M. Becker (Hrsg.): Eunapios, Biographien über Philosophen

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Titel
Eunapios aus Sardes, Biographien über Philosophen und Sophisten. Einleitung, Übersetzung, Kommentar


Herausgeber
Becker, Matthias
Reihe
Roma Aeterna 1
Erschienen
Stuttgart 2013: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
667 S.
Preis
€ 82,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan R. Stenger, School of Humanities, University of Glasgow

Die Kollektivbiographie spätantiker Philosophen und Sophisten aus der Feder des Eunapios von Sardes ist ohne Zweifel eines der zentralen Dokumente für das geistige Klima des 4. Jahrhunderts und hat vollkommen zu Recht in letzter Zeit verstärktes Interesse auf sich gezogen. Umso bedauerlicher war es, dass bisher keine deutsche Übersetzung existierte und lediglich ein Kommentar in italienischer Sprache vorlag.1 Diesem Mangel hat jetzt Matthias Becker mit einem umfangreichen Buch abgeholfen, das eine fundierte Einführung, die deutsche Übertragung und einen detailreichen Kommentar umfasst. Somit gibt es nunmehr ein wichtiges Erschließungsinstrument für die Viten, das Althistorikern, Philologen und Philosophiehistorikern gleichermaßen nützliche Dienste erweisen wird.

In der Einleitung führt Becker in die zentralen Forschungsfragen zu Eunaps Biographiensammlung ein und diskutiert die Zielsetzung des Werks, die Epochenkonzeption des Autors und insbesondere das Verhältnis zur hagiographischen Literatur. Der sehr ausführliche und ins Detail gehende Forschungsüberblick lässt leider eine klare Orientierung auf die wichtigen Interpretationsprobleme vermissen und hätte stärker auf die anschließende Diskussion ausgerichtet werden sollen. An eine Darstellung des Lebens Eunaps und Bemerkungen zu Quellen und Adressatenkreis schließt sich eine genauere Betrachtung zum intellektuellen Profil der Vitensammlung an. Auf der Basis der aktuellen Forschung zeichnet Becker klar und überzeugend nach, dass der Autor in seiner Zeit, die er als immer stärker vom Christentum dominiert bewertet, ein dezidiert paganes Intellektuellen- und Lebensideal propagiert. Wie eng die biographische Konzeption mit dem keineswegs ausschließlich christlichen hagiographischen Diskurs der Spätantike verwoben ist, arbeitet Becker anhand der wesentlichen Merkmale dieses Diskurses heraus. Allerdings vermag er in diesem Punkt der Forschung der letzten Jahre keine wesentlichen neuen Aspekte hinzuzufügen. Größere Aufmerksamkeit hätte zudem die Frage erfordert, inwieweit sich die Funktionen christlicher Hagiographien von denen der Philosophenviten unterscheiden.

Beachtung verdient der anregende Ansatz, die Biographien im Anschluss an Cox Miller als literarische Ikonen zu verstehen, die ein protreptisches Ziel verfolgen.2 Einem Maler gleich, sehe Eunap sein biographisches Schreiben als Abbilden seiner Modelle, das durch Idealisierung das anhaltende Gedächtnis befördern und zur kultischen Verehrung führen soll. Obgleich eine große Nähe der Viten zu christlichen Hagiographien zu konstatieren ist und Eunap keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen die christliche Religion macht, gesteht Becker dem Werk eine grundsätzliche Eigenständigkeit zu, da dessen Konzeption des Philosophenideals vielmehr aus der religiösen Haltung Eunaps sowie der philosophiehistorischen Tradition gespeist sei. Gleichwohl sei er mit seinem Anliegen geradezu zwangsläufig in eine Rivalität zu christlichen Lebensentwürfen geraten. Es ist ohne Zweifel angemessen, die Konzeption der Kollektivbiographie nicht eindimensional auf den religiösen Konflikt einzuengen. Letztlich bleibt Becker jedoch etwas unentschieden, was Eunaps Position in diesem Diskurs angeht. Angesichts der deutlich pessimistischen Töne in dessen Werk ist es fraglich, ob man hauptsächlich auf der Grundlage eines einzigen Satzes wirklich von einer hoffnungsvollen anthropologischen Vision sprechen kann. Kritisch zu diskutieren ist ebenso, inwieweit das Etikett der Identitätsstiftung als heuristische Kategorie für die Viten geeignet ist, wenn man es gewissermaßen als Interpretationsschlüssel auf sämtliche Fragen appliziert. Insbesondere wird nicht überall deutlich, inwiefern die von Becker herausgestrichene Philanthropie in den Viten zum Tragen kommt. Gewiss darf dieser Aspekt nicht vernachlässigt werden, da eine Kollektivbiographie von Intellektuellen zur Bildung von Identitäten beitragen will. Mitunter verleitet der Ansatz jedoch dazu, den Religionsaspekt oder die Bedeutung der Philanthropie zu überschätzen.

Die deutsche Übertragung der Viten ist durchweg klar und dem Charakter des Werkes im Großen und Ganzen angemessen. Lediglich einige unglückliche Formulierungen oder etwas saloppe Wendungen wie ‚locker lassen‘ (S. 85) stören stellenweise. Sehr hilfreich ist es, dass der Text durch Zwischenüberschriften strukturiert ist.

Beckers Kommentar ist in Übereinstimmung mit seiner Interpretation im Wesentlichen philosophie- und religionshistorisch ausgerichtet, während philologische und literaturwissenschaftliche Fragen seltener behandelt werden. Die Erläuterungen sind äußerst detailreich und ausführlich, so dass man nur an wenigen Stellen genauere Informationen wünschen würde. Zu beinahe jedem Satz präsentiert Becker zahlreiche Parallelstellen, Forschungsmeinungen und gegebenenfalls kontroverse Diskussionen. Einzelheiten können hier aus Platzgründen nicht detailliert diskutiert werden. Positiv ist hervorzuheben, dass jeder Vita eine Einleitung vorangestellt wird, die den spezifischen Charakter und die Funktionen des jeweiligen Abschnitts umreißt. Dadurch kann man besser verstehen, welche Intentionen Eunap verfolgt. Auf der anderen Seite bringt Beckers Streben nach Vollständigkeit einige Probleme mit sich. Die Überfülle an Parallelstellen – oft mit ausführlichen Zitaten – und an Einzelheiten beeinträchtigt die Benutzung des Kommentars, zumal die aufgeführten Parallelen nicht immer relevant sind und viele Wiederholungen zu verzeichnen sind. Stellenweise werden auch Selbstverständlichkeiten über Gebühr traktiert oder unnötigerweise durch Belege untermauert. Ebenso ist oft nicht nachvollziehbar, weshalb Becker Forschungsliteratur (darunter auch eigene Publikationen) unbedingt im Wortlaut zitiert, ohne dass dieser von Bedeutung wäre.

Mitunter bringt die Suche nach Parallelen ernsthaftere Probleme mit sich. Beispielsweise erweckt Becker bei seiner Kommentierung der Jamblich-Vita durch zahlreiche Hinweise auf das Neue Testament den Eindruck, als hätte Eunap gezielt auf das Christentum Bezug genommen. Das jedoch ist angesichts des intellektuellen Profils des Autors höchst unwahrscheinlich. Zudem widerspricht es Beckers Ansicht, Eunap hänge nicht von christlichen Tendenzen ab. In kontroversen Fällen hätte Becker durchaus etwas eingehender Interpretationsprobleme diskutieren müssen, etwa im Hinblick auf die angebliche Anhängerschaft des Prohairesios zum Christentum (S. 483f.); hier gäbe es Argumente, die eher dafür sprechen, dass der Sophist Heide gewesen ist.3 Ferner lassen sich stellenweise Überinterpretationen beobachten, die damit zusammenhängen, dass Becker religiöse Anliegen und die Identitätsfrage als Interpretationsschlüssel verwendet. Beispielsweise entfernt er sich ziemlich weit vom Text, wenn er Alexander und Xenophon in Eunaps Proöm als „Chiffren“ zweier Aspekte hellenischer Identität versteht (S. 148).

Insgesamt hätte für die Drucklegung dem Kommentar eine Entschlackung und Konzentration auf das Wesentliche gut getan. Dazu wäre es nötig gewesen, die Erläuterungen genauer auf einen bestimmten Leserkreis und dessen Interessen zu fokussieren. Ferner wäre eine etwas größere Selbständigkeit wünschenswert. Gleichwohl handelt es sich bei Beckers Buch ohne Zweifel um eine sehr verdienstvolle Arbeit, die auf der Basis des aktuellen Forschungsstandes Eunaps Viten fundiert erschließt und angemessen in den Horizont ihrer Entstehungszeit einordnet. Die Eunapforschung hat damit ein solides Fundament gewonnen.

Anmerkungen:
1 Maurizio Civiletti (Hrsg.), Eunapio di Sardi, Vite di Filosofi e Sofisti, Milano 2007.
2 Patricia Cox Miller, Strategies of Representation in Collective Biography. Constructing the Subject as Holy, in: Tomas Hägg / Philip Rousseau (Hrsg.), Greek Biography and Panegyric in Late Antiquity, Berkeley 2000, S. 209–254, hier 235.
3 Jan Stenger, Hellenische Identität in der Spätantike. Pagane Autoren und ihr Unbehagen an der eigenen Zeit, Berlin 2009, S. 108f.

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