M. Hose (Hrsg.): Synesios, Ägyptische Erzählungen

Cover
Titel
Synesios von Kyrene. Ägyptische Erzählungen oder Über die Vorsehung.


Herausgeber
Hose, Martin
Reihe
Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam Religionemque pertinentia 21
Erschienen
Tübingen 2012: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
X, 204 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Schleicher, Institut für Altertumswissenschaften, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Der von Martin Hose herausgegebene Band 21 der Reihe SAPERE macht mit den Ägyptischen Erzählungen eine in der Spätantike und im byzantinischen Mittelalter äußerst beliebte Schrift des Synesios von Kyrene in einer zeitgemäßen deutschen Übersetzung zugänglich.1 Synesios verarbeitet in diesem Text seine Erlebnisse am Hof von Konstantinopel, gekleidet in den Mythos von Osiris und Typhon. In der üblichen Weise der Reihe gliedert sich das Buch in drei Teile: Einer ausführlichen Einführung folgt der Text der Ägyptischen Erzählungen mit der parallel gegenübergestellten deutschen Übersetzung sowie einigen Anmerkungen. Den Abschluss bilden drei Essays, die in den historischen Kontext einführen und die Methode des Synesios beleuchten.

Die von Martin Hose stammende Einführung (S. 3–36) gliedert sich hauptsächlich in zwei Teile: Im ersten (S. 3–20) wird der Leser an den Autor und dessen Werk herangeführt. Nach einer sehr knappen Beschreibung des Lebens des Synesios (S. 3–8) wird die Geschichte des Osiris-Mythos und ihr Verhältnis zur griechischen Literatur beschrieben (S. 8–11). Im Anschluss werden Aufbau und Form der Ägyptischen Erzählungen in den Fokus genommen (S. 11–20). Den zweiten Teil der Einführung bildet der Versuch, den Sinngehalt der Schrift zu erfassen (S. 21–34). Hier legt Hose besonderen Wert darauf, Synesios entgegen der gängigen Forschungsmeinung2 als einen philosophischen Denker zu beschreiben, der durchaus zu eigenständigen Erkenntnissen fähig war (S. 34).3 Die gesamte Einführung ist mit zahlreichen Verweisen auf die wichtigste weiterführende Literatur versehen. An ihrem Schluss finden sich die Erklärung der textlichen Grundlagen der Ausgabe und eine Liste mit den Lesungen, die von den maßgeblichen Editionen abweichen (S. 35f.).

Der zweite Teil (S. 37–122) gibt den griechischen Text der Ägyptischen Erzählungen nach Terzaghi und Lamoureux wieder.4 Ein textkritischer Apparat wurde nicht abgedruckt, wichtige Lesungen und Konjekturen sind aber angemerkt. Die Übersetzung von Martin Hose ist immer mit dem Beginn eines jeden Kapitels parallel gesetzt. Sie ist durchweg gut lesbar und verständlich. Die Satzzählung stört allerdings gelegentlich den Lesefluss, da sich die Ziffern von den Typen des Textes nicht unterscheiden. Den Abschluss des zweiten Teils bildet ein Anmerkungskommentar (S. 114–122). Dieser fällt mit neun Seiten für einen oft schwer verständlichen Text verhältnismäßig knapp aus, zumal viele der 132 Anmerkungen aus bloßen Quellen- bzw. Querverweisen bestehen.5 Der eine oder andere weitere Verweis auf die interpretierenden Essays wäre wünschenswert gewesen; so bietet etwa der dritte Essay von Frank Feder stellenweise interessante Ergänzungen.

Der dritte Teil des Buches besteht aus drei Essays: Der erste und ausführlichste stammt von Monika Schuol und beschäftigt sich mit dem historischen Kontext (S. 125–155). Zunächst wird hier auf die Zustände am Kaiserhof und in Konstantinopel an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert eingegangen (S. 127–136), wobei sich Schuol auf die für die Ägyptischen Erzählungen wichtigen Charaktere beschränkt. Im Anschluss versucht sie eine Identifikation der im Text des Synesios auftretenden literarischen Persönlichkeiten und legt die wichtigsten Forschungsmeinungen dar. Schuol sieht in den Protagonisten der Ägyptischen Erzählungen allerdings keine realen Personen, sondern Kompositgestalten, wie sie in ihrer Zusammenfassung verdeutlicht (S. 154f.). Hier entscheidet sie sich auch für die Datierung des Aufenthaltes des Synesios in Konstantinopel auf die Zeit von 397 bis 400, zu der sie die Forschung vorher ausführlich sprechen ließ (S. 143–154).

