W.-D. Heilmeyer u.a. (Hrsg.): Mythos Olympia

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Titel
Mythos Olympia. Kult und Spiele


Herausgeber
Heilmeyer, Wolf-Dieter; Kaltsas, Nikolaos; Gehrke, Hans-Joachim; Hatzi, Georgia E.; Bocher, Susanne
Erschienen
München 2012: Prestel Verlag
Anzahl Seiten
600 S.
Preis
€ 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Friedrich Burrer, Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik, Universität Heidelberg

Es ist seit geraumer Zeit en vogue, die regelmäßige Wiederkehr der Olympischen Spiele für Publikationen1, Ausstellungen2, ja selbst Anastilose-Projekte3 zu nutzen. Die erhöhte Aufmerksamkeit, die in erster Linie den sportlichen Ereignissen gilt, wollen sich Verlage und Ausstellungsmacher zunutze machen, um ihr spezielles „Olympia“-Thema öffentlichkeitswirksam zu platzieren. In dieser Hinsicht kann man die am 7. Januar 2013 zu Ende gegangene Ausstellung „Mythos Olympia – Kult und Spiele“ im Martin-Gropius-Bau zu Berlin getrost als eine Veranstaltung der Superlative bezeichnen, verfolgte sie doch ein Ziel, das der Umschlagtext der Innenseite in die Worte kleidet: „Alle Facetten Olympias werden hier beleuchtet“. Was von der Ausstellung, die auf eine Initiative der Griechischen Kulturstiftung zurückgeht, bleiben wird, ist der Katalog mit seinen 48 Essays und nahezu 800 Objektbeschreibungen. Die Herausgeber hatten nichts Geringeres im Sinn als „ein wissenschaftliches Referenzwerk, in dem die Ergebnisse neuerer Forschungen zugänglich gemacht werden“ (Umschlagtext Innenseite). An diesem hohen selbstgesteckten Anspruch ist der Katalog zu messen.

Nach einer Einleitung von Hans-Joachim Gehrke („Olympia in der Geschichte“, S. 29–35) ist der Band in zwei, im Unfang nahezu gleichgroße Teile gegliedert: Der erste Teil (S. 39–290) umfasst die Essays zu folgenden Themenkreisen: I. Das Heiligtum, sein Umfeld und seine historische Einbindung; II. Götter und Kulte im antiken Olympia; III. Die Erforschung Olympias; IV. Der antike Sport und seine soziale Bedeutung. Der zweite Teil (S. 291–573) umfasst den Katalog mit etwa 800 Objekten. Beschlossen wird der Band durch ein Glossar (S. 575f.), ein Verzeichnis der Herausgeber und Autoren (S. 577f.), ein Abkürzungsverzeichnis (S. 579), ein Literaturverzeichnis (S. 581–592) und schließlich einen Bildnachweis (S. 593f.). Die Abbildungsqualität ist fast durchgängig hervorragend (gab es keine schärfere Vorlage für die Ausgrabung am Pelopion?, S. 60). Bei manchen Abbildungen, so etwa der Luftaufnahme auf S. 28, hätte man sich die Angabe des Aufnahmezeitpunkts gewünscht, da sich durch denkmalpflegerische Maßnahmen (hierzu Klaus Herrmann, S. 207–215) der bauliche Zustand des Heiligtums stetig verändert. Zwischen Essay- und Katalogteil befindet sich ein detaillierter Gesamtplan des Heiligtums. Es ist schade, dass hier nicht die Möglichkeit genutzt wurde, durch farbliche Kennzeichnung die verschiedenen Bauphasen zu differenzieren.4 Das Layout des Bandes ist ästhetisch sehr ansprechend, die Bilder zur Illustration der Essays sind wirkungsvoll und abwechslungsreich in den zweispaltigen Text eingebunden. Das Lektorat hat bis auf kleine Tipp- oder Schreibfehler (z. B. Pineios S. 500 oder Kolotis S. 59) sorgfältig gearbeitet. Ist aber mit „IvO“ tatsächlich „Inventar von Olympia“ gemeint (S. 579), oder verbergen sich nicht doch die „Inschriften von Olympia“ dahinter (diese werden im Beitrag von Renate Bol, S. 151, mit „Dittenberger-Purgold“ zitiert)? Auch hätte man sich auf „Eleier“ (z. B. S. 29 und 137) oder „Eleer“ (z. B. S. 43, 47 und 145) einigen können. Unausrottbar ist offenbar die Gewohnheit, die antiken Agone mit dem anachronistischen und entstellenden Begriff „Spiele“ (S. 34, 42 und 44 und öfter) oder gar als „Olympiade“ (S. 41) zu bezeichnen.

