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Titel
Esotericism and the Academy. Rejected Knowledge in Western Culture


Autor(en)
Hanegraaff, Wouter J.
Erschienen
Anzahl Seiten
480 S.
Preis
$ 59.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Papenheim, Düsseldorf

Wouter Hanegraaff, seit 1999 Inhaber des Lehrstuhls für die „Geschichte der hermetischen Philosophie und verwandter Strömungen“ an der Universität Amsterdam, ist durch zahlreiche profunde Werke zur Geschichte und Struktur der westlichen Esoterik hervorgetreten, auch als Mitherausgeber des „Dictionary of Gnosis and Western Esotericism“1, welches zum maßgeblichen Nachschlagewerk zur diesem Themenfeld sowie zum Okkultismus europäischer Provenienz avancierte. Zusammen mit Nicholas Goodrick-Clarke in Exeter, Michael Fuß in Rom und Monika Neugebauer-Wölk in Halle hat er maßgeblich dazu beigetragen, den „religiösen Untergrund“ zu einem anerkannten wissenschaftlichen Forschungsgebiet zu machen. Vorangegangen war dieser Forschergeneration darin lediglich Antoine Faivre, der von 1979 bis 2002 den Lehrstuhl für esoterische und mystische Strömungen an der Sorbonne innehatte.

Das langsam wachsende akademische Interesse an alternativen Religionen seit den 1980er-Jahren war ein sehr später Reflex auf die zunehmende Säkularisierung der westlichen Welt seit den 1960er-Jahren und die gleichzeitige Entstehung eines vielfältigen religiösen Marktes. Dieser Prozess hatte den Blick dafür geschärft, dass die gesamte Religionsgeschichte der westlichen Welt immer eine Geschichte vielfältiger religiöser Strömungen und Traditionen gewesen war, in der das kirchlich fixierte Christentum zwar eine gewisse Dominanz ausübte, aber niemals ein Monopol besaß. Vor allem gab es eine lange Tradition spätantiken Denkens, das sich auf Platon berief, dabei aber im mittleren und neueren Platonismus eine eigenständige Ausformung erhalten hatte und zu einer umfangreichen „religiösen Weltsicht mit ihren eigenen Mythologie und rituellen Praktiken“ (S. 12) geworden war.

Diese Anschauungen verstanden sich als Erbe ägyptischen, chaldäischen, babylonischen und persischen Wissens, wofür Hanegraaff in Anlehnung an John Walbridge den Terminus „Platonic Orientalism“ (S. 15) benutzt. In dieser Gestalt wurde der Platonismus in der Renaissance zu neuem Leben erweckt. Alles begann, so Hanegraaff, mit der Reise von Georgios Gemistos Plethon von Byzanz 1437/38 nach Ferrara im Gefolge einer Delegation, die über die Union der West- und Ostkirche verhandeln sollte. Plethon, den die Italiener bewundernd einen „zweiten Platon“ nannten (S. 29), vertrat mehr oder weniger offen ein Neuheidentum, während die jüngeren westlichen Platoniker, wie Marsilio Ficino, Giovanni Pico della Mirandola und Agostino Steuco nicht nur eine Versöhnung von antiker Weisheit und christlicher Offenbarung, sondern damit zugleich eine Reformulierung christlicher Theologie im Sinne hatten. Diese war nur denkbar in Form einer Genealogie, in der die Wahrheitsgeschichte seit der vorchristlichen Antike in der katholischen Kirche kulminierte. Philosophen wie Platon und Pythagoras, mythische Gestalten, vor allem Hermes Trismegistos, und geheimnisvolle Texte wie die Chaldäischen Orakel wurden zu Vorläufern der jüdisch-christlichen Geschichte erklärt. Dabei gab es zwei Konzepte: Während das Narrativ einer prisca theologia auf eine ursprüngliche Wahrheit, die verdunkelt worden sei, abhob und damit einen reformerischen Impetus hatte, war die philosophia perennis ein deutlich konservativeres Erzählmuster. Eine dritte Version, die der pia philosophia, ging davon aus, dass die antiken Weisen dank göttlicher Offenbarung begrenzte Einblicke in das spätere Christentum gehabt hätten. Im Gegensatz zur prisca theologia ging die pia philosophia nicht von einem Niedergang, sondern von einem Fortschritt der Wahrheitseinsicht aus (S. 9f.). In der frühneuzeitlichen Neuauflage des „Platonic Orientalism“ waren also historiographische Konzepte enthalten.

