H. D. Schlosser: Sprache unterm Hakenkreuz

Cover
Titel
Sprache unterm Hakenkreuz. Eine andere Geschichte des Nationalsozialismus


Autor(en)
Schlosser, Horst Dieter
Erschienen
Köln 2013: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
423 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Mühlenfeld, Institut für Geschichtswissenschaft, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Der Autor, Emeritus für Deutsche Philologie an der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität Frankfurt am Main, verspricht schon im Untertitel seiner Untersuchung umfassende neue Erkenntnisse zur Geschichte der Sprache im (oder unter dem) Nationalsozialismus. Nicht weniger als „Eine andere Geschichte des Nationalsozialismus“ soll es sein. Doch schon die Gestaltung des Einbandes konterkariert dieses Ansinnen: Vorder- und Rückseite des Buches zieren Fotofragmente Joseph Goebbels’ in bekannt demagogischer Rednerpose – und noch ehe er auch nur eine Zeile des Buches gelesen hat, ist der Leser damit einer rezeptionsleitenden Interpretation unterworfen. Die Assoziationskette lautet: Sprache – Nationalsozialismus – Goebbels – Propaganda. Statt also tatsächlich eine andere, neue Sicht auf einen nicht eben unberührten Flecken Forschungslandschaft zu eröffnen, bewegen sich Autor und Leser von Beginn an auf mehr oder minder ausgetretenen Argumentationspfaden. Der Anspruch, neue Erkenntnis zu vermitteln, wird – so viel sei vorweggenommen – in der Folge durchweg nicht erreicht.

Diese Feststellung gilt grosso modo für alle 17 Kapitel des Buches. Jedes von ihnen widmet sich in weitgehend chronologischer Folge einem Themen- beziehungsweise Politikfeld. Dabei folgt das Buch keiner erkennbaren roten Linie. Die Kapitel erscheinen vielmehr weitgehend unverbunden. In diesem Sinne hat Horst Dieter Schlossers Arbeit weit eher den Charakter eines Nachschlagewerkes denn einer monographischen Untersuchung, die zum Verständnis einer stringenten Lektüre bedarf. Dazu trägt auch bei, dass der Autor weitestgehend auf Thesenbildungen verzichtet und stattdessen vornehmlich deskriptiv bleibt.

Das Buch selbst nimmt schließlich seinen Anfang bei einer Schilderung des „politisch-kommunikativen Klimas“ in Weimar (S. 15f.) und endet mit der „Sprache des anderen Deutschland“ (S. 343ff.). Anhand des Kapitels über das Sprachfeld „Volksgemeinschaft“ (S. 89ff.) sollen hier exemplarisch die grundsätzlichen Probleme in Schlossers Darstellung aufgezeigt werden.

Das vorliegende Buch ist keine geschichts-, sondern eine sprachwissenschaftliche Darstellung. Allerdings erhebt sie den Anspruch, über eine Analyse der zeitgenössischen Sprache zu neuen Erkenntnissen über die Geschichte des Nationalsozialismus insgesamt zu gelangen. Insofern wäre zu erwarten gewesen, dass der Autor sich mit den wesentlichen historiographischen Arbeiten auseinandersetzt, die zu den von ihm gewählten Themenkomplexen den gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis darstellen. Dass es an einer solchen Rezeption des jeweils aktuellen geschichtswissenschaftlichen Forschungsstandes an vielen Stellen mangelt, fällt insbesondere bei einem Thema wie dem der „Volksgemeinschaft“ auf, das in den zurückliegenden anderthalb Dekaden „zu einem zentralen Signum des historiografischen Sprechens über den Nationalsozialismus […] geworden“ ist.1 Die einschlägigen Arbeiten Michael Wildts sucht man hier ebenso vergebens wie auch Detlev Humanns Studie zur „Arbeitsschlacht“ oder Wolfgang Königs Arbeit über „Volksprodukte“ im Nationalsozialismus; von den wichtigen Beiträgen aus dem anglophonen Sprachraum ganz zu schweigen. Dafür kommt der Autor bei der Schilderung der Genese des „KdF-“ beziehungsweise „Volkswagens“ unter Verweis auf eine NS-Propagandabroschüre zu der banalen Erkenntnis, dass dessen Vorstellung im Rahmen der Berliner Automobilausstellung 1939 „dem Regime natürlich wiederum eine grandiose Propagandainszenierung wert“ gewesen sei (S. 99).

