S. C. Zinsli: Kommentar zur Vita Heliogabali

Cover
Titel
Kommentar zur Vita Heliogabali der Historia Augusta.


Autor(en)
Zinsli, Samuel Christian
Reihe
Antiquitas IV. Beiträge zur Historia-Augusta-Forschung, Serie 3. Kommentare
Erschienen
Anzahl Seiten
LXII, 923 S.
Preis
€ 139,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Endlich ist wieder einmal ein Kommentar zur Historia Augusta erschienen! Bei diesem fast tausend Seiten umfassenden Werk, das sich der Vita des Elagabal widmet, handelt es sich um eine Züricher Dissertation von Samuel Christian Zinsli aus dem Jahr 2012, die von Ulrich Eigler und Daniël den Hengst betreut wurde und deren Erstellung (die Vorarbeit in Form der Lizentiatsarbeit miteingerechnet) fünfzehn Jahre erfordert hat (S. XIII).

Auf die Bibliographie am Anfang des opulenten Werkes (S. XXI–LXII) folgen 290 Seiten Einleitung und fast 600 Seiten Kommentar sowie etwa 50 Seiten Register. Zinslis Einleitung behandelt die Forschungsgeschichte der Vita (S. 5–34), ihre historischen (S. 35–101) und literarischen Quellen (S. 101–140) sowie eine literarische Analyse (S. 141–290). In seiner Betrachtung zu den historischen Quellen hält Zinsli fest, dass in dieser Vita Cassius Dio wahrscheinlich und Herodian gesichert mehrfach benutzt worden sei. Die ‚gute Quelle‘, auf der die verlässlichen Angaben der Kapitel 13–17 basieren, sei nicht Marius Maximus, sondern Cassius Dio und Herodian, die der Autor durch Informationen aus anderen Quellen und durch Erfindungen ergänzt habe. Der Autor habe zudem Aurelius Victor und Eutropius herangezogen, sofern nicht ohnehin direkt die Enmannsche Kaisergeschichte benutzt worden sei, die Chronik des Hieronymus habe er hingegen nicht verwendet. In der Vita des Elagabal und in der Epitome de Caesaribus lasse sich eine gemeinsame Quelle ausmachen, bei der es sich möglicherweise um die Annales des Nicomachus Flavianus handele. Die verlorenen Bücher des Ammianus Marcellinus seien dagegen allenfalls für einzelne Punkte verwendet worden. Über weitere Quellen (wie etwa Dexippos) und die Verwendung offizieller Dokumente sind laut Zinsli keine sicheren Aussagen möglich. Von den literarischen Quellen werden Sueton und Eusebios’ vita Constantini ausführlich benutzt. Gelegentlich herangezogen werden vom Autor zudem Terenz, Livius (oder eine Zwischenquelle), Valerius Maximus, (Pseudo-)Apicius, Plinius der Ältere, Martial, Tacitus, Juvenal und seine Scholiasten, Gellius, Lukian, Laktanz sowie Hieronymus. Keine nachweisbaren oder nur sehr unsichere Parallelen erkennt Zinsli indes zu folgenden Autoren: Cicero, Vergil, Tertullian, Julian (Caesares), Symmachus, Carmen contra paganos, Claudian, Synesios und Rufinus.

Dass Zinsli kein Historiker, sondern Philologe ist (S. 1), zeigt die literarische Analyse der Vita. Die philologische Methodik erweist sich bereits im ersten Abschnitt über die narrativen Eigenschaften der Vita (S. 141–153), der die verschiedenen Erzählebenen (Ich-Erzähler Lampridius und tatsächlicher Autor) und die Relation von Erzählzeit und erzählter Zeit untersucht. Es folgen eine mehrfache Untergliederung der Vita, um ihren Aufbau zu verdeutlichen (S. 153–170), eine Reihe von Belegsammlungen zur Charakteristik Elagabals (S. 170–253), ein Abschnitt zu Lampridius und Konstantin, in dem die vita Constantini des Eusebios als Referenztext für die vita Heliogabali herausgearbeitet wird (S. 253–264), und ein kurzer Überblick zur Frage der Datierung der Historia Augusta (S. 265–290). Zinsli meint, dass die von ihm kommentierte Vita als zwischen 394 und 405, spätestens aber 410 entstanden sei; zu bemerken ist allerdings, dass seine Argumentation (S. 286f.) nur das Jahr 378 als terminus post quem zulässt.