Dem Konzept der Ausstellung entsprechend haben mehr als 50 Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen zu dem Band beigetragen; die weitaus meisten kommen aus der Klassischen Archäologie, aber auch Geographie, Architektur und Klassische Bauforschung, Alte Geschichte und Epigraphik sind vertreten. Die Beiträger sind ausgewiesene Fachleute auf ihrem Gebiet und liefern wie angekündigt den aktuellen Forschungsstand (sehr hilfreich ist beispielsweise die Zusammenfassung von Helmut Kyrieleis zur Frühgeschichte des Heiligtums, S. 61–65) beziehungsweise aktuelle Ausgrabungsergebnisse (so etwa von Christos Liangouras zum Heiligtum der Demeter Chamyne, S. 152–155; allerdings vermisst man dort jegliche Informationen zur Datierung der Befunde). Die Anzahl der Referenzen und damit auch die Nachprüfbarkeit der Ausführungen schwankt sehr stark (drei Anmerkungen bei Ismene Trianti, S. 135; 60 Anmerkungen bei Panos Valavanis, S. 45). Sehr begrüßenswert ist die Aufnahme eines Beitrags von Andreas Hoppe und anderen zur Erd- und Landschaftsgeschichte, in dem die verschiedenen Hypothesen zur Bildung der Olympia-Terasse und damit zur Verschüttung des Heiligtums vorgestellt werden – freilich ohne abschließende Wertung (S. 232–235).

Manches musste aufgrund der Kürze des zur Verfügung stehenden Raumes unausgesprochen beziehungsweise undiskutiert bleiben: So erwähnt etwa Wolf-Dieter Heilmeyer die Zusammenhänge zwischen Olymp, Olympia und olympischen Zeus (S. 113), über die man gerne mehr erfahren hätte. Ergänzend zu den Ausführungen von Susanne Bocher über das Heraion (S. 138f.) sei erwähnt, dass Rosmarie Günther unter Hinweis auf die große Bedeutung der Muttergottheiten in Olympia an der These festhält, der Tempel sei von Anfang an Hera geweiht gewesen.5 Arnd Hennemeyer verwirft in seinem Artikel über den Zeus-Tempel (S. 121) die Angabe des Pausanias (5,10,2), der Tempel sei aus der Beute der Eleer im Krieg gegen Pisa errichtet worden, da die Baukosten viel höher als die Beute gewesen seien. Für erstere lassen sich vielleicht ganz grob Rückschlüsse aus den Baurechnungen des Parthenon ziehen, aber haben wir Kenntnisse über die mögliche Kriegsbeute? Zu kurz gekommen beziehungsweise fehlerhaft sind Ausführungen zur Abgrenzung des Teilnehmerkreises gegenüber Nichtgriechen beziehungsweise die allmählichen Lockerungen gegenüber Makedonen und Römern.6 Auch fehlt jeglicher Hinweis auf die maßgebliche Publikation zur Prosopographie der Olympioniken 7, auf deren Grundlage einige quantitative Behauptungen in den Essays hätten abgesichert werden können.8