Derartige Erkenntnisse und eine solche Perspektive sind nun gerade nicht neu. Und das liegt daran, dass der Autor seine sprachwissenschaftliche Analyse nicht etwa zum Anlass nimmt, Aspekte des tradierten Geschichtsbildes von Nationalsozialismus und „Drittem Reich“ zu hinterfragen, sondern vielmehr umgekehrt gerade die tradierten (und in einigen Punkten überholten) Geschichtsbilder dazu nutzt, seine sprachanalytischen Reflexionen zu unterfüttern. Damit aber lässt sich keine andere Geschichte des Nationalsozialismus erzählen. Einige Beispiele: So wird Rudolf Hess bei Horst Dieter Schlosser wieder Co-Autor von Hitlers Bekenntnisschrift „Mein Kampf“ (S. 36); eine Darstellung, die mit Othmar Plöckingers Arbeit ins Reich der Legenden verwiesen werden kann.2 Auch Schlossers Bemerkungen zu dem in der Forschung in den letzten Jahren heftig diskutierten Problem der Aufnahme von Mitgliedern der Hitlerjugend in die NSDAP nehmen gleichsam freihändig eine Wertung vor, die auf Verweise auf eben diese Forschungen durchweg verzichtet.3 So heißt es: „Erst in jüngerer Zeit sind zahlreiche Fälle bekannt geworden, in denen sich ehemalige HJ-Mitglieder ohne eigene Erinnerung an einen formellen Aufnahmeantrag als Mitglieder der NSDAP geführt sahen. Dabei mag es sich in Einzelfällen auch um Folgen einer verdrängten Handlung handeln, doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass übereifrige HJ-Führer auch von sich aus ganze Gruppen zur Aufnahme in die Partei angemeldet hatten, meist als ‚Geschenk‘ zu Hitlers Geburtstag am 20. April gedacht.“ (S. 106f.) Nicht weniger problematisch ist Schlossers Umgang mit einem in der historischen Forschung seit über vierzig Jahren als Fälschung nachgewiesenen Text; gemeint sind die von Hermann Rauschning niedergeschriebenen „Gespräche mit Hitler“.4 Horst Dieter Schlosser zitiert aus diesem Werk eine vermeintlich wörtliche Aussage Hitlers zur Jugenderziehung, um anschließend zu konstatieren: „Auch wenn die ‚Gespräche‘ Rauschnings selbst inzwischen als Fälschung gelten, kann am Gehalt der darin kolportierten Äußerungen Hitlers kaum gezweifelt werden.“ (S. 107) Wieso und warum eben diese Zweifel unstatthaft sind, verrät der Autor wiederum nicht. Ähnlich auch die Feststellung, dass Veit Harlans berüchtigter „Jud Süß“-Film „SS-Einheiten zwecks ‚Einstimmung‘ auf ihre Mordaktionen vorgeführt wurde“ (S. 168). Diese isoliert stehende Aussage suggeriert einen simplen Kausalzusammenhang zwischen Medienkonsum und Mordhandlung, der nicht nur einer differenzierten Rezeptionsgeschichte insbesondere dieses Films5, sondern auch den einschlägigen Ergebnissen der sozialwissenschaftlich inspirierten Täterforschung der letzten Jahrzehnte ganz allgemein Hohn spricht.6 Und auch die Vorgeschichte des Novemberpogroms 1938 wird auf eine so traditionelle Weise erzählt (S. 230), als habe die Forschung gerade in den letzten Jahren hierzu keinerlei neuen Erkenntnisse beisteuern können.7 Und dass Joseph Goebbels eben nicht der allmächtige Dirigent der NS-Medienlandschaft war (S. 50), hat die neue Mediengeschichte durchaus auch schon herausgearbeitet.8