Über Charakter und Vorgehen eines Kommentars (S. 293–876) kann hier nicht ausführlicher gehandelt werden. Der zu erwartende (und auch gegenüber dem Kommentar Fündlings zur Vita des Hadrian geäußerte) Kritikpunkt, dass an vielen Stellen keine neuen Erkenntnisse geboten werden, mag zwar zutreffen – und wird von Zinsli in einem Einzelfall sogar selbst zugestanden (S. 567: „alles Folgende ist nur Paraphrase seines Artikels“) –, würde aber die Bedeutung eines Kommentars verkennen, der dem Leser doch in erster Linie Deutungen zum Text und Forschungserträge erschließen sollte. Auch eine ausführliche Besprechung des Kommentarteils kann hier nicht erfolgen, es seien nur einige Beobachtungen geboten: Zu vita Heliogabali 2,4 wird angemerkt (S. 346), dass es keine Hinweise gibt, nach denen Konstantin Marcus Aurelius und Antoninus Pius besonders verehrt habe; einen Ansatzpunkt für die Bedeutung der Kaiser des 2. Jahrhunderts in konstantinischer Zeit bietet allerdings der Konstantinsbogen. Zu 3,5 nennt Zinsli (S. 364) den Aufsatz von Liebmann-Frankfort als Beitrag zu den Juden in der Historia Augusta allgemein, verschweigt aber den (ihm bekannten, S. XLIII) aktuelleren Aufsatz Golans. Die letzte kommentierte Stelle S. 429 ist nicht wie angegeben Kapitel 7,9, sondern 7,10. S. 466f. wird im Rahmen des 10,2 genannten Zoticus das Mosaik von Puteoli, das diesen möglicherweise abbildet, diskutiert; hierzu wäre noch der Zinsli nicht bekannte Beitrag von Caldelli zu nennen.1 Dass die Prosopography of the Later Roman Empire den 16,2 genannten Sabinus nicht kennt, ist kein Zeichen, dass er von dieser als fiktiv erachtet wird, wie es Zinsli nahelegt (S. 547); erstens nimmt die PLRE gerade auch als fiktiv angesehene Personen auf, die dann als solche markiert werden, zweitens beginnt sie ohnehin erst mit der Zeit des Gallienus, so dass Personen aus der Zeit Elagabals überhaupt nur in sehr langlebigen Fällen dort aufgenommen werden können. Zur Textkritik von 18,4 beruft sich Zinsli auf einen nicht identifizierbaren Beitrag Hohls aus dem Jahre 1960 (S. 589); Ernst Hohl starb bereits im Jahre 1957, zudem lässt sich die von Zinsli gebotene Lesart in Hohls Ausgabe der Historia Augusta nicht nachweisen. Bezieht er sich möglicherweise auf die Ergänzungen von Seyfarth/Samberger (S. 309) im Nachdruck der Edition Hohls von 1965? Zu Vita 23,8 wäre noch zu ergänzen, dass hier mit Sedulius Scottus (Collectaneum 78,37, S. 308 Simpson) ein Benutzer nachweisbar ist. Zu Vita 29,5 wäre hinzuzufügen, dass dieser Abschnitt von Pichlmayr als Interpolation angesehen wurde, was allerdings weder Zustimmung noch überhaupt ein größeres Echo fand.2 Im Rahmen von 35,2 diskutiert Zinsli die angebliche Abstammung Konstantins von Claudius II. Gothicus3, wobei er alle relevanten Quellen mit Ausnahme von Zonaras (12,26, II p. 606,5–6) nennt, der aber neben Eutropius von der Quellenfrage her die interessanteste Parallele bietet (die Angabe geht möglicherweise auf die sogenannte Leoquelle zurück).