Was man aus althistorischer Perspektive an dem besprochenen Band wirklich vermisst, ist ein Essay über die ökonomischen und finanziellen Rahmenbedingungen des Heiligtums und seiner Spiele, angefangen von der Finanzierung der Gebäude und Weihgeschenke, die Funktion des Heiligtums als Wertspeicher („Bank“), die finanziellen Auswirkungen eines Sieges, die Funktion des Heiligtums als Wirtschaftsfaktor vor und während der Spiele (Werkstätten, Markt und so weiter). Und nicht zuletzt hätte die Münzprägung von Elis, die zu den schönsten klassischer Zeit gehört, mehr als nur ein paar Abbildungen zur Demonstration ikonographischer Details verdient (S. 434f., Kat. 7,1–6; S. 508f., Kat. 12,26–30). Hier hätten nämlich interessante Themen besprochen werden können, so etwa die Frage nach der Funktion der Prägungen (waren sie für das Fest oder den Tempelbau gedacht?), nach deren Rhythmus (wurde kontinuierlich oder nur alle vier Jahre geprägt?) sowie nach der Anzahl der Münzstätten (gab es tatsächlich eine „Hera“- und eine „Zeus-Münzstätte“?).

Der Katalogteil umfasst die Beschreibung von 781 Objekten, die überwiegend aus Griechenland stammen (über 500), daneben Leihgaben aus dem Louvre, den Vatikanischen Sammlungen, der Antikensammlung Berlin und dem Nationalmuseum Rom. In faszinierender Breite sind nahezu alle denkbaren Fundgattungen von der mykenischen bis zur spätrömischen Zeit in dem Katalog vertreten, wobei die für Olympia charakteristischen Bronzeobjekte ihren gebührenden Raum einnehmen. Von besonderem Interesse sind dabei Monumente, die literarisch überliefert sind (wie etwa der Stier der Eretrier, der Hermes des Praxiteles oder die Nike des Paionios) oder in jüngster Zeit geborgen wurden wie die bronzene Pelanidas-Basis (Kat. 7,16) mit dem rechten Fuß einer Zeusstatue. Auf die im übrigen sehr qualitätvollen Objektbeschreibungen kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden, bei den Münzen (S. 434f., 508f. und 540–544) muss allerdings vermerkt werden, dass deren Bearbeitung wissenschaftlichen Standards nicht genügt: Ob man bei einem Ausstellungskatalog auf die sonst obligatorische Angabe von Gewicht, Durchmesser und gegebenenfalls Maßstab der Abbildung verzichten kann, ist durchaus diskutabel, aber die Größenverhältnisse der zusammen abgebildeten Münzen sollten wenigstens stimmen: ein Tetradrachmon (S. 541, Kat. 14,10) erscheint beispielsweise in der gleichen Größe wie ein viel kleinerer Goldstater (S. 541, Kat. 14,11). Inhaltlich ist festzuhalten, dass ein Hemidrachmon (sic! nicht Hemidrachme) ein Triobol und kein Tetrobol (S. 508, Kat. 12,27) darstellt. Die Münze Kat. 7,6 (S. 435) ist kein As (ein reichsrömisches Nominal), sondern ein Assarion, der übliche Terminus für das provinzialrömische Nominal. Auf Münzen gibt es keine „Inschrift“ (z. B. S. 508, Kat. 12,28), sondern eine Legende; ebenso spricht man nicht von Münzeditionen (S. 434, Kat. 7,2), sondern von Münzemissionen. Bei der Bildauswahl fragt man sich, warum zur Demonstration von Philipps Siegen in Olympia (S. 541, Kat. 14,11) kein zu Lebzeiten des Makedonen geprägter – und somit viel authentischerer – Goldstater, sondern eine frühhellenistische Prägung aus den Jahren 323–316 v. Chr. gewählt wurde. Auch vermisst man Angaben zur Standardliteratur.9 Ähnlich fehlen bei den Gewichten (S. 531, Kat. 13,9 A – 12) das Gewicht und – viel gravierender – die Wertangabe (Mine, halbe Mine und so weiter).