Hanegraaffs Buch führt nun aus, wie in den folgenden Jahrhunderten über diesen „Platonic Orientalism“ immer wieder verhandelt wurde. Es ging dabei immer und gerade auch um Fragen des Geschichtsverlaufs: um Dekadenz und Fortschritt, um Antike und Christentum, um die Suprematie der Neuzeit über die Antike, um altes Wissen und neue Wissenschaft. Das, was später „Esoterik“ genannt wurde, gründete also in einem „historiographical concept“ der antiken Weisheit, vor allem des „Platonic Orientalismus“ (S. 73). Hanegraaff schildert detailliert, wie zunächst im Zeitalter der Konfessionalisierung im Namen unverdorbenen urchristlichen Denkens vornehmlich, aber nicht nur protestantische Autoren wie Jacob Thomasius gegen den verderblichen Platonismus zu Felde zogen. Eine zweite Welle antiplatonischer Literatur entstand in der Aufklärung, die den modernen Rationalismus und Empirismus gegen die antike Weisheit in Stellung brachte. Geschichte wurde zur Geschichte der überwundenen Irrtümer. All das, was nicht vor dem Gerichtshof der Vernunft Bestand hatte, wurde unter Aberglauben, Magie und Okkultem subsumiert und damit aus dem seriösen Diskurs ausgeschieden. Die Esoterik wurde endgültig zum „Other“ der Gelehrsamkeit und hinfort mit Verachtung gestraft. Dann folgte die Gegenbewegung im 19. Jahrhundert, der Protest gegen den Materialismus und die Wiederentdeckung „höherer Wahrheiten“, schließlich seit dem 20. Jahrhundert der kompliziert verlaufende Weg hin zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem verworfenen „Anderem“.

Hanegraaffs Buch ist ein magistrales Werk, voller Informationen, voll stupender Gelehrsamkeit. Allein den Bogen von der Renaissance bis in die Gegenwart zu schlagen, ist eine beachtliche intellektuelle Leistung. Kritisch kann man fragen, ob ein diskursgeschichtlicher Ansatz nicht gewinnbringender gewesen sei. Hanegraaffs geistesgeschichtliche Analysen gehen von Werken aus, und nicht wie etwa diejenigen Martin Mulsows und Kocku von Stuckrads von Diskursen. Dies wird der Tatsache besser gerecht, dass ein Autor durchaus unterschiedliche Ansätze zugleich verfolgen konnte und sich verworfenes und anerkanntes Wissen gleichermaßen bei einem Autor finden. Verschiedene Wissensformen konnten sogar ineinander verwoben sein. Hanegraaff selbst diskutiert einen solchen diskurstheoretischen Ansatz gegen Ende seines Buches, vor allem anhand des Stuckradschen Oeuvres. Esoterik, so Hanegraaff, sei bei einer Diskursgeschichte ein Analysewerkzeug, kein Forschungsobjekt. Ziel sei keine Geschichte der Esoterik, sondern eine europäische Geschichte der Religion. Hanegraaff befürchtet, dass damit sowohl Autoren und Werke als auch das Forschungsobjekt „Esoterik“ aus dem Blick geraten. Weniger überzeugend ist Hanegraaffs These, dass eine Diskursgeschichte die Geschichte der Theorie unterwerfe und sie einen Alleinvertretungsanspruch geltend mache. Aber: Es ehrt den Autor, dass er seinen gelehrten Durchgang mit einer Diskussion des Ansatzes eines jüngeren Kollegen beendet. Damit zeigt er, dass sich Esoterik endgültig als seriöses Forschungsthema etabliert hat.

Der „Platonic Orientalism“ ist auch zu einer prisca theologia der Postmoderne geworden – ein fundamentaler Prozess, der weit über die Esoterikszene hinausgeht und inzwischen die Alltagssicht vieler Menschen prägt. Die Geistesgeschichte Europas wird dabei erneut umgeschrieben: nur sitzen diesmal die Ankläger von damals, christliche und aufklärerische Antiplatoniker, selbst auf der Anklagebank. Hanegraaffs Werk hilft, für diese historiographische Dialektik den Blick zu schärfen und stellt Werkzeuge bereit, diese esoterische Kulturkritik im Namen „uralten Wissens“ selbst kritisch zu kommentieren.

Anmerkung:
1 Wouter J. Hanegraaff u.a. (Hrsg.), Dictionary of Gnosis & Western Esotericism, Leiden 2006.

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