M. Walz (Hrsg.): Handbuch Museum. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven

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Titel
Handbuch Museum. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven


Herausgeber
Walz, Markus
Erschienen
Stuttgart 2016: J.B. Metzler Verlag
Anzahl Seiten
417 S.
Preis
€ 69,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Juliane Haubold-Stolle, Berlin

Was ist ein Museum eigentlich und was macht es überhaupt? Allen, die schnell etwas darüber erfahren oder nachschlagen wollen, bietet der J.B.Metzler Verlag ein neues Übersichtswerk: Das „Handbuch Museum“ ist ein solides und übersichtlich gestaltetes Nachschlagewerk für Museumskunde-Einsteiger/innen wie Fortgeschrittene. In einer Reihe von Handbüchern zu Gedächtnisinstitutionen erschienen will es nach eigenen Angaben nicht nur Museums-Insider/innen und Nachwuchskräften, sondern auch Wissenschaftler/innen anderer Fachgebiete Informationen darüber liefern, was ein Museum ausmacht, welche Arten von Museen es gibt, wie sich die Museumsarbeit gestaltet und wie sie gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich eingebettet ist. Das Buch schließt damit in der Tat eine Lücke. Andere Einführungen zum Museum beschäftigen sich meist entweder mit der praktischen Arbeit, der Geschichte oder der Theorie des Museums, zusammengeführt und in deutscher Sprache ist das Handbuch jedoch das erste seiner Art. Zu dieser Aufgabe haben sich unter der Herausgeberschaft des Leipziger Museumsfachmanns Markus Walz sowohl Professor/innen und Lehrkräfte der Museologie und von Museumsstudiengängen als auch Fachleute verschiedener Disziplinen aus unterschiedlichen Museen zusammengefunden.

Das Handbuch ist in neun systematische Kapitel gegliedert, die jeweils noch in vier bis zehn Aufsätze unterteilt sind. Insgesamt bindet das Handbuch 83 Einträge zusammen. Ausgehend vom Begriff „Museum“ führt das Buch die Leserin im Überblick durch die Museumsgeschichte. Es zeichnet die Entwicklung und Spezifik ausgewählter Museumstypen sowie verwandter Institutionen über die großen Arbeitsbereiche des Museums (Sammeln, Dokumentieren, Forschen, Bewahren, Ausstellen und Vermitteln) hin zur Einbettung des Museums in die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Wissenschaft nach. Es beschränkt sich dabei zum größten Teil auf Deutschland und deutsche Debatten, außerdem hat der Herausgeber die Museumstheorie außen vorgelassen. Das ist legitim, da sich das Buch eher an der Praxis der Museen und ihren Tätigkeiten orientiert.

Die disziplinäre Mischung der Autoren und Autorinnen führt zu einer Mischung von Ansätzen, die der Vielfalt der Tätigkeiten und auch der interdisziplinären Zusammenarbeit in den Museen gerecht wird. Mehr noch als jeder einzelne Beitrag ergibt die Summe der Artikel den Wert des Buches, so wie auch das Museum mehr ist als seine einzelnen Teile und Teildisziplinen. Oft hinterlassen einen die einzelnen Texte ein wenig unbefriedigt – vielleicht animieren sie aber so zum Weiterlesen in den Literaturangaben. Jedoch ergeben sich auch in der Zusammenschau der Texte innerhalb dieses Handbuches spannende Querverweise.

Die Texte sind von der jeweiligen Ausbildung und Tätigkeit des Autor oder der Autorin geprägt. Ein Beispiel dafür sind die Artikel zur „Kernaufgabe Ausstellen“. Jan-Christian Warnecke schreibt über die notwendigen konzeptuellen und praktischen Arbeiten, die zusammen eine Ausstellung ergeben – von der intellektuellen Idee, der Recherche und der Realisierung bis hin zur Dokumentation einer abgeschlossenen Ausstellung. Dieser Text schildert die verschiedenen Stadien der Arbeit und ihre Umstände. Für Museumsangestellte scheinen dies banale Informationen zu sein, museumsfernen Menschen verschafft Warnecke jedoch Einblicke hinter die Kulissen und Einsteigern in die Museumsberufe wichtige und sinnvolle Orientierung.

Hingegen führt der Text von Paolo Biancchi, der sich mit dem kuratorischen Ansatz beschäftigt, dem Zeigen der Dinge als Dialog, sehr viel tiefer in die Theorie und das Nachdenken über die Spannung zwischen dem Objekt, also dem ausgestellten Ding und der verbundenen Aussage hinein. Hier, wie auch in anderen Artikeln, werden die spannenden politischen und philosophischen Fragen aufgeworfen, die sich in der Museumsarbeit stellen: Welche Bedeutung haben Dinge? Wie verändern sie diese im Zusammenspiel mit anderen Dingen und Menschen? Welche Aussagen ermöglichen sie? Unterlaufen sie die Aussagen, die der Kurator sich vorstellt oder aber unterstützen sie diese? „Das kuratierte Zeigen führt zu einer Verräumlichung des Sinns und zu einer Verräumlichung als Sinn. Mehr noch: Das Zueinander ist der Sinn“ (S. 252) Jedoch braucht es dafür, nach Biancchi, die Vorgabe des Kurators beziehungsweise der Kuratorin: „Die Vorstellung, die ausgestellten Dinge hätten das Potenzial, für sich selber zu sprechen, löst die Wirklichkeit nicht ein. Da die Dinge nämlich nicht sprechen – und wenn sie doch sprächen, vieles und noch viel mehr sagten –, braucht die Ausstellungspraxis eine Vorgabe oder Richtungsangabe. Worauf kommt es grundsätzlich an?“ (S. 251). Inwieweit aber ist es möglich, den Dingen eine Vorgabe zu machen?

