K. Schatz: Geschichte der Jesuiten

: Geschichte der deutschen Jesuiten. Bd. 1: 1814–1872. Münster 2013 : Aschendorff Verlag, ISBN 978-3-402-12964-7 XXX, 274 S. € 48,00

: Geschichte der deutschen Jesuiten. Bd. 2: 1872–1917. Münster 2013 : Aschendorff Verlag, ISBN 978-3-402-12965-4 VI, 321 S. € 52,00

: Geschichte der deutschen Jesuiten. Bd. 3: 1917–1945. Münster 2013 : Aschendorff Verlag, ISBN 978-3-402-12966-1 VIII, 451 S. € 72,00

: Geschichte der deutschen Jesuiten. Bd. 4: 1945–1983. Münster 2013 : Aschendorff Verlag, ISBN 978-3-402-12967-8 X, 534 S. € 85,00

: Geschichte der deutschen Jesuiten. Bd. 5: Quellen, Glossar, Biogramme, Gesamtregister. Münster 2013 : Aschendorff Verlag, ISBN 978-3-402-12968-5 V, 490 S. € 78,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Unterburger, Lehrstuhl für Historische Theologie / Mittlere und Neuere Kirchengeschichte, Katholisch Theologische Fakultät, Universität Regensburg

Zum 200. Jubiläum der Wiedererrichtung des Jesuitenordens 1814 legt der emeritierte Frankfurter Kirchenhistoriker und Jesuit Klaus Schatz eine monumentale Geschichte der deutschen (und schweizer, nicht der österreichischen) Jesuiten in fünf Bänden vor, ein aus aszetischem Fleiß, Vertrautheit mit der Materie und ausgewogenem Urteil hervorgegangenes, handbuchartiges Standardwerk. Er führt so gleichsam die Geschichte der Jesuiten des Paters Bernhard Duhr SJ (1852–1930)1 über die alte Gesellschaft Jesu (bis zur Aufhebung 1773) fort. In sieben zeitlichen Abschnitten wird zunächst die Entwicklung des Gesamtordens, dann der Ordensprovinz(en) skizziert, dann folgt ein knapper Überblick über die Geschichte der einzelnen Häuser, um schließlich die einzelnen Tätigkeitsfelder (Ausbildung, Volksmissionen, Missionen, Wissenschaft und schriftstellerische Tätigkeit und anderes) und wichtige Kontroversen oder Problemfelder des betreffenden Abschnitts zu behandeln. Der Jesuitenorden pflegte stets detaillierte und umfassende Berichterstattung an die Ordensleitung und war durch reflektierte Organisation und strategische Planungen geprägt; so ist auch für das 19. und 20. Jahrhundert eine dichte ordensinterne Quellenüberlieferung vorhanden, die sich vor allem im Römischen Generalatsarchiv und im Münchener Provinzarchiv findet, welche der Verfasser systematisch heranzieht und auswertet. Sein Schwerpunkt liege auf der „inner-jesuitischen Kommunikation“; andere Archive werden bei wichtigen Ereignissen und Konfliktfeldern ebenfalls herangezogen, natürlich auch die Literatur, wobei der Blick von den bereits gut erforschten „großen Namen“ weg auf eine Perspektive hin gelenkt werden soll, die die apostolische Tätigkeit der Provinz(en) in der Breite in den Blick nimmt.

Bevor 1814 der Orden wiederrichtet wurde, gab es bereits Gruppierungen von Ex-Jesuiten und Neugründungen im Untergrund, vor allem seit 1797 die „Paccanaristen“ in Rom; die Keimzelle der späteren Provinz war bis zum Sonderbundkrieg das Wallis. Gefördert von konservativ-antirevolutionären Kreisen konnte der Orden in der katholischen Schweiz, ab 1849 auch wieder im Bereich des Deutschen Bundes wirken. Schulunterricht, Ausbildung des Ordensnachwuchses und Volksmissionen waren die wesentlichen Betätigungsfelder, bald auch verschiedene von der deutschen Provinz getragene Missionen, etwa in den USA und in Brasilien. Finanziell war man mit dem konservativen katholischen Adel eng verflochten. In der zweiten Jahrhunderthälfte kämpfte man immer entschiedener (so die „Stimmen aus Maria Laach“) für eine Erneuerung der mittelalterlichen Scholastik und für eine extensive Auslegung von Syllabus und Papstdogmen des I. Vatikanums. Die Kulturkampfgesetzgebung führte zum Jesuitenverbot (1872–1917) im Deutschen Reich und damit zu einer Verlagerung der Ausbildungsstätten in die Niederlande und andere Staaten, auch wenn man dann faktisch ab dem Ende des 19. Jahrhunderts immer stärker doch wieder in Deutschland wirkte.

Die Zeit um die Jahrhundertwende führte auch im Orden zu antimodernistischen Säuberungen, denen etwa der Exeget Franz von Hummelauer zum Opfer fiel. Immerhin vermied der Orden zu dieser Zeit eine Instrumentalisierung durch einen extremen Integralismus, der dann nach dem Tod Papst Pius’ X. viel an Einfluss verlor. Seit den 1920er-Jahren brachen gerade um die Münchener „Stimmen der Zeit“ Neuansätze auf, die innerhalb der Gesellschaft Jesu zwar vielfach angegriffen, aber doch nicht eliminiert wurden. Die konservative Ordensleitung wollte als Gegengewicht gegen falsche Autonomie und Subjektivismus und modernistisch-theologische Strömungen mit der Jesuitenhochschule Frankfurt/St. Georgen ein Gegengewicht gründen, wo nicht nur der Nachwuchs der niederdeutschen Provinz, sondern auch Diözesanpriester ausgebildet werden sollten. Differenziert gibt Schatz einen Überblick über die Haltung des Ordens im Dritten Reich zwischen Widerstand und Anpassung; Kooperationsversuche dürften schon durch den ideologischen Antijesuitismus der Nazis nahezu unmöglich gemacht worden sein. Die 1950er-Jahren kündigten Spannungen um eine Neuausrichtung an, die sich nach dem Konzil voll entluden; ein bislang ungekannter Umbruch vollzog sich, in dem sich der Orden erst langsam wieder geschrumpft konsolidieren konnte.

Pünktlich zum Jubiläum hat Schatz eine ebenso umfassende wie konzise Gesamtgeschichte der deutschen Jesuiten vorgelegt, die organisatorische und institutionelle Aspekte ebenso umgreift, wie die Entwicklung von Spiritualität, Mentalitäten und Gebräuchen. Deutlich wird, wie umfassend die jeweiligen Oberen über den Einsatz der einzelnen Jesuiten informiert waren, wie sehr diese so stets ein Moment innerhalb einer umfassenderen, strategisch-pastoralen Planung gewesen sind. Die Schilderung einzelner Charaktere, Problemkreise und Konflikte erfolgt aus intimer Kennerschaft und mit klarem Urteilsvermögen; immerhin wird auch der Versuch unternommen in zwei „heiklen Exkursen“ die Themen „Ordensentlassungen“ und „sexueller Missbrauch“ zu behandeln. Schatz’ Sicht auf seinen Orden sieht diesen im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurecht als betont konservativ; dennoch sei die Spiritualität gerade wegen der Prägung durch Ordensgeneral Johann Philipp Roothaan (1785–1853, General ab 1829) aszetisch-nüchtern, nicht mystisch-schwärmerisch gewesen. Nicht erst das Bekanntwerden der Rolle von Joseph Kleutgen SJ bei den pseudomystischen Vorgängen im Kloster San Ambrogio in Rom, auch vorher Verfehlungen Niccolò Paccanris (1786–1811), schließlich später die vielen Kleinschriften von Jesuiten, die Partei ergriffen haben für Privatoffenbarungen und paranormale Ereignisse, lassen die Frage aufkommen, ob dies in dieser Generalität gilt. Der Zuschnitt auf die reiche ordensinterne Überlieferung hat als Kehrseite, dass anderes nicht ebenso breit zur Darstellung kommt, etwa die Fülle der Denunziationen, die Jesuiten gegen freiere Kirchenmänner und fortschrittlichere Theologen über Jahrzehnte hinweg verfasst haben, den schädigenden Einfluss, den sie vielfach auf die deutsche katholische Universitätstheologie ausgeübt haben, welcher es dieser schwer machte, wissenschaftlich zur protestantischen Theologie aufzuschließen, schließlich die Konsequenzen, die eine Pädagogik der konsequenten frühen Überwachung und Disziplinierung in den Biographien tausender Schüler hatte.

Zu den interessantesten Kapiteln gehört sicherlich der Umbruch seit den 1950er-Jahren, als kritische Geister die eigenen Traditionen und Gebräuche kritisch und umfassend hinterfragten, was zu starken ordensinternen Spannungen und einer gewaltigen Zahl an Austritten führte. Die Konflikte gruppierten sich um das Gegensatzpaar Gehorsam/vernünftige Selbstbestimmung. Waren es nur Modernisierungskrisen, in denen es der Ordensleitung allmählich gelang, ein neues Gleichgewicht zwischen Tradition und Akkulturation zu finden, oder hatten die radikaleren Kräfte Recht, die das Zerbrechen des Eigenwillens und der individuellen Persönlichkeit zugunsten der Verfügungsgewalt der Oberen als essentiell mit der jesuitischen Spiritualität verknüpft betrachteten? Gerne würde man – so auch die Tendenz von Schatz – in Anbetracht der großen Leistungen, die der Orden vollbracht hat, zur ersteren Antwort neigen; ob dieser Spagat aber gelingen wird, kann nur die Zukunft zeigen.

Anmerkung:
1 Bernhard Duhr, Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge. I–IV/2, Freiburg i. Br. (ab Band III München) 1907–1928.

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