Im zweiten Essay beschäftigt sich Wolfgang Bernard mit der allegorischen Methode des Synesios (S. 157–169). Er gibt dabei zunächst eine Definition der Begriffe Allegorie und Allegorese (S. 157f.) und unterscheidet zwischen substitutiver und dihairetischer Allegorie (S. 158f.). Im Anschluss behandelt er das allegorische Verfahren in den Ägyptischen Erzählungen, dass er der zweiten Kategorie zuordnet (S. 159–163). Er postuliert für den Text mehrere Sinnebenen, mit denen Synesios verschiedene Themen erschließen wolle. So verarbeitet beispielsweise der sensus historicus die Erlebnisse des Synesios in Konstantinopel und der sensus moralis dient als eine Art Fürstenspiegel, der die Tugenden der regierenden Persönlichkeiten beschreibt (S. 161). Die Betrachtung der Vielschichtigkeit mündet schließlich in die Diskussion, ob die Ägyptischen Erzählungen Logos oder Mythos seien (S. 161f.). Bernard kommt zu dem Schluss, man müsse beides darin sehen, tendiert aber stärker dazu, weite Teile des Textes als philosophischen Logos zu interpretieren (S. 165). So ist für ihn die Auseinandersetzung zwischen Osiris und Typhos Sinnbild für den Gegensatz zwischen Ordnung und Chaos im irdischen Kosmos (S. 166).

Im dritten und letzten Beitrag beschäftigt sich Frank Feder mit dem Verhältnis zwischen Synesios und der ägyptischen Mythologie (S. 171–187). Zunächst beschreibt Feder das Erscheinen und die Entwicklung des Osiris-Mythos in den ägyptischen Quellen (S. 171–179). Neue Erkenntnisse aus der ägyptischen Spätzeit lassen ihn vermuten, dass der Mythos, so wie er uns etwa bei Plutarch in der Schrift Über Isis und Osiris begegnet6, nicht eine interpretatio Graeca der ältesten ägyptischen Vorstellungen war, sondern sich unter den Ägyptern in griechisch-römischer Zeit weiterentwickelte (S. 177). Weiterhin stellt Feder heraus, dass die Ägyptischen Geschichten des Synesios wenig mit dem tatsächlichen Osiris-Mythos zu tun haben (S. 179f.); auch Synesios’ Quellen seien nicht ägyptisch, sondern ausschließlich griechisch gewesen (S. 181). Nun lässt Feder einen Kommentar zu zehn Stellen aus dem Text des Synesios folgen, anhand derer er sich Gedanken zu den Quellen macht und die Frage aufwirft, ob Synesios möglicherweise in graeco-ägyptische Mysterien eingeweiht war. Die interpretierten Stellen decken sich teilweise mit solchen aus dem Anmerkungskommentar und können als Ergänzung zum Verständnis beitragen. So ist der Beitrag zur ‚Königswahl‘ (aeg. 1,5,2–6,4) deutlich ausführlicher als die Anmerkung im Text, auch die Stelle zum ‚Wolfsrätsel‘ (aeg. 1,18,8) bietet wertvolle Ergänzungen zu Hoses entsprechendem Abschnitt in der Einführung (S. 32–34).

An Fehlern ist dem Rezensenten neben wenigen Verschreibungen (zum Beispiel „Götter“ statt „Göttern“, S. 103, „religionsphilosophischen“ statt „religionsphilosophische“, S. 194) lediglich aufgefallen, dass nicht alle in den Anmerkungen zitierten Kurztitel auch im Literaturverzeichnis erscheinen (zum Beispiel Samuel Vollenweiler, Neuplatonische und christliche Theologie bei Synesios von Kyrene, Göttingen 1985, S. 23; Toivo Viljamaa, Studies in Greek encomiastic poetry of the Early Byzantine period, Helsinki1968, S. 15).

Insgesamt bekommt der interessierte Leser mit diesem Buch, was er erwartet: einen soliden Text und eine gute Übersetzung sowie eine Einführung in den historischen Hintergrund und die Methode des Synesios.

Anmerkungen:
1 Die einzige griechisch-deutsche Ausgabe von Johann Georg Krabinger, Synesios des Kyrenaeers Aegyptische Erzählungen über die Vorsehung, Sulzbach 1835, war schon etwas in die Jahre gekommen.
2 So etwa von Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Bd. 3.2, 5. Aufl., Leipzig 1923, S. 803f., oder Joachim Gruber / Hans Strohm, Synesios von Kyrene, Hymnen, Heidelberg 1991, vertreten.
3 So soll Synesios den Mythos selbst als Erkenntnisquelle gewürdigt und sich damit grundlegend von der griechischen Philosophie abgehoben haben, die den Mythos als Entstellung einer uralten, göttlich inspirierten Weisheit betrachtet habe.
4 Nicola Terzaghi (Hrsg.), Synesii Cyrenensis opuscula, Roma 1944; Jacques Lamoureux / Noël Aujoulat (Hrsg.), Synésios de Cyrène, Bd. 4, Opuscules 3, Paris 2008.
5 Zum Vergleich: Die Ausgabe Krabingers bietet mehr als 150 Seiten Kommentare und Anmerkungen.
6 Herwig Görgemanns (Hrsg.), Plutarch, Drei religionsphilosophische Schriften: Über den Aberglauben; Über die späte Strafe der Gottheit; Über Isis und Osiris, Düsseldorf 2003.

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