An anderer Stelle, im ebenfalls recht ausgewogenen Beitrag von Hans Peter Hahn über die „Dinge als unscharfe Zeichen“ wird die prinzipielle Möglichkeit dieser Richtungsangabe sehr viel eingeschränkter gesehen: „So wenig wie Objekte eine Sprache sprechen oder eine mit einer Sprache gleichzusetzende Eindeutigkeit in der Vermittlung von Bedeutungen haben, so wenig kann der Versuch gelingen, in einer Museumsausstellung beispielsweise eine politische Botschaft zu kommunizieren“, beispielsweise „nationale Identität zu kommunizieren“ (S. 17). – Schön wäre es, möchte man hinzufügen: Werbeausstellungen von Firmen, aber auch politische Propagandaausstellungen und selbst die kritisierten Nationalmuseen sprechen dafür, dass man Ausstellungen doch mit Botschaften versetzen kann, dass Dinge zwar widerständig sein können, sie das aber nicht immer und für jeden Besucher auch sind. Die Lenkung der Besucher und Besucherinnen durch den Kontext (Text, Atmosphäre, Ort usw.) kann gelingen und die Mehrdeutigkeit der Dinge in der Rezeption eindeutig machen. Alle, die schon einmal Gruppen durch Ausstellungen geführt haben, können von dieser Macht des Kontextes zeugen. Und so kann man Monika Flacke – im dritten Text zum Ausstellen – zustimmen: „Prononciert formuliert haben Ausstellungen selten einen Narrativ, der einen Zusammenhang zwischen Objekten und noch weniger zwischen Objekten und Texten herstellt. Sie erzählen zumeist eine Geschichte über den Text.“, die „Funktion“ der Objekte bleibe unreflektiert, ihr Potenzial werde nicht genutzt. (S. 256) Allerdings ist wiederum eben genau die „Richtungsangabe“ der Ausstellungsmacher/innen für die Dinge notwendig und wegweisend, auch wenn Objekte teilweise ihrer Polysemie entkleidet und in ein Korsett von Bedeutung gepresst werden, das ihnen nicht umfänglich gerecht wird.

Die Leistung und der Ertrag des Handbuchs ist es, diese unterschiedlichen Sichtweisen nebeneinander zu stellen und zur Diskussion zu bringen. Beiträge wie von Hans Peter Hahn geben prägnant zusammengefasst die Problematik von Bedeutungen, Zeichenhaftigkeit, Mehrdeutigkeit und Umdeutungen von Dingen im Museum und durch das Museum wieder, ohne den Gegenstand durch zu tiefes Nachbohren völlig wie Sand zwischen den Fingern zerlaufen zu lassen.

Auch zu den anderen Themen findet sich ein ähnlicher Dreiklang von theoretischen Überlegungen zur Frage, idealen Umständen und Ansprüchen sowie der Praxis. So wird beispielsweise bei den Aufsätzen zur Kernaufgabe Forschung nicht verschwiegen, dass diese in den meisten Museen aus Zeitmangel, wenn überhaupt, so nur über drittmittelfinanzierte Externe stattfindet. Und so ist das Handbuch auf seine Art wie ein Bindeglied zwischen denen, die sich hauptsächlich wissenschaftlich mit dem Museum beschäftigen, und denen, die vor allem praktisch in Museen arbeiten. Die Schnittmenge derer, die beides tun, ist hier in Deutschland leider eher klein.

Bei der Kernaufgabe Sammeln stehen zwar die Kategorien und Auswahlkriterien der Sammlungskonzepte im Mittelpunkt, das Kriterium „Subjektivität“ wird jedoch ebenfalls wahrgenommen und problematisiert. Allerdings wird hier in keinem Aufsatz einer der schwierigsten Gegenwartsfragen kulturhistorischer Museen – Was aus der gegenwärtigen Massen- und Überproduktion an materieller Kultur soll denn für die Zukunft bewahrt werden? – diskutiert oder auch nur angedacht. Zu manchen Themen hätte man mehr und länger schreiben können, vielleicht auch müssen. Und natürlich hat auch dieses Handbuch Lücken. Im historischen Überblick, eigentlich im Band überhaupt, fehlen unverständlicherweise die Jüdischen Museen.

Es ist jedoch ungerecht, von einem einbändigen Handbuch alles zu erwarten. Kaum eine Nutzerin wird dieses Handbuch von A bis Z lesen oder aber hier letztgültige Wahrheiten zum Museum suchen. Wer jedoch zu einem bestimmten Thema einen Einstieg sucht, der findet ihn hier. Knapp gefasst wird ein Einblick geliefert, Literaturhinweise erleichtern das Weiterarbeiten und Weiterlesen. Das Buch kann deswegen gut in Lehrveranstaltungen oder aber auch zur ersten Orientierung bei thematischen Fragen dienen.