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Titel
Amerikanismus. Kulturelle Abgrenzung von Europa und US-Nationalismus im frühen 20. Jahrhundert


Autor(en)
Saldern, Adelheid von
Reihe
Transatlantische historische Studien 49
Erschienen
Stuttgart 2013: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
428 S.
Preis
€ 44,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Axel Jansen, Fachbereich Geschichtswissenschaft, Eberhard Karls Universität Tübingen

In ihrer bei Franz Steiner in der Reihe „Transatlantische Historische Studien“ publizierten Monographie befasst sich Adelheid von Saldern mit einer für die USA historisch zentralen Phase kultureller Neuorientierung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in Reaktion auf die durch den Ersten Weltkrieg ausgeweiteten Perspektiven eines internationalen politischen Engagements suchten amerikanische Publizisten und Intellektuelle nach den kulturellen Prämissen, die den USA nach außen wie nach innen künftig als Orientierungspunkte dienen sollten. In ihrer reichhaltigen, auf Basis eines breiten Quellenfundus erarbeiteten und detailreichen Studie diagnostiziert Adelheid von Saldern für die USA für die zwanziger Jahre den Wunsch nach einer eigenförmigen Kunst und Kultur – einen Wunsch, der wie schon während des 19. Jahrhunderts immer wieder im Vergleich und in Abgrenzung zu Europa gedacht und formuliert wurde, obwohl Europa keine Nation war. Der im Titel anvisierte „Amerikanismus“ zielt dabei auf die intellektuellen Projekte amerikanischer Eliten des angehenden zwanzigsten Jahrhunderts, die eine als mitunter drückend empfundene Leerstelle füllen wollten. Wie sollten sich die USA gegenüber Europa begreifen, zumal in Europa während der zwanziger Jahre die Amerikakritik hoch im Kurs stand?

Der Zustieg zum Thema erfolgt forschungsstrategisch über Debatten in den führenden Printmedien. Die Auswahl und die Bedeutung von Zeitschriften wie „Harper’s Magazine“, „The Forum“, „The Nation“ und „The New Republic“ begründet und skizziert von Saldern ausführlich in ihrem ersten Kapitel. Dieses Kapitel stellt eine sehr gelungene und auch für sich empfehlenswerte Einführung in die zeitgenössischen amerikanischen Qualitätsmagazine dar. Von Saldern betont die Rolle von Zeitschriften als „opinion leaders“ und die kulturell-formgebende Rolle der publizistischen Eliten. „Die Qualitätsmagazine,“ so von Saldern, „nahmen vielfache Funktionen in der Gesellschaft wahr, und zwar vor allem den Aufbau lebendiger transatlantischer Kommunikationszonen, die Vermittlung von Expertenwissen, die Beteiligung an Nationskonstruktionen und die Deutungen gesellschaftlichen Wandels sowie die Steuerung des literarischen und künstlerischen Feldes“ (S. 75). Die Übersicht über die amerikanische Presselandschaft und die amerikanische Leserschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist präzise und in ihrer politisch-kulturellen Verortung einleuchtend (S. 45–75).

Von Saldern geht es dann um die verschiedenen Themen, die Gegenstand öffentlich geführter Debatten über eine aktuelle (sowie vergangene und zukünftige) Rolle der USA waren – Debatten, in denen ausgelotet wurde, worin eine Identität der USA bestehen sollte und welche Konsequenzen sich daraus für einen Umgang mit politischen, sozialen und kulturellen Herausforderungen ergaben. Von Saldern fächert die damit verknüpften Themen nach und nach auf. Zu ihnen gehörte zunächst der Umgang mit Europa aus Anlass einer dort formulierten Amerikakritik und in Hinsicht auf europäische Einwanderer in den USA (Kapitel 2 und 3). Von Saldern sieht intellektuelle Trennlinien hier weniger in den USA auf der einen und in Europa auf der anderen Seite, als vielmehr in einem transatlantischen Raum „mitten durch die jeweiligen Gesellschaften“ verlaufen (S. 107). Nicht selten teilten amerikanische Eliten eine europäische Amerikakritik, denn transatlantischer Elitismus und „kultureller Nationalismus“ waren kompatibel (S. 119). Den Befürwortern von Eugenik und einer restriktiven Einwanderungspolitik ging es dabei „um Einfluss und Machterhalt der WASPs [White Anglo-Saxon Protestants]“ nach innen (S. 141, siehe auch S. 160).

In ihrer Darstellung geht von Saldern dann auch auf diejenigen Milieus ein, die in den zwanziger Jahren nicht zu einer „Elite“ gerechnet wurden, die sich aber ebenfalls in einer amerikanischen Kultur zu verorten suchten. Debatten über die Rolle von Frauen, Arbeitern, African Americans und Native Americans und die Selbstverortung dieser Gruppen in Nationskonstruktionen (Kapitel 4) verdeutlichen freilich die dominierende Rolle der „weißen Hauptrepräsentanten des Nationsdiskurses“ und ihre Europabezogenheit (S. 202). In separaten Kapiteln erweitert von Saldern ihre Darstellung dann noch einmal, und zwar um Deutungen des „Amerikanischen“ in Diskursen über die Bedeutung des Westens, der Demokratie, der Religion, oder über einen amerikanischen Regionalismus. Auch dort findet sie wiederkehrende Europabezüge (Kapitel 5). Solche Bezüge überraschen dann für Debatten zu einem genuin amerikanischen Beitrag zur Kunst (Malerei, Literatur, Musik, Film und Architektur) freilich nicht. Als anachronistisch erkennt von Saldern hier vielmehr die Fortführung eines „kulturellen Nationalismus“ im Kontext einer emergierenden modernen und universalistischen Kunst (in Kapitel 6). Ihre Darstellung öffentlicher Themen beschließt von Saldern mit einer Analyse von Diskussionen über eine außenpolitische Neuverortung der USA im Spannungsfeld von Nationalismus und Internationalismus seit dem Ersten Weltkrieg (Kapitel 7). Die große Palette dieser Themen zeigt, wie breit von Saldern den diskursiven Horizont der publizistischen Elite der zwanziger Jahre en détail rekonstruiert.