Diese kritischen Anmerkungen im Einzelfall sollten aber keinesfalls den Blick darauf verstellen, dass der Band insgesamt eine hochkarätige Leistungsschau aller an der Erforschung von Olympia beteiligten Disziplinen darstellt. Dem Fachmann wird er zwar für sein Spezialgebiet wenig Neues bieten, aber er kann sich zuverlässig über viele Themen informieren, die ihm selbst eher fern liegen. In der akademischen Lehre ist der Band mit seinen vorzüglichen Abbildungen und seinem aktuellen Literaturverzeichnis in jedem Fall einsetzbar. Jeder, der sich ernsthaft mit dem Faszinosum Olympia auseinandersetzt, sei dieser Katalog nachdrücklich ans Herz gelegt.

Anmerkungen:
1 Als neuere Beispiele seien genannt: Michael Siebler, Olympia. Ort der Spiele, Ort der Götter, Stuttgart 2004; Ulrich Sinn, Das antike Olympia. Götter, Spiel und Kunst, München 2004; Georgia E. Hatzi, The Archaeological Museum of Olympia, Athen 2008; Helmut Kyrieleis, Olympia. Archäologie eines Heiligtums, Darmstadt 2011.
2 Staatliche Münzsammlung München: Sport – Spiele – Sieg (1996); Kestner-Museum Hannover: Olympia: Geld und Sport in der Antike (2004); Staatliche Antikensammlungen und Glypothek München: Lockender Lorbeer. Sport und Spiel in der Antike (2004).
3 Anastilose der Säule N 12 des Zeustempels (2004), kurz danach die Teilrekonstruktion der Peristasis und des Unterbaus des Philippeion (2005) sowie vor kurzem die Restaurierungsarbeiten am Opisthodom des Zeustempels (2012).
4 Etwa wie Alfred Mallwitz, Olympia und seine Bauten, Darmstadt 1972 in seinem Übersichtsplan nach S. 312.
5 Rosmarie Günther, Pausanias und der Heratempel, der doch kein Zeustempel war, in: Linda-Marie Günther (Hrsg.), Olympia und seine Spiele. Kult – Konkurrenz – Kommerz, Berlin u.a. 2004, S. 107–126.
6 So schließt Panos Valavanis (S. 43) aus der von Hdt. 5,22 überlieferten Zulassung Alexanders I. von Makedonien – hier als „Königssohn“ bezeichnet – zum Stadionlauf auf eine „unlösbare Verbindung der Makedonen mit den anderen Griechen“. Wenn überhaupt, so trifft diese Feststellung ausdrücklich nur auf das argeadische Königshaus zu. Falsch ist die Behauptung, die römischen Kaiser hätten als erste Nichtgriechen an den Wettkämpfen teilgenommen (S. 44). Römer nahmen bereits ab ca. 100 v. Chr. teil, vgl. Hatto H. Schmitt / Ernst Vogt (Hrsg.), Lexikon des Hellenismus, Wiesbaden 2005, S. 237; bei den Isthmien war dies schon 228 v. Chr. der Fall (Pol. 2,12,8).
7 Luigi Moretti, Olymionikai. I vincitori negli antichi agoni olimpici, Roma 1957. Es ist mehr als nur sprachlich schief, von der „Nationalität“ der Olympioniken zu sprechen (James Roy, S. 47).
8 Nach Panos Valavanis (S. 42) stellten die großgriechischen Städte im 6. Jahrhundert v. Chr. 28 Prozent der Sieger; nach C. Wacker (S. 269) überliefert Eusebius die vollständigste Siegerliste mit 22 Prozent der tatsächlichen Sieger.
9 Charles T. Seltman, The Temple Coins of Olympia, Cambridge 1921; Coinage of Olympia, The BCD Collection. Auktion Leu 90, Zürich 2004.

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