europäischen Forschungspolitik Frankreichs und Deutschlands und die Antwort Europas auf die amerikanische Herausforderung 1965–1967 und Georges Saunier mit der Entstehung des ersten europäischen Rahmenprogramms 1981–1984 aus französischer Perspektive.

Im zweiten Kapitel „Acteurs et domaines de la coopération scientifique“ befassen sich Denis Guthleben und Manfred Heinemann mit dem Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) aus deutscher Sicht, aus europapolitischer Perspektive und aus Perspektive der Max-Planck-Gesellschaft 1948–1981. Anbert Baumann konzentriert sich in seinem Aufsatz auf die Impulse der französisch-deutschen Rektorenkonferenz für die europäische Zusammenarbeit, Dirk Petter auf das deutsch-französische Institut in Ludwigsburg und Florence Gauzy Krieger auf die französisch-deutsche Wissenschaftskooperation in Bayern. Speziell mit dem Gebiet der Nuklearphysik befasst sich René Bimbot, mit der Kooperation im Bereich der Human- und Sozialwissenschaften Corine Defrance.

Das dritte und letzte Kapitel widmet sich konkret einzelnen „Projets, échecs et réalisations en matière de relations scientifiques franco-allemandes“. Ulrich Pfeil positioniert das erfolgreiche Projekt der europäischen Universität in Florenz zwischen intergouvernementaler Zusammenarbeit und vereinigtem Europa. Claude Carlier bescheinigt dem Telekommunikationssatelliten „Symphonie“ technologischen Erfolg und kommerziellen Misserfolg und befasst sich mit den Erfahrungen daraus für die europäische Weltraumpolitik. Der deutsch-französischen Weltraumkooperation im Zeitraum 1957–1973 widmet sich Filippo Pigliacelli, David Burigana der Kooperation im Bereich der Luftfahrt 1955–1989. Wolfgang Krieger stellt die Geschichte des Unternehmens Airbus als ein Beispiel der europäischen Zusammenarbeit in den Mittelpunkt seiner Untersuchung. Er betont den hohen Stellenwert und den Erfolg der zivilen Luftfahrt in Europa vor 1939 und zeichnet deren Entwicklung bis in die 1960er-Jahre nach, um dann die Auswirkungen der erfolgreichen französisch-deutschen Zusammenarbeit auch auf dem Gebiet der binationalen und europäischen Politik zu untersuchen.

Alain Beltran betont in seinem Resümee die Neuartigkeit und das Besondere der vorausgegangenen Forschungsergebnisse. Nicht nur unterschiedliche politische und wissenschaftliche Ansätze seien in der französisch-deutschen Zusammenarbeit aufeinandergetroffen. Vielmehr sei es auch ein gegenseitiges interkulturelles Voneinander-Lernen gewesen, das die Zusammenarbeit prägte und später auszeichnete. Gleichsam waren es unterschiedliche Systemabläufe, Materialien und Laboratorien, mit denen die Forscher umgehen mussten. „Pour comprendre l’autre, il faut d’abord passer par l’acceptation des différences.“ (S. 303) Dies machte eine erfolgreiche Kooperation, zumindest am Anfang, schwierig. So sollte der „Impuls“ der französisch-deutschen Kooperation für einen europäischen Wissenschaftsraum nicht überschätzt werden, obwohl nach Ende des Zweiten Weltkrieges erste institutionelle Schritte gegangen worden waren.

Die französisch-deutsche Wissenschaftskooperation war, wie auch auf anderen Gebieten etwa der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit, geprägt von anfänglichem Abwarten bis hin zu Misstrauen, Konkurrenzdenken und bemühtem Ausgleich, eine Kooperation „sans enthousiasme excessif“ (S. 303). Erst der Sputnik-Schock löste gleichermaßen einen Schock in der französisch-deutschen Forschungskooperation aus. Bemühungen um wirklich erfolgreiche, auch europäische, Zusammenarbeit standen nun mehr und mehr im Vordergrund. Wichtig dabei war auch die amerikanische Herausforderung. Amerika hatte nach dem Sputnik-Schock die Investitionen in Forschung massiv erhöht, und Europa drohte zurückzubleiben. Insofern markierte das Jahr 1957 ein Neubesinnen auf die französisch-deutschen und gesamteuropäischen Bemühungen zur wissenschaftlichen Kooperation.

Die Beiträge bestätigen auch, dass europäische Forschungskooperation mitunter sehr eng an europäische Politik gebunden war, positiv und negativ und somit nie losgelöst davon gedacht werden kann.

Die Herausgeber und Autoren haben sich mit der vorliegenden Publikation einem neuen und bisher sehr begrenzt erforschten Gebiet europäischer Zusammenarbeit gewidmet, die neugierig auf weitere Forschungsergebnisse macht. Am Ende der Lektüre der vorliegenden Publikation steht eine klare Leseempfehlung.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension