S. Regener u.a. (Hrsg.): privat / öffentlich

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Titel
privat / öffentlich. Mediale Selbstentwürfe von Homosexualität


Herausgeber
Regener, Susanne; Köppert, Katrin
Erschienen
Anzahl Seiten
207 S.
Preis
€ 20,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Josch Hoenes, Helene-Lange-Kolleg „Queer Studies und Intermedialität: Kunst – Musik – Medienkultur“, Universität Oldenburg

Die Stonewall Riots 1969 in New York gelten als einschneidendes Ereignis, das die Geschichte und Politik schwul-lesbischer Bewegungen auch in Westeuropa einschneidend veränderte: öffentliche Sichtbarkeit, gay pride und das Recht auf schwule und lesbische Lebensentwürfe wurden zu wichtigen politischen Anliegen und schienen das Ende von verstecktem und mit Scham besetztem Leben einzuläuten. Heute scheint Homosexualität innerhalb westlicher Gesellschaften weitestgehend akzeptiert und normal zu sein. Gleichzeitig wird eine solch lineare Erfolgsgeschichte schwul-lesbischer Emanzipation, die eng mit Politiken öffentlicher Sichtbarkeit verknüpft ist, sowohl in Teilen der Bewegung als auch innerhalb queerer Theoriebildung seit Längerem problematisiert.1 Der Sammelband „privat/öffentlich. Mediale Selbstentwürfe von Homosexualität“ greift die Frage nach Sichtbarkeiten als politischem Machtinstrument aus medien- und kulturwissenschaftlicher Perspektive auf. Anhand konkreter Analysen zeigt der im Rahmen des Projekts „Medienamateure in der homosexuellen Kultur. Fotografische Selbstdarstellungen von Männern im 20. und 21. Jahrhundert“ an der Universität Siegen2 entstandene Band auf, wie komplex sich Verhältnisse von Sichtbarkeiten und Politiken gestalten.

Homosexualität wird, wie die Herausgeberinnen einleitend schreiben, „als ein brüchiges Konzept verstanden, das durch historisch sich wandelnde Fremdzuschreibungen, aber auch durch Aktivitäten und Produktionen von Medienamateur_innen und Künstler_innen als immer schon queeres Projekt im Sinne von politischer Identitätsbildungen hervortritt“ (S. 10). Gerade private und subkulturelle Bilder können hier Gegenbilder zu hegemonialen Klischees und Stereotypen von Homosexuellen liefern, wobei sich die Grenzziehungen zwischen privat und öffentlich durch gesellschaftlichen und medialen Wandel – wie beispielsweise aktuell das Web 2.0 – entscheidend verschieben können. Anliegen des Sammelbandes ist es herauszuarbeiten, inwiefern solche Selbstentwürfe Interventionen in dominante Diskurse leisten, indem sie zum Beispiel gay shame als Kehrseite des gay pride visuell mitverhandeln. Diese Fragestellung legt es nahe, das Konzept des Selbst in den Fokus zu stellen. Denn wenn Foucault gezeigt hat, dass das Sexualitätsdispositiv in zentraler Weise von uns fordert, „die Wahrheit über uns selbst zu sagen“, sind es die Technologien des Selbst (Foucault), mit denen wir uns zu entziffern und zu verstehen suchen. Insofern ermöglicht es das Konzept des Selbst, „[m]ediale Selbstentwürfe […] als kulturelle und soziale Praxis einer (Selbst-)Reflexion gesellschaftlicher Marginalisierung zu begreifen, die politisch von den Subjekten stets neu verhandelt werden muss“ (S. 16, Hervorhebung im Original).

Neben einem Beitrag von Isabel Richter, der verschiedene disziplinäre Konzepte des Selbst diskutiert, umfasst der Sammelband sieben Beiträge, die sehr unterschiedliche mediale Selbstentwürfe aus verschiedenen Kontexten untersuchen. Das Spektrum reicht von privaten Fotoalben der 1950er-Jahre aus Kopenhagen über wissenschaftliche Untersuchungen der 1980er-Jahre in der DDR, künstlerische Arbeiten der 1970er-Jahre, Scrapbooks aus den USA der 1980er-Jahre bis hin zu aktuellen Selbstentwürfen im Internet.

Ausgehend von der These, „dass [um 1970] ein Teil der männlichen homosexuellen Lebenskultur die öffentliche Sichtbarkeit forciert und […] das Recht auf Andersheit“ politisiert hat (S. 9), werden die medialen ästhetischen Strategien als Formen der Identitätsbildung vor dem Hintergrund der jeweils herrschenden Diskurse analysiert. Dabei gelingt es den Beiträgen durchgängig, schlüssig zu zeigen, wie die kulturellen Produktionen als „visuelle Verdichtungen“ autobiographischen Erzählens (Regener) fungieren, eine spezifisch schwule Ästhetik des Begehrens produzieren und neue Imaginationsräume schaffen (Evans) oder in Form „autobiografischer Fiktionen“ Selbstent- und -ver​würfe artikulieren, die Betrachter_innen auch affektiv berühren (Köppert). Weiterführend ist hierbei insbesondere der Beitrag von Köppert. Anhand der Analyse eines Scrapbooks, einem aus verschiedenen Materialien und Fragmenten zusammengeklebten Erinnerungsalbum, arbeitet sie heraus, wie populärkulturelle und künstlerische Strategien von Medienamateur_innen übernommen und für eigene Auseinandersetzungen mit sozio-kulturell kodierten Erfahrungen wie HIV-Infektion, Erkrankung an AIDS und Verlust produktiv gemacht werden. So entstehen Montagen von Zeit und Schmerz, die avantgardistische Kunstformen des Schocks in eine Alltagsform der Subjektivierung transformieren und gleichzeitig die Fragilität der Relation von Selbst und Affekt zu politisieren vermögen. Über die identitätsbildende Wirkung hinaus werden vor allem in künstlerischen Arbeiten Bilder des Selbst und des Körpers entworfen, die in dominante Bilderpolitiken intervenieren und hegemoniale Ordnungsmuster verunsichern oder sie auf ironische Weise unterlaufen (Beiträge Siegel, Bruns). Dabei können die ästhetischen Strategien und politischen Effekte medialer Selbstdarstellungen je nach herrschenden Machtverhältnissen stark variieren. So verdeutlicht der Beitrag von Regener, wie stark sich die Maskerade als subversives Element homosexueller Kulturen wandelt: Zu Zeiten der Repression in den 1950er-Jahren fungiert Maskerade als eine auf private Räume beschränkte Verkleidungspraxis, die der Herstellung und Stabilisierung homosexueller Identität dient; mit einer zunehmenden Toleranz gegenüber Homosexuellen wird sie in den 1970er-Jahren zu einer politischen Strategie, sich über homophobe Normen lustig zu machen, und im Zuge der AIDS-Krise der 1980er-Jahre wird sie zu einer Form, sich mit Tod, Sterben und den damit verbundenen Ängsten auseinanderzusetzen. Spannend sind hier insbesondere die Analysen privaten Bildmaterials, die herausarbeiten, wie bereits in den 1950er-Jahren Ästhetiken und Codes eines homosexuellen Begehrens entworfen werden, die lange vor der Schwulenbewegung der 1970er-Jahre bereits identitätspolitisch wirken (Evans).

Die vielschichtigen Analysen des Bandes verdeutlichen, dass medial-ästhetische Ausdrucksformen ein Bereich politischer Widerständigkeit sind, der sich gegen hegemoniale Stereotypen, entsprechende Gesetzgebungen und gesellschaftliche Tabuisierungen zu Wehr setzt. Allerdings entsteht hier zuweilen der Eindruck einer autonomen Handlungsfähigkeit der Subjekte sowohl im Bereich des Ästhetischen als auch im Privaten, den es genauer zu reflektieren gälte. Denn gerade das Herausarbeiten der Wirksamkeiten medialer und ästhetischer Strategien legt es nahe zu fragen, wie wir nicht nur durch juristische oder medizinische Diskurse regiert werden, sondern eben auch in und durch mediale und ästhetische Strategien selbst. Wichtige Denkanstöße liefert hier der Beitrag von Woltersdorff. Er zeigt, wie die Coming-Out-Politiken der 1970er-Jahre sich gegen ein heteronormatives Regime von Privatheit und Öffentlichkeit auflehnen, mit ihrer Popularisierung durch die Massenmedien und das Internet jedoch ihr kritisches Potenzial verlieren. Die mittlerweile alltäglichen Coming-Out-Darstellungen auf YouTube oder speziellen Internetseiten führen zu einer Standardisierung und Normalisierung, deren emanzipatives Potenzial fraglich bleibt. Zusammen mit einer Tendenz der Reprivatisierung schwuler Begegnungen durch das Internet scheint es hier notwendig, über neue Formen nachzudenken, sich gegen Normalitätserwartungen zu Wehr zu setzen.

Die große Heterogenität der Beiträge verdeutlicht die Vielfältigkeit medialer Selbstentwürfe, die sich vorschnellen linearen Geschichtserzählungen oder einfachen Logiken wie etwa „mehr Sichtbarkeit gleich mehr Anerkennung“ verweigert. Dies ist eine Stärke des Bandes, der mit der Fokussierung auf visuelle Materialien zu Homosexualität und insbesondere mit der Fokussierung auf private Bildarchive und kulturelle Produktionen von Medienamateur_innen ein bislang kaum untersuchtes Forschungsfeld eröffnet. Allerdings hätte die spezifische Relevanz dieser Forschungen durch eine synthetisierende oder vergleichende Zusammenfassung der Beiträge noch entscheidend geschärft werden können. So bleibt es schwer zu fassen, ob und inwiefern sich die Artikulationen von Homosexualität, wie sie hier in privaten Nachlässen gefunden werden, von Artikulationen der Homosexualität innerhalb von Kunst-Diskursen unterscheiden.3 Neben einer konkreteren In-Bezug-Setzung zu künstlerischen Diskursen stellt sich die Frage, wieso Sexualität als eine doch immer wieder zentrale Thematik der Homosexualität nur marginal behandelt wird. Zumindest in bestimmten Zeiten wichtige Aspekte homosexueller Selbstentwürfe wie Pornographie, Klappen, Cruising Areas, BDSM oder sexuelle Codes, mittels derer Homosexuelle füreinander lesbar werden, ohne zugleich für eine heterosexuelle Öffentlichkeit lesbar zu sein, werden höchstens ganz am Rande thematisiert. Dies ist schade, weil damit ein wichtiger und lustvoller Aspekt medialer Selbstentwürfe der Homosexualität in den Hintergrund tritt. Dennoch bietet der insgesamt sehr lesenswerte Sammelband viele spannende Denkanstöße und zeigt eindrücklich, dass sich in den privaten Bildarchiven von Medienamateur_innen wertvolle kulturelle und künstlerische Produktionen finden, die vieles zur Geschichte und Gegenwart homosexuellen Lebens beizutragen haben.

Anmerkungen:
1 Vgl. zum Beispiel Johanna Schaffer, Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Arbeit an den visuellen Strukturen der Anerkennung, Bielefeld 2008.
2 Siehe den Tagungsbericht: Das Private wird öffentlich. Techniken der Selbstdarstellung um 1970. Medienamateure in der homosexuellen Kultur. 16.06.2011–17.06.2011, Berlin, in: H-Soz-u-Kult, 04.08.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3756> (22.05.2014).
3 Vgl. zum Beispiel Michael Meyer, Outlaw Representation. Censorship & Homosexuality in Twentieth Century American Art, Oxford 2002; Jonathan D. Katz / David C. Ward, Hide/Seek. Difference and Desire in American Portraiture, Washington, D.C. 2010.

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