Umfang und Detailreichtum der Studie sind beeindruckend und eröffnen zahlreiche Fragen. Wie etwa muss man erklären, dass eine Debatte über den Charakter der amerikanischen Nation in dieser Form in den zwanziger Jahren (und teilweise bereits vor dem Ersten Weltkrieg) stattfand? Von Saldern begreift den Beginn des 20. Jahrhunderts für die USA als einen postkolonialen Moment. „Viel spricht nämlich dafür,“ schreibt sie, „im kulturellen Nationalismus [etwa in der Kunst] ein postkoloniales Trauma zu sehen, das dazu führte, die Loslösung von Europa in besonders starkem Maße voranzutreiben, um […] dem Alten Kontinent zumindest auf Augenhöhe begegnen zu können“ (S. 316). Ihren kolonialen Status hatten die USA freilich im 18. Jahrhundert politisch storniert. Von Saldern reflektiert das Nachwirken einer kolonialen Perspektive, indem sie von „postkolonialen Schleifspuren“ spricht (S. 20). Debatten über den Charakter einer amerikanischen Kultur hatte es freilich auch im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer wieder gegeben.1 Dass es mehr als einhundert Jahre nach der Staatsgründung zu einer Intensivierung der Frage nach einer amerikanischen Nation kam, erklärt von Saldern unter Verweis auf einen „Durchbruch der kulturellen Moderne, der mit einer […] einsetzenden ökonomischen und sozialen Modernisierung der amerikanischen Gesellschaft verknüpft war“ und außerdem mit Integrationstendenzen durch Markt, Kommunikations- und Verkehrstechnologie (S. 15–19). Doch diese Tendenzen waren bereits während des 19. Jahrhunderts gegeben und sie sollten sich im Laufe des 20. Jahrhunderts noch intensivieren. Auch waren diese Entwicklungen nicht auf die USA beschränkt. Von Salderns Studie führt den Leser daher zu der Frage, worin das Besondere der amerikanischen Entwicklung liegen mag. Möglicherweise können hier die von ihr im Detail skizzierten Debatten über die Bedeutung des amerikanischen Westens auf einen relevanten analytischen Kern hin befragt werden. Offensichtlich war nämlich seit den 1890er-Jahren, dass eine seit der Staatsgründung gegebene Prämisse amerikanischer Politik weggefallen war, und zwar das kontinentale Expansionsprojekt.2 Durch den Wegfall dieses Symbols schien während der „Progressive Era“ eine nationale Konsolidierung zunehmend unabwendbar. Hinzu kommt die Bedeutung des Kriegseintritts 1917 als Scharnierstelle amerikanischer Außenpolitik, denn die USA wurden dadurch erstmals zu einem entscheidenden Teilnehmer in einem Konflikt, der zu einer Verschiebung internationaler Mächteverhältnisse führte.

Von Salderns Studie überzeugt also durch ihre detaillierte Darstellung der dadurch eröffneten Debatten über die Frage, welche Prämissen und Überzeugungen die amerikanische Außen- und Innenpolitik künftig zugrunde gelegt werden sollten. Dieses Bild könnte durch eine analytische Verknüpfung dieser Diskussionen mit der politischen Geschichte weiter geschärft werden. Ein nationaler „Gemeinsamkeitsglaube“ (Max Weber) hat sich für die USA immer wieder (und möglicherweise jeweils nur punktuell) durch verbindliches politisches Handeln in Krisen ergeben. Von Saldern stellt heraus, dass die kulturell nationalistische Forderung nach einer eigenen amerikanischen Kunst nach 1945 und vor dem Hintergrund der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs verblasste (S. 316). Von Salderns wichtige Studie überzeugt durch ihre reichhaltige Quellendarstellung und -analyse. Sie bietet eine exzellente Einführung und Reflektion der Selbstverortung amerikanischer Eliten im Kontext einer außen- wie innenpolitischen Neuausrichtung der USA.

Anmerkungen:
1 Siehe auch David Waldstreicher, In the Midst of Perpetual Fetes: The Making of American Nationalism, 1776–1820, Williamsburg, Virginia, 1997; Peter Onuf, „Nations, Revolutions, and the End of History,” in: Michael A. Morrison / Melinda S. Zook (Hrsg.), Revolutionary Currents: Nation-Building in the Transatlantic World, Lanham, Maryland, 2004, S. 173–188.
2 David M. Wrobel, Frontier Anxiety from the Old West to the New Deal, Lawrence, Kansas 1993; Gerald D. Nash, Creating the West: Historical Interpretations, 1890–1990, Albuquerque, New Mexico, 1991.

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