L. Mükke: Korrespondenten im Kalten Krieg

Cover
Titel
Korrespondenten im Kalten Krieg. Zwischen Propaganda und Selbstbehauptung


Autor(en)
Mükke, Lutz
Erschienen
Anzahl Seiten
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Großmann, Projektträger Jülich, Berlin

Das aktuelle 25. Jubiläum der deutschen Einheit erinnert an den Endpunkt des Kalten Krieges, der mehr als vierzig Jahre lang die beiden deutschen Staaten und ihre Gesellschaften zutiefst geprägt hat. Die Ost-West-Konfrontation fand nicht zuletzt auch in den Massenmedien statt – die Intensität, Ausdrucksformen und die Akteure vor und hinter den Kameras und Mikrofonen durchliefen dabei Konjunkturen: Konfrontation und Entspannung wechselten sich – wie in der großen Politik – auch im Medienbetrieb ab. Die medienhistorische Auseinandersetzung der letzten zwanzig Jahre hat sich zunächst an den politisch-ideologischen, den programmlich-inhaltlichen, den institutionellen und ansatzweise auch den technischen Fragestellungen abgearbeitet. Deutlich seltener sind Versuche, die Menschen zu betrachten, die in diesem Geflecht aus Rahmenbedingungen und Einflussnahmen als Journalisten arbeiteten und die Medieninhalte wesentlich mitgestaltet haben. Zwar haben etliche Akteure mehr oder weniger ausführliche Erinnerungen und Autobiografien veröffentlicht, die aber zumeist für sich allein stehen und damit eher eindimensional die Ereignisse und Erlebnisse aus dem persönlichen Blickwinkel wiedergeben.1 Eine systematische Vergleichsarbeit, die neben diesen Erinnerungen auch die Erkenntnisse der autobiografischen Forschung berücksichtigt, ist ein Desiderat.

Als ein Schritt in diese Richtung erscheint der Band „Korrespondenten im Kalten Krieg“, den Lutz Mükke verfasst bzw. zusammengestellt hat. Der Band versammelt siebzehn biografische Interviews mit Korrespondenten, die von den 1960er- bis in die 1980er-Jahre für ost- oder westdeutsche Medien außerhalb des eigenen Landes gearbeitet haben. Ost und West halten sich hier die Waage, bekannte Namen wie Klaus Bednarz, Lothar Loewe und Ulrich Kienzle sind genauso vertreten wie weniger bekannte Journalisten wie Klaus Steininger, Reiner Oschmann oder Manfred von Conta.

Die Interviews sind im Rahmen einer Forschungsarbeit an der Universität Leipzig entstanden. Die abgedruckten Texte sind eine Art „Best of“ der Projektseminare des Autors mit den Leipziger Journalistikstudierenden, die sich mit dem Thema Korrespondenten im Kalten Krieg befassten. „In den problemzentrierten Leitfadeninterviews wurden historisch-biografische Dimensionen erfasst, die als Interpretationen, Sinnstrukturen und Deutungsmuster der Interviewten verstanden werden müssen,“ erläutert Mükke seinen Forschungsansatz (S. 13). Die Interviews seien „zudem interaktiv konstruiert, abgestimmt, verhandelt und zusammengefasst“ und im Akteursdreieck Interviewer, Interviewpartner und Seminarleiter entstanden (S. 13). Sie sind damit auch selbst eher journalistische Produkte, denen aber bei kritischer Einordnung ein Quellenwert nicht abgesprochen werden kann.

Ganz ohne Vorkenntnisse über Massenmedien oder den Kalten Krieg ist das Buch möglicherweise nur schwer zu lesen bzw. bleiben einige Aussagen unverständlich. Doch als Ergänzung mit Einführungen oder Forschungsarbeiten zum Thema ist der umfangreiche Band durchaus ein Gewinn. Neben dem Einblick in Lebenswege und vor allem das Selbst- und Arbeitsverständnis von Auslandskorrespondenten aus Bundesrepublik und DDR bieten die Interviews auch manches interessante oder amüsante Detail. So sollte der erste Korrespondent des SED-Zentralorgans Neues Deutschland (ND) in den USA 1972 den Kontakt zwischen Henry Kissinger und Erich Honecker herstellen, da es noch keine offiziellen diplomatischen Kanäle gab (S. 59). Klaus Bednarz hatte als ARD-Korrespondent in Warschau dagegen jeden Monat Mühe, die Ausgaben für die notwendigen Geschenke an seine Informanten und Kontaktpersonen mit der WDR-Redaktion in Köln abzurechnen. Er führte daraufhin die Position „Ausgaben zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität polnischer Personen und Behörden“ ein, was damals sogar vom Landesrechnungshof akzeptiert wurde (S. 78). Lothar Loewe, ARD-Korrespondent in Ostberlin, der 1974 wegen eines Aufsagers in der Tagesschau aus der DDR ausgewiesen wurde, wiederholte im Interview seine Einschätzung, die westdeutschen Medien seien der „Nagel im Sarg der DDR gewesen“ (S.180). Er habe die Berichterstattung seinerzeit aber nicht unter dem Aspekt gesehen, das Ende der DDR herbeizuführen. „Ich war bemüht, die Lage der DDR so objektiv wie möglich darzustellen,“ so Loewe auf die Frage nach seiner Aufgabe als Korrespondent. Am Anfang habe er nicht geahnt, welche Bedeutung er als Informationslieferant für die Bevölkerung der DDR hatte. „Ich glaube, dass die Berichterstattung insgesamt dazu beigetragen hat, die DDR zu destabilisieren. Wir brauchten keine Propaganda, wir mussten nur darstellen, wie es wirklich war,“ zeigte sich Loewe überzeugt (S. 180).