Einige kleinere Addenda und Corrigenda sind zu nennen: Welchen Sinn hat es, in der Rubrik „Kommentare“ zur Vita (S. XXIf.) mehrfach unpublizierte Wiener Diplomarbeiten4 zu nennen, wenn gleichzeitig besser zugängliche Vorarbeiten in Form von Teilkommentaren zu Viten der Historia Augusta5 ungenannt bleiben? „Excerpta Valesiana“ bezeichnet S. XXV den Anonymus Valesianus (als solcher S. XXIV), der auch als „Origo Constantini“ (S. XXVII) auftritt, S. 36 dann aber plötzlich die Rekonstruktionsbasis für den verlorenen Text des Cassius Dio. In der S. 142 zitierten Stelle aus der Vita schiebt der Autor nicht ein domitianisches Zitat Hadrian unter, der Autor sagt vielmehr, dass beide den Ausspruch verwendet haben sollen, er sich aber lieber auf Hadrian beruft. Bleckmanns Aufsatz über den Profanhistoriker Euseb (S. XXXV) liegt auch gedruckt vor.6 Dessaus Aufsatz über die Samaritaner erschien nicht in einer Zeitschrift (S. XLI), sondern in der Festschrift für Lehmann-Haupt; Barnes’ Rezension zu Schlumberger erschien 1976, nicht 1971 (S. XXXII); Bleckmanns Dissertation erschien 1992, nicht 1994 (S. XXXV); Menadiers Aufsatz findet sich S. 1–144, nicht S. 19–23 des S. L genannten Bandes. S. 204 fehlen die Anmerkungen 396f. Gelegentlich stimmen Seitenzahlen des Inhaltsverzeichnisses nicht mit den tatsächlichen überein (so bei den Unterkapiteln zur Epitome de Caesaribus und zu Nicomachus Flavianus). Druckfehler beschränken sich indes auf das Literaturverzeichnis. Die Forschungsliteratur wurde von Zinsli umfänglich ausgewertet, mögliche Ergänzungen sind überschaubar.7 Von den Quellen wäre noch die Berücksichtigung des Testamentum Porcelli, das zahlreiche Begriffe aus dem Küchenwesen bietet, gewiss ertragreich gewesen. Einen (nicht unwitzigen) „Cordus“ scheint sich Zinsli aber geleistet zu haben: S. 280f., Anm. 559 referiert er über eine Identifikationsthese zu den sechs Autoren, erschienen in „Bibl. Ulp. 6 (2012) 395–410“ (die Angabe findet sich übrigens nicht im Literaturverzeichnis); die in der Historia Augusta mehrfach erwähnte Ulpische Bibliothek in Rom und die Eckdaten für der Entstehung des Werkes 395 und 410 sind unverkennbare Inspirationen.

Alles in allem macht der Kommentar einen sehr guten Eindruck: Die Kommentierung ist sorgfältig und detailliert, sie berücksichtigt historische wie philologische Aspekte. Die umfangreiche Einleitung wiederholt nicht ausführlich die immer wieder erörterten grundlegenden Kontroversen zur Historia Augusta, sondern ist auf die Vita zugeschnitten. In der Kommentierung des vielschichtigen Inhalts der Vita kann man gewiss noch die eine oder andere Ergänzung finden, als Ganzes wird der Kommentar aber zweifellos für die weitere Forschung bleibenden Wert haben. Erforscher des frühen 3. Jahrhunderts ebenso wie Erforscher der Historia Augusta erhalten somit ein nützliches und hilfreiches Arbeitsinstrument.