Hinzu kommen eine Reihe ärgerlicher Fehler: So datierte das „Ermächtigungsgesetz“ nicht vom 23. Februar, sondern vom 24. März 1933 (S. 194). Und Goebbels’ Berliner Propagandapostille der letzten Kriegstage hieß nicht „Kampfbär“, sondern „Panzerbär“ (S. 293). Einen sprachlichen Missgriff stellt die „saloppe“ Formulierung Schlossers dar, sowjetische Kriegsgefangene, die bei Inbetriebnahme der ersten Gaskammern im Lager Auschwitz vergast worden seien, seien „‚Versuchskaninchen‘“ gewesen (S. 308). Missverständlich sind auch die Bemerkungen zur Entwicklung des Systems der Konzentrationslager, weil diese just die funktionale Differenzierung des Lagersystems durch die pauschale Bezeichnung „Todesfabriken“ einebnet (S. 127). Weitere Beispiele ließen sich beibringen.

All diese Aspekte zusammengenommen, bleibt nur die Feststellung, dass die vorliegende Arbeit den selbst gesetzten Zielen durchweg nicht gerecht zu werden vermag. Problematisch ist auch die selektive Wahrnehmung des Forschungsstandes, gerade weil diese mit der Verkündung oftmals vergleichsweise strikt formulierter Werturteile in Sachfragen einhergeht. Damit wird der Eindruck von Gewissheit und Faktizität bei der Beurteilung historischer Sachverhalte erweckt, den die Forschungslage – wie gezeigt – durchaus nicht immer hergibt. Damit handelt es sich bei Horst Dieter Schlossers Arbeit zwar um eine griffig formulierte und durchaus auch meinungsstarke Darstellung der Geschichte des Nationalsozialismus, die jedoch keineswegs anders im Sinne von neu, sondern bestenfalls konventionell ist.

Anmerkungen:
1 Janosch Steuwer, Was meint und nützt das Sprechen von der ‚Volksgemeinschaft‘? Neuere Literatur zur Gesellschaftsgeschichte des Nationalsozialismus, in: Archiv für Sozialgeschichte 53 (2013), S. 487–534, hier S. 487. Ferner Daniel Mühlenfeld, Vom Nutzen und Nachteil der „Volksgemeinschaft“ für die Zeitgeschichte. Neuere Debatten und Forschungen zur gesellschaftlichen Verfasstheit des „Dritten Reiches“, in: Sozialwissenschaftliche Literaturrundschau 36 (2013), S. 72–105.
2 Othmar Plöckinger, Geschichte eines Buches. Adolf Hitlers „Mein Kampf“ 1922-1945, München 2006, S. 122 u.ö.
3 Vgl. Sven Felix Kellerhoff, Die Erfindung des Karteimitglieds. Rhetorik des Herauswindens: Wie heute die NSDAP-Mitgliedschaft kleingeredet wird, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Wie wurde man Parteigenosse? Die NSDAP und ihre Mitglieder, Frankfurt am Main 2009, S. 167–180.
4 Theodor Schieder, Hermann Rauschnings „Gespräche mit Hitler“ als Geschichtsquelle, Opladen 1972.
5 Armin Nolzen, „Hier sieht man den Juden wie er wirklich ist…“. Die Rezeption des Films „Jud Süß“ in der deutschen Bevölkerung, in: Alexandra Przyrembel / Jörg Schönert (Hrsg.), Jud Süss. Hofjude, literarische Figur, antisemitisches Zerrbild, Frankfurt am Main 2006, S. 245–261.
6 Harald Welzer, Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, Frankfurt am Main 2005.
7 Etwa Angela Hermann, Hitler und sein Stoßtrupp in der „Reichskristallnacht“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 56 (2008), S. 603–619.
8 Daniel Mühlenfeld, Was heißt und zu welchem Ende studiert man NS-Propaganda? Neuere Forschungen zur Geschichte von Medien, Kommunikation und Kultur während des ‚Dritten Reiches‘, in: Archiv für Sozialgeschichte 49 (2009), S. 527–559.

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