Interessant und lesenswert ist ferner das Interview mit Ralf Bachmann, der für den Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst (ADN), die staatliche Nachrichtenagentur der DDR, Korrespondent in Prag und in Bonn war, bis er 1987 wegen zu großer Nähe zur SPD über Nacht abberufen wurde. Auch er sieht die Informationspolitik der SED gegenüber der eigenen Bevölkerung als einen der Gründe für das Ende der DDR. „Alles Wichtige ist ja postwendend über das Westfernsehen in die Wohnzimmer der DDR-Bürger gekommen. Wenn die Leute dort sahen, was wirklich passierte […] und es mit dem DDR-Rundfunk und der DDR-Presse verglichen, haben sie gesagt ‚Das enthalten die uns vor. Die lügen‘“ (S. 189). Ungewöhnlich kritisch analysiert Bachmann seine Tätigkeit und die ideologisch bedingten Einschränkungen des DDR-Journalismus. „Ein weiteres Defizit war das Wunschdenken oder auch die Realitätsferne. Im ‚Großen Haus‘, wie der Sitz des ZK der SED genannt wurde, hatte man ein falsches Bild von der politischen und ökonomischen Situation der Bundesrepublik. Die Realität in der BRD stimmte nicht mit der Realität in den Köpfen der DDR-Führung überein“, so das Resümee Bachmanns (S. 197). Dennoch sieht sich der ADN-Korrespondent mit den westdeutschen Kollegen darin einig: „Wir waren nicht Speerspitzen des Kalten Krieges, wir wollten Brückenbauer sein“ (S. 199).

Nicht alle Interviews sind von kritischer Distanz geprägt. Auch die damals gängigen Argumentationsmuster der DDR-Journalisten lassen sich noch finden – interessanterweise vertritt sie besonders ausgeprägt Horst Schäfer, der als westdeutscher Kommunist für DDR-Medien arbeitete. Für ihn war und bleibt ein manichäisches Weltbild bestimmend, das auch für den Journalismus galt. „Which side are you on?“ sei die entscheidende Frage, „weil ich denke, dass man sich im Leben für die eine oder andere Seite entscheiden muss – auch als Journalist“ (S. 145). Diese Haltung führt dann wiederum zu einer die Repression in der DDR und insbesondere das Grenzregime relativierenden Position: „Mir ist allerdings nicht bekannt, dass ein angeblicher Schießbefehl zum, wie Sie in Ihrer Frage unterstellen, selbstgeschaffenen Bestandsschutz der DDR gehörte,“ wischt Schäfer die Frage beiseite, wie unkritisch man als Journalist gegenüber dem bevorzugten System sein könne (S. 146). Auslandsberichterstatter, fasst Mükke eine zentrale Gemeinsamkeit der Interviews zusammen, fungierten in beiden Systemen meist als Wertevertreter des politischen Systems, in dem sie sozialisiert wurden. Dies bleibt offenbar auch viele Jahre nach dem Ende ihrer Tätigkeit so.

Insgesamt bietet der Interviewband viele interessante Einblicke in die Lebens- und Arbeitswelt der Auslandskorrespondenten einer bestimmten Generation. Auch wenn die Einführung des Autors, die den Interviews vorangestellt ist, einige wichtige Punkte benennt, wünscht sich der Historiker jedoch eine ausführlichere und tiefer gehende vergleichende Analyse. Ein solches Buch, das unter anderem diese Interviews berücksichtigt, wäre ein großer Gewinn für das bessere Verständnis von Korrespondenten und Massenmedien im Kalten Krieg.

Anmerkung:
1 Vgl. u.a. Bernd Taubert, Generation Fußnote*. Bekenntnisse eines Opportunisten, Berlin 2008; Peter Pragal, Der geduldete Klassenfeind. Als Westkorrespondent in der DDR, Berlin 2008.

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