Anmerkungen:
1 Maria Letizia Caldelli, Un atleta dimenticato e gli amori di Elagabalo, in: Mélanges de l’École française de Rome, antiquité 120 (2008), S. 469–473.
2 Franz Pichlmayr, Zu den Scriptores historiae Augustae, in: Philologus 80/N.F. 34 (1925), S. 345–350, hier S. 346. Grundlegende Einwände finden sich in Ernst Hohls Forschungsbericht: Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft 256 (1937), S. 136f.
3 Hierzu sei noch verwiesen auf Kay Ehling, Konstantin der Große und Claudius II., in: Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 59 (2009), S. 127–132.
4 Zum Hintergrund vgl. S. XVI. Verwunderlich ist zudem das Übergehen von Christian Schaar, Das Elagabalbild der Historia Augusta im Vergleich mit der Parallelüberlieferung, Dipl.-Arb. Wien 1988.
5 Jürgen Spieß, Avidius Cassius und der Aufstand des Jahres 175, Diss. München 1975, S. 84–96; Cherryl A. Wagner, The biography of Didius Iulianus in the Historia Augusta, Diss. University of Illinois 1969; Rudolph P. Hock, The Historia Augusta, Septimius Severus and Roman Britain, Diss. Johns Hopkins University 1977.
6 Bruno Bleckmann, Die Identität des Profanhistorikers Euseb, in: Studentische Festschrift zur Verabschiedung von Prof. Dr. phil. Jörg A. Schlumberger, Fürth 2005, S. 218–227.
7 Alfonso Bartoli, Riccordi di Elagabalo nella sede del Senato romano, in: Rendiconti della pontificia accademia di archeologia 27 (1951/52), S. 47–54; Max Lambertz, Varius Avitus (10) (Elagabal). RE VIII A,1 (1955), Sp. 391–404; Karl Groß, Elagabal, in: Reallexikon für Antike und Christentum 4 (1959), Sp. 987–1000; Paolo Soverini, Note al testo degli Scriptores historiae Augustae, in: Bollettino di Studi Latini 5 (1975), S. 224–239; Jan Scholtemeijer, Historia Augusta. Nomen Antoninorum, in: Acta Classica 19 (1976), S. 105–113; Paolo Soverini, Note su Ael. Spart. Ael. 5,9 e sui rapporti tra la Historia Augusta e Apicio, in: Studi italiani di filologia classica N.S. 49 (1977), S. 231–254; Gabriele Marasco, Ricerche sulla Historia Augusta, in: Prometheus 12 (1986), S. 159–181; Manuel José Rodríguez Gervás, La vida de los emperadores infames Cómodo y Heliogábalo. A propósito de la Historia Augusta, in: Jaime Alvar u.a. (Hrsg.), Sexo, muerte y religión en el mundo clásico, Madrid 1994, S. 193–203; Rafael Urías, Trangresión sexual y transgresión religiosa en Heliogábalo, in: Jaime Alvar u.a. (Hrsg.), Sexo, muerte y religión en el mundo clásico, Madrid 1994, S. 205–212; Giunio Rizzelli, In margine ad Hist. Aug. Heliog. 2,1, in: Martin J. Schermaier u.a. (Hrsg.), Iurisprudentia universalis. Festschrift für Theo Mayer-Maly, Köln 2002, S. 617–630; Christer Bruun, Roman emperors in popular jargon. Searching for contemporary nicknames (I), in: Lukas de Blois u.a. (Hrsg.), The representation and perception of Roman imperial power, Amsterdam 2003, S. 69–98; Christian Witschel, Verrückte Kaiser?, in: Christian Ronning (Hrsg.), Einblicke in die Antike, München 2006, S. 87–129; Michael Sommer, The challenge of aniconism. Elagabalus and Roman historiography, in: Mediterraneo Antico 11 (2008), S. 581–590; Antonio Baldini, Varie su Zosimo, 2,29 e la Vita Heliogabali della Historia Augusta, in: Lavinia Galli Milić / Nicole Hecquet-Noti (Hrsg.), Historiae Augustae Colloquium Genevense in honorem F. Paschoud septuagenarii, Bari 2010, S. 13